Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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Zweiter Band.

 

X.

Der Frühling, der aus diesen Winter kam, war voreilig und voll Sonnenschein; die Märzenveilchen wuchsen wie die Brombeeren so groß, der wolkenlos blaue Himmel regte zu Wetten und Schuldenmachen an, die Sterngucker suchten nach einem langgeschwänzten Kometen und die ruhigsten Bürger giengen hastig umher und steckten die Nasen in den Wind, der von Westen herwehete.

Das war einmal gegen Abend an einem Werkeltage, da stand Pyrian inmitten seiner Stube und die schöne Fanny hatte alle Hände voll zu thun, ihm in gewünschter Eile so hülfreich als möglich zu sein.

»Mein Schwert,« schrie er, »nein, nicht das Paradeklingelchen, den Schlachtensäbel gieb mir her! Ha, jetzt wird's Ernst! Nieder mit den Spitzbuben, den communistischen Tagdieben, den Himmelsackerlotern, – nicht so fest, nicht so fest! glaubst Du, ich trage einen Schnürleib? So . . und jetzt die Bärenmütze, ha, du sollst 2 Pulver schmecken, alter Federbusch! Gott schütze den König! aber Kreuzdonnerwetter, wo bleiben die Buben so lang, es wird ihnen doch nichts Arges wiederfahren sein bei dem Durcheinander auf den Straßen? Ihre Schulzeit ist ja längst vorüber und – der Sporn ist losgegangen am rechten Fuß, Schwerenoth! Joseph, Joseph, ist der Gaul gesattelt?« . . .

Fanny lief ab und zu, todtbleich im Gesichte und mit zitternden Händen faßte sie doch Alles sicher und rasch an. Da durchzuckte es sie mit einem Male wie ein electrischer Schlag. »Jesus Maria, was bedeutet das?« rief sie und lief an's Fenster.

Ein energisches Trommelschlagen in knappem Rythmus ließ sich aus der Ferne immer näher und näher kommend vernehmen.

»Das ist der Generalmarsch, mein Kind!« erläuterte der halbgerüstete Schmied, »die Stadt ist wegen nahenden Aufruhrs und drohenden Umsturzes aller bestehenden Ordnung in Belagerungszustand erklärt; auch die Bürgerwehr wird aufgeboten. Aber wir wollen ihnen – – – na und wie!«

Fanny stand am Fenster und sah auf die steile Straße hinab. »Ach da kommen sie mit Kanonen gefahren!« rief sie, »sie werden doch nicht schießen! Um Gottes Güte willen, bleibe bei uns; wenn Dir ein Leids geschäh'!«

3 »Hast Du nicht Deinen alten Bruder Leonhard im Hause und zwölf Schmiedeknechte noch obendrein?« lachte der kriegerische Vater. »Und mich werden die Lumpenkerle nicht gleich auffressen. Beruhige Dich, wir fangen sie sicher und gewiß, der Plan des Stadtcommandanten – aber ja so, das geht Dich nichts an. Allein die Buben gehen Dich was an, Donnerwetter, wo stecken die Sackermenter? Du hättest sie nicht aus dem Hause lassen sollen an einem Tag des Hochverraths und der Empörung.«

Fanny wollte mit ihrer gänzlichen Unkenntniß der Lage der Dinge antworten, da kam Vitus in die Stube, um zur gewohnten Zeit seine Instruktionsstunde zu geben. Er fragte nach seinen Schülern und da er den Hausherrn in kriegerischem Kostüm fand, rief er mit schlechtunterdrücktem Lächeln:

»Herr Pyrian, mit Gott für König und Vaterland?«

»Ja wohl,« sagte der Stolze, »und ohne Gnade und Pardon! Oh die Lumpen die! Hören Sie, Meister Veit, mich ruft die Pflicht des Bürgers und Soldaten zum Schutz des Thrones auf die Gasse, für die Sicherheit meines Hauses ist sozusagen gesorgt; aber Sie würden mich doch sehr verbinden, wenn Sie, der heute nichts mehr vor der Thüre zu suchen haben, bei meinen Kindern bleiben wollen, gält' es auch nur, ihre Angst um den Vater zu beschwichtigen.«

4 Veit war etwas überrascht. Er stotterte vor Verlegenheit und wußte doch nicht, was er reden sollte; da wandte sich Fanny, die bisher ihr Angesicht nicht von den Scheiben gekehrt hatte und sprach mit fester Stimme:

»Ich bitte Sie recht sehr darum!«

Veit verneigte sich feuerroth im Gesicht und Pyrian murmelte seitab: »was so ein Bauernbub halt für ein ewig verlegenes Mannsbild bleibt, und das will was gelernt haben und in der Welt herum gewesen sein!« Er musterte sich im Spiegel und dachte weiter: »Da bin ich ein Kerl, ein ganz anderer, brr! und bin eigentlich kaum vor's Thor gekommen und habe –«

»So gut wie nichts gelernt,« war er eben zu vollenden im Begriff, als er sich noch rechtzeitig ertappte. Und Veit fragte ihn:

»Also Quartier wird nicht gegeben, Herr Major?«

»Nieder mit den Banditen!« entgegnete Pyrian und mit wichtiger Miene fuhr er fort:

»Sie bleiben im Hause? nicht wahr? keinen Schritt vor die Thür? Also will ich Ihnen was mittheilen. Am westlichen Ende des Marktplatzes fängt die lange Brunnengasse an und mit ihr die Vorstadt. Dort wird man den Rebellionisten Gelegenheit geben, sich hervorzuwagen; man wird ihnen Vorschläge machen, die sie nicht annehmen werden. Dann entfaltet sich das 5 Bischen Miliz, was wir dünn zur Maskerade aufgestellt, und die Batterien sind frei und werden die Länge der Straße hin das Gesindel auf die Bäuche legen, daß ihm die Lust zum Aufstehen für immer vergehen soll. Als vernünftiger Mensch müssen Sie ja auch von den Unsern sein, so freuen Sie sich denn mit mir!«

»Ich bin ganz der Ihrige!« sagte Veit mit Hohn »und werde Ihr Haus und Ihre Kleinen hüten.«

»Ach wenn Sie nur erst daheim wären, die Spitzbuben!« rief ungeduldig der Alte.

»Ich meine sie auf der Treppe zu hören,« entgegnete Fanny.

Sie hatte sich nicht getäuscht. Weitauf flog die Stubenthüre und herein stolperten mit beschmutzten Kleidern, baarhäuptig und in sichtlicher Aufregung die beiden jüngsten der Pyrianssöhne. Maxerl schleppte mit beiden Händen eine lange Thürsteherhellebarde nach sich, deren verschossene rothe Troddeln den Stubenboden fegten. Sepperl, der ältere und weisere, hielt eine rostige Hackenbüchse, an welcher der Hahn fehlte, mit beiden Händen, emsig auf seiner Schulter fest. In solch zweideutigem Aufzug strampften sie durch das Zimmer und stellten sich dann, trotzig mit dem Gewehre den Estrich klopfend, vor dem nach Sprache ringenden Erzeuger auf.

Der Grenadiermajor fand nach etlichem krampfhaften 6 Kopfschütteln seinen gröbsten Exerzierton wieder und die Fäuste auf die Hüftknochen gestemmt, schrie er sein Fleisch und Blut mit Fragen an, die ihren nachmittägigen Wandel und die Gründe ihres späten und also bewaffneten Erscheinens erörtern sollten.

Als sie zu Worte kamen, sagte Maxerl etwas kleinlaut und eingeschüchtert, Sepperl, der kecker und ein wenig angetrunken schien, mit Vollbewußtsein: »Vater, wir haben das bürgerliche Zeughaus mitstürmen helfen!« und Sepperl fügte, die eine Hand gegen die Stubendecke, die andere an der Büchse mit einem Schritt vorwärts in Ton und Haltung eines Volksredners, den er eben gehört haben mochte, hinzu: »Die Nation hat sich bewaffnet! Es lebe die Republik!«

Eine ungeheure Ohrfeige, welche die Faust des im tiefsten Kern seines Wesens getroffenen Vaters auf die Wange des mißrathenen Sprößlings legte, hob das ohnehin schwankende Gleichgewicht des Zeughausstürmers vollends auf. Er lag bäuchlings an der Erde. Aber die fallende Büchse rächte ihren Träger, denn ein vorstehender Splitter im alten Holze riß in Pyrians Uniformshosen einen triangulären Fetzen.

Der Major strampfte in Wuth und Verzweiflung. Die beiden Rangen liefen ins Nebenzimmer, Fanny eilte vom Kleiderschrank zum Nähtisch und vom Nähtisch wieder zum Schrank rathlos, denn die ältern 7 Uniformshosen waren nach antiquirtem Reglement und dermalen als ordonnanzwidrig streng verpönt. Von der Straße tönte das Wirbeln der Trommeln ganz in der Nähe und aus dem Hofraum rief der Hausknecht ein über's andere Mal nach dem Herrn, der Gaul sei längst gesattelt und die höchste Zeit zum Ablaufen.

Da rief Vitus, dem die Ungeduld sichtbar im Gesichte stand, dem unschlüssig Zürnenden zu: »Machen Sie es doch wie Napoleon in der Schlacht bei Regensburg. Als ihm das Stiefelanziehen zu langsam schien, ritt er mit einem lediglich bestrumpften Beine davon. Was liegt an einer zerrissenen Hose, wenn der Generalmarsch geschlagen wird? reiten Sie, wie Sie sind.«

Bei dem Worte Napoleon veränderte sich Pyrians Gesicht und Haltung, er zog den Bauch ein, schüttelte die Bärenmütze zurecht und die Hand am Säbel schritt er sporenklirrend und geringschätzig über die Achsel grüßend zur Thüre hinaus.

– »Es war recht freundlich von Ihnen, Herr Veit, daß Sie dem Vater versprachen, die langen Stunden hier bei uns ängstlichen Kindern aushalten zu wollen. – Erlauben Sie, daß ich Ihnen einen Stuhl anbiete. Mit der Instructionsstunde wird es bei der heutigen Verfassung meiner Brüderlein ohnehin nicht viel werden,« fügte sie etwas verlegen und erröthend hinzu.

Veit sah auf ihre niedergeschlagenen Wimpern, auf 8 die emsigen Hände, welche mit Elfenschnelligkeit die Nadel durchs Linnen führten, auf das goldene Haar, dessen letzte krause Flöckchen im vorgebeugten Nacken sacht erbebten. Dann sagte er langsam und bestimmt: »Ich bin mit Freuden bereit, Ihre Wohnung zu hüten, mit um so größerer Freude, wenn Sie mir durch Ihre Gesellschaft dieses Geschäft etwas erleichtern wollen, aber für die nächsten zehn Minuten muß ich um Urlaub bitten.«

Bei dem Worte »muß,« welches Veit mit ziemlichem Nachdruck gesprochen, sah Fanny plötzlich von der Arbeit auf und legte die fragenden Blicke ihrer großen blauen Augen in des Jünglings Antlitz.

Aus der Ferne fiel ein Schuß; die zwei Kürassierschwadronen, welche unter Pyrians Haus das Haupt der abschüssigen Straße besetzt hielten, stiegen rasselnd zu Pferde, die Klingen flogen klirrend aus den Scheiden und schaurig tönten die Commandoworte oder das vereinzelte Wiehern eines Pferdes durch die nunmehrige Stille.

»Es wird blinder Lärm sein,« sagte Veit; aber Fanny hatte seine Hand ergriffen und lispelte mit bebender Stimme: »Ich bitte Sie, gehen Sie jetzt nicht auf die Straße – bleiben Sie bei uns.«

»Sie sind die Tochter eines eifrigen Bürgers, Sie sind die Braut eines Adeligen,« entgegnete Veit in trotziger Eile, »Sie wissen beide im Getümmel der 9 Straßen und glauben an die Nothwendigkeit ihrer Pflicht dort zu sein; ich bin nicht viel mehr zwar als ein Proletar, ein etwas alter Schuljunge, wenn Sie wollen, aber auch ich habe Pflichten und bitte diese zu achten.«

Fanny ließ die Hand ihres Jugendgespielen los, ein bitter mitleidiges Lächeln verzog ihre feinen Lippen und sie sprach: »Gehen Sie wohin Sie wollen und bleiben Sie aus, so lange Sie es für gut halten; ich achte Jedermanns Pflicht und nur so nebenbei darf ich Ihnen wohl versichern, daß mein Bräutigam kein Aristokrat sein wird.

Sie wandte ihr Gesicht den Scheiben zu; Veit verbeugte sich stumm und gieng seiner Wege.

Fanny sah ihm unverwandt nach, er schlenderte langsam dahin; nach etlichen Schritten begegnete ihm ein Mann in einem blauen Kittel, den Veit um Feuer für seine Pfeife bat. Die Pfeife hatte schlechten Zug und wollte lange nicht Gluth fangen. Veit sprach dabei in einem fort, der andere horchte gespannt. Eben als einer der Kürassiere, die mittlerweile wieder abgesessen, auf sie zutreten wollte, grüßten und dankten die beiden und gieng ein Jeder wieder nach der Seite zu, von der er gekommen.

Unter Pyrians Hausthür angelangt, klopfte Veit ruhig sein Pfeifchen aus. Da fühlte er auf einmal seine Schulter berührt. Es war Helmtrost von der 10 Schneppe, welcher lächelnd hinter ihm stand und auf ein Pferd wies, das eben an der Schmiede frisch beschlagen wurde. Der Graf war in einem sonderbaren halbkriegerischen Anzug. Er trug hohe Jagdstiefel und Lederhosen, eine knappe Sammetjacke darüber, einen breiträndrigen Hut mit kurzen Wildfedern und vor dem Sattel seines Pferdes stacken Pistolen in den Halftern.

»Nun Bürger Veit,« rief er dem Erstaunten zu, »wollen Sie das Haus hüten, während wir uns zum Kampfe rüsten? Kommen Sie mit mir, ich stelle Ihnen ein Paar prächtiger Flinten zu Gebot. In meinem Hause –«

»Lassen Sie mich zufrieden,« sagte Veit nicht ohne Ueberraschung, »Ihre Sache ist denn doch die unsere nicht, ist nicht die meine.«

»Aha!« lachte Helmtrost, »Sie glauben nicht an die Freiheitsbegeisterung eines Aristokraten; Sie denken eitel Eigensucht und Ehrgeiz oder die Furcht vor einem Laternenpfahl, einer noch zu errichtenden Guillotine mache den Vollblutgrafen zum Republikaner? Aber mit dem schwieligen schmierigen Fleischerknechte, den Sie neulich im tempus kennen gelernt haben, mit dem conspiriren Sie, wie ich eben gesehen, von Herzen gern. Warum? weil er keine Handschuhe hat. Leiht euch nur das Feuer, einer dem andern, ihr mißtrauischen Proletarier. Brennt's nur erst lichterloh, 11 dann werdet ihr schon sehen, daß Holz Holz ist und daß auch polirtes Holz brennen und daß man auch in Glacehandschuhen Fackel und Pechkranz schwingen kann. Sei's drum. Die Zeit ist zu Wortgefechten zu kurz, zu kurz wenigstens für mich. Darum haben Sie die Güte und geben Sie bahnfrei; ich möchte mich bei Fräulein Fanny verabschieden, eh's drauf und dran geht.«

Veit räumte dem schmucken ungeduldigen Herrn den Vortritt auf der Treppe ein. Er dachte an Fannys stolzes Wort: »Mein Bräutigam wird kein Aristokrat sein« und während er langsam die Stufen hinanschlich, erwog er zweifelnd im Geiste, ob es nun noch passend sei, die Wache über Pyrians Kinder fortzusetzen oder ob er vielmehr gerade jetzt mehr als irgendwann dazu berufen.

Noch ehe er die Thüre der Wohnung und das Ende seiner Ueberlegungen erreicht hatte, hörte er Fannys Stimme, die ihn wiederholt beim Namen rief.

Sie kam ihm schon auf der Treppe entgegen und zornglühend sprach sie: »Erfüllen Sie also das Versprechen, meines Vaters Haus zu hüten? Ich bitte Sie bei der Ehre dieses Hauses, weisen Sie diesem Unverschämten die Thüre, und wenn es Noth thut, entfernen Sie ihn mit Gewalt, wie Sie ihm schon einmal den Herrn gezeigt.«

»Nur keinen Lärm, nur keine Scene!« lispelte 12 Helmtrost mit der verbindlichsten Miene von der Welt, empfahl sich mit ungezwungener Höflichkeit und bald hörten die beiden Ueberraschten den Hufschlag seines Pferdes davoneilen.

Veit und Fanny saßen bewegt aber kleinlaut vor einander da und der Jüngling suchte sein Thun durch die gute Meinung zu entschuldigen, in welcher er Helmtrost für ihren Verlobten gehalten hätte. Im Busen der Jungfrau wogte ein herbes Gefühl, ihre Stirne glühte, aber ihre Augen sahen nicht vom Linnen auf und hurtiger denn je flog die Nadel ein und aus. Zuweilen stahl sich eine volle Thräne aus den langen Wimpern. Immer glühender wurden die Wangen, häufiger flossen die Zähren, da mit einem Mal schlug sie die Hände vors Gesicht und schluchzte laut und bitterlich, das Haupt aufs Knie gelegt.

Veit beschwichtigte, bat, er beugte sich zu ihr, um ihr das weinende Haupt aus den Händen zu lösen, aber krampfhaft preßte sie die Stirne gegen das Knie, die leidenschaftlichen Thränen zerdrückend. Veit strich ihr das Haar zurück, er nannte sie liebes gutes Fräulein, ja liebe Fanny, er sprach mit ihr wie er einst als kleiner Junge zu dem kleinen Mädchen geredet; er kniete sich auf ihren Schemel, um ihr so leichter den Kopf zu heben.

Da sah Fanny empor und sah Veit zu ihren Füßen 13 und er hielt ihre Hände und sie lächelte unter Thränen.

Von der dunkelnden Straße her klang ein Soldatenlied, das die bivuakirenden Reiter bei der Feldflasche sangen; dazwischen knisterten die Scheiter in den Leuchtpfannen und der dunkelrothe Schein der Kienflamme flog wechselnd über Fanny's feuchte Züge.

»Ich weiß,« sagte sie ohne nach der Nadel zu rühren, »ich bin ein recht thörichtes Ding; genügsam für die Werkeltage und zufrieden mit wenigem. Aber wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt, und es will lange nicht also werden wie ich's meine, da drückt's mir das Herz ab, da könnt' ich glauben, das Leben müßte ein jähes End' haben und ich sollte weinen bis ich todt hinfiele.«

»Was wünschen Sie sich denn so sonderlich Großmächtiges, Sie böses Kind?« fragte Vitus, der noch immer ihre Hände in den seinen hielt.

Es ward eine tiefe Stille im Zimmer und deutlich von der Straße herauf scholl der Gesang der Soldaten.

Wenn ich der König wär',
Und hätt' all Leut und Land,
Und wär an Gut und Ehr
In weiter Welt bekannt,
Ich hätte doch bei Tag und Nacht
Vor Habsucht keine Ruh,
Denn was mich ewig geizig macht,
Ein Glück, das Wunsch und Wunsch entfacht,
Der schönste Schatz bist du!

14 Die Soldaten lachten und stießen mit den Flaschen an, Fanny nähte eifrig drauf los. Da als jene weitersingen wollten, kamen zwei Schusterjungen des Wegs und riefen unablässig: »Es lebe der König, es lebe die rothe Republik, es lebe das ganze Königliche Haus, Hoch! Hoch!« Die Soldaten wollten den Rangen wehren. Die Officiere hießen sie ruhig bleiben. Die Schreier griffen nach Steinen und liefen davon.

»Es muß eine arge Sache sein um die so böse Menschen zu Felde ziehen, wie der Herr von der Schneppe?« knüpfte Fanny das abgebrochene Gespräch wieder an.

»Ich halte den von der Schneppe eher für einen verrückten, vielleicht für einen gefährlichen Menschen, aber für keinen Bösewicht, – doch immerhin« fuhr Veit, den frischerwachenden Zorn auf des Mädchens Gesicht lesend fort, »wär' er der schlimmste unter der Sonne, was hat das mit der Sache der Freiheit zu thun? Zudem glaub' ich nicht an seinen Eifer!«

»Ach« sagte Fanny, »Sie sind auch so einer von dem man nicht weiß, wie man daran ist, und ich glaube, daß Ihr Eifer und der meines Vaters verschiedenen Grund und Gegenstand haben.«

»Und Sie selbst,« entgegnete Vitus lächelnd, »sind Sie denn auch eine so rüstige Schwärmerin für das gute Alte und glauben Sie auch alle Ordnung und 15 Sitte gefährdet, weil man lüften und reinigen will in verkommener Wirthschaft?«

»Ach du mein Gott!« lächelte das Mädchen, »was verstehe ich von alledem, was weiß ich von Politik und Krieg und Revolution? Hätt' ich nicht Angst um den Vater, der thut, als ob das Feuer schon im Dach läge, mich würden alle die Dinge wenig kümmern.«

»So beruhigen Sie sich« versetzte Vitus, »wenigstens für heut' Abend können Sie sich vollständig beruhigen; wenn nicht Leute wie die von der Schneppe etwa eine Dummheit begehen, diejenigen welche Arges anzurichten die Fäuste und den Willen haben, werden heute Nacht noch nichts unternehmen. Und da vollends die Stadt voll Militär liegt, wird man sich der immerhin etwas schadhaften Bürgermilizgrenadiere nicht bedienen, so lange nicht Noth an Mann ist.«

»Woher wissen Sie denn das so gewiß? etwa von dem Mann, bei dem Sie ihre Tabakspfeife angezündet?« fragte Fanny rasch und sah Veiten scharf an.

Der zuckte lächelnd die Achseln, es war wieder Alles mäuschenstille und von unten hörte man die Soldaten singen:

Wer schilt mir auf den Rauchtabak?
Das ist nun einmal mein Geschmack.
Die Zeit ist schlecht, der Wein mißräth,
Die Welt auf allen Vieren geht.
Als meinem Glück das Rädchen brach, 16
Lief auch mein Schatz dem Reichthum nach.
Doch Reu und Leid um Gut und Kind
Ich blies es Alles in den Wind,
Stolz geh ich unter Sack und Pack,
Drum Vivat Hoch der Rauchtabak!

»Das ist ein dummes Lied!« sagte Fanny.

»Aber ein lustiges!« erwiderte Veit lachend und als er sah, daß das Mädchen vom Stuhl aufstand, wollte er sich gleichfalls zurückziehen. Aber Fanny blieb am Fenster stehen und sagte:

»Sehen Sie doch, wie hübsch das aussieht.«

Er trat neben sie und sah durch die Scheiben. So weit man die steile Straße überblicken konnte, war sie mit Fackelpfannen besteckt, in denen reichliches Kienholz brannte; düster beleuchtete der flackernde Schein die alten grauen Häuser, die zusammengestellten Pferde und die großen Männergestalten, welche in lange Reitermäntel gehüllt um die Feuer saßen und standen.

In Fanny's Zimmer war es ganz dunkel geworden, man hatte bei der waltenden Bestürzung ganz vergessen, ein Licht anzuzünden. Nur aus dem Ofen, in welchem man gegen Abend trotz der vorrückenden Jahreszeit noch ein kleines Feuer angemacht, kam ein Feuerstreifen, der das Estrich entlang an die Wand zitterte. Ueber den laufenden Feuerschein sprang ab und zu der bekannte Kater. Aus dem Nebenzimmer hörte man zuweilen den einen oder andern der erschöpften Zeughausstürmer in 17 voreiligem Schlafe seufzen; ein Wasserkessel summte aus dem Ofenrohr; sonst war Alles still und die beiden meinten ihr Herz klopfen zu hören.

Abermals unterbrach Fanny das Schweigen. »Es macht einen ganz schaurig und traurig, wenn man so hinaussieht in diese drohende unheimliche Wirthschaft, so munter sich's auf den ersten Blick angucken mag. Mein Gott, was ist das für eine Zeit. Sonst ist drunten alles mäuschenstill um diese Stunde, kaum daß ein Wagen über's Pflaster fährt, oder die Schmiedknechte vor dem Hause plaudern, derweil wir hier oben um den runden Tisch, bei der Lampe sitzen und uns die Suppe schmecken lassen, der Vater oben an, Max und Joseph zu beiden Seiten und ich ihm gegenüber oder ab und zu laufend, Kind und Hausfrau zu gleicher Zeit. Und nun? da drunten die ganze Straße voller Wachtfeuer und Soldaten! Dieß Säbelgerassel über dem Pflaster, dieß Wiehern der Pferde, dieß Auf- und Absitzen, dort kommt einer geritten und bringt eine Botschaft, hier kommt eine Patrouille und sie schreien sich vorsichtig an, als ob Niemand mehr wüßte, wer Freund und Feind wäre. Man meint, jeden Augenblick würden die Klingen aus den Scheiden fahren und das Gemetzel losgehen. Und hier innen brennt nicht einmal ein Licht, meine Brüder sind eingeschlafen und während sie sonst mich quälen und plagen, bis die 18 Suppe auf dem Tische steht, haben sie wie ich auf das Abendbrod vergessen. Und gar der Vater bei Nacht und Nebel zu Pferde! Mein Gott, wenn das so fortgehn soll, sterb' ich vor Angst. Wie leicht kann ihm ein Unheil widerfahren. Das wär' entsetzlich!«

Veit sprach eine Menge tröstender Worte, welche abgerissen und ohne sorgliche logische Verbindung vorgebracht, das zagende Mädchen doch mehr oder weniger zu beruhigen schienen. Veit sprach von Bürgerpflicht und Freiheit, von mangelnder Gefahr und gutem Gewissen, von Regen und Sonnenschein, aber er selbst wußte kein Wort von alledem, was er hören ließ. In der engen Fensternische stand er so nahe bei der Geliebten, daß ihn ihr Kleid berührte und zuweilen ihr Ellenbogen streifte, wenn sie sich rasch bewegte. Zuweilen streckte er hinter ihrem Rücken unvermerkt den Arm aus, als wollte er sie um die Hüfte fassen. Ein glückseliges Schaudern kam über ihn und dann sah er wieder unverwandt in ihre lieblichen Züge, welche der Wiederschein der durch's Fenster fiel, hell erleuchtete. Er dachte nichts anderes dabei als: wie schön sie ist und ich bin bei ihr! Und in diesem Gedanken sich berauschend, redete er unbewußt mit so zuversichtlicher Wärme, daß er die Zagende mehr und mehr beruhigte.

Fanny entgegnete, nachdem sie nachdenklich die 19 Stirne auf die Hand und die Hand auf die Scheiben gelegt: »Wir Mädchen, wir sind doch eigentlich recht armselige Dinger in der Welt; wenn heut oder morgen, was der gute Gott verhüten möge, dem Vater ein Leid widerführe, wie kläglich einsam stünd ich in der Welt? Leonhard's, meines Bruders Frau, es ist ein hartes, gehässiges Weib, das Niemanden leiden mag. Die beiden Burschen da drinnen, so jung sie sind, sie würden sich rüstig durch die Welt helfen, wie sich die älteren, die außer Leonhard, der des Vaters Geschäft führt, alle aus dem Hause sind, bis diesen Tag rüstig durchgeholfen haben. Wie haben Sie, Herr Veit, sich nicht durchgeschlagen in frühstem Alter? Aber ein Mädchen allein in der Welt und gar in der Welt von heutzutage! Es ist nicht recht, daß es also ist und es könnt' einen traurig machen.«

»Ei,« lächelte Veit, »ein Mädchen wie Sie, wird nicht lang allein stehn in der Welt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Je nun, Sie werden heirathen.«

»– So? Ich mag aber nicht heirathen. Ich würde nur den heirathen, welchen ich von ganzem Herzen lieb haben könnte, und der, den ich eben möchte, der will nichts von mir.«

Veit war nicht eben angenehm überrascht und er 20 fuhr unbedacht heraus: »Der Mensch muß blind oder albern sein.«

Fanny zuckte die Achseln, stand auf, zündete die Lampe an, paßte den Schirm darüber und deckte den Tisch und lud zwischen diesen Hantierungen Veit zum Abendbrod ein.

Dieser stand im Schatten der Fensternische und sah ihrem emsigen Treiben zu; Liebe, Hoffnung, Eifersucht und doch ein geheimes, seine ganze Seele ausfüllendes Behagen empfand er und im plötzlichen Entschluß sagte er halblaut:

»Es ist sonderbar, mir geht's nicht viel besser, als Ihnen. Auch ich liebe, liebe ein Mädchen von ganzem Herzen und weiß doch, daß sie auch nicht im Schlaf an mich denkt. Ja ich glaubte sogar eine Zeitlang sie sei die Braut eines andern, eines Menschen, den ich für einen Narren halten muß, und ich war sehr unglücklich dabei. Nun weiß ich, daß dem nicht so ist und das Herz schlägt mir oft ganz übermüthig vor Freude. Aber es ist ein tolles Ding mein Herz – ich war lustig und lachte, da der Sturm des großen Oceans unser Schiff die Kreuz und Quer über haushohe Wellen jagte und unser Leben auf dem Meerschaum tanzte wie ein im Zugwind kämpfendes Flämmchen auf feuchtem Docht – aber vor ihr fürchte ich mich und ich könnte dem kleinen Mädchen nicht sagen: kleines Mädchen ich 21 habe Dich so lieb wie Nichts auf der Welt und ich verschmachte aus reiner Sehnsucht nach Dir.«

Veit schlug die Hände zusammen, Fanny wandte sich glühenden Angesichts nach ihm um, doch nur um sofort sich wieder abzukehren.

»Ist das eine alte Geschichte?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Alt und jung, wie man's eben gerade nehmen will« war seine Antwort. »Genau besehen, war ich schon in das Mädchen verliebt, da ich noch gar lange nicht wußte, was die Liebe sei, und sie selber noch nicht so hoch war, wie der Tisch und mit mir spielte, wenn ich Strafenszeit halber ausgesperrt war. Aber daß ich's weiß, und daß mir's keine Ruh mehr läßt bei Tag und Nacht, das ist noch gar nicht lange her, ich könnte die Wochen an den Fingern abzählen ohne alle zehne zu brauchen und doch dünkt mich's eine ganze Ewigkeit.«

Veit schwieg und sah nach Fanny, die das Haupt zur Erde gesenkt mit der einen Hand sich auf die Tischplatte stützte, während die andere leise die Falten ihrer weißen Schürze zerdrückte, und jener fuhr mit brechender Stimme fort:

»Ist das eine alte Geschichte, Fräulein Fanny? – die von demjenigen, der nichts von Ihnen wissen will, mein' ich.«

Und das Mädchen entgegnete: »Alt und neu, wie 22 man's eben nehmen mag; ich war erst bitterlich zornig und dann sehr traurig dabei, als ich mein Herz über der Liebe ertappte, von der ich nichts wissen, die ich mir als Narrheit ausreden wollte. Da merkt' ich auf einmal, daß ich den Menschen lieb gehabt, wie ich noch kaum denken konnte, da ich ein kleines Ding war, so hoch und mit meines Vaters Katze auf's Dach stieg.«

Ein leiser Aufschrei preßte sich aus Veit's Brust, er stürzte auf das Mädchen zu und bedeckte ihre Hände mit Küssen.

Da hörte man die Brüder, welche der Hunger oder ihres Lehrers Aufschrei aus dem Schlaf geweckt, im Nebenzimmer poltern, und bald darauf saßen beide Paare beim Abendbrod, Veit auf des abwesenden Hausherrn Platz, gegenüber der Geliebten.

Die beiden sprachen wenig, sie aßen noch weniger, aber ihre Lippen lächelten, ihre leuchtenden Augen suchten einander, sie waren aller Seligkeit voll, als säßen sie bei einem wahren Verlobungsschmause. Maxerl und Sepperl nährten sich um so unbefangener und als sie sich gesättiget und dem lieben Herrgott nach Hausgebrauch ihren Dank gesagt, schliefen sie wieder ruhig in ihren Stühlen ein, der ältere auf Buttmann's Gramatik zusammengebückt, der jüngere rücklings das Haupt über die Lehne gebeugt und alle viere von sich reckend, schnarchend.

23 Veit wollte auf das Mädchen zueilen, dieses aber winkte ihm stille zu bleiben; sie gieng um den Schnarchenden auf den Zehen herum, setzte sich auf die niedere Lehne des Sopha's, von dem Veit zu ihr aufsah und den Arm auf seine Schulter gelehnt, schwatzten sie leise von tausend schönen thörichten Dingen.

Er sah ihr in's Auge, er sah ihr auf den Mund, er hätte sie küssen können, aber er wagte es noch nicht und seine Seele zitterte wonnevoll bei diesem Gedanken. Da fuhren beide erschreckt zusammen, warum? die Standuhr hob aus und schlug ihre gellenden Schläge. Die beiden lächelten sich ins Angesicht, bis das vorüber war, dann schlang Veit den Arm um Pyrians Tochter und sagte: »liebst Du mich denn wirklich und willst Du mich lieb behalten?«

»Ewig! ewig!« hauchte das Mädchen und er küßte sie langsam auf die schönen Lippen.

Maxerl seufzte tief im Schlaf auf und wandte das schwere Haupt nach der andern Seite. Aus dem Ofen fiel ein glühender Spahn, Fanny eilte ihn zurückzuwerfen, der Instructor kam ihr diensteifrig zuvor und da knieten sie beide am Boden, angeglüht von dem knisternden Feuer und lachten und hielten sich bei den Händen und Fanny legte das blonde Haupt an die Schulter des Geliebten. –

Um dieselbe Zeit hielt Meister Pyrian unfern seines 24 Hauses hoch zu Roß. Er sprach mit den Officieren der Kürassierabtheilung, welche auf der steilen Straße campirte, in chevalereskem Durcheinander über Revolutionen und Pferdeställe, Taktik und Futtergeld und über andere Dinge, von denen er ebenso wenig oder gar nichts verstand. Dazwischen schüttelte er etliche mal die Bärenmütze zurecht und blickte über das Gespräche hinweg wohlgefällig auf seine Tuberkelburg, deren grünliche Tünche im wechselnden Lichte der Fackelpfannen und unter dem sich kräuselnden Schatten des wehenden Rauches ein sonderbar befriedigendes Aussehen für den Besitzer hatte. Immer wieder sah er zu dem verdeckten Lampenschimmer empor, der hinter dem zierlich geblümten, sorglich gefalteten Vorhängen, so gemüthlich, so friedlich, in die kriegerisch gestörte Nacht hinausleuchtete, und vollbürgerliches Selbstgefühl schwellte die Brust des Reiters.

Der Staat war für heute gerettet, d. h. es hatte nirgends etwas zu retten gegeben und Meister Pyrian hinreichend Zeit und Gelegenheit gefunden, seine fanatische Ergebenheit für christliche Bürgerpflicht und Unterthanentreue an den Tag und an die Nacht zu legen. Und das vor einflußreichen Leuten, so daß ihm um seiner Verdienste willen der so langersehnte Ordensstern kaum über die nächste Neujahrscour vorenthalten werden konnte.

25 Daß um dieselbe Zeit da droben in der traulich durchschimmerten Wohnstube seines Hauses eine kleine Revolution sich vollzog, welche seine gesunden Sinne und seine Thätigkeit weit näher angieng, daran konnte er nicht denken, ja er hätte einen solchen Einfall, wär' er ihm anders erschienen, als einen unwürdigen schon an der Schwelle seines Denkvermögens von sich gewiesen. Die Bürgermilizgrenadiere hatten musterhaft defilirt und campirt, der Staat war gerettet, die Hose geflickt, das Haus behütet und alles gut und Pyrian lobte den Herrgott der wohlhabenden Leute und freute sich seines rüstigen Daseins. 26

 


 


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