Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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XIV.

Veit schlenderte um dieselbe Zeit unter dem Menschengewühl herum, welches dem paradirenden Militär und dem deutschen Reichsverweser zu Liebe seit dem frühen Morgen auf den Beinen war.

Es war noch ein Sommertag derselben Sonne, die im März dieses Jahres mit ihrem grellen Frühlingsschein geleuchtet, geblendet, gezündet hatte, aber einer Sonne, die ihrem raschen Herbst entgegengieng und sank und sank. Die Huldigung dem Reichsverweser war schon keine allgemeine mehr, etliche ließen ihre Heere gar nicht schwören und die da Schwur und Huldigung angeordnet, thaten es am liebsten aus Freude darüber, daß es doch nur ein Reichsverweser, ein landloser Erzherzog sei, kein deutscher Kaiser, kein selber über Heeresmacht gebietender Fürst, wie etwa der König von Preußen gewesen wäre, der die Wahl des Parlaments zurückgewiesen.

Nichts desto weniger war die Freude doch laut und 132 allgemein in der Stadt. Festlich geschmückt waren die Häuser und ihre Bewohner, die Trommeln wurden gerührt, die Musikbanden rauschten darein und fröhlich blitzten die Bajonnette im Sonnenlicht.

Und mit den Truppen kam auch die Bürgerwehr und die Freicorps alle, und um all den Jubel zu sehen, Weib und Kind und Groß und Klein und Reich und Arm und es war ein groß Geräusch unter Gottes freiem Himmel.

Aber unserm Veit war verdrießlich zu Muth; er fühlte sich bei alledem so recht als der Niemand, für einen Schuljungen zu alt und doch trotz seiner Jahre und seiner Plage nicht für reif befunden, mit den andern zu gehn – es war ein ärgerlicher Zustand und er hätt' ihm gern ein Ende gemacht so oder anders.

Da fiel ihm zu öfteren Malen eine Gestalt im Gewühle auf, die beim Austritt aus dem Hause die erste gewesen, die ihm begegnet, und seitdem bald zur Rechten, bald zur Linken neben ihm im Gewühle aufgetaucht war. Veit war schon ärgerlich über den Kerl geworden, der nicht gerade auf's vertrauenerweckendste aussah.

Was er auf dem Leibe trug, war augenscheinlich nicht für ihn gemacht worden, sein Bart mochte eben erst gestutzt worden sein, auch das rothe Haar war knapp am Schädel abgeschnitten. Es schien ihm sichtlich sehr 133 unbequem, daß er nichts in seinen Händen zu tragen hatte.

Im Augenblicke wurde er von einem Gensdarmen angesprochen, welcher ähnliche Bedenken wie Vitus über den sonderbaren Flaneur zu hegen schien und ihm eine Legitimation abverlangte.

Der Rothhaarige hatte dem Gensdarm ein Büchlein eingehändigt, das dieser, nun zufriedengestellt, zurückgab und Veit hörte just noch die Worte: »So, Sie sind der Kutscher von Katharinenreuth?«

Doch, nun der Polizeimann befriedigt, schien dem Inquirirten das Herz zu wachsen, er gieng hart an Veits linke Seite, so daß sich im Gedränge ihre Kleider berührten, und indem er ehrerbietig den breitkrämpigen Hut abzog, fragte er verbindlich lächelnd und leise:

»Um Vergebung, mein Herr, können Sie keinen Bedienten brauchen?«

»Und was wollen Sie, daß ich mit einem Bedienten anfangen soll und nun vollends mit einem Kutscher, der Sie sind?«

»Herr, fangen Sie mit mir an was Sie wollen,« war die schmunzelnde Antwort auf die lachende Frage.

»Was ich will? Gut, so sagen Sie gefälligst meinem Kutscher, daß er so schnell als möglich zum Teufel fahren möge.«

»Das wäre wohl nicht gar so weit,« entgegnete der 134 andere, »aber ich bin kein Kutscher, Herr. – Ach so, Sie meinen wegen des Legitimationsbüchleins? Das gehört nicht mir, sondern meiner Mutter Bruder; ich hab's ihm wiederzugeben vergessen und es thut mir zuweilen gute Dienste, wenn die Gensdarmerie naseweis werden zu müssen meint, weil sie gegen meine rothen Haare Mißtrauen hat.«

»Also Sie sind kein Kutscher, mein ehrenwerther Herr, sondern ein Spitzbube? mit Erlaubniß zu fragen?«

»Nein Herr, ich bin ein armer Kerl und sonst nichts; ich komme aus dem Schleswig-Holstein'schen Kriege, wo man die Freicorps aufgelöst hat; nun weiß ich nicht wo aus und ein und nähre mich indessen von Hunger und Durst.«

Das Wort Schleswig-Holstein hatte ein lichtes Feuer in Veitens Seele geworfen, er schlug den Mann, der kein Auge von seinen Zügen verwandte, auf die Schulter und sprach: »Mein Lieber, ich bin ein armer Kerl wie Sie; ich habe mein Leben unter Mühen und Sorgen aber gesund und rüstig und allzeit gutes Muthes verbracht; zwar weiß ich noch nicht, ob ich selbst mich morgen oder übermorgen für schlechten Lohn und gute Behandlung zu Diensten anerbiete, aber das weiß ich, daß ich eines Dieners nicht benöthigt bin. Darum, Herr, kein Geschäft; aber wenn Sie Hunger und Durst haben, so kommen Sie mit mir. Da drüben streckt 135 der liebe Herrgott einen Arm hervor, dort wollen wir Mittag halten und eins darnach gießen, wenn's Ihnen gut ist und Sie Lust haben, mir ein Stündlein zu erzählen, wie's da droben zugeht zwischen Belt und Belt.«

Die beiden saßen im Schatten einer Schenke. Veit sorgte, daß zu essen aufgetragen wurde und goß dem anderen fleißig ein. Dabei ließ er sich vom Krieg erzählen, von den Freischaaren und Bundestruppen, von dem eingeborenen Militär und den hinzugeströmten Offizieren, und er mag manch ein Wort gehört haben, das erlogen war, keines, das ihn nicht heftig erregt hätte.

»Herr,« unterbrach Balthasar (die Leser werden ihn wohl trotz seiner Verkleidung erkannt haben) das Gespräch mit kaltblütiger Unverschämtheit, »wären Sie im Stande, mir ein Paar Gulden zu leihen?«

»Leihen?« entgegnete Vitus, der nicht ohne Rührung den Heißhunger betrachtete, mit welchem sein Gast Schüsseln und Teller reinigte. »Leihen? nein; aber schenken, meinetwegen«

Wie er jedoch in die Tasche greifen wollte, hinderte ihn der Rothhaarige und sagte mit weicher Stimme: »So ist's nicht gemeint, Herr; ich bin schon Ihr Schuldner, ohne daß Sie es wissen; ein – Freund, ein Bekannter von Ihnen hat mir – vier mal fünf mal – ja, vierzig Thaler hat er mir geliehen, Herr, 136 mit dem Auftrag, dieselben an Sie zurückzuzahlen. Wären Sie wirklich im Stande, mir das Geld zu leihen, ist zu sagen nach Ihrer sehr vernünftigen Ausdrucksweise: zu schenken!«

»Herr, Sie irren sich in der Person, außer dem einen oder andern Seecadetten oder Matrosen, der jetzt weiß Gott wo zwischen Wasser und Wind herumschwimmen mag, ist mir kein Mensch einen Heller schuldig auf der Welt und Sie irren sich, wie gesagt, aller Wahrscheinlichkeit nach in der Person.«

»Sie heißen Vitus Weber,« schmunzelte Balthes nicht ohne Verlegenheit, »sind Schüler und Aushilfslehrer des quiescirten Gymnasialprofessors Beißerle und wohnen mit demselben im Pyrian'schen Hause oder, wie man dieß im Volksmunde nennt, in der Tuberkelburg. Auch mag es wohl ein Seemann oder so was dergleichen gewesen sein, der mir – von dem ich das Geld habe. Das weiß ich gewiß, daß ich Ihnen vierzig Thaler schulde, daß ich mir für einen Theil dieses Geldes diese Kleider gekauft, einen anderen Theil davon noch in der Tasche habe, daß ich vor der Hand nicht daran denken möchte, Ihnen diese mir ebenso erwünscht als unverhofft zugegangene Summe zurückerstatten zu müssen und daß ich Ihnen sowohl im Interesse meiner Gewissensberuhigung als auch meiner persönlichen Sicherheit sehr verbunden wäre, wenn Sie mich die 137 vierzig Thaler als Bedienter, Famulus, Factotum, Stiefelputzer, Laufbursch und Kammerknecht bei Ihnen abverdienen ließen.«

Veit wußte nicht recht, wie ihm zu Muth war; der rothhaarige Balthes sah ihn mit so ruhig vernünftigen Augen, so bewußt und aufmerksam an und schien ihm dabei doch wie ein Narr zu reden. Er versetzte nun:

»Für's Erste hab ich Ihnen schon gesagt, daß Sie mir nichts schuldig sind; sollte das aber Ihr Gewissen nicht beruhigen, so will ich Ihnen eine schriftliche Schenkungsakte, Ihnen, Ihren Kindern und Kindskindern ausstellen. Was aber zweitens Ihr Dienstanerbieten betrifft, so bin ich nicht gewohnt, bedient zu werden, ferners nicht im Stande, einen Diener zu bezahlen und zu verköstigen.«

»Bezahlt haben Sie mich schon im Voraus und auf Verköstigung mache ich keinen Anspruch.«

»Lassen Sie mich mit Ihren Zudringlichkeiten zufrieden, ich kann Sie auch nicht beherbergen.«

»Das können Sie wohl,« versetzte Balthes eilig aber mit geschäftsmäßiger Ruhe, »Sie haben über zwei Stuben zu verfügen, die Ihrige und die des Professors, denn dieser ist über Land und verlassen Sie sich auf mich, er wird nie mehr wiederkommen.«

Da schlug Veit unwillig in den Tisch und rief: »wenn Sie glauben, daß es mir Scherz macht, mit 138 Ihnen Versteckens zu spielen, so irren Sie sich ungemein.«

»Ich spiele nicht Versteckens,« nahm der andere schleunig das Wort, »aber da ich sehe, daß Sie mir nicht trauen, warum soll ich mich Ihnen so mir nichts dir nichts mit gebundenen Händen übergeben? Lassen Sie's darauf ankommen, Herr, kaufen Sie den zugebundenen Sack, ich versichere Sie, es steckt eine tüchtige Katze darin. Sie ahnen nicht, was ich Ihnen werth bin.«

Veit gab keine Antwort auf diese Zumuthung, er schien sie auch theilweise überhört zu haben, denn seine ganze Aufmerksamkeit war auf einen munter daher rollenden Wagen gerichtet, der nun auch Balthasars Betrachtung in eigenthümlicher Weise zu fesseln schien.

»Kennen Sie die Leute bei Namen, die hinter diesen beiden Schecken gefahren werden?« fragte Balthasar den Schweigenden.

»Ob ich sie kenne!« lachte Vitus, dem es wohlthat, zum mindesten den Namen der Geliebten wieder einmal laut auszusprechen. »Das ist der vorhin von Ihnen genannte Hausbesitzer Pyrian, dieß seine jüngsten Söhne, dieß sein Töchterchen Fanny; der wohlgenährte Mann endlich, der zwischen den beiden Knaben auf dem Vordersitze lastet –«

»Oh was den anbelangt,« fiel Balthes kopfnickend 139 ein, »den kenn' ich besser als irgend einer ihn kennen mag.«

Veit sah den Redenden mit brennenden Augen fragend an und der andere fuhr fort:

»Der Herr war nämlich lange Jahre bei der Zollwache und als er Oberaufseher zu Pferde geworden, lag er in demselben Grenzdorfe stationirt, wo ich als Geselle das Schusterhandwerk betrieb. Er galt allgemein als der dümmste Kerl in der ganzen Gegend, aber er mußte dazu auch als derjenige gelten, der bei den Weibern und Mädeln das größte Glück hatte. Ich weiß nicht warum? Aber ich weiß, es war so und wird wohl auch noch so sein. Die besten, die bravsten, die gescheidtesten und stolzesten Dirnen in der Umgegend hat er dran gekriegt, Mädels, wovor einem jeder böser Gedanke schwindlig wurde, wenn man ihnen in's engelfromme Gesichtchen sah. Da machte der kälberne Kerl sich daran und weg war sie und vernarrt bis über die Ohren und that ihm zu Liebe was er nur wollte und er, er prahlte damit auf den Wirthsbänken und gieng seinen Weg weiter zur nächsten besten. – Ich selber, ich könnt' Ihnen eine sonderliche Geschichte von ihm erzählen; mir zieht's heute noch die Faust zusammen, wenn ich daran denke – – Aber ich will Ihnen lieber was anders erzählen, was Sie besser interessirt, vom Krieg und von den Herzogthümern und von der 140 dänischen Armee und den Schiffen. Aber sagen Sie mir vorerst, ob Sie mich in Dienst nehmen wollen oder nicht.«

Veit sah den Rothkopf mit Blicken an, die jener sich nicht zu deuten wußte, denn, die Hand schon ausgestreckt, fragte er: »Was treibt Sie denn so hartnäckig unter meine Herrschaft?«

»Erstens die Dankbarkeit,« sagte jener, »zweitens das Schuldbewußtsein, drittens ein Grund, über den ich später einmal werde reden dürfen, viertens der Wunsch, ein bald möglichstes Unterkommen zu finden, fünftens die Freude, an Ihnen einen guten und braven Herrn gefunden zu haben. Sie sind der erste Mensch, der, seit ich wieder hier im Lande herumlaufe, mich nicht mit Füßen stieß, wenn ich ›mich hungert‹ sagte; der erste, der nicht nach der Polizei schrie, wenn ich ihn um ein kleines Almosen bat. Also Herr, gilt's oder gilt's nicht?«

»Es soll gelten!« sagte der junge Mann und schüttelte die Hand des Vagabunden.

»Geben Sie mir's schriftlich, daß ich bei Ihnen in Diensten stehe, nicht meinetwegen, sondern um der lieben Polizei zu genügen, die mich hindern könnte, wo ich Ihnen nützlich sein wollte,« sagte Balthes zuthunlich, und da sein Meister nickte, nahm er einen Bogen Papier aus der Tasche, ließ sich Dinte und Feder geben 141 und verfaßte eine formgerechte Anzeige, daß er bei Herrn Vitus Weber, Hauslehrer &c., in Dienst genommen sei, welches Blatt er dann demselben zur Unterschrift hinüberreichte.

Während dieser die Zeilen überlas, griff Balthes einen andern zusammengefalteten Bogen aus seiner Brusttasche, strich ein Schwefelhölzchen unter dem Tisch an und hatte bereits das eine Ende des Papiers in Brand gesteckt, als er plötzlich einen zweifelnden Blick auf den so eben unterschreibenden Veit warf und wie einer, der seines Thuns und Lassens nicht ganz sicher ist, wie einer, der in Angst ist, sich von einer ihn jäh anwandelnden allzugemüthlichen Stimmung zu einem dummen Streich verleiten zu lassen, zerdrückte er die Flamme mit seinen Fingern und verbarg das im wesentlichen unversehrt gebliebene Papier wieder zwischen Rock und Brust.

Veit, der nun auch das andere Blatt ihm wieder einhändigte, schien etwas zerstreut und wie um seiner Unruhe geflissentlich zu trotzen, zwang er sich zu neuen Fragen.

»Warum haben Sie den Kriegsschauplatz verlassen, wenn Sie der Sache der Herzogthümer so ergeben sind, wie Sie mir soeben gesagt haben?«

»Warum?« wiederholte der Andere lang gezogen und schien die rechte Augenstellung nicht finden zu 142 können, um dem Frager so unverschämt als er wollte in's Gesicht zu sehn. »Warum? ja das ist ein eigen Ding. Zunächst – weil man die Freicorps aufgelöst hat!«

»Warum sind Sie nicht in's reguläre Militär getreten?«

»Oho!« entgegnete nun jener in einer Art sittlicher Entrüstung; als er aber sah, wie der Gegner eine Miene annahm, welche dieser (damals sehr geläufigen) Verachtung stehender Heere nichts weniger als beizupflichten schien, fieng Balthes wieder einmal an sich unter den Hut zu langen. Während er dann in halber Unschlüssigkeit auf dem Stuhl sich hin und her bewegte, stieß er die folgenden Worte nicht ohne Mühe heraus:

»Meister Veit, ich habe mir die ganze Geschichte daheim anders vorgestellt, habe mich auch eine Zeitlang guts Muths mit meinen falschen Illusionen geschleppt, wie ein Handwerksbursch in den ersten Tagen seines Auszugs den Tornister nicht spürt, der ihm später zu einer widrigen Last wird. Als die Geschichte angieng und wir in der ersten Hitze nordwärts liefen, da malt' ich mir ein Leben aus wie in Wallensteins Lager und dazu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, den Himmel voll Geigen und die Erde voller Wirthshäuser. Seit ich in den Märztagen ein paar Scheiben eingeworfen und 143 einen Gerichtsdiener beohrfeigt, hielt ich mich vollends für einen furchtbaren Kriegsmann und zog dahin, die Dänen nach dem Dutzend aufzufressen. Aber wissen Sie was? das Handwerk mit Blei und Eisen, mit den Trommeln hinten, vorn, und fort vorwärts marsch durch dick und dünn, hast gefressen, hast nicht, vorwärts, rückwärts, vorwärts, Ordre pariren, Maul halten, Zucht und kein Ende und doch scheel angesehen wie ein Sonntagsreiter, der nur so als Thunichtgut und Leutverderb geduldet ist – hol's der Teufel, da gehören Kerle dazu, Kerle, die ein Uhrwerk im Kopf oder einen Willen im Leibe haben wie – nun ja wie ich ihn nicht habe. Ich sagte mir's oft, du bist eine weichliche gemeine Creatur, du möchtest dieß und das haben, aber ohne viel Mühe; ich will mich plagen, wenn ich's nicht anders weiß, aber solang die Noth nicht auf die Nägel brennt, so will ich Monate lang lieber mit Schnaps und Kartoffeln meine Festtage halten und zufrieden sein, wenn ich mich nicht über Gebühr anzustrengen brauche. Das Rumoren und Randaliren machte mir Vergnügen um so mehr, weil viel Faullenzen dabei war, aber Zweck hab' ich eigentlich so gut wie gar keinen dabei begriffen und Ehrgeiz hab' ich elend wenig, obwohl ich im Ganzen eine redliche Haut und ein sauberes Gewissen habe. Aber Soldat, na Soldat bin ich keiner. Nicht daß ich mich fürchtete, 144 Gott sei vor! mein Leben kommt mir nicht sonderlich kostbar vor und hätt' ich bequem, so recht ohne Mühsal hinüberschlafen können – ich glaub' ich hätte mich mehr als einmal dazu verstanden, weiß Gott. Was mir fehlt, das ist die Lust am Bewegen, wenn's außer meiner Laune, die Freude im Beharren, wenn der erste Rausch verflogen, der Ehrgeiz noch einmal gesagt und vor Allem die Zucht. Hätte man mich in Jünglingsjahren aufgegriffen und mir den Schießprügel in die Hände gesteckt und mich gehalten und gedrillt nach Landesbrauch, ei ja – aber so, bin ich eine Schusterseele geworden und die sitzende Lebensart hat mich daran gewöhnt über alles zu schwatzen, was ich nicht verstehe, und dabei dick zu thun, als ob's kein Mensch in der Welt besser verstünde als ich in meiner Ungeduld und Einbildung und immer ›Hott‹ zu meinen, wo der der's Halfter in Händen hat, ›Wüst‹ meint. Daher kommt's auch, daß ich nun meine, ich hätt' einen albernen, ja einen schlechten Streich begangen, hinter Hamburg zu gehen, obwohl mich Niemand daran hinderte; und so lang ich dort war, glaubt' ich den Tag und die Stunde nicht erwarten zu können, da ich die Büchse mit dem Stecken vertauschen dürfte. Nun merk' ichs wohl, mit dem Bändletragen um den offenen Brustkasten und mit dem Liedersingen auf der Bierbank ist's nicht gethan und es müssen andere Kerle daran als ich bin, ja ganz 145 andere – – und es waren und sind auch schon andere dort, Staatskerle davor einem das Herz aufgeht, wenn man sie hantiren und dreingehn sieht und solche waren auch unter uns die Menge und der von der Tann, der uns führte, gehört auch dazu. Aber gerade, wenn so ein Kerl, vor dem man, ob man will oder nicht, sagen muß: es wär doch Jammerschade, wenn dich heut oder morgen so eine blaue Bohne auf den Bauch legte für ein und allemal! wenn so ein Kerl unser einen anschaut – da kam mir's immer vor, als müßte er sich denken: »Du Galgenstrick bist auch unter's Gewehr gekommen, du weißst nicht wie, und weil man denn doch Kanonenfutter braucht, so magst du eben mitlaufen, bis du über's Blei stolperst und liegen bleibst. Schockschwerennot das war's, was mir's Bleiben und Dienen verleidete, und nichts anders sonst; die offenbare Lumpigkeit, die mir aus allen Löchern meines Gewissens herausguckte, wie einem Bettler das schmutzige Hemd, und daß ich die überall im Spiegel sah, wo ein kernhaftes Mannsbild an einem vorübergieng, das war's und anderes nichts –«

Balthasar hielt mitten im Satz aus, er hatte zur Betheuerung seiner Worte im Feuereifer auf den Tisch geschlagen, daß die Gläser tanzten und er selbst über seinen Freimuth erschrack. Verblüfft blickte er seinen neuen Herrn an, aber die Furcht, diesen erzürnt zu 146 haben, erwies sich als eitel, denn Veit schien weder den Schlag seiner Hand, noch die Worte seines Mundes gehört zu haben. Er saß da, die linke Schulter über der Stuhllehne, die Hände gefaltet, und blickte träumerisch in den fliegenden Staub der Straße, welchen die Strahlen der Augustsonne vergoldeten, in denselben Staub, der vor kaum einer halben Stunde hinter Pyrians Kutschenrädern aufgewirbelt war.

Gerade das Verstummen Balthasar's störte ihn aus seinem Brüten auf. »Sie haben Recht,« sagte er, »das ist auch meine Meinung, wenigstens so ungefähr.« Und dann zog er die Uhr und schien sich des Ausführlicheren mit ihr zu berathen.

»So, so? das ist auch Ihre Meinung, so ungefähr Ihre Meinung?« wiederholte Balthe's mit unwillkürlicher, um so bitterer Ironie. Er war so warm geworden in diesem Augenblick, so herzensaufrichtig und Veit's fernabdenkende, geringschätzende Antwort übergoß ihn so eiskalt, daß er hätte weinen können wie ein Kind: »Wieder einer mehr der dir begegnet und dich sofort verachtet!« dachte er bei sich, »sonderbarer Weltlauf! ist keiner, auf den die lieben Mitmenschen noch so sehr drücken, er findet einen andern, den er seines Theils drückt und ohne daran zu denken, wie weh' ihm das gedrückt werden selber gethan.«

Derweilen steckte Vitus die Uhr wieder ein und 147 sagte wie vor einem Gegenstande, vor welchem man sich nicht sonderlich zu geniren braucht, in halbem Selbstgespräch: »Fährt der Magister Beißerle, fährt der Hausvater Pyrian benebst gesammter Familie über Land, warum soll ich nicht auch über Land gehen? Gesagt, gethan! Famulus Balthasar,« fuhr er lachend fort, »Ihr Patron fährt über Land, geben Sie derweil Achtung, daß die Tuberkelburg nicht gestohlen oder verschleppt wird; und, wenn derjenige Mann in Civil eintreffen sollte, welcher mir eine halbe Million schenken will, so halten Sie ihn fest, bis ich wieder komme.«

»Wollen ihn schon halten,« brummte schmunzelnd über seines Meisters gute Laune der Angeredete und that vor dem Scheidenden etliche Kratzfüße.

Als Veit hindann gegangen, wollte der Aufwärter abräumen, aber Balthes hatte flugs ersehen, daß nicht nur noch Wein in der Flasche, sondern daß auch in dem von Veit auf der Tischplatte zurückgelassenen Gelde ein paar Groschen über die Zeche bezahlt lagen.

»Fahr' ab, Du Wicht!« brüllte er den kleinen Kellner an, »siehst Du nicht, daß ich noch nicht abgespeist habe, eine Tasse Kaffee herbringen und den Fidibus! vorwärts!«

Der seitabschleichende Aufwärter dachte sich in diesem Augenblicke vielleicht ein Aehnliches über Drücken und gedrückt werden wie Balthasar sich kurz vorher gedacht. 148 Der aber hatte jetzt ganz andere Gedanken. Er blies aus einem Cigarrenstumpen lange Ringel in die schwüle Mittagsluft, hockte sich auf seinem Stuhl zurecht, zog ein in grünen Pappendeckel gebundenes Notizbuch aus der Brusttasche und schien eine unterbrochene Lectüre mit vielem Interesse an der Stelle fortzusetzen, wo er sie nothgedrungen hatte verlassen müssen. 149

 


 


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