Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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XVIII.

Ueber's Jahr – es war noch kein ganzes Jahr vergangen – am siebenten Juli 1849 standen die Truppen des deutschen Bundes bei Veile in Jütland und warteten auf Ordre – zum Kampfe, wie sie hofften.

Sie standen da Gewehr bei Fuß, mit geballten Fäusten und eingebissenen Lippen und die brennenden Augen der Männer sahen hinaus auf die Straße der Hügel und das graue Gewässer der Seezunge, darüber der Wind in heftigen Stößen zog.

Die ganze Nacht hatten sie unter Waffen gewacht und gelitten wie tapfere kampfgierige Männer nicht leiden sollten – Gott sei's geklagt! Die ganze Nacht hatte der Kanonendonner gewährt, den man von Friedericia herübergehört, und flüchtige Bauern brachten Nachricht auf Nachricht, wie die Dänen in der Festung bis in die sinkende Nacht gezecht und dann mit neunfacher Uebermacht das Lager angegriffen. Gleichsam unter den Augen der Bundestruppen wurde das kleine 199 Heer der Schleswigholsteiner gemetzelt nach furchtbarem Widerstande und als gegen Morgen die Kanonade verstummte, da war es aus mit der Armee der Herzogthümer und mit dem ganzen Krieg auch. Auf den Wällen, in den Gräben, in den Gassen des verschanzten Lagers lag die kampffähige Jugend Nordalbingiens in blutigen Leichenhaufen um ihre zerrissenen Fahnen, über denen der verhaßte Danebrog vom Siege gebläht den Tag begrüßte. Nur wenige waren dem Schlachten entronnen und eilten, einzelne blutende waffenlose Krüppel, landeinwärts, wo ihnen die jütischen Bauern auflauerten, um den Halbtodten mit Sensen und Mistgabeln den Rest zu geben, denen ohnehin keine andere Hoffnung mehr geblieben, als jenseits der blanken Bayonette der deutschen Bundestruppen einen Wundarzt, ein Almosen, ein Grab zu suchen.

Bitterste Wehmuth lag schweigend über den Heergenossen, die von einer fluchwürdigen Politik zur Thatlosigkeit verurtheilt waren, während man ihre Brüder in Meilenweite nach Tausenden schlachtete und das Land verrieth, zu dessen Schutz und Rettung sie ihr Blut vergossen in siegreichen Kämpfen.

Bayerische Artillerie hielt zuvörderst die Höhen besetzt, welche die Straße gegen Südosten beherrscht. Wuth blitzte aus den überwachten Augen, die hinaussahen, ob keine Flüchtigen des Weges kämen. Manch einer mochte wohl der Tage denken, da sie eingezogen waren 200 in das geknechtete Land des deutschen Nordens und die jubelnde Bevölkerung ihnen Waffen und Pferde bekränzt hatte, daß die Kanonen, an denen nicht Holz, nicht Erz mehr sichtbar gewesen, wandelnden Blumenhaufen geglichen. Wie anders war der heutige Tag!

Commandoworte unterbrachen nun die peinliche Stille. Die Soldaten traten in Richtung. Man sah ein kleines Häuflein wunder Menschen, welches langsam, mühvoll des Weges gezogen kam, die ersten der Versprengten, welche von Friedericia nach Veile gelangten.

Es waren ihrer sieben, bärtige Kerle, fahl und gebrochen vor Hunger, Blutverlust und Erschöpfung.

An den zerrissenen dunkelblauen Uniformen klebte der Saft des Lebens der Dänen und ihr eigener. Die Meisten waren baarhaupt mit schlechtverbundenen Schädeln. Der trug die Hand in ein grobes schmutziges Tuch gebunden, dem rann das Blut langsam über die Wange, der schleppte mühsam den Fuß nach, indem ihm ein zerschlagenes Gewehr als Krücke diente. Zwei andere, gleichfalls verwundet, führten den letzten, der auf ihren Schultern zu verröcheln schien.

So zogen sie dahin, wankende Halbleichen, die zum letzten Sterben nur zu müde schienen. Sie klagten nicht, sie weinten nicht, sie sangen sogar: sangen mit hohlen Stimmen das alte Soldatenlied: 201

Morgenroth, Morgenroth,
Leuchtest mir zu frühem Tod!

und schaurig klangen die heiseren Töne in den sonnigen Tag hinein, der vor Beschämung allen Athem anzuhalten schien.

Die Bataillone präsentirten die Gewehre vor den sieben singenden blutigen Krüppeln und manch einem alten Soldaten fiel eine Thräne in den starren Bart.

Von den Kanonen weg traten etliche Officiere und Unterofficiere an die armen Teufel heran und reichten ihnen die Feldflaschen.

Einer der letzten von den Verwundeten – er hatte einen verbundenen Kopf und schleppte sich mühsam genug – bat nach dem ersten Schluck, ob er ein Stück Brod geschenkt bekommen möchte.

Ein Kanonier leerte seinen Sack aus und während andere desgleichen thaten, sagte der Kanonier zu dem Hungernden: »Du hast nicht die Redeweise Deiner Kameraden, Du scheinst nicht in den Herzogthümern geboren?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, »ich bin aus dem deutschen Süden heraufgekommen, um den Krieg mitzumachen. Wir sind ja Alle eines Landes Kinder.«

»Gott geb's!« fügte der Kanonier hinzu. »Für dießmal ist Euch die Kindschaft schlecht bekommen!«

Der Invalide sagte nichts darauf, er sog die 202 Feldflasche aus und gab sie mit einem Händedruck zurück.

»Wie heißest Du?« fragte der Soldat wieder.

»Vitus Weber,« war die Antwort.

Sie setzten sich wieder in Bewegung und marschirten so gut es gieng, an den Truppen vorüber. Heiser und rauh, trostloser als alle Klage gieng ihr Gesang:

Kaum gedacht, kaum gedacht
Ist der Lust ein End gemacht.

Von den Soldaten weinten Etliche. Ja, es war eine böse Zeit! –

 


 


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