Horaz
Horazens Briefe
Horaz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wenn du, gelehrter Freund, dem alten Komiker
KratinusKratinus – einer der ersten, welche dem rohen Possenspiel des Thespis eine bessere Gestalt gaben, und dasjenige daraus machten, was man zu Athen die alte Komödie hieß – hatte zu seiner Behauptung, daß kein Wassertrinker ein guter Dichter sein könne, einen sehr persönlichen Grund; denn er war ein so eifriger Klient des Weingottes, daß ers mit dem alten Silenus selbst hätte aufnehmen können, und trieb die Völlerei so weit, daß seine MatratzenΚωδίαι, eigentlich Schaffelle, auf welchen zu Athen Leute von diesem Schlage, statt der Polster, zu liegen pflegten. auf eine Art, die seiner Urbanität wenig Ehre macht, zum Sprüchwort wurden. Aristophanes bedient sich dessen in seinen Rittern zu einem Bon-Mot, das eine starke Lungenerschütterung in dem Athenischen Parterre erregen mußte, weil die meisten Zuhörer den Kratinus persönlich gekannt hatten – Εί σε μὴ μισω̃, sagt der erzürnte Kleon zum Agorakritus, γενοίμην εν Κρατίνου κωδίων! (Sc. III. Act. I.) Wenn ich dich nicht hasse, so – (anstatt zu sagen, so will ich gehangen sein, oder so was), so will ich in Kratinus Fellen liegen! – Ein eben so komischer, aber feinerer Zug über die Weinsucht dieses Dichters findet sich im Friedensschluß des Griechischen Molière:

Merkur. Und Kratinus, der Weise, was macht denn der?

Trygäus. Der ist beim Einfall der LakonenLacedämonier. gar gestorben.

Merkur. Woran denn?

Trygäus. An Kummer; das Herz brach ihm,
Da er einen Krug voll Weins zerschlagen sah.

Übrigens ist mit den sämtlichen Werken dieses alten komischen Dichters (wovon nur unbedeutende Fragmente übrig sind) auch die Stelle, auf welche Horaz hier anspielt, verloren gegangen: doch hat sie sich in einem artigen Epigramm eines Unbekannten erhalten, welches ich aus dem Bentley abschreibe und, so gut ich kann, verdolmetsche.

Οι̃νός τοι χαρίεντι πέλει ταχύς ίππος αοιδω̃,
    ύδωρ δὲ πίνων ξρηστὸν ουδὲν ὰν τέκοις.
Ταυ̃τ' έλεγειν, Διόνυσε, καὶ έπνεεν ουχ ενὸς ασκου̃
    ΚΡΑΤΙΝΟΣ, αλλὰ παντὸς ωδοδὼς πίθου.
Τοιγάρτι στεφάνων δόμος έβρυεν, ει̃χε δὲ κιττω̃
    μέτωπον, οι̃α καὶ σὺ κεκροκωμένον.
Wein ist dem fröhlichen Sänger das wahre Flügelpferd,
    wer Wasser trinkt, wird nie was Gutes machen!
So rief Kratin, o Bacchus, nicht duftend etwa nur
    von einem Schlauch, er roch ein ganzes Faß:
Drum wimmelt von Kränzen sein Haus, und seine Stirn
    ist, deiner gleich, von Efeu gelb gefärbt.
glaubst, so können keine Verse lange
gefallen oder leben, die von Wassertrinkern
geschrieben worden. In der Tat ist nicht
zu leugnen, daß, seitdem der Gott der Reben
das schwärmerische Dichtervolk den Satyrn
und Faunen zugeselltUt male sanos adscripsit Liber Satyris Faunisque poetas. – Alle Schwärmerei, also auch die dichterische, stand bei den Griechen unter dem Einfluß des Weingottes. Dichter, welche sich nicht gern in so guter Gesellschaft, als Satyrn und Faunen sind, befinden, haben also alle Ursache, auf dem Unterschied zwischen Schwärmerei und Enthusiasmus zu bestehen, was auch die Demokrite dagegen einwenden mögen., der Musen süßer Atem
wohl gar frühmorgens schon nach Weine riecht.
Homerus pries den Rebensaft zu gernDurch die Beiwörter, die er immer dem Wein gibt, so oft er dessen erwähnt, und die immer von seiner stärkenden, begeisternden, herzerfreuenden Tugend, oder von seiner schönen Farbe, hergenommen sind.,
um nicht der Weinsucht sehr verdächtig sich
gemacht zu haben. Selbst der Vater Ennius
sprang nie, als wohlbezecht, hervor, die Taten
der Helden Roms zu singen. – »Allen Nüchternen
weis' ich den Marktplatz nebst dem Puteal
des Libons
Wer über dieses Puteal des Libo irgend einen Philologen oder Antiquarier vor dem Salmasius zu Rate ziehen wollte, dem können wir, aus Erfahrung, melden, daß er ihn verwirren und irre führen wird. Salmasius ist der erste, der die Sache auseinander gesetztExercitat. in Solin. p. 801. seq., und gezeigt hat: daß das Puteal im Comitio, nahe bei der Curia, dem heiligen Feigenbaum, und der Bildsäule des Attius Navius (unter welcher das berühmte Schermesser, womit dieser Augur zu Beschämung des ungläubigen Königs Tarquinius Priscus einen Schleifstein entzwei geschnitten, nebst dem Schleifstein vergraben lagCic. de Divinat. L. I. c. 17. Dionys. Halic. Antiqu. Rom. L. IV. p. 204 edit. Sylb. und das Puteal Libonis, wovon bei Horaz die Rede ist, zwei ganz verschiedene Dinge sind. Denn, nach der Anzeige des Grammatikers Festusde Verbor. Signif. XVII. p. 487 edit. Dacier., stand Libons Puteal zwar auch auf dem Foro Romano, wie jenes, aber weit davon entfernt, ohnweit der Vorhalle des Minerven-Tempels. So viel man aus dem kurzen ziemlich undeutlichen Berichte des Festus abnehmen kann, war die Stelle, wo dieses Puteal stand, schon vor Alters ein Sacellum, d. i. ein eingemauerter heiliger Platz gewesen, aber, wie es scheint, durch den Blitz getroffen und beschädigt worden, und mit der Zeit ganz zusammengefallen. Die Römer hatten eine besondre religiöse Scheu für die vom Blitz getroffene Örter; es war ein Sacrilegium, einen solchen Ort zu betreten, zu überbauen, oder irgend etwas Menschliches darauf zu verrichten. Da nun einst (Festus sagt nicht, wann solches geschehen) der Senat dem Scribonius Libo aufgetragen, alle vom Blitz getroffene Örter zu untersuchen und das Nötige dabei vorzukehren, so kam er auch an dieses; und weil der Ort ehemals schon heilig gewesen und es durch den Wetterstrahl zwiefach worden war, so errichtete er ein Puteal, d. i. eine Art von brunnenähnlichem Gemäuer ohne Dach, in Form eines Altars, darauf. Dies hieß nun von dieser Zeit an das Puteal des Libo, und in Form eines Altars erscheint es auch auf einigen Münzen, die den Namen Libo führen, und in allen bekannten Numismatischen Sammlungen, wie auch in Nardinis Roma Antiqua, und im Tom. III. der Mémoir. de Littérat. abgebildet zu sehen sind. Da es aber der Scribonius Libo, welche öffentliche Würden zu Rom verwaltet haben (vom L. Scribonius Libo an, der im Jahr 560 Ädilis Curulis, und 562 Prätor war, bis zu dem Libo gleiches Namens, der im Jahr 720 zum Konsulat gelangte), mehrere gegeben: so fragt sich, welcher von ihnen derjenige gewesen, nach welchem das besagte Puteal benennt wurde? Hierüber aber lassen uns die Gelehrten, die davon geschrieben haben, im Dunkeln. Übrigens ist noch zu bemerken, daß (wie Saumaise l.c. bewiesen hat) die Faeneratores, d. i. die Herren, die auf Prozente liehen, in der Gegend dieses Puteals zusammenkamen; und der Sinn des Verses, der diese Erläuterung veranlaßt hat, ist also dieser: die Wassertrinker mögen sich mit den trocknen, ernsthaften und nüchternen Geschäften, die man auf dem Forum und bei Libons Puteal treibt, abgeben! Das ist ihr Fach: aber die Poeterei, wozu ein ganz andrer Fluß von Lebensgeistern gehört, sollen sie müßig gehen. an, und allen Finsterlingen soll,
kraft dies, die Dichterei zu Rechten nieder-
gelegt sein!« – Seit ich dies Edikt im Scherz
    Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino,
nulla placere diu nec vivere carmina possunt,
quae scribuntur aquae potoribus. Ut male sanos
adscripsit Liber Satyris Faunisque poetas,
<5> vina fere dulces oluerunt mane Camenae.
Laudibus arguitur vini vinosus Homerus;
Ennius ipse pater numquam nisi potus ad arma
prosiluit dicenda. – »Forum, putealque Libonis
mandabo siccis, adimam cantare severis«:
ergehen ließDie gelehrtesten Ausleger unsers Dichters haben sich in einer wunderbaren Verlegenheit befunden, da sie sich die Frage beantworten wollten: wer denn der Poetische Prätor sei, der dies Edikt habe ergehen lassen? Man findet eine lange Rezension aller ihrer, zum Teil erbärmlichen Hypothesen in Bentleys Ausgabe, der ihnen aber auch dafür harte Nüsse aufzuknacken gibt. Er selbst ist, mit Torrentius, der Meinung, daß man edixi lesen müsse, und beruft sich deshalb auf vier bis fünf Handschriften. Cruquius und Baxter hingegen lassen es bei dem gewöhnlichen edixit, und glauben, die Rede sei vom Ennius. Nach aufmerksamster Revision dieses kritischen Prozesses scheint mir das Recht auf Bentleys Seite zu sein, und ich habe also diese Stelle, besserer Überzeugung zu Folge, in der zweiten Ausgabe bereits abgeändert. Horaz (so dünkt mich's noch jetzt) konnte in einer Epistel an Mäcenas sich einen solchen Scherz ohne Unschicklichkeit erlauben, und das bald darauf folgende: quod si pallerem casu, biberent exangue cuminum, bezieht sich so schön auf jenes edixi, daß mir hierüber kein Zweifel übrig bleibt., ermangelten die Herren
vom Handwerk nicht, von früh bis in die Nacht
und wieder an den Morgen, in die Wette
zu trinken und nach schlechtem Wein zu duften.
Gerad als wenn sich einer dünken ließe,
es brauche nur ein trotziges Gesicht,
und ungekämmt, in einem kurzen Rocke
von grobem Tuche, barfuß übern Markt
einherzusteigen, um die Tugend und die Sitte
des Cato darzustellen. Aber was gewann
der Maure Cordus, da er, seine große
Redseligkeit zu zeigen, über Kraft
Gewalt sich antat, dem bewunderten
Timagenes im Deklamieren nach-
zueifern? – Nichts als – einen BruchAuch hier suchen einige Ausleger mehr Spitzfindiges, als Horaz vermutlich in Gedanken hatte. Der Scholiast des Cruquius hilft uns auf die Spur, uns von der Anekdote, auf welche er anspielt, die rechte Vorstellung zu machen. Vermutlich war sie dem Mäcenas schon bekannt, und der Dichter brauchte also nicht so umständlich dabei zu sein, als wenn er für uns geschrieben hätte. Die Geschicklichkeit im Deklamieren wurde damals für eine sehr notwendige Eigenschaft eines Menschen von Erziehung und Lebensart gehalten; und es wimmelte in Rom von Graeculis, welche Unterweisung in dieser schönen Kunst gaben. Unter diesen war der Rhetor Timagenes einer der beliebtesten, und wurde, wie es scheint, öfters zu Gastmählern eingeladen, um sich mit Proben seiner Kunst hören zu lassen. Ein gewisser Mauritanier – vermutlich ein neuer römischer Bürger – namens CordusHoraz nennt ihn scherzweise einen Jarbiten, d. i. einen Abkömmling des Maurischen Königs Jarbas, der in Virgils Äneis vorkommt., der bei einer solchen Gelegenheit zugegen war, wurde (wie die Leute seiner Nation leicht Feuer fangen und der stärksten Eifersucht fähig sind) von dem Beifall, den sich Timagenes erworben hatte, so gereizt, daß er sich unmöglich halten konnte, auch auf der Stelle eine Probe abzulegen, daß er, seiner Maurischen Abkunft ungeachtet, in den Eigenschaften, die zu einem modernen Römer gehörten, keinem weiche. Er ließ sich ebenfalls hören, und griff sich, weil er's dem Griechen noch zuvortun wollte, über Vermögen und mit solcher Unvorsichtigkeit an, daß er sich eine Ader zersprengte oder einen Bruch bekam – denn rupit kann hier, deucht mich, beides heißen..
An einem guten Muster werden immer,
das Leichteste, die Fehler nachgeahmt.
Verlör' ich ungefähr einmal die Farbe,
ich wette gleich, sie tränken Kümmelwasser,
um blaß zu werden. O du leidige
Nachahmer-Schar, zum Tragen und zum Folgen
gebornes Vieh! wie oft hat euer Lärmen
und Jahnen bald zum Lachen mich und bald
zur Ungeduld gereizt! – Ich habe meinen Weg
<10> hoc simul edixi, non cessavere poetae
nocturno certare mero, putere diurno.
Quid, si quis vultu torvo ferus et pede nudo
exiguaeque togae simulet textore Catonem,
virtutemne repraesentet moresque Catonis?
<15> Rupit Iarbitam Timagenis aemula lingua,
dum studet urbanus tenditque disertus haberi.
Decipit exemplar vitiis imitabile; quod si
pallerem casu, biberent exangue cuminum.
O imitatores, servum pecus, ut mihi saepe
<20> bilem, saepe iocum vestri movere tumultus!
durch einen Strich des Helikons, wo kein
Lateiner mir voranging, selbst gebahnt,
nicht meinen Fuß in andrer Tritt gesetzt.
Wer sichs nur zutraut, führt den ganzen Schwarm.
Ich bin der erste, der die Jamben des
Archilochus nach Latium gebracht;
ich habe seine Versart, seinen Geist,
nicht Wort' und Sachen, eigen mir gemachtArchilochus wird vom Plutarch zum Erfinder mehrerer Versarten und auch besonders derjenigen angegeben, welche man Epoden nannteS. die XXVIIIste Note des Herrn Bürette zu Plutarchs Abhandlung von der Musik, im 14ten Bande der Mémoir. de Littérat. p. 379. seqq., und worin Horaz seine ersten lyrischen Versuche machte. Er lebte ungefähr zwischen der '5ten und 3oten Olympiade, und war wegen seines Talents für die lyrische Poesie eben so berühmt, als verschreit wegen des bösen Gebrauchs, den er öfters von seinem Witze machte, dessen Pfeile so spitzig oder vielmehr so giftig waren, daß er diejenigen, die er zum Ziel derselben nahm, bis zur Verzweiflung trieb. Wenigstens war dies das Schicksal eines gewissen Lykambes, um dessen Tochter Kleobule er sich beworben hatte. Der Vater hatte sie ihm anfangs zugestanden, hernach aber seine Gedanken geändert und das Mädchen einem andern gegeben. Archilochus rächte sich dieser Beleidigung wegen an der ganzen Familie durch so grausame Jamben, daß Lykambes, Kleobule und ihre zwei Schwestern die Schande, die er ihnen dadurch zugezogen, nicht überleben wollten, und sich alle vier erhängten – wenn die wahrhaften Griechen die Sache nicht übertrieben haben.

Die Mühe, welche Horaz sich in dieser ganzen Stelle gibt, sich gegen den Vorwurf der Nachahmung zu verteidigen und seine Originalität unter den Lateinischen Dichtern zu behaupten, ist einiger Erläuterung wert. Horaz hatte, wie es scheint (und wie es nicht anders zu erwarten war), eine Menge Nachahmer oder Nachäffer von der Art, die er serva pecora nennt, die sich nicht begnügten, auch lyrische Gedichte zu machen, nachdem er ihnen gewiesen hatte, wie sie es ohngefähr angreifen müßten: sondern die ihm sogar den Inhalt seiner Oden, seine Wendungen und seine Ausdrücke stahlen, kurz, wie die Krähe in der Fabel, sich mit seinen Federn schmückten und dann in den Chor der Vögel mischten, und auch als Sänger mitflogen. Diese Leute, scheint es, glaubten sich damit zu rechtfertigen, wenn sie sagten: Horaz sei ja selbst nur ein Nachahmer – der Griechen nämlich; denn daß er der erste lyrische Dichter der Römer war (wenigstens der erste, der eine Vergleichung mit den griechischen aushalten konnte), war unleugbar. Um nun dem römischen Publiko, das sich so gut durch Worte täuschen ließ, als jedes andre, im Vorbeigehen den Unterschied zwischen Nachahmung und Nachahmung zu zeigen, beruft er sich darauf, daß er nicht mehr Nachahmer des Archilochus sei, als Alcäus und Sappho auch; daß er die Versarten des Griechen (numeros) und seinen Geist, sein Feuer (animosque) sich eigen gemacht, aber nicht ihm die Sachen und Worte (non res et verba) abgestohlen und für sein gegeben habe. – Verehrer des Horaz hätten vielleicht Ursache zu wünschen, daß er sich zu einer solchen Apologie gar nicht herabgelassen haben möchte. Jeder wahre Künstler ahmt, in gewissem Sinne, seine Vorgänger nach; aber Virgil ist, ungeachtet alles dessen, was er vom Homer geborgt oder nachgeahmt, noch immer ein großer, und selbst durch die Art der Nachahmung, ein originaler Dichter. Ein Pfuscher ohne alles Talent könnte ein höchst elendes Werk von 56 Gesängen, der Erfindung und ganzen Ausführung nach, aus seinem eignen schalen Kopf gezogen und keinen Menschen nachgeahmt haben, und würde dadurch doch weiter nichts als ein originaler Pfuscher sein: hingegen könnte ein großer Dichter nicht nur das Süjet, sondern, wenn ers für gut fände, den ganzen Plan seines Werkes von einem andern nehmen, und durch die Art der Ausführung ein neues und vortreffliches aus einem schlechten erschaffen. Das, was den wahren Meister macht, ist nicht die Erfindung eines unerhörten Süjets, unerhörter Sachen, Charaktere, Situationen u. s. f., sondern der lebendige Odem und Geist, den er seinem Werk einzuatmen, und die Schönheit und Anmut, die er darüber auszugießen vermag. Es ist mit den Dichtern hierin, wie mit den Malern und andern Künstlern. Alle vortreffliche Maler im christlichen Europa haben Marienbilder und heilige Familien gemalt: der Inhalt ist der nämliche, die Charaktere sind die nämlichen, die Farben auf dem Palet sinds auch: gleichwohl hat jeder ebendenselben Gegenstand auf eine ihm eigne Art behandelt; und so viele vortreffliche Madonnen schon da sind, so wird sich doch gewiß kein künftiger großer Maler dadurch abschrecken lassen, auch die seinige hinzuzutun. – Es ist aber, selbst für einen Horaz, so schwer, von seinen eignen Arbeiten mit dem Publiko zu sprechen, und es ist so gewöhnlich, in solchen Fällen zu wenig oder zu viel zu sagen: daß die beste Partie, die man gegen den Zoilus nehmen kann, immer die ist, gar nichts zu sagen, und das Werk für sich selbst und seinen Meister sprechen zu lassen. Ist es gut, so legt es ein Zeugnis ab, welches, wo nicht von den Zeitgenossen, doch gewiß von der Nachwelt gehört, verstanden und bestätigt werden wird.

;
auch wirst du meines Efeukranzes mich darum
nicht minder würdig halten, weil ich mich gescheut,
an seinem Rhythmus etwas abzuändern.
Denn auch die feuervolle Sappho, auch
Alcäus borget ihm sein Klangmaß ab,
wiewohl vermischt mit andern, und an Inhalt
verschieden; denn er sucht sich keinen Schwiegervater,
um ihn mit schwarzen Versen anzuschmitzen,
noch knüpft er durch ein schmacherfülltes Lied
den Strick, womit sich seine Braut erdroßle.
Libera per vacuum posui vestigia princeps,
non aliena meo pressi pede; qui sibi fidit
dux, regit examen. Parios ego primus iambos
ostendi Latio, numeros animosque secutus
<25> Archilochi, non res et agentia verba Lycamben.
Ac ne me foliis ideo brevioribus ornes,
quod timui mutare modos et carminis artem:
temperat Archilochi musam pede mascula Sappho,
temperat Alcaeus, sed rebus et ordine dispar,
<30> nec socerum quaerit, quem versibus oblinat
atris, nec sponsae laqueum famoso carmine nectit.
Der ist esNämlich Archilochus., den ich (was in unsrer Sprache
von keinem noch versucht war), als der erste
Latein'sche Liederdichter, unserm Volke
bekannt gemacht; und – warum sollt' ichs nicht gestehn?
Mir schmeichelts, wenn ich meine Lieder, durch den Reiz
der Neuheit wenigstens zu Rom empfohlen,
mit Lust gelesen seh', und in den Händen
von allen finde – deren Beifall ehrt.

Fragst du mich aber, wie es komme, daß
der undankbare Leser meine Kleinigkeiten
zu Hause liest und liebt, hingegen auswärts
die Achseln kritisch zuckt, und höchstens – schweigt?
Nichts ist begreiflicher. Ich gebe mir
nicht die geringste Müh, die hohlen Stimmen
des Pöbels unsrer leichten Dichterlinge
und windichten Entscheider zu erjagen;
wiewohl sie mir ein Abendessen, oder
ein abgetragner Rock erkaufen könnteEin etwas unbarmherziger Hieb auf die armen Schelme, die das doppelte Unglück hatten, schlechte Verse zu machen und zu hungern..
Liest einer unsrer angesehenen
Hunc ego, non alio dictum prius ore, Latinus
vulgavi fidicen; iuvat immemorata ferentem
ingenuis oculisque legi manibusque teneri.
<35> Scire velis, mea cur ingratus opuscula lector
laudet ametque domi, premat extra limen iniquus?
Non ego ventosae plebis suffragia venor
impensis cenarum et tritae munere vestis;
non ego nobilium scriptorum auditor et ultor
<40> grammaticas ambire tribus et pulpita dignor;
Schriftsteller irgendwo mit großem Pomp
ein neues WerkDas öffentliche Vorlesen seiner Werke, welches der Gönner Virgils Asinius Pollio in Rom zuerst aufgebracht haben soll, fing schon zu Horazens Zeiten an Mode zu werden, und diese Mode nahm in der Folge, mit der Mode Schriftsteller zu sein, so sehr überhand, daß es eine ordentliche Gesellschaftspflicht – eine Pflicht, von der man sich, ohne alle Gesetze der guten Lebensart zu übertreten, gar nicht dispensieren konnte – wurde, solchen Vorlesungen beizuwohnen. Man wurde (wie wir aus den Briefen des Plinius sehen) ordentlich dazu eingeladen; die Gesellschaft versammelte sich in einem großen Saale; der Autor bestieg eine Art von Tribüne und deklamierte sein Werk, und wenn er fertig war, stieg er unter dem lauten Geklatsch der höflichen Zuhörer wieder herunter, sammelte sein Almosen an Lob von Reihe zu Reihe ein, bedankte sich, versicherte das Reciprocum, und stellte sich den nächsten Tag bei einem andern ein, um Wort zu halten. Was die Literatur bei dieser ungemein höflichen Einrichtung gewonnen habe, läßt sich leicht erraten., so – weiß ich nichts davon,
und bin nicht da, um mitzuklatschen, oder mich
zu seinem Herold und Verfechter gegen
den Zoilus dienstfreundlich aufzuwerfen;
bin weder Haupt noch Glied von keinem Club,
und würdige unsrer hochgelahrten Meister
der freien Künste keinen, mich zu seinem Stuhl
zu drängen, oder seinen Beifall zu brigierenEs gab zwar damals noch keine Journale und gelehrte Zeitungen, die sich im Namen des Publikums, kraft einer stillschweigenden Kommission, des Rechts, über alle neue Schriften und ihre Verfasser peinliches Gericht zu halten, angemaßt hätten: aber die Sprachlehrer und Rhetoren (d. i. Lehrer der schönen Wissenschaften, die sich besonders auch mit Erklärung und Analysierung der alten Dichter abgaben) ersetzten diesen Abgang reichlich, sowohl durch ihre Menge, als durch den Einfluß, den ihnen der Umstand gab, daß die literarische Erziehung der römischen Jugend gänzlich in ihren Händen war. Die Schriftsteller zu Dutzenden, Stiegen und Schocken hatten also alle Ursache, sich bei diesen wichtigen Herren um Gunst, Nachsicht und Schutz zu bewerben. Horaz glaubte sich dieser Zeremonie überheben zu können, und wir, seine jetzigen Leser, glauben das auch: aber bei seinen Lebzeiten war es ein anders. Der Geist der gelehrten Republik arbeitet immer, unter seinen zugleich lebenden Gliedern die gehörige Gleichheit zu erhalten, und stutzt oder reckt mit Gewalt, wo die Natur sich nicht fügen wollte. Das lesende und urteilende Publikum glaubt, wie das römische Volk, seine Fasces geben und wieder nehmen zu können, wem und wann es will. Der vortrefflichste Schriftsteller muß seine Vorzüglichkeit oft wie ein Verbrechen büßen, und wird, wie Aristides, bloß deswegen ostrazisiert, weil er zu gut ist. Horaz machte zu seiner Zeit die Erfahrung davon; und wer nennt mir unter den berühmtesten Toten einen einzigen, der sie nicht gemacht hätte?.
Dies ist der Schlüssel zum GeheimnisHinc illae lacrimae! Eine Anspielung auf eine bekannte Stelle in der Andria des Terenz, die, wie es scheint, zum Sprüchwort geworden war.! – Sag' ich dann
zu einem dieses Schlags: ich schäme mich
vor einem großen Auditorium
mit meinen Kleinigkeiten zu erscheinen,
als dächt' ich mehr Gewicht, als solche Dinge
in meinen Augen haben, drauf zu legen:
so zieht der Mann das Maul und spricht: »Der Herr
beliebt zu scherzen, wie ich merk', und spart
für JovisEine von den Griechen entlehnte sprichwörtliche Redensart, welche von Leuten gebraucht wurde, die aus ihren Sachen ein Geheimnis zu machen affektierten. Hier kann sie füglich auf August gezogen werden, der damals, wenigstens in den Provinzen (denen die Römer schon einen Grad von Niederträchtigkeit mehr erlaubten, als sich selbst) bereits Altäre hatte, und öffentlich auf Münzen und Denkmälern unser Herr Gott August gescholten wurde. Ohren seine Sachen auf;
er denkt, der Musen Honig fließe nur
hinc illae lacrymae! Spissis indigna theatris
scripta pudet recitare et nugis addere pondus,
si dixi: »Rides«, ait, »et Iovis auribus ista
servas: fidis enim manare poetica mella
von seinem Mund, und ist sich selber schön
genug, um unsers Beifalls zu entbehren.«
Was ist zu tun? Ihm eine spitz'ge Antwort
zu geben wag' ich nicht, und winde mich,
um seine Nägel nicht noch mehr zu fühlen,
mit der Entschuldigung von ihm los, der Ort
mißfalle mir und bitt' um GalgenfristDiludia posco. Diludia hießen bei den Römern die Rasttage, die man den Gladiatoren zwischen den Tagen, wo sie fechten mußten, bewilligte. Weil diese Unglücklichen auf Leben und Tod fechten mußten, so ist Galgenfrist ein ziemlich gleichbedeutender Ausdruck..
In einen Kampf auf Witz mit diesen Leuten
sich einzulassen, ist nicht ratsam. Erst
ists bloßes Spiel; allmählich wird man warm,
die Galle steigt, der Scherz wird immer bittrer,
zuletzt erbost man sich und hört mit Schlachten auf.
<45> te solum, tibi pulcher.« Ad haec ego naribus uti
formido, et luctantis acuto ne secer ungui
displicet iste locus, clamo, et diludia posco.
Ludus enim genuit trepidum certamen et iram,
ira truces inimicitias et funebre bellum.

 << zurück weiter >>