Horaz
Horazens Briefe
Horaz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie mild zu Velia der Winter sei,
wie zu Salern die LuftSalern und Velia waren zwei kleine Städte, jene am nördlichen, diese am östlichen Ufer des größern Busens, der das Tyrrhenische Meer zwischen den Vorgebürgen der Minerva und des Palinurus ausmacht. Jene wurde zur Picentinischen Landschaft in dem glückseligen Campanien, diese zu dem angrenzenden Lucanien gerechnet. So wenig diese Orte sonst bedeuteten, so geschickt waren sie durch ihre schöne Lage zu der Absicht, weswegen sich Horaz nach ihnen erkundigt., und was das Land
für eine Art von Menschen trage, wie
der Weg dahin – Doch, eh' ich weiter frage,
mein lieber Vala, wisse, daß mir Musa
Antonius
Antonius Musa hat seinen Namen durch die berühmte Kur verewiget, die er im Jahr 731 am Augustus verrichtete, dessen Libertus er war. Denn die Ärzte der Großen waren damals meistens Sklaven, welche man die Heilkunst für den Gebrauch des Hauses, dem sie angehörten, lernen ließ. Die Krankheit des Imperators war eine Art von hartnäckigem Gichtfluß mit Verstopfung und Abmergelung begleitet, welche die gänzliche Auszehrung befürchten ließen. Sein Leibarzt Ämilius hatte seinen Kopf darauf gesetzt, das Übel durch Bäder und Schwitzstuben auszutreiben. Er ging so weit, daß er sogar die Decke des Schlafzimmers des Kranken mit Pelzwerk ausfüttern ließ. Aber das Übel wurde immer ärger, und August war schon so weit, daß er sein Haus bestellte, als Antonius Musa auf den glücklichen Einfall kam, da das warme Wasser nichts geholfen hatte, es mit dem kalten zu versuchen. Das allgemeine Vorurteil stand ihm entgegen: aber die Umstände des Kranken machten jetzt auch den verzweifeltesten Versuch erlaubt. Musa schlug also gerade den seinem Vorgänger entgegengesetzten Weg ein; er verordnete dem Kranken eine erfrischende Diät, ließ ihn beinahe nichts als Lattich essen, kalt trinken, und ihn fleißig mit kaltem Wasser begießen, und bewirkte damit so viel, daß Augustus in kurzer Zeit wieder hergestellt wurde, und seiner schwächlichen Gesundheit ungeachtet noch 36 Jahre lebteSueton. in Aug. c. 59. et 81. Plin. Hist. Nat. L. XXIX. c. 1. Dion. Hist. L. III. p. 517.. Musa erhielt, nebst einer großen Summe Geldes vom August und vom Senat, eine Statue, mit dem Recht einen goldnen Ring zu tragen, der ihm die Vorzüge des Ritterstandes gab; und das kalte Wasser kam durch ihn in einen Ruf, der den warmen Bädern zu Bajä nicht wenig Abbruch tat. Horaz, der um die Zeit, da er diesen Brief schrieb, 46 oder 47 Jahre hatte, fing auch an von Flüssen, besonders an den Augen, mehr als sonst zu leiden; und da ihm die Bäder zu Bajä keine Erleichterung verschafften, ließ er sich von dem Leibarzt Musa ebenfalls bereden, es mit den kalten Bädern zu Clusium und Gabii zu versuchenVetus Comment. Cruquii ad h. l.; und dies geschah mit so gutem Erfolg (wie aus dem muntern Ton dieses ganzen Briefes zu schließen ist), daß er, um sich vor einem Rückfall sicher zu stellen, nun für weiter nichts als ein wärmeres Winterquartier zu sorgen hatte. das warme Bad zu BajäBajä war um diese Zeit in Italien, was Bath und Tunbridge in England sind. Die Gesunden suchten da Vergnügen, wo die Kranken Gesundheit suchten; und wie jene oft unter den Delizien von Bajä Gelegenheit fanden krank zu werden; so verloren diese, um sich besser zu befinden, oft auch den Rest von Gesundheit, den sie mitgebracht hatten. Schon vor den Zeiten der Cäsarn war Bajä der Ort, wo die vornehmen Römer sich berechtigt hielten, den Zwang der republikanischen Heuchelei abzulegen, um sich ohne Scheu den Ergötzungen und Wollüsten zu überlassen, welche diese bezauberte Gegend in so bösen Ruf brachten, daß Properz sein Mädchen nicht schnell genug von dort zurückrufen kann
Tu modo quam primum corruptas desere Baias!
    Multis ista dabunt litora discidium,
litora quae fuerant castis inimica puellis.
    Ah! pereant Baiae, crimen amoris, aquae!
L. I. Eleg. XI.
, und Cicero, in seiner Verteidigung des jungen M. Cölius, für nötig hält, vor allen Dingen sich selbst zu rechtfertigen, daß er einen Menschen in seinen Schutz nehme, der – Bajä gesehen habeCic. Pro M. Coel. c. XI.. Übrigens bemerken wir aus einem der Briefe des letztern an den Dolabella, daß die Gegend um Bajä schon vor 1800 Jahren, da sie die Verwüstungen noch nicht erlitten hatte, welche die Zeit in ihr angerichtet, für nichts weniger als der Gesundheit zuträglich gehalten wordenGratulor Baiis nostris: siquidem, ut scribis, salubres repente facta sunt: nisi forte te amant et tibi assentantur, et tam diu quam tu ades sunt oblitae sui. Quod quidem si ita est, minime miror caelum etiam et terras vim suam, si tibi ita conveniat, dimittere. Familiar. IX. 12.. Diese Stelle, wiewohl in Beziehung auf den Dolabella bloßes Persiflage, ist doch ein entscheidender Beweis, daß die Ungesundheit des schönen und anmutigen Bajä damals etwas Ausgemachtes war; und dies macht es um so begreiflicher, warum Antonius Musa für nötig hielt, unsern Dichter aus diesem Paradiese zu vertreiben.

so viel als unnütz hält und mit den Leuten dort
mich ganz entzweit hat, die sich ordentlich
ereifern, wenn sie mich zu dieser frost'gen Jahrszeit
noch gar in kaltem Wasser baden sehn.
Denn daß ein Kranker ihre Myrtenwäldchen
verlassen, ihre weit und breit für Gicht
und Podagra gepriesnen Schwefeldämpfe
verachten, und ein solcher Waghals sein kann,
den Quellen ClusiumsEhemals eine der Hauptstädte Hetruriens und der Sitz des berühmten Lucumons Porsenna. Ihre kalten Quellen kamen durch den Arzt Musa in Kredit. seinen Kopf und Magen
zu unterstellen und das kalte Land
der GabierDie Gegend um Gabii, einen damals schlechten Ort zwischen Rom und Präneste, war gebirgig, und Horaz scheint sie der reinen Luft wegen besucht zu haben. ihrem milden vorzuziehn,
    Quae sit hiems Veliae, quod caelum, Vala, Salerni,
quorum hominum regio, et qualis via – nam mihi Baias
Musa supervacuas Antonius, et tamen illis
me facit invisum gelida cum perluor unda
<5> per medium frigus; sane myrteta relinqui
dictaque cessantem nervis elidere morbum
sulphura contemni, vicus gemit, invidus aegris,
qui caput et stomachum supponere fontibus audent
ist freilich eine Tat, worüber billig
der ganze Flecken seufzet. Gleichwohl kanns
nicht anders sein; wir müssen weiter reisen
und bei den wohlbekannten Ruhestellen
vorbei den Klepper lenken. »Nun, wohin?
der Weg geht nicht nach Bajä oder Cumä«, wird
dem widerspenst'gen mit dem linken Zügel
der ungehaltne Reiter sagen; denn
das Pferd hat seine Ohren im Gebiß.
Um also, Freund, zurück zu meinen Fragen
zu kommen, melde mir (denn deine Antwort
wird meine Wahl entscheiden), wo von beiden
besagten Orten sichs wohlfeiler lebt?
Auch, ob sie Regenwasser trinken, oder
lebend'ges Brunnenwasser? Nach dem Wein
in dieser Gegend ist nicht Not zu fragen.
Auf meinem Gute kann ich mich mit jedem
behelfen: komm' ich aber an die Küste,
da muß ich edle milde Weine haben,
Wein, der den Spleen verjagt, mich, wie er durch
die Adern rinnt, mit Mut und Hoffnung schwellt,
und schwatzhaft mich und beim Lucanschen Mädchen
Clusinis, Gabiosque petunt et frigida rura –
<10> Mutandus locus est; et diversoria nota
praeteragendus equus. »Quo tendis? Non mihi Cumas
est iter aut Baias«, laeva stomachosus habena
dicet eques; sed equi frenato est auris in ore –
Maior utrum populum frumenti copia pascat?
<15> collectosne bibant imbres puteosne perennes
iugis aquae? Nam vina nihil moror illius orae.
Rute meo possum quidvis perferre patique:
ad mare cum veni generosum et lene requiro,
quod curas abigat, quod cum spe divite manet
<20> in venas animumque meum, quod verba ministret,
quod me Lucanae iuvenem commendet amicae.
zum Jüngling macht. Auch möcht' ich wissen, welche
von beiden Gegenden mehr Hasen, welche
mehr schwarzes Wildpret nährt, und wo die See
an Fischen und an Austern reicher ist
Denn jede See ist nicht an edelm Schalfisch fruchtbar.
Die schlechtste Muschel, im Lucrin genährt,
ist besser als Bajansche Purpurschnecken.
Am Kap der Circe gibts die schönsten Austern,
die besten Wasser-Igel am Misenum,
und stolz auf seine offnen Muscheln ist
das weichliche Tarent –
?
Denn meine Absicht ist, hübsch glatt und als ein echter
Phäazier von dort zurückzukommen.

Zu Rom war ein gewisser Mänius,
der, als er all sein Erbgut, mütterlichs
und väterlichs, baldmöglichst durch die Kehle
gejagt, für einen Mann von Witz und Laune
und guten Tischfreund zu passieren anfing;
ein Vagabund, der sich zu keiner eignen
gewissen Krippe hielt, allein bei leerem Magen
den Freund vom Feind nicht unterschied, und grimmig
auf jeden losging, der gegessen hatte,
die Scylla und Charybdis aller Fleischerbänke,
was ihm in Wurf kam, stürzte, wie in einen
grundlosen Strudel, stracks in seinen Bauch.
Geschah's nun, daß er den gewöhnlichen
Patronen solcher VögelDen reichen Prassern. und den FurchtsamenDie solchen Gesellen, aus Furcht vor ihren giftigen Zungen, zuweilen etwas in den Rachen warfen.
Tractus uter plures lepores, uter educet apros,
utra magis pisces et echinos aequora celent,
pinguis ut inde domum possim Phaeaxque reverti,
<25> scribere te nobis, tibi nos accredere par est.
Maenius, ut rebus maternis atque paternis
fortiter absumptis, urbanus coepit haberi,
scurra vagus, non qui certum praesepe teneret,
impransus non qui civem dignosceret hoste,
<30> quaelibet in quemvis opprobria fingere saevus,
pernicies et tempestas barathrumque macelli,
quicquid quaesierat ventri donabat avaro.
nichts oder wenig abgejagt, so fraß
er ganze Schüsseln voll Kaldaunen auf,
und soviel altes Schaffleisch, daß drei Bären satt
davon geworden wären; zog dabei,
als wie ein zweiter BestiusEin damals wohlbekannter reicher Geizhals, der, wie alle Harpaxe, ein großer Lobredner der Mäßigkeit und strenger Zensor aller Laster war, welche – Geld kosten., auf die Schlemmer los:
man sollte, sprach er, allen solchen Buben
ein glühend Eisen auf die Bäuche brennen!
Doch eben dieser Mänius, wenn ihm irgend
ein größrer Fisch einmal ins Garn gegangen
und alles wieder flugs in Rauch und Asche
verwandelt war – »beim großen Herkules!
mich nimmts nicht Wunder«, sprach er, »wenn ich Leute
all ihr Vermögen essen seh; es geht
doch in der Welt nichts über eine fette Drossel,
nichts über einen guten Schwartenmagen!«Es war keine Möglichkeit, den römischen Leckerbissen, der hier im Texte genannt ist, dem deutschen Leser mit Anständigkeit aufzutischen; ich hoffe also, daß das quid pro quo Verzeihung finden werde. Unter mehrern Deliciis der Alten, die (so viel ich weiß) aus der Mode gekommen sind, war auch das Gericht, wovon Horaz den Schwelger Mänius mit solchem Entzücken reden läßt. Die Römer, die in allen Befriedigungen der Üppigkeit nur Räuber oder Nachahmer der Griechen waren, scheinen auch diese von ihnen erbeutet zu haben; wenigstens erhellet aus den Stellen, welche Athenäus aus verschiedenen griechischen Komödienschreibern anführt, daß es lange zuvor, ehe die Römer ihre alte Sitte und Lebensart mit den Ausschweifungen des besiegten Asiens vertauschten, von den Gourmands zu Athen für etwas sehr Leckerhaftes gehalten worden. Wer neugierig ist, kann bei eben diesem Autor Nachricht von den verschiedenen Arten, wie die μήτρα ύεια zubereitet wurde, finden.
So einer, lieber Vala, bin auch ichEs bedarf wohl kaum der Erinnerung, daß dieses humoristische Nimirum hic ego sum der guten Meinung des deutschen Lesers von unserm Dichter in keine Wege nachteilig sein dürfe, weil Horaz im Grunde weder mehr noch weniger damit sagen will, als: so sind wir Menschen. Der Ausnahmen werden so wenige sein, daß sie in Absicht der unendlichen Zahl, die mit gutem Gewissen sagen können: so einer bin auch ich – in keine Betrachtung kommen. Die Notphilosophie der wackern Leute, die, mit Diogenes, nichts als Pferdebohnen und Brunnenkresse zur Nahrung, ein Stück Kapuzinertuch zur Bekleidung, und eine Tonne oder einen Hundestall zur Wohnung bedürfen, ist – in der Not gut: aber wenige unter ihnen würden wohl Lust haben, den Cynismus so weit zu treiben, daß sie das Glück abwiesen, wenn es ihnen in Gestalt einer guten Fee, ihrer Trägheit und Liebe zur Unabhänglichkeit unbeschadet, ein paar von Numonius Valas fetten Landgütern aufdringen wollte..
Gewöhnlich ist mein Wahlspruch: klein und sicher!
und weil ich muß, so kann ich wie ein andrer
bei Hausmannskost den Philosophen machen.
Hic ubi nequitiae fautoribus et timidis nil
aut paulum abstulerat, patinas cenabat omasi,
<35> vilis et agninae, tribus ursis quod satis esset,
scilicet ut ventres lamna candente nepotum
diceret urendos corrector Bestius. Idem,
si quid erat nactus praedae maioris, ubi omne
verterat in fumum et cinerem, »non hercule! miror«,
<40> aiebat, »si qui comedunt bona, cum sit obeso
nil melius turdo, nil vulva pulchrius ampla.«
Nimirum hic ego sum; nam tuta et parvola laudo,
cum res deficiunt, satis inter vilia fortis:
Doch stößt mir etwas Bessers auf, sogleich
wird umgestimmt, und nun behaupt' ich laut,
daß niemand weise sei und wohl zu leben
verstehe, als ihr andern, deren wohl
begründete fruchtbare Kapitale
aus fetten Gütern uns entgegen glänzen.
verum ubi quid melius contingit et unctius, idem
<45> vos sapere et solos aio bene vivere, quorum
conspicitur nitidis fundata pecunia villis.

 << zurück weiter >>