Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Zweiter Brief
An Maximus Lollius

Einleitung

Unter den vornehmen Römern, an welche Horaz seine Werke richtete, befinden sich zwei Lollius. Der eine, dem die neunte Ode des vierten Buchs gewidmet ist, war Marcus Lollius Palicanus, der als Proprätor von Galatien sich das Vertrauen des Augusts zu erwerben wußte, und im Jahre der Stadt Rom 733 (nach Petaus Zeitrechnung) mit Q. Lepidus das Konsulat verwaltete. Etliche Jahre hernach hatte er das Unglück, als Prokonsul von Gallien, in einem Treffen mit einigen germanischen Horden, die in seine Provinz eingefallen waren, den Adler der fünften Legion zu verlieren. Er mußte sich aber in der Folge, entweder durch die gute Art, wie er diesen Schimpf wieder auslöschte, oder auf andre Weise, bei August wieder in Achtung und Vertrauen zu setzen gewußt haben, weil er im Jahre 752 dem jungen Cajus Cäsar, Augusts adoptiertem Sohn und präsumtivem Nachfolger, der von seinem Vater zu Beilegung der im Orient entstandenen Unruhen abgeschickt worden war, als eine Art von Gouverneur (veluti moderator iuventae, sagt Paterculus) zugegeben wurde. Er zog sich aber in diesem wichtigen Posten durch Intriguen, welche die Befriedigung eines unersättlichen Geizes zur Absicht hatten, eine Infamie zu, von welcher unser Dichter wohl nichts geahnt zu haben scheint, als er zu ihm sagte:

– – – est animus tibi
vindex avarae fraudis et abstinens
ducentis ad se cuncta pecuniae.

Der junge Cäsar, dem die Ränke und schlechten Handlungen seines Mentors endlich zu Ohren kamen, wurde darüber so aufgebracht, daß er ihm alle Freundschaft aufkündigte; und bald darauf ging Lollius auf eine so hastige Art aus der Welt, daß es ungewiß blieb, ob er auf Befehl des Prinzen Gift bekommen, oder aus Gram sich selbst vergiftet habe.

Von seiner Enkelin Lollia Paullina, welche eine kurze Zeit lang die gefährliche Ehre hatte, eine der Gemahlinnen des tollen CaligulaLollia war erst an einen der vornehmsten Römer, C. Memmius, vermählt. Nun hörte Caligula einst von ungefähr sagen, die Großmutter dieser Lollia sei außerordentlich schön gewesen. Augenblicklich wandelt den Tollkopf die Begierlichkeit an, die Enkelin einer so schönen Person zur Frau zu haben. Er läßt sie eilends aus der Provinz, wo ihr Gemahl damals Befehlshaber war, abholen, zwingt diesen, daß er ihm seine Frau abtreten und in dem Heuratsbriefe sich für ihren Vater angeben muß, heuratet sie, und verstößt sie bald darauf wieder, mit einem Verbot, welches dem gelehrten Beroaldus das grausamste deucht, das einer römischen Dame dieser Zeit nur immer auferlegt werden konnte. zu sein, erzählt Plinius: er habe sie, an einem bloßen Verlöbnis-Mahl, und zwar in keinem der vornehmem Häuser, von Kopf zu Fuß mit Perlen und Juwelen überdeckt gesehen, welche auf vierzig Millionen Sesterzien, oder über 1 600,000 Taler unsers Geldes geschätzt worden; und sie habe diesen ungeheuren Schatz von Juwelen nicht etwa von dem Kaiser, ihrem Gemahl, geschenkt bekommen, sondern es seien avitae opes, provinciarum spoliis partae, die Beute ganzer von ihrem Großvater ausgeraubter Provinzen gewesen. »Wohl verlohnte sichs (setzt er hinzu), daß Marcus Lollius, mit der Schande, von allen Königen des Orients unermeßliche Geschenke erpreßt oder erschlichen zu haben, aus Gram über den Verlust der Freundschaft des Cajus Cäsars sich selbst vergiftete, damit seine Enkelin einst bei Kerzenlicht über und über von Edelsteinen funkeln könne!«

Daß nun der Lollius, an welchen diese und vermutlich auch die 18te Epistel gerichtet ist, nicht der Konsular M. Lollius gewesen sei, wie Torrentius, Baxter und andre ohne einigen Grund vorgeben, ist aus dem ganzen Inhalt und Ton dieser Briefe zu ersehen. Offenbar sind sie an einen jungen Menschen geschrieben, der sich damals noch zu Rom im Deklamieren übte: da hingegen M. Lollius um diese Zeit schon Prokonsul in Gallien und also wohl kein Mann war, dem Horaz sagen konnte: –

– nunc adbibe puro
pectore verba puer, nunc te melioribus offer.

Torrentius meint zwar, der Dichter hätte alle diese Lebensregeln und Maximen, die er dem vermeinten M. Lollius einschärfe, bloß an den zukünftigen Mentor des jungen C. Cäsar, gleichsam zur Instruktion des letztern, gerichtet: er hat aber nicht bedacht, daß unser Dichter in diesem Fall einen Wahrsagergeist zu Diensten gehabt haben müßte. Denn die Briefe des ersten Buchs sind wenigstens nicht später als in seinem 46 und 47sten Jahre geschrieben worden, da C. Cäsar (der älteste Sohn des Agrippa und der Julia, Augusts Tochter) ein Kind von zwei bis drei Jahren war; und Horaz war schon über fünf Jahre tot, als M. Lollius dem besagten Prinzen bei seiner Verschickung nach Armenien als Rector Iuventutis zugegeben wurde.

Der junge Lollius, an welchen die beiden Briefe geschrieben sind, scheint also ein Sohn des Konsulars dieses Namens, und der Vater der vorerwähnten LolliaPlinius, der diese Dame von Person gekannt, nennt sie (im IX. B. 35. Kap. seiner N. G.) eine Enkelin des Konsularen M. Lollius: Tacitus hingegen (im XII. B. der Annalen, 1. K.) dessen Tochter. Einer von beiden muß sich wohl geirrt haben. Wenn Tacitus Recht hätte, so müßte Lollia, als sie ihrem Gemahl vom Caligula weggenommen wurde (nämlich A. U. 791. s. Cuspinian. in Cassiod. Fast. Consular. p. 314.), wenn sie auch erst im Jahre, wo ihr angeblicher Vater gestorben (nämlich 754), geboren worden, schon 37, und als sie nach Messalinens Ermordung ( A. U. 801.) neben Agrippinen beim Cäsar Claudius in Vorschlag kam, schon 47 Jahre alt gewesen sein; welches wenigstens nicht wahrscheinlich ist. gewesen zu sein. Das Beiwort Maximus, womit ihn Horaz anredet, war, wie Geßner mit Recht vermutet, ein Beiname, der ihm zur Unterscheidung von jüngern Brüdern gegeben worden war. Außer dem, was sich aus unserm Dichter abnehmen läßt, ist nichts von ihm bekannt, es wäre denn, daß man seiner auch noch in Pedos Gedicht auf Mäcens Tod erwähnt findet. Denn allem Ansehn nach ist der Lollius, der den Pedo zu diesem Gedichte veranlaßt haben soll, kein andrer, als der unsrige. Wir sehen aus dem zweiten Briefe an ihn, daß er sich sowohl in den gymnastischen Übungen als in den Musenkünsten hervorgetan, daß er gern Verse gemacht (denn wer machte damals nicht Verse?), daß er noch sehr jung (puer) seinen ersten Feldzug, unter dem August selbst, gegen die CantabrerSo hießen damals die Bewohner des heutigen Biscaya. (im Jahre der Stadt Rom 729) getan, und also, da Horaz an ihn schrieb, etwa zwei und zwanzig Jahre alt gewesen, u. s. w.

Der Ton, worin die Briefe an diesen jungen Römer geschrieben sind, beweiset, daß Horaz in dem Hause des M. Lollius, den das Vertrauen des Augusts zu einem wichtigen Manne in Rom machte, auf einem freundschaftlichen Fuß gestanden, und daß er an dem jungen Manne, wegen seiner viel versprechenden Eigenschaften, besondern Anteil genommen. Es ist der Ton eines Vaters, der einen geliebten und hoffnungsvollen Sohn, den er allen Gefahren der Jugend, der Verführung und des allgemeinen Beispiels einer verdorbnen Zeit ausgesetzt, und auf dem Scheidewege zwischen der Tugend und ihrer Gegnerin noch nicht völlig entschieden sieht, durch guten Rat und heilsame Warnungen, so viel an ihm ist, verwahren möchte. Die Gedichte Homers, die er in der Einsamkeit zu Präneste wieder durchlas, geben ihm hiezu eine Gelegenheit, welche alle seine Moral ganz ungezwungen und gleichsam ohne Absicht herbeiführt. Er betrachtet den Vater der Dichter aus einem Gesichtspunkte, woraus wir heut zu Tage, da wir nichts als Poesie in ihm suchen, seine Werke zu wenig zu benutzen pflegen, als einen Sittenlehrer, der durch seine Ilias und Odyssee, als zwei große Systeme von Beispielen, uns besser lehre, was den einzelnen sowohl als dem gemeinen Wesen schädlich oder nützlich sei, als die subtilsten Moralisten von Profession. Er führt einige dieser Beispiele an, macht die Anwendung davon auf seine Römer, und berührt mit raschen, aber scharfen Zügen, die schädlichen Folgen ungebändigter Leidenschaften, und besonders der unmäßigen Begierde nach Reichtum, des herrschenden Lasters seiner Zeit. Seine Sittenlehren scheinen, sonderlich in den zwanzig letzten Versen, nur wie Aphorismen ohne Ordnung hingeworfen, sind aber alle durch einen feinen Faden verbunden, und laufen in einem Punkte zusammen.

Der ihm sonst so gewöhnliche ironische Ton ist aus diesem Briefe, wo er keine gute Wirkung tun konnte, gänzlich verbannt. Der Ton, der darin herrscht, nähert sich etlichemal dem satirischen, aber ohne Bitterkeit; man glaubt den Sokrates mit seinen jungen Freunden sprechen zu hören. Immer ist seine Vorstellungsart die natürlichste, seine Philosophie das bloße reine Resultat allgemeiner Erfahrung; sein Vortrag sinnreich, ohne Antithesen zu suchen, noch sie auszuweichen, wenn sie ihm gleichsam in die Hände gelaufen kommen, und gedrungen ohne rätselhafte Dunkelheit; seine Diktion ungezwungen zierlich, und von jedem Fehler frei; seine Versifikation, bei einer Leichtigkeit, ut sibi quivis speret idem, wohlklingend, numeros, und sorgfältiger gearbeitet, als diejenigen zu merken fähig sind, welche Leichtigkeit so gern mit Nachlässigkeit verwechseln. Aber, ach! wieviel geht, unsers ernstlichen Fleißes ungeachtet, beim Übertragen aus der römischen Sprache in eine ihr so ungleichartige, von diesem allem verloren!


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