Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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VIII.

Als Veit in sinkender Nacht nach Hause kam, traf er zu nicht geringem Verwundern den Professor auf der Treppe der Tuberkelburg sitzen.

Er schien selbst eben erst von der Straße zu kommen und hier auf einem Absatz des Stiegenhauses Rast zu machen und sich zu verschnaufen, ehe er die Reise nach der letzten Dachkammer fortsetzte.

Als Veit sein Staunen über die ungewohnt späte Begegnung ausdrücken wollte, wies ihn Beißerle unwillig aber stumm mit abwehrenden Handbewegungen zur Ruhe. Er sprach nie mehr auf der Treppe. Erst eine geraume Weile, nachdem Leitern und Seile unter ihnen waren und der greise Schulmeister sich gegen sonstige Gepflogenheit auf das Sopha geworfen, rief er dem jungen Mann, welcher ihn theilnehmend betrachtend mitten im Zimmer stehen geblieben war, mit bellendem Schluchzen die Worte zu:

»Ja wohl! gaffen Sie mich nur an, Sie wissen doch nicht wo ich herkomme?«

176 »Vielleicht,« erwiderte der Schüler; »ich denke mir, Sie kommen von einem der Vereinsbevollmächtigten für christliche Bürgerpflicht und Unterthanentreue, woselbst Sie sich als ordentliches Mitglied werden angemeldet haben.«

»Von wannen kommt Ihnen diese Weissagung?« fragte der Schulmann mit verlegenem Schmunzeln.

»Von Ihrem Flickschuster, dem ich heute früh begegnete, als er die Treppe heraufgestolpert kam und in besorgter Verwunderung athemlos vermeldete, daß an dem Schwengel der Hausthorglocke ein viereckiger Zettel baumelte, dessen Inschrift, mit polizeilichem Stempel versehen, die Vorübergehenden einlüde, wenn einer von ihnen unsere drei Dachkammern zu ersteigen, zu besehen und auf nächstes Miethziel zu beziehen Lust hätte.«

»Hab' ich Ihnen nicht schon gestern vorausgesagt, daß mich der Hausherr durch seinen Willen zwingen würde? – Ich hatte ihn wohl durch meinen Freimuth beleidigt,« fügte Beißerle mit gehobener Stimme hinzu und schloß dann wieder kleinlaut »und die Rache mit der Wohnungskündigung war so leicht!«

»Zumal Sie nichts dafür bezahlen,« versetzte Veit rasch und lauernd.

»Ich bezahle sie theuer genug,« rief ihm der Alte zu, »gebe ich nicht seinen zwei allerjüngsten Rangen dafür in jeder Woche drei lateinische Instructionsstunden, ohne 177 die sie ewig die Letzten ihrer Klasse wären. Ich sag' Ihnen, dabei habe ich längst alle meine Sünden abgebüßt. Es sind Zwillinge die beiden Kerle, einer begriffsstütziger und nichtswürdiger als der andere. Der Alte bewundert sie als seinen Stolz und seine Freude und wollt' ich ihm Beides ausreden – dann kündigt' er mir die Stübchen. Es ist ein Eckel, ein Jammer!«

»Wissen Sie was?« sagte der listige Jünger, »treten Sie mir die Instructionsstunde bei den Knaben des Hausbesitzers ab. Indem ich Ihnen die Mühe ablöse, bezahle ich Ihnen den Zins meiner Aftermiethe und mir geschieht ein Gefallen damit, da ich durch Lehren zur nachhaltigsten Repetition der lateinischen Grammatik gezwungen bin. Docendo discimus!«

Beißerle sah den Lehrbegierigen verwundert an; »Herr vergieb ihm,« mochte er denken, »er weiß nicht was er thut!« Aber dies überflüssige Mitleid hielt nicht lange vor. Er freute sich des vortheilhaften Anerbietens und noch am selbigen Abend gieng Vitus zu Pyrian's hinab, meldete dem Hausherrn die Entschuldigungen des sich als unwohl ausgebenden Miethsmannes, dessen nunmehr angenommenen Eintritt in den Verein für christliche Bürgerpflicht et caetera, endlich den Personalwechsel für die Instructionsstunden der Zwillinge.

Der Schmiedemeister schien in Folge des gestrigen 178 Wortwechsels mit dieser Veränderung gar wohl zufrieden, die beiden Rangen waren es nicht minder, denn der Alte, der soweit die Formenlehre und Syntax herrschten, das unbedingte Vertrauen des Vaters genoß, erlaubte sich die empfindlichsten Knüffe und Püffe, sobald dieser nicht in der Stube war. Dieß war die Regel, denn Pyrian war mit residenzbürgerlicher Politik und mit Comunalgrenadierangelegenheiten so überhäuft, daß es ihm selten einfiel, sich um Fortschritt und Treiben seiner Kinder mit eigenen Augen des Genaueren zu erkundigen. Wenn nur jeden Sonntag Morgen das Notenheft mit des Lehrers Censur und Unterschrift neben dem Frühstück lag und er seinen Namen mit gewaltigen Federzügen contrasignirt hatte, so war seinem väterlichen Gewissen Genüge gethan.

Als der Tuberkelburgherr zum ersten Mal Veits Namen unter dem gelinde ausgedrückten Tadel seiner Zwillinge las, stutzte er ein wenig und da er in seinem so vielfach in Anspruch genommenen Gedächtniß nicht gleich fand was er suchte, verfiel er in Mißtrauen, ein Mißtrauen, welches er dem neuen Instructor nicht verhehlte. Die Aufrichtigkeit des Gefragten kam seinem Argwohn bereitwilligst zu Hülfe und Pyrian war nichts weniger als angenehm überrascht, im Lehrer seiner jüngsten Knaben den früh gehaßten Bauernburschen zu erkennen, 179 dessen Spielgenoß zu sein er vor Jahren den älteren Söhnen hatte verbieten müssen.

Zwar, daß Veit sechs Jahre lang auf der See gedient und dabei auch eine Art von Soldat gewesen war, hätte ihn fast zu versöhnlichen Gedanken gestimmt, allein bei einem gelegentlich vom Zaune gebrochenen Zwiegespräch steigerte sich der alte Unmuth aufs Neue. Der Gewaltige war darin von Matrosen und Seesoldaten bald auf die unvergleichliche militärische Vortrefflichkeit der von ihm geleiteten Bürgermilizgrenadiere übergegangen. Er hatte sich schließlich nicht entbrechen können, auch derjenigen militärischen Disciplinisirung zu erwähnen, welcher der nunmehr (Dank der auf Beißerle's Votum blickenden Actionäre) gleichfalls von seinem imposanten Directionstalent angeführte Verein für christliche Bürgerpflicht et caetera mit Paradeschritten entgegengehe. Trotz aller hinterhältigen Vorsicht von Seiten Veit's, hatte der Grenadiermajor und Vereinspräsident besonders aus der mangelnden pflichtschuldigen lauten Entzückung eines Gleichgesinnten den Argwohn geschöpft, daß er es mit einem freigeistigen Umstürzler zu thun haben möchte, der wegen seiner Verschlagenheit nur doppelt und dreifach gefährlich sei. Deßhalb beschloß er ein wachsames Auge zu haben, und bei der ersten Wahrnehmung, daß bei seinen Sprößlingen die Symptome gemeinschädlicher Ansichten ruchbar würden, den Teufel sammt seinem 180 Werkzeug auszutreiben. Im Uebrigen hatte er Grund, mit dem neuen Lehrer nur zufrieden zu sein, die Knaben waren in den letzten Scriptionen um mehrere Plätze vorgerückt und hiengen ihrerseits mit lauter Vorliebe an dem jüngeren heiterern Manne, der, wenn die Lehrzeit vorüber war, wohl noch ein halbes oder ein ganzes Stündchen bei ihnen sitzen blieb, ihnen Geschichten und Abenteuer aus seinem Wanderleben erzählte, ihnen bunte Muscheln und fremde Münzen zeigte und ohne ihre harten Schädel zu schonen, sie doch nie unversehens und heimtückischer Weise stieß und zwickte, wie sein greiser Vorgänger gethan.

Schon viermal hatte Veit die wöchentliche Note den Zwillingen in das mit Goldpapier eingeschlagene Büchlein geschrieben; er hatte ihrer Studien zu Liebe sich manche sauere Stunde nicht gereuen lassen, er hatte seine haarsträubendsten Geschichten erzählt, aber weder Geduld noch List hatten bis heute dem Einen Zwecke dienen wollen, um dessentwillen er es unternommen, den Miethzins für seine Mansarde abzuverdienen. Seit dem verhängnißvollen Abende hatte er Fanny mit keinem Auge mehr gesehen und wie lang er auch seine Lectionen ausdehnen mochte, wie laut, wie nachgiebig er gegen die Ungezogenheiten seiner Zöglinge zu Felde zog, es kam Niemand in die Stube, der sie hätte stören können, Niemand, wenn nicht ab und zu einmal der Vater sich 181 überzeugen zu müssen meinte, ob Veit sich nicht etwa unterfienge, seine Söhne in die Geheimnisse der Freimaurerei einzuweihen oder die lateinische Grammatik mit demagogischen und socialistischen Arabesken zu verzieren. Da aber immer nur von unregelmäßigen Verben und syntactischen Maximen die Rede war, so hielt auch er nachgerade diese Vorsicht für überflüssig und kam nur höchst selten zur Stunde.

Veit saß zwischen den beiden kurzgeschornen Bengeln, deren rothe Ohren weit vom Kopf abstanden, und sah über Bücher und Hefte weg nach dem Schlüsselloch, das aus dem Zimmer Fannys geheimnißvoll in das der Zwillinge lugte. Zuweilen hörte er einen Schemel rücken, einen Fingerhut fallen, eine Thüre gehen, aber das war auch all sein Gewinn.

Einmal kam der das Haus durchirrende Kater in die Unterrichtsstube geschlichen. Er stellte sich vor des Mädchens Thüre, machte einen gewaltigen Katzenbuckel und gähnte ein herzzerreißendes Miau durch den langmächtigen Schnurrbart. Die Zwillinge kicherten und hinter dem ernstesten Angesicht freute sich Veit, daß die Würde des Lehrers dießmal seiner heimlichen Sehnsucht zu Hülfe kommen könnte. Er stand auf, um den glatthaarigen Wüstling aus der Stube zu lassen, aber in demselben Augenblick war bereits die Thüre geöffnet, nicht eben weiter als ein schmächtiger Katzenleib es um durchzuschlüpfen von Nöthen hat, und, dieß geschehen, 182 hatte sich die Pforte des Paradieses hurtig wieder geschlossen.

Beim folgenden Besuche verspürte der Lehrer, daß alle seine Gedanken durch das Schlüsselloch flogen. Um die nöthige Sammlung zu bewahren, rückte er den Tisch mit den Zwillingen von der gewohnten Stelle fort und nahm seinen Sitz mit dem Rücken gegen die so hartnäckig verschlossene Thüre.

Die Aufgaben der beiden Rangen waren wieder einmal so leichtsinnig ausgefallen, daß der rothen Dinte mehr auf den Blättern zu sehen war als der schwarzen. Er ließ sie die Uebersetzungen mündlich wiederholen; es gieng erbärmlich und, da seine mühsame List ihm nachgerade ganz erfolglos unternommen schien, gerieth er zum erstenmal in die richtige pädagogische Wuth.

»Wollen Sie sich denn niemals merken,« schrie er die verdutzten Bürschchen an, »daß venio kein deponens ist und im perfectum nicht ventus sum hat!« Damit ergriff er das nebenanliegende Lineal in der Entsetzen erregenden Weise Beißerle's, so daß die beiden in der unwillkührlichen Bewegung plötzlichen Erschreckens mit den harten Schädeln schmerzhaft an einander fuhren.

Im selben Augenblicke öffnete sich die Thüre des Nebenzimmers und durch die Stube kam Fanny geschritten, ein brennendes Licht in der Hand. Der Wiederschein des flackernden Flämmchens spielte mit den 183 sorgfältig gewundenen goldenen Flechten, über denen die Silberspitzen eines Ballkranzes von dunkelblauen Blumen glitzerten; Nacken und Arme waren bloß. Unter einem Mieder von blauem Atlas, das in zierlicher Rundung sich über die knappe Taille auf die breiten Hüften bog, quoll ein weites weißes Florgewand in wehenden Falten.

An der jenseitigen Thüre angelangt, wandte sich ihr Gesicht gegen Veit, es sah ernster und feierlicher darein als Mädchengesichter anderthalb Stunden vor der Polonaise zu schauen pflegen. Sie grüßte den Instructor mit leisem Nicken und trat über die Schwelle.

Aber Meister Pyrian, der eben in die Stube wollte, drängte sie wieder zurück. Er hatte seinen schönsten Hut mit einer Halbmaske verziert, und auf die hohen Schultern einen seidenen Domino geheftet, der unter einem Ueberwurf vom groben Spitzen in den geliebten Farben des engeren Vaterlandes schillerte. Das Blut war ihm zu Kopf gestiegen und in den Händen hielt er einen offenen Brief, den er erst auf die Kommode legte und dann mit der flachen Hand daraufschlug, daß es schallte.

»Also venit, nicht ventus est, verstanden!« rief Veit in plötzlichem Anfall von Lehreifer, und machte mit rother Dinte einen großen, breiten, würdevollen Strich, weiß Gott wohinein in's Pensum, denn seine Augen waren alsbald zu Fanny zurückgekehrt.

Dieser aber schrie der Vater zu: »schöne Geschichten, 184 rare Geschichten, eben schreibt mir ein Comitemitglied, die Grafen von der Schneppe Vater und Sohn hätten die Karten zum Balle refüsirt. Und warum haben Sie refüsirt? was sind das für Geschichten ha? Das Comitemitglied giebt mir zu verstehen, daß ich oder sonst eines der Meinigen die Schuld daran zu tragen schiene, wenn unserm Balle diese adlige Zier gebräche. Larifari! Schneppe's haben erst gestern noch ihre Pferde bei mir beschlagen lassen. Oder aber gar bist Du gegen den einen etwa schnippisch, ungezogen gewesen? was?«

Fanny hatte beim Beginn dieser Rede bis unter das Haar erröthend den Vater durch einen leisen Wink darauf aufmerksam zu machen gewagt, daß sie nicht allein seien; Veit jedoch schien so ausschließlich mit der rothen Dinte beschäftigt und seiner Stellung in der Menschengesellschaft nach an sich schon vor Ehren Pyrian so unbedeutend zu sein, daß in seinem Beisein geredet werden durfte, als ob er gar nicht vorhanden wäre. Als jedoch der Alte seine letzte Frage an sie gerichtet, stand Fanny kerzengerade vor ihm da und sprach mit stolzgewölbten Lippen:

»Es ist möglich, daß ich in meiner Unbekanntschaft mit dem, was Brauch und Höflichkeit heißt auf Bällen und in Gesellschaft, des Guten etwas zuviel oder etwas zu wenig gethan habe, denn ich selbst vermag es nicht, das Benehmen des jungen Grafen ohne Anklage gegen das meinige zu erklären. Ich mag in thörichter 185 Unbefangenheit seine Frechheit gereizt haben. Ich kann nachsinnen so viel ich will, es fällt mir nichts Unrechtes bei, als daß ich rückhaltlos fröhlich sein zu dürfen glaubte. Meine gute Mutter ist lange schon todt, die Stiefmutter ist ihr in's Grab gefolgt, da ich noch ein Kind war; keine erfahrene Frau hat mich jemals unterwiesen, was der Brauch ist im Verkehr mit der Gesellschaft und so mag ich kecker geschwatzt haben als ich bin. Aber ich ward hart bestraft. Der Graf belästigte mich am folgenden Abend auf offener Straße in einer Weise, die mir noch jetzt die Schamröthe in's Gesicht jagt und weiß Gott, welchen Mißhandlungen ich ausgesetzt worden wäre, wenn nicht ein Vorübergehender sich meiner angenommen, mich beschützt und heimgeleitet hätte.«

Diese Rede war die längste und eifrigste, so die schöne Tochter des Schmieds in ihrem ganzen bisherigen Leben gehalten hatte; Veit mochte mit rascher klopfendem Herzen fühlen, daß sie weniger dem Vater als einem von diesem unbeachteten Dritten galt; Pyrian aber war wenig von solcher Rechtfertigung erbaut.

»Backfischcomödie!« rief er ärgerlich, »Höflichkeit kann niemals schaden: Man muß nur nicht gleich so eitel sein, ein Compliment auf offener Straße für eine Liebeserklärung oder gar für etwas noch Aergeres zu halten. Und mehr als Höflichkeit wird Dir vom Grafen 186 nicht widerfahren sein. Was vollends den anderen Herrn betrifft, den unverhofften Retter mein' ich, so pflegen derlei Ritterdienste gewöhnlich unter den beiden Theilen vorher ausgemacht zu werden, wenn man nicht weiß, wie man am sichersten an ein thörichtes unerfahrenes Ding kommen soll, wie Du eines bist. – Wir kennen die Schliche,« fügte er mit prahlendem Lächeln gegen Veit gewendet hinzu, »wir waren auch einmal jung und verwegen, ha ha.« Dann stemmte er die Fäuste in die Seiten und inquirirte mit schmunzelnder Schlauheit, als erwartete er abermals einen kronentragenden Namen zu vernehmen, sein Kind: »Na wer war denn der Gottgesandte Helfmirschnell? he wie heißt er denn? na na?«

»Ich habe ihn nicht gekannt, ich habe ihn seitdem mit keinem Auge wieder gesehen, bis auf den heutigen Tag,« versetzte Fanny. Sie legte die Blicke ihrer schönen Augen mit allem Zauber den sie ausströmen konnten, in Veits zornglühendes Angesicht und dieser schwieg wider Willen.

»Narrheiten, Dummheiten übereinander!« polterte Pyrian und hieß die Tochter ihm folgen.

Veit hörte das Rasseln der Wagenräder über die steile Straße davoneilen.

Der eine seiner Zöglinge war unter dem Lärm des blutsverwandten Zwiegesprächs auf seinem schimpfirten Pensum ruhig eingeschlafen; der andere gaffte mit 187 offenem Mund, vor welchem er einen Federbart herumdrehte, gedankenlos auf die Flamme der Studierlampe, die in immer engeren Kreisen eine vereinsamte Motte umflatterte.

»Wie's nur möglich ist, daß Du die Tochter dieses thörichten Tölpels bist und die Schwester dieser beiden Mondkälber? Du Einzige, Herrliche Du, die Du so schön mit Augen zu schauen und von so adeliger Seele bist!« dachte Veit, verließ Pyrian's Stuben und Haus und gieng in die Nacht hinein, ziellos, den nächsten besten Weg einschlagend.

Es war ein lustiger Abend in der ganzen Stadt. Carneval war am Scheiden. Aus allen Schenken tönte Gejauchz und Gefiedel und wo die Reichen und Vornehmen wohnen in den ersten Etagen der Hauptstraßen strahlten alle Fenster. Hüpfende Schatten huschten an den Gardinen hin, durch welche die Lichter der Kronleuchter wie nebelverhüllte Sterne schimmerten, und zermarterte Claviere klangen in halbverlorenen Rythmen bald leiser, bald hörbarer in die Tritte der Straßenwanderer hinab.

Veit mochte seine Gedanken drehen und wenden wie er wollte, er kam immer auf das Eine: »Nun walzt sie mit diesem, nun polkt sie mit jenem; der drückt sie im Umdrehen fester an sich, der lispelt ihr unter die halbgesenkten Wimpern eine scherzweise Schmeichelei, die 188 sie mit einem verstohlenen Lächeln begütigt oder mit einem leisesten Schlage ihres Fächers bestraft. Warum willst Du ein Mädchen lieb haben, welches tanzen muß, wo Du nicht tanzen darfst? Es wäre am Gescheitesten, Du hättest Fanny Pyrian niemals gesehen in Deinem Leben, oder schlügest sie Dir nunmehr aus allen Deinen Sinnen, denn kriegen wirst Du das Mädel doch nicht, dein Lebtag nicht, dieweil Du nichts bist und hast und auch sobald nichts bekommen kannst.

In dieser Trübsal war er vor einen hellerleuchteten Laden gekommen, hinter dessen breiten Schaufenstern vielfarbige Stoffe lagen, mit Tressen und Blumen, mit Kronen und Waffen belegt. Es war eine Maskengarderobe, die mit ihrem besten buntesten Staate die Vorübergehenden gemahnte, daß die Zeit des Mummenschanzes bald vorüber sei. Zu beiden Seiten der ausgelegten Raritäten stiegen aus schlanken Porzellanvasen, die mit Gewinden von Dolchen, Sporen, Skapulieren, Zauberstäben, Schuhschnallen, Agraffen und ähnlichen Sächelchen verziert waren, stiegen zwei dichte hochragende Büschel von Pfauenfedern empor, sorglose Symbole weltlustiger Eitelkeit, deren feine glänzende Fäserchen in der Lampenhitze zitterten. Oben, über die ganze Breite des Schaufensters gieng ein im Bogen hängendes, breites, blaues Band, an welchem wie Kugeln im Rosenkranz ein Paar Dutzend Larven durch die Augenhöhlen an 189 einander gereiht waren. Wächserne, seidene, grinsende, runzlige, weibische, bärtige Angesichter von Menschen wie von Affen sahen in allen Farben auf Veit herab. Da gaffte die nasengewaltige, spitzknebelbärtige Fratze Pantalon's, dort das Halbgesicht Arlecchinos, hier die mehlblasse Bornirtheit des Pierrot aus augenlosen Höhlen auf ihn herab. Vor einem halben Jahre etwa hatte er sie zum ersten Mal tanzend und lachend, geprellt und geprügelt gesehen diese Kerle; das war in der Lagunenstadt Venedig, davor der »Matador« die Anker gesenkt. Mit singenden lachenden Genossen war er die gemach zerrieselnde Marmorstadt durchzogen, am Tage im Teatro Malibran gesessen und am Abend im Teatro della Fenice seine Freude daran gehabt, wie Väter und Vormünder, Aufpasser und Nebenbuhler von den Liebenden genarrt wurden.

Nach der Erinnerung solcher Schauspiele fieng er an die Summe von Pyrian's Vermögen, wie sie jüngst ihm Beißerle der Wissende gesprächsweise verrathen, mit der Zwölfzahl seiner Kinder zu dividiren, und er fand zu seiner größten Freude, dieweil dabei für die schöne Fanny nichts so Beträchtliches herauskäme, daß seine Wünsche denn doch nicht vor ihr mit untergeschlagenen Augen seitabgehen müßten wie vor einem in unerreichbarer Höhe wandelnden Sterne. Und er lachte hinaus zu dem Mehlgesichte Pierrots und unter den Kinnbart Pantaleones 190 und meinte: Wir wollen Euch schon prellen, bis ihr mürbe werdet, wenn Ihr's anders nicht besser haben mögt!

Da sah er eine Kutsche, die hinter ihm aufgefahren war und auf Jemanden zu warten schien, welcher sich in der Maskengarderobe verhielt. Er kannte die Kutsche, es war die einzige, auf deren Eigenthümer er, ohne in der Heraldik des Landes im Geringsten bewandert zu sein, nach dem ersten Blick schwören konnte. Als er nun gar einen Bedienten des von der Schneppe aus der Thüre treten und ein zierlich eingeschlagenes Bündel in den Wagen reichen sah, ging ihm ein Stich durch's Herz.

Während der Bediente sich zum Kutscher auf den Bock setzte, sprang Vitus auf den hinteren Tritt des Wagens und im Hui rollten sie dahin durch die schimmernde Nacht.

Sie hielten in einer stillen Straße vor einem schlichten alten Hause, über dessen Portal als einziger Schmuck das Wappen derer von der Schneppe in Stein gehauen prangte. Veit war rasch vom Wagen herabgesprungen, in dessen Schatten stehend er zusah, wie Helmtrost und der Kammerdiener in's Haus traten. Noch einmal kamen ihm Bedenken. Zornig wies er sie zurück und als wollt' er ihre Wiederkehr unmöglich machen, zog er rasch die Klingel und fragte den Thürhüter nach dem jungen Grafen.

191 Der Thürhüter wies ihn an einen Lakayen, der Lakay an den Kammerdiener.

Der Kammerdiener ließ auf sich warten, rümpfte die Nase, zuckte die Achseln und verschwand, ohne ein Wort verloren zu haben. Bald darauf kam er wieder, stieß geräuschlos eine Thüre auf und ließ Veit in einem Zimmer allein, dessen Schmucklosigkeit auf den ersten Augenblick überraschend war.

Alte dunkelgrüne Gardinen hiengen geschlossen über die beiden Fenster, zwischen diesen stand mitten im Zimmer ein einfacher Schreibtisch, auf welchem zwei Lichter in eisernen Trägern brannten. Nur Rohrstühle waren da. Auf der einen Wand hieng eine Waffensammlung, auf der andern eine kleine Bücherei, an der dritten, dem Schreibtisch gegenüber in schwarzem Holzrahmen eine Radirung, das Portrait des Grafen Mirabeau. Die einzige Kostbarkeit im Zimmer war ein schöner, etwas verblichener Teppich, der den ganzen Fußboden bedeckte. Veit hatte sich kaum umgesehen, als Helmtrost bereits eintrat.

Er war eben im Begriffe über einer halbvollendeten Balltoilette seinen seidenen Schlafrock zuzuknüpfen. Mit hastiger Bewegung und verbindlichem Lächeln kam er auf seinen Besuch zugeschritten und ihn aufmerksam betrachtend rief er:

»Aha ein Neuling! dachte mir's, denn Sie haben 192 vergessen, meinem Kammerdiener die Parole zu sagen. Und die Parole ist nun einmal nothwendig.«

Veit sah in diesem Augenblick wohl etwas verdutzt aus. »Ich komme von keiner Parole gedeckt zu Ihnen, Herr Graf,« sagte er und es klang ziemlich rauh und feindselig.

»So!« lispelte Helmtrost friedfertigen Tones, verzog aber dabei alle Züge seines Gesichts. »Dennoch scheint mir, ich hätte Sie schon einmal irgendwo gesehen. Ich verkehre jetzt mit gar so vielen Menschen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, meinem Gedächtniß gefälligst auf die Spur helfen zu wollen.«

»Ich hatte vor kurzer Zeit die Ehre, Ihren Pferden einmal auf die richtige Spur zu helfen und bin derselbe. –«

»Genug, mein Herr!« unterbrach Helmtrost die Worte Veits. Er machte eine heftige Handbewegung, dann blieb er in sichtbarem Kampfe mit sich selbst und seinem aufwallenden Zorne mitten im Zimmer stehen, wandte sich rasch um und zündete an einem der Lichter des Schreibtisches eine Cigarre an. Rauchend gieng er mit langsamen Schritten auf und ab, dann sagte er ruhig und gelassen zu Veit, der ihn betrachtete:

»Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe und welchem Umstande ich das Vergnügen dieses abendlichen Besuches verdanke?«

193 »Ich komme, Ihnen zu sagen, daß ich Veit Weber heiße, und zu fragen, ob ich es einzig dem Mangel eines dritten Wortes oder Wörtchens zuzuschreiben habe, daß der Herr Graf nach unserer ersten und dieser zweiten Begegnung nicht geneigt scheinen, die sonst übliche Fortsetzung unserer Bekanntschaft einleiten zu lassen.«

»Mein Herr,« entgegnete Helmtrost, »meine Grundsätze würden mich zwingen, einem Schornsteinfeger so gut als einem Handlungsreisenden, wenn selber sonst ein Ehrenmann ist und nicht gerade in meinem Sold und Brodlohne steht, für Beleidigungen, die ich ihm angethan, diejenige Genugthuung zu geben, die ich einem Standesgenossen nie verweigern dürfte. Sie, mein Herr, glaube ich weder beleidigt zu haben, noch von ihnen beleidigt worden zu sein. Sie haben meinen Pferden einmal die Peitsche gegeben, ohne daß ich Sie darum gebeten hätte. Je nun, unterlassen Sie das ein anderes Mal; Sie könnten großen Schaden anrichten. Was weiter? Sie haben mir oder meinem Freunde einige Worte in unsanftem Tone nachgerufen . . . ich habe dieselben überhört und würde dieß nur dann bedauern, wenn selbe eine Beleidigung enthalten haben sollten. In diesem Falle würde ich Sie höflichst bitten müssen, dieselben zwar nicht zu wiederholen, sondern blos Ihren animus injurandi anzudeuten. Doch denke ich, daß meine Vermuthung die 194 richtige ist und wünsche dieß nur um so mehr, seit ich die Ehre Ihrer persönlichen Bekanntschaft habe.«

Veit hatte sich auf einen andern Empfang vorbereitet. Es würde ihn nicht aus der Fassung gebracht haben, wenn Helmtrost rauh, barsch und grob ihn angelassen hätte, wenn er die erste beste Waffe von der Wand gerissen oder einem halben Dutzend Diener geklingelt hätte, den ungebetenen Besuch vor die Thüre zu setzen. Aber diese vollendete Höflichkeit, diese gleichmäßige, durch keinen Angriff von Außen aufzuregende Gelassenheit in Haltung, Blick und Worten ließ den jungen Adeligen so sicher, so unverwundbar erscheinen, daß es Veiten däuchte, als prallten alle bösen Worte auf ihn, den schlechten Schützen, zurück. Veit war von Natur klug, muthig und gerecht. Er hatte Manches in seinem Leben erfahren und erduldet. Aber was ihm ganz neu und unbekannt geblieben, das war Alles das was man so Welt, feine Sitten, gute Manieren nennt. Geschwungene Fäuste und wär' auch ein Messer oder Beil dazwischen – je nun, man sucht damit fertig zu werden; aber diese aalglatte Sicherheit und zierliche Ruhe überraschte ihn, drohte ihn zu entwaffnen, verwirrte den Blick seiner Beobachtung. So kam es, daß er nicht merkte, mit was für einem Menschenkind er's zu thun hätte. Er merkte nicht, daß ein dilettirender Schwärmer, vielleicht ein geistvoller Narr vor ihm stand, 195 der sich in seinem eigenen Verstande berauschte und, so jung er war und lüstern, den abgebrauchten und abgeriebenen, nichts mehr bewundernden Alten zu spielen liebte, der sich bald mit eigenen frühzeitigen Erfahrungen aufputzte, bald aber auch mit fremder Leute Maximen schmückte, die ihm wie eine Perrücke zu dem blühenden Gesichte standen und mit denen er um so augenfälliger prunkte, als er großen Vorrath davon hatte und nichts entzückender fand, als einem Lauschenden zu predigen und sein über Alles geliebtes Selbst vor einem Verblüfften in's rechte Licht zu setzen. So kam es, daß Veit, der sich die Winde des Weltmeers hatte um die Nase wehen lassen, lauschend und verblüfft vor glatten Worten unterduckte und für hörnern und unverwundbar ein maulendes Fäntchen achtete, an dem doch nichts vom Achilles war als etwa der Stierschild und die Ferse.

Noch hielt er seinen Groll, der ihm entweichen wollte, mit beiden Händen fest und er sagte: »Achten Sie in Erinnerung Ihres damaligen Benehmens eine Beleidigung wirklich für so unwahrscheinlich?« Aber er sagte dieß aus gepreßter Kehle so rauh, es klang so roh, daß der Sprechende selbst des Guten zu viel gethan zu haben glaubte, und Helmtrost, der gewitzigte Weltmann, konnte diese Wandlung im Gemüthe seines Gegners nicht überhören.

196 Er beschloß sofort diese wagende und doch schon zagende Seele ganz zu erobern und sich selbst ein schlagendes Beispiel seiner Ueberredungskunst und hinreißenden Gewalt zu geben. Er machte ein trauriges Gesicht und sagte achselzuckend: »Es ist schon Blut geflossen um jenes schlimmen Abends willen. Sie werden im Tagesblättchen von meinem Duell und der Verwundung des Grafen Max gelesen haben. Er liegt, so viel ich weiß, annoch zu Bette. Und glauben Sie nur, ich habe mich nicht geschont. Dieß sei genug. Aber ein Duell mit einem Mann aus dem Volke würde dermalen meine schönsten Pläne durchkreuzen. Sie sind doch ein Mann aus dem Volke nicht wahr oder –?«

Helmtrost stockte und Veit sprach: »ich war Matrose und Steuermann.«

»Sie waren . . . und was sind Sie jetzt? Sie entschuldigen meine Neugier in diesem Fall.«

»Ich bin« – erwiderte Veit nicht ohne Zögern, »ich bereite mich auf mein Maturitäts-Examen vor.«

»Also noch unreif? . . . man sieht Ihnen das nicht an,« lachte Helmtrost und Vitus zuckte die Achseln.

»Eine Rauferei mit einem Manne des dritten oder vierten Standes würde manch edles Vertrauen, welches ich gerade in diesen Ständen erworben habe und noch erwerben will, zerstören. Eine neue Zeit –«

Veit, der schon wieder an einem Orte, wo er es 197 am wenigsten erwartete, von der neuen Zeit reden hörte, sah Helmtrost so überrascht an, daß dieser mitten im Satz abbrach und, nachdem er sich mit der feinen Hand über die rasirte Stirne gefahren, sagte:

»Davon ein andermal! ein nächstes Mal, wenn Sie wollen?«

Er sah Veit fragend an und dieser meinte unartig ohne Noth zu sein, wenn er nicht ein kleines bejahendes Compliment machte. Helmtrost machte eine verbindliche Bewegung mit der Hand, wie er es überhaupt liebte, seine Hände soviel als möglich vor den Augen der Menschen leuchten zu lassen, und fuhr dann fort.

»Um auf den fatalen Abend zurückzukommen so gesteh' ich, mein damaliges Benehmen war ein grobes Vergehen. Aber nach einem Vergehen solcher Art wäre der Zweikampf zwischen uns Beiden ein Verbrechen, wenigstens ein Verbrechen an der unwiederbringlichen Ehre eines Mädchens, die durch denselben nicht nur nicht gesühnt, sondern erst recht gefährdet, ja verletzt und begraben würde. Hier ist eine andere Genugthuung von Nöthen, ich bin bereit, sie zu leisten. Und ohne Sie, mein Herr zu fragen, ob Sie im Auftrage des annoch lebendigen Commendatores, ob Sie in der eigenen Machtvollkommenheit eines nach dem Blute Don Juans gierigen Ottavio hierher gekommen sind, halte ich –

198 »Ich halte es, ehe Ihre Eröffnung laut geworden, für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß ich weder das Recht eines Vaters, noch das Recht eines Bruders habe, dieselbe anzuhören.«

»Also das Recht der Liebe!« unterbrach nun Helmtrost den sich Verwahrenden, »das Recht, welches ich als das rechtmäßigste achte von Allen. So hören Sie. Nach dem Mißlingen meines Entführungsversuches halte ich mich – nicht ohne heimtückische Freude – für gezwungen, dem Fräulein Pyrian in aller Form der guten Sitte die Hand Ihres mißlungenen Räubers anzubieten.«

»Ihre Hand?« rief der staunende Veit, »die Hand eines Reichsgrafen einer nicht einmal vermöglichen Bürgerstochter?«

»Reichsgraf?« lachte Helmtrost »und sind damit alle meine Vortrefflichkeiten erschöpft? Fangen Sie meinetwegen mit dem Majoratserben an, ich besitze Schlösser und Häuser und Felder und Wälder, die schönsten Pferde und die unverschämtesten Bedienten. Alles das kann ein anderer auch haben, der es bekommt ohne sich darum zu plagen. Aber ich habe Schulen besucht und die Welt gesehen; ich kann jeden Tag drei lateinische Citate ausgeben, ohne meinen Vorrath in einem Jahre zu erschöpfen; ich führe eine elegante Feder in fünf lebendigen Sprachen, ich meistere das 199 Fleuret, wie den krummen Säbel, ich reite wie ein Husar, ich schwimme wie ein Matrose, ich tanze wie ein Wiener und schieße wie ein Russe. Nehmen Sie zu alledem, daß ich einen schwarzen Schnurrbart und einen Pariser Schneider habe, Füße wie eine Hofdame und Hände wie Lord Byron und nun sagen Sie mir, ob ich nicht mit Haut und Knochen der Held eines französischen Romans sein könnte? Begegnete ich mir in einem Buche, ich würde die Erfindung solch einer Person mit ungläubigem Lächeln belohnen; nun ich mich von Kindesbeinen an kenne, weiß ich, daß die Erwerbung all dieser Vortrefflichkeiten nicht vom Monde geholt werden muß und daß ihr Besitz den Menschen zu noch immer nichts mehr als einer leidlichen Creatur macht. Aber es ist doch etwas, sich sicherer zu fühlen in seiner Haut und sich mit redlichem Gewissen vor Anderen achten zu dürfen. Und mit diesem Bewußtsein meiner adeligen und rein menschlichen Vorzüge will ich vor das blonde Bürgerskind hintreten und ihr sagen: magst Du meine Hausfrau, magst Du die Herrin meiner Schlösser, magst Du die Mutter meiner Söhne werden und ich weiß gewiß, daß sich während dieser Bitte kein einziger von allen meinen vierzig und etlichen Ahnen in seinem Marmorsarge umkehren wird.«

»Und glauben Sie, daß die Gefragte Ja sagen wird?« versetzte Veit, dem es schwer wurde, die 200 Ansichten, welche Helmtrost jüngst in der Schenke gepredigt, auf die feuerige Hast zu reimen, mit der er sich nun ein Weib nehmen wollte.

Und der Graf fragte ihn: »Sie sind der Verlobte des Fräuleins?«

»Nein! ich habe niemals mit ihr ein Wort von Ehe, niemals ein Wort von Liebe gesprochen.«

»Aber Sie lieben sie?«

»Ich glaube sie sehr zu lieben.«

»Mit der ganzen Leidenschaft, deren Sie fähig sind?«

»Das weiß ich nicht.«

»Nun, mein Herr, warum soll Fanny Pyrian mir nicht Ja sagen? Ich habe niemals mich durch die Existenz eines Nebenbuhlers von der Seite eines weiblichen Wesens abschrecken lassen. Nicht als ob ich mich für so vieles besser hielte, Gott bewahre! Aber ich kenne die Weiber. Ein Verlobter ist unter fünfzig Fällen neunundvierzig Mal ein in conventionellen Formen sich aufdringender Biedermann, den man zu lieben glaubt, weil man ihn »achtet!« weil es einem von früh auf gelehrt wird, daß die Ehen im Himmel geschlossen werden. Nichts ist leichter als so ein Exemplar fleischgewordener Gottesvorsicht lächerlich zu machen und auf so lange bei Seite zu schieben als Noth thut. Ein bloßer Liebhaber, dem die Weihe elterlicher 201 Autorisation noch fehlt, dem dafür der Zauber der Heimlichkeit, der Reiz des Verbotenen zur Seite steht, ist nicht viel gefährlicher, denn wer liebt, macht Dummheiten, ist eifersüchtig, zum Schmollen geneigt, herrschgierig, oder er beweist sich durch seine Lammsgeduld als nebensächlich an sich. Einem Liebhaber braucht man nur eine schickliche Gelegenheit zu bieten, er ergreift die erste beste, um sich der gefährdet scheinenden Geliebten gegenüber als unausstehlicher Mensch zu bethätigen. Ein schwerer zu bewältigender Gegner ist das Phlegma, die unanfechtbare Behaglichkeit im Besitze, die an die Möglichkeit des Andersseins gar nicht denken kann und die sich folgerichtig meist auf das besessene Object überträgt. Der gefährlichste Nebenbuhler endlich, der fast immer siegreiche, aber Gott sei's geklagt, sehr seltene, das ist die wahre, die glühende, die hingebende Leidenschaft, sie ergreift ihren Gegenstand mit ansteckender Gewalt und nährt die eigene Flamme von der Flamme die sie entzündet; die Leidenschaft wagt Alles und vollendet das Schwierigste wie ein Spiel; die Leidenschaft ist gefährlich, sie vertraut sich selbst mit dem äußersten Gedanken der plötzlichen Vernichtung, wie mit der Gewohnheit eines Nachmittagsschläfchens; die Leidenschaft ist vorsichtig, denn sie ahnt mit seltenem Instincte den Feind auch unter der listigsten Maske. – Aber diese Leidenschaft ist selten wie das Genie und 202 kann billigerweise außer Ansatz bleiben, wo landläufige Menschenkinder um Gunst und Ungunst spielen, und wohlhabende Männer auf's Freien ausgehen.«

»Nach Ihrer Erfahrung,« sagte Veit mit äußerlicher Gelassenheit, »wäre der herzlose Egoismus, der seine Mittel kennt und kein Mittel scheut auch gegen die Leidenschaft im Vortheil, denn auch die Leidenschaft wird sich Blößen geben. Also dressire man die Männer nach Ihrer Anweisung und sobald diese Wissenschaft aufhören wird die Geheimlehre einzelner Roués zu sein, sobald sie das Gemeingut der guten Gesellschaft wird, haben wir eine Gegenseitigkeit von Spitzbuben, die in der That für die Ruhe, ich möchte glauben für den Bestand des Menschenverkehrs ungemein zu fürchten gäbe – wäre nicht dafür gesorgt, daß männliche Coquetterie meist durch ihre Lächerlichkeit den Nachahmungstrieb tödtet im Keime.«

Veit lachte, Helmtrost lächelte und sprach: »Mein Herr, das Leben ist keine Wissenschaft, und noch weniger, wie Sie meinen Aussprüchen aufmuzen zu wollen scheinen, ein Handwerk – das Leben ist eine Kunst. Und mit all den Regeln, die ich von mir gegeben, werden Sie keine Stalldirne verführen, wenn nicht die Uebung aus Ihnen einen Meister gemacht hat. Daher ist es ganz unschädlich, diese Maximen mitzutheilen. Ich gebe Ihnen ein dickes Buch in die Hand, wo die 203 Haltung des Fechters, jeder Angriff und Ausfall, jede Parade und jede Finte mit einer Augenscheinlichkeit beschrieben ist, die sich dem Gedächtniß unauslöschlich einprägt, glauben Sie, daß Sie dann im Stande sind, einem der ungeschicktesten, die den Fechtboden zu stampfen gewohnt sind, auch nur einen Stoß oder Hieb beizubringen, geschweige gar sich seiner Angriffe zu erwehren? Ich setze Sie Jahrelang in eine Bibliothek voll theoretischer Werke über die Malerei und gebe Ihnen nach beschlossener Zeit Pinsel und Palette in die Finger und stelle Sie vor eine Staffelei mit dem bescheidenen Ansinnen, Sie möchten mir die sixtinische Madonna copiren. Die da thun, als möchten und könnten Sie, und vor dem Fall zu Schanden werden, die sind lächerlich; aber wer da malen kann und malt, wer fechten kann und ficht, warum soll er lächerlich werden? Ich habe Ihnen keine Geheimnisse verrathen, in vierzehn Tagen ein fertiger Don Juan zu werden, aber ich behaupte, daß wie es Gesetze giebt für das Steigen und Fallen des Preises im Verkehr, wie es Gesetze giebt, nach denen das Blut vom Herzen zum Kopf steigt in schnellerem oder langsamerem Druck, wie es Gesetze giebt, nach denen die Keime, die wir in den Boden legen, sich so oder anders üppiger entfalten, Bäume, denen wir fremde Reiser einpflanzen, andere Blüthen und Früchten tragen, als ohne solche 204 Okulirung geschehen wäre, so muß es auch Gesetze geben, nach denen man Zutrauen, Neigung, Hingebung erwecken, steigern, reizen und mißbrauchen kann. Freilich werden sie einem faulen Baumstumpf keine Kirschenäste einokuliren, keinem Leichnam lebhaftere Blutcirkulation verursachen, keinem vernünftigen Käufer Kieselsteine für Brod verkaufen können. Aber kein Menschenangesicht ist so häßlich, daß man sich nicht sterblich darein verlieben könnte; es gibt nichts Unberechenbareres als die Neigung der Frauenzimmer; und die gute Gelegenheit ist die fruchtbarste Mutter aller Sünden.«

Veit erwiderte: »Diese drei Axiome könnten einem Ehemann das Leben versauern.«

Und Helmtrost sagte: »Ein Ehemann, der eine schöne Frau besitzt und doch dabei ohne ein Gelehrter oder Kunstreiter, Tenorist oder Seiltänzer zu sein, in Glück und Frieden und Treue lebt, der dünkt mich eine Seltenheit so kostbar und anstaunenswerth wie ein großer Poet, wie ein Diamant von Straußeneigröße, wie ein Kalb mit acht Beinen.«

»Und doch,« scherzte Veit, »und doch wollen Sie heirathen? Was fangen Sie dann an, wenn Fanny Pyrian Ihnen das Wort giebt, da Sie doch weder Gelehrter noch Seiltänzer sind.«

»Mein Herr,« nahm Helmtrost wieder das Wort, »das sollen Sie hören. Ein vernünftiger Mann 205 heirathet entweder, weil er es vor brennender Liebe zu einem Weibe nicht länger in seiner Haut aushalten kann, ohne mit der Ersehnten so innig und unauflöslich verbunden zu werden, als es menschenmöglich ist, oder aber weil er nach reiflicher Betrachtung und Erwägung seiner Verhältnisse und Eigenschaften es für nothwendig oder doch höchst wünschenswerth erachtet, dem Junggesellenstand Valet zu sagen, und anderseits ein Weib gefunden und erprobt zu haben glaubt, das seinem physischen und moralischen Wesen als die würdigste und zuverlässigste Lebensgenossin erscheint. Der schönen Fanny gegenüber befinden Sie sich vielleicht im ersten Fall, ich mich im zweiten. Nach dem was ich vorhin zum Lobe der Leidenschaft gesagt, könnten Sie leicht geneigt sein, meine Handlungsweise als eine meinen Sätzen widersprechende anzuklagen, um so eher, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich für Fanny Pyrian keinerlei leidenschaftliche Heftigkeit verspüre. Aber wenn ich die Leidenschaft für stark, für gefährlich, für die Siegerin in allen Kämpfen ausgerufen, so habe ich damit keineswegs gesagt, daß sie die zuverlässigste Stifterin glücklicher Ehen ist. Die Leidenschaft überschätzt den Gegenstand in allen Eigenschaften, dichtet ihm Vorzüge an, die er nicht hat, und ist für Sonderbarkeiten blind, welche nicht selten Hauptstücke des angebotenen Wesens sind. Die Leidenschaft steigert sich durch alle 206 Hindernisse, die sich zwischen sie und ihr Ziel drängen; sie wächst durch die Entfernung; sie gewinnt Riesenkräfte durch Zurückhaltung; und einmal beim Genuß angelangt, wird sie in überstürzender Hast an einem Tage durch alle Himmel fliegen. Aber die Ueberstürzung bringt Ermüdung, die Ueberfülle Uebersättigung; man gewinnt Zeit und bald auch die nöthige Ruhe des Geistes und der Sinne, sein Ideal nach allen Seiten hin umzukehren und zu betrachten. Starkes Licht wirft starke Schatten. Der Gegenstand, der den Weihrauch der Vergötterung gewohnt war, nimmt mit der Hausmannskost gemeingültiger Werthschätzung nur wider Willen vorlieb; auf dem Boden, den die Glut der Liebe gedüngt, keimt der Vorwurf, der Argwohn, die Vereinsamung, der Haß und nicht selten endet mit grauenvollem Zwist, oder mit stumm fluchender Ergebung in's Unabänderliche eine Vereinigung, die Himmel und Hölle zu ihrer Vollendung aufgeboten. – Dagegen ein erfahrenes Herz, das in des Lebens herberblühter Weisheit Schatten und Schutz zu finden weiß, es sieht ein Wesen, das ihm gut däucht, mit den Augen vernünftiger Erwägung an; man sagt sich: du könntest für diese in Feuer und Flammen aufgehen, aber ehe das geschieht und der Rauch davon dir die Augen verhüllt und den Verstand umnebelt, nimmst du die Gute in dein Haus und machst dein ehelich Weib aus ihr; 207 kein Fehler, den du entdeckst, wird dich kränken, du wußtest, daß auch die Sonne Flecken hat, du hättest dich schon auf ärgere stillschweigend gefaßt gemacht, und du hast ja auch alle ihre Fehler mitgeheirathet. Jede Tugend, die sich entfaltet, erfreut dich tausendfach, denn solche Vortrefflichkeit ist dir geworden wie ein reines Glück, unverhofft und überraschend. Also zieht die Liebe nach der Ehe ein, getragen von dem bacchischen Panterthier der Freude, das der Genius der Klugheit sicher und schadlos dahingängelt durch die staunenden Reihen beneidender Mitmenschen.

»Ich nun, ich wähle mir ein junges, schönes, bürgerliches Kind. Ich bin in ihre Kreise gefahren wie ein fremdes Wetter, aber aus den Regenwolken schält sich ein vernünftiger Herr den schmucklosen Ehering in der Hand. Ich komme aus einer Sphäre, die sie von ferne her bestaunt, ich führe sie in ein Leben ein, das ihr ewig unerreichbar in höherer Ferne vorgeschwebt, ich führe sie, die unerfahrene, kindlich fromme, vertrauende an meinem starken erprobten Arme; ich halte sie, wenn sie der Schwindel packt, und trage sie, wo der Boden schlüpfrig, wankend oder schmutzig scheint. Dieß Gefühl des Erhobenseins, der Dankbarkeit, des Vertrauenmüßens in fremder Welt, des Geschiedenseins von aller ihrer Vergangenheit, es sichert mir mehr als 208 Eide, Schwüre, Wachen und Sorgen, die Hingebung und die Treue der Gattin meiner Wahl.

»Sie sehen, mein Herr, man kann schwärmen ohne zu lieben, man kann auf's Mädchenverführen ausgehen und doch alle Achtung vor häuslichem Glücke in sich tragen, man kann das Glück des ehelichen Beisammenseins zu schätzen wissen und braucht nicht an seine Unfehlbarkeit, nicht an seine ewige Dauer zu glauben. Darum wenn ich von Fanny das Jawort erhalten haben werde, dann pack' ich meine Frau in meinen weichsten Wagen und kaufe die Villa eines genuesischen Patriziers, die zwischen Weingärten und Lorbeerbüschen an der Ripeta liegt. Dort will ich mich in meine Frau verlieben, unsterblich, wahnsinnig, namenlos, aber so daß es Niemand sieht, bis es vorüber ist. Zwei, drei Jahre, denk ich, wird es währen, bis etliche Geigen vom Himmel fallen; aber die Geigen werden mir nicht auf den Kopf fallen und wenn ich wiederkehre wird Niemand an meinem Wesen eine Veränderung finden; meine Frau wird angefangen haben, sich standesgemäß langweilen, andere standesgemäß auf meine Kosten unterhalten zu können. Mittlerweile hab' ich mir eine Familie gegründet, einen langen Honigmond genossen, lyrische Gedichte abgeschrieben, Blumen gezogen, Kinder erzeugt, Spatzen geschossen und deutsche Zeitungen gelesen. Und dann –«

209 Helmtrost stockte. Es entstand eine Pause; die beiden Männer schwiegen und schienen sich im Stillen zu verwundern, wie weit sie, die Unbekannten, die Außerordentlichkeit ihres Verhältnisses, die Hitze des Meinungsaustausches, vielleicht auch ein dritter Grund, ein Gefühl, dessen sie beide nicht recht Wort haben wollten, verführt hatte. Das Picken des Uhrpendels schien die zwei letzten Worte, nach denen Helmtrost seine Rede abgebrochen, in eintöniger Hartnäckigkeit zu wiederholen; im offenen Kamin verknisterte ein mächtiges Scheit und vom Hof herauf vernahm man das Wiehern der Pferde. Veit brach das Schweigen, er wiederholte fragend »Und dann?«

»Und dann,« fiel Helmtrost ein, »dann wird es eine veränderte Welt sein, in die ich heimkehre. Haben Sie das Grollen des Orkanes nicht vernommen, der die Flammen fieberischer Aufregungen über den Rhein herüber zu jagen droht? Glauben Sie mir, auch wir heut' Abend tanzen auf einem Vulkan. Vielleicht daß es denen, die heute noch die Macht haben, noch einmal gelingt, sich gegen die anstürmenden Gewalten der Tiefe fest auf ihren Sitzen und die Zügel der Herrschaft in ihren Händen zu erhalten. So sehr ich es wünschen muß, so wenig kann ich es glauben. Eine neue Zeit bricht an mit Sturm und Drang, mit schrecklichen Wehen. Niemand kann es bestimmt verneinen, daß die kommende 210 Revolution nicht eine furchtbare, welterschütternde, weltverändernde Reise unternehmen wird. Vielleicht ehe ein Jahr vergeht sind meine Standesgenossen, soweit man sie in der Heimath nicht an die Laternenpfähle gehängt hat, genöthigt als Emigranten die letzte Thule standesgemäßer Vorurtheile aufzusuchen. Sie werden vielleicht am Hofe des Chinesenkaisers eine legitimistische Invasion vorbereiten oder den Kindern der hinterindischen Großen französischen Sprachunterricht ertheilen. Die meisten werden sich in die neue Zeit und ihr Aergerniß gefügt haben. Komme ich dann heim, so kann ich der Mann der neuen Zeit werden, wenn ich will, denn schon vor dem Ausbruch hab' ich mich als aufgeklärt erwiesen; ganz wird sich das Volk der Sympathieen für adelig Geborene so geschwind nicht entschlagen können und ich habe mich alsdann frech und ohne Zwang mit dem Volke verschwistert, da ich eines Bürgers Tochter zur rechtmäßigen Gemahlin gemacht. Die kleinen Aergernisse, die mir die Coquetterie, die Gleichgültigkeit oder sonst eine Tugend meiner Frau verursacht, vertreib' ich mir alsdann mit den Sorgen und Anstrengungen einer politischen Carriere auf würdevollste Weise. Dann ist die Zeit der Idylle ausgelaufen, mich zerstreut kein jugendlicher Herzschlag mehr, kein Leichtsinn, keine Schwermuth; und ich kann der Liebling der Nation, der Vater des Vaterlandes, 211 jedenfalls der Held des Tages werden. – Kommt's aber anders als ich fürchten zu müssen meine, trägt die bestehende Ordnung oder Unordnung im Kampfe mit der Revolution den zweifelhaften Sieg davon oder bleibt gar Alles beim Alten – je nun! so bin ich der ich war. Der Skandal ist vergessen, man wird sich daran gewöhnt haben, in meiner Frau nur die Gräfin von der Schneppe, die schöne Mutter der jungen Grafen von der Schneppe zu sehen; man wird sich an ihre bürgerliche Abstammung nur zuweilen erinnern, wenn sie ihre Schwagerschaft durch die neuste Pariser Mode, durch die größeren Brillanten, durch die schönsten Haare in den Schatten stellt – und das schadet ihr nichts. Ich selbst kann thun was ich mag, Hasen jagen oder Politik treiben, man wird mein Wappen nicht verkehrt auf den Kutschenschlag malen und meinen Champagner nicht geringer schätzen als gestern vor einem Jahr.«

»Es scheint Sie denken von den Männern nicht viel besser als von den Weibern?« sagte Veit, der seinen Gegner bereits mit Theilnahme betrachtete.

»Doch ein weniges,« versetzte Helmtrost mit Lachen, »und da der Mann früher auf die Welt gekommen ist als das Weib, hat er einige gute Rechte für sich vorweggenommen, um deren Ausübung man ihn nicht schelten darf, während ein Weib, das sich Gleiches erlaubte, unserer Verachtung verfällt. Im Ganzen 212 allerdings taugen beide Geschlechter nicht sonderlich viel und man kann es Keinem so recht verübeln, wenn es das Andere nach Kräften an der Nase herumführt. Eine Kleinigkeit: die Treue, die das Weib dem Mann! die Treue, die der Mann dem Weibe halten soll! Es sind nach unsern Begriffen von Ehre Pflicht und Gewissen gar sehr verschiedene Dinge. Ein Liebhaber hat aus Gesundheits-, Gewohnheits- und weiß Gott was anderen Rücksichten kein Bedenken, Erfahrungen aller Art zu machen; was würde er sagen, wollte sich seine Braut um ähnliche Erfahrungen bewerben?«

»'s ist denn doch auch zweierlei,« entgegnete Veit, »wer giebt, darf zuweilen verschenken, was ihm allein eignet, an wen er immer mag, auch an den Elendesten, Erbärmlichsten; wer aber empfängt wird durch den Geber geehrt oder geschändet. Ein Weib ohne Mann ist immer ein unvollendetes Ding, ein Mann ist ganz und fertig und immerdar ein Mann, er mag sich durch eine schönere Hälfte ergänzen oder nicht!«

»Ach ich bitte Sie,« lachte Helmtrost, »sollte Fanny Pyrian Ihre Geliebte werden, statt wie ich wünsche die meine, so lehren Sie sie gefälligst den Unterschied von Geben und Empfangen und was daraus folgt für Pflicht und Treue, und dann passen Sie auf, ob und wie sehr sie von dieser Theorie erbaut sein wird. 213 Indessen was liegt an Theoremen, in Praxi halten sie sich schon schadlos, die lieben Weiblein.«

»Was Ihnen die Weiber nicht gethan haben müssen!« sagte Veit; der andere aber zog die Uhr und sprach:

»Was mir die Weiber gethan haben, erzähle ich Ihnen wohl ein andermal, da aus dem gegenseitigen Halsbrechen doch nichts mehr werden wird. Nun aber ist's halb zehn, um zwölf Uhr müssen sich die Ballgäste demaskiren. Ich habe also höchstens dritthalb Stunden Zeit, auf dem Feste der höchstachtbaren Herrn Bürgermilizgrenadiere drüben im Gasthof zum goldenen Kalb (zu dem ich mich gerüstet ehe Sie gekommen) meine Liebeserklärung und meinen Heirathsantrag anzubringen und zu motiviren. Wenn schon als Liebhaber nicht mit mir im Bunde, müssen Sie doch sorgen, daß der Ehre Genüge geschehe. Und somit lassen Sie uns für heute scheiden.«

Helmtrost reichte Veiten die rechte Hand. Dieser aber hielt die seine zurück und fragte: »Warum wählen Sie einen Maskenball zu solch einem Antrag?«

»Weil ich die Männer, die erst den Vater und hernach das Mädchen um Gunst und Jawort angehen, nicht hochachten und nachahmen kann und Sie, mein Herr, dafür gesorgt haben, daß ich Fanny an einem dritten Ort nicht sehen und sprechen kann, es wäre denn im Gedränge einer Gesellschaft wie diese.«

214 »Warum aber verhüllen Sie sich in Maske und Domino, da Sie ja eine offene Einladung haben konnten?«

»Erstens weil ein Unverhoffter, vielleicht Vermißter willkommener ist, als wenn man ihn mit Furcht, ja nicht ohne Enttäuschung erwartet; zweitens weil die Maske größere Freiheit des Gesprächs gestattet; drittens weil man vor einem verhüllten Angesicht nicht so rasch erröthet; viertens weil es mir Spaß macht, unter diesem aufgeblasenen Bürgerpack herumzuwandeln, das zehnmal aristokratischere Eingeweide hat als alle Fürsten, Grafen und Barone der Welt, unter Menschen verkappt herumzuwandeln, welche sobald sie mich erkennten, mich von Rechts wegen vor die Thüre bitten müßten, sobald sie mich aber erkannt haben, dieß wohlweislich bleiben lassen, sintemalen sie hiefür weder den nöthigen Muth noch die nöthigen Worte finden würden.«

»Glück auf den Weg!« sagte Veit. Helmtrost klingelte seinem Kammerdiener, band sich die Maske vor, zog die seidene Kapuze über das Haar und versicherte sich vor dem Spiegel seiner Unerkennbarkeit.

Wie sie die Treppe mit einander hinabstiegen, sagte Helmtrost: »Werden wir uns wieder sehen?«

»Unter Einer Bedingung ja,« antwortete Veit.

»Und diese ist?« fragte Helmtrost.

»Daß wir nicht mehr über Fanny Pyrian mit einander sprechen.«

215 »Meinethalben,« sagte Helmtrost ernsthaft. »Fragen Sie nächsten Freitag im blauen Bären nach der Gesellschaft tempus und dem Bürger Schneppe. Verstanden? Adio!« Helmtrost sprang in seinen Wagen und rollte davon. Der andere trat, von verschiedenen Gefühlen geleitet, langsam in die Nacht hinaus, die sternlos und windbewegt über den feuchten Straßen lag.

Ein zwiespältiges Empfinden preßte sein Herz. Anerkennung und Abscheu, Stolz und Ergebung umkreisten es. Wie kam ein Mann, der hoch über ihm geboren, dazu, ihm, den er zum ersten Male sprach, mit selbstgefälliger Geschwätzigkeit die letzten Grundsätze seines Lebens auszukramen? Aus List oder aus Gutmüthigkeit, aus Herablassung oder Schwäche? Jene in Vertraulichkeit maskirte Unverschämtheit, die durch Ueberraschung gewinnt, jene Neigung, dem Sohne des Volkes verblüffend zu zeigen, daß auch der Ahnenstolze denkt und urtheilt, jenes Demüthigenwollen durch scheinbares momentanes Gleichstellen, jene Virtuosität aristokratischer Bildung – wie sollte ihr der arme Matrose anders als mit dem drückenden Bewußtsein rathloser Befangenheit gegenüberstehen. Er fluchte den Grundsätzen Helmtrost's, die doch von seinem Haupte nicht zu bannen waren und ihm die peinliche 216 Versicherung zuflüsterten: Fanny werde und müsse in dieser Stunde dem Werber ihr Jawort geben.

Zuletzt führte ihn der dunkle Instinct seines Herzens dem alten Hasse zu. Und über sein Denken kam bitterlicher Trotz, der Trotz, den er nicht gekannt vor Zeiten, da er die Gänse gehütet auf seinem Dorfe, noch da er Beißerle's Unbill getragen; die Bitterkeit und der Trotz, die er zum erstenmal empfunden, als Curt von Gnitzen ihn einsam auf der fremden Straße gelassen. Aber fragte er: warum wird nur dem gegeben, der schon so viel hat, warum dem der wenig hat, auch das Wenige genommen? Warum darf der in Ueppigkeit Geborene fassen was ihm gefällt und lassen was ihm nicht mehr beliebt? Warum muß ich wieder seitabschleichen, da ein Anderer, der nicht weiser, nicht stärker als ich, zu dem Mädchen hintritt, das meine heißesten Wünsche begehrten? –

Ein Ziel war weniger im rüstigen Leben des Bauernsohns. Das Liebliche war gewichen aus seinen Wünschen und dem heiteren Frieden nachgezogen, der ihm gefolgt war aus der See in's Binnenland, der ihn verlassen am anderen Tage nach seinem Einzug in das Haus seiner viel mißhandelten Knabenzeit. Er sah auf seine geballten Fäuste, die er zornig von sich streckte, er sah in die Nacht hinaus und wünschte seinem Groll einen Gegner. Er wollte, daß er wieder Wache halten 217 müßte auf dem Deck und es kämen die Wogen über die Brüstung gewälzt, und der Sturm böge die Stangen, daß sie im Wind ächzten, und er müßte hinauf auf den Mast und quer über die Stangen rutschen und die Seile binden, über denen die Wolken pfiffen.

Also in grollenden Gedanken schwelgend lief er ziellos in den nächtlichen Straßen umher, bis ihn ein fernes Klingen hüpfender Melodien wieder an die Außenwelt und an den heutigen Tag gemahnte. Er sah empor zu leuchtenden Fenstern, an deren Gardinen sich das flüchtige Schattenspiel undeutlicher Gestalten wiederholte. Er besann sich, das war der Gasthof zum goldenen Kalb und jene Schatten rührten von den greifbaren Gestalten der Bürgermilizgrenadiere, ihrer Frauen, Töchter und Gäste her, die bei den Rythmen jener Weisen, welche der Nachtwind zerrissen und halbverflüchtigt vor sein Ohr brachte, sich festlich durcheinander bewegten.

Veit war ein junges Blut. Fest und Freude, Pracht und Wein, geschmückte Frauen und schwirrende Geigen hätten auch zu anderen Stunden sein gesundes Herz bewegt, das unverfälscht und ungesättigt, wie es war, so gerne nach allen Freuden dieses Lebens griff. Heute stand er vor dem erleuchteten, klingenden, für ihn unzugänglichen Hause wie vor einem verzauberten Schloß. Das Licht das von dort oben kam, hob sich 218 nur allzugrell von jenen Schatten ab, die sich in dichten Reihen vor seiner Seele gelagert, deren bleierne Füße auch der lustigste Walzer nicht bewegte.

Je lustiger ihm's dort oben zuzugehen schien, desto sicherer war's ihm, Fanny sei auf ewig für ihn armen, dummen Teufel verloren. Die Ueberzeugung von diesem unersetzlichen Verluste stand ihm bereits heute Nacht so fest, daß kein Zweifel mehr an sie rührte; Helmtrost war für ihn so sicher der Besitzer des Jawortes, daß ihm einer, der in diesem Augenblick gesagt hätte: »Morgen ist Hochzeit!« nicht die geringste Ueberraschung bereitet hätte. Er litt so gräßliche Schmerzen, daß er leise aufstöhnte wie ein gequältes Thier. Du fragst warum? Mein Gott, er war ein junges Blut.

»Noch einmal möcht' ich sie sehen im Glanze des Festes, angestrahlt von Lust und Freude, sie sehen, wie sie die Andern sehen, die glücklicher sind als ich, wenn sie es auch nicht verdienen!« dieser Gedanke verfolgte nun Veit und, ohne zu wissen wie er's anfangen sollte, schritt er auch schon zu dessen Ausführung.

Im Thorweg des Hotels standen mehrere Kutscher und Köche herum, trinkend, plaudernd, gähnend, sie achteten der einzelnen Herren nicht, die noch immer ab und zu giengen. Veit vollends im abgeschabten Filz und Mantel sah aus wie einer ihres gleichen. An der glänzenden Treppe mit ihren Kandelabern und 219 Treibhausgewächsen wich der Eindringling rasch vorüber; das war für ihn kein Weg. Im Hofe standen etliche Wagen. Aber der Hof war durch die vielen strahlenden Fenster so erleuchtet, durch die hin- und herlaufenden Kellner so unsicher, daß Veit, um nicht nach seinem Begehr gefragt zu werden, rasch hindurchschritt und ohne Wahl sich in eine schmale offenstehende Thüre drückte, die ihm durch ihre Bescheidenheit und Verlassenheit und Dunkelheit als Ausgang drohender Verlegenheit aufgefallen war.

Stärker ertönte hier die Musik und nachdem Veit im Finstern ein wenig getastet und sich gestoßen hatte, fand er sich auf einer schmalen Wendeltreppe zurecht, welche, wie er bald merkte, zur Tribüne der Spielleute führte. Allmählig fiel auch Lichtschimmer auf die knappen Stufen und unser Neugieriger konnte leichter und bequemer aufsteigen. Als er die Höhe der Musikanten erreicht hatte, die für ihn keinen Platz bieten konnten, klomm er noch weiter, denn das Licht über ihm auf der Treppe konnte nur vom Saale kommen. So war's auch. Er fand in der Mauer eine tiefe Nische und in der Nische ein rundes Fensterchen, kaum größer als sein Filzhut. Die Scheiben daran waren ganz blind. Aber man hatte es geöffnet, um die Hitze aus dem Saale strömen zu lassen. Es dauerte ein Weilchen, bis Veit sich an die glühende Atmosphäre gewöhnen 220 konnte, die wie aus Ofens Rachen ihm aus dem überfüllten Saal entgegensprühte.

Seine Blicke wühlten nun in dem Brei von Farben und Gestalten, der vor dem engen Sehfeld seines Guckfensters sich durcheinander bewegte, während Dunst und Qualm und ein unterschiedloses aber betäubendes Gemeng von Worten und Tönen ihm um's Haupt wirbelte. Er konnte nicht den ganzen Saal überschauen und nicht nach Willkür suchen und finden was ihn gelüstete, sondern mußte geduldig abwarten, was der Zufall in seinen Launen an ihm vorüberführen mochte. Wäre er näher an die Oeffnung gerutscht, hätte man ihn von unten sehen können und seiner Beobachtung bald ganz ein Ende gemacht.

Endlich ein bekanntes Angesicht. Das war Pyrian im flatternden rosenblassen Domino mit aschegrauen Klappen und Schleifen. Er stemmte die riesigen Glacefäustlinge auf die widerstrebenden Brustkasten eines türkischen Pascha's und eines gepuderten Roccocomarquis und drängte mit diesen zwei maskirten Handlungslehrlingen gegen die in Mitte des Saals sich breitmachende Menge der Bürgermilizgrenadiere und ihrer Gäste, damit trotz der Fülle der Menschen Platz für den nächsten Reigen geschaffen würde.

Nun stimmten die Violinen, nun hub der Walzer an und Veit in seiner Lucke athmete hoch auf, denn 221 ein Paar nach dem andern schob sich kreiselnd in den Bezirk seines Gesichtskreises, verschwand und kam nach etlicher Zeit wieder. Erschien es zum dritten Mal, so faßten Pyrian's Fäuste nach den Verbrechern gegen die unverbrüchliche Tanzordnung, denn hier ward nur zweimal »herumgetanzt«.

Da, das war Fanny und der sie festhielt und an sich preßte und dabei schwatzte und schwatzte, das war die Maske, Veiten wohlbekannt, der er vor kurzem seinen Besuch gemacht. Pyrian drückte vor seinem Fleisch und Blut ein Auge zu, zum dritten und vierten Mal walzten die beiden vorüber, so innig an einander geschmiegt, recht gut zu einander passend, und von allen Augen verfolgt.

Veit athmete schwer. Noch einmal gegen das Ende des Schleifers gelangte das Paar in den Saal. Da verstummte die Musik und die beiden standen stille, gerade unter des Fensterchens Ausschau. Die Maske gab Fanny Hand und Arm und sie verschwanden mit einander. Ob sie wohl wußte, in wessen Arm sich der ihrige schmiegte. Der Späher zweifelte nicht daran. Gleichgültig sah er auf Pyrian herab, der achselzuckend und hauptschüttelnd beschwerdeführenden Jünglingen trotzte, welche er beim vorigen Tanze zu unsanft zur Ordnung zurückgeführt hatte. In seinem rechten Fäustling hielt er einen abgerissenen Frackschoß, den ein hartnäckiger Weise aus der Reihe tanzender, im 222 Widerstreben gegen den uuerschütterlichen Schmied sammt seiner Dame zur Erde stürzender Sünder in der eisernen Hand des Verfolgers hatte zurücklassen müssen. Der also Verstümmelte gesticulirte jämmerlich vor dem Grenadiermajor und wies mit Thränen im Auge auf den halbcastrirten Leibrock und das Ende seines Ballvergnügens. Pyrian kehrte ihm den Rücken und sah an der Wand hinauf, gerade zu Veits Dachlucke, gerade in Veit's Auge, derweil seine Comitegenossen dem Frack des Recriminirenden für ballunfähig erklärten und denselben, ohne seinen Träger von ihm zu trennen, vor die Thüre setzten.

In Pyrian's Nähe drängte sich besorgt seine Tochter; die emsige Maske folgte dicht hinter ihr. Der Schmied legte dem Vermummten die Hand, welche noch immer den Frackschoß umklammerte, auf die Achsel, schmunzelte und schien das ewige Wort aller Maskenbälle auszusprechen: »ich kenne Dich!«

Veit biß die Zähne zusammen und sagte: Es ist klar, sie sind alle drei miteinander einig. Was hast du noch weiter hier zu suchen? Macht was ihr wollt, alle miteinander! Fort von dem Mummenschanz und heim zu meinen Büchern! und eilig gieng er hinweg. 223

 


 


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