Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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XVI.

Auf Regen folgt Sonnenschein, das weiß Jedermann und so wird sich Niemand verwundern, daß als am andern Tag die Sonne kam, sie einen wolkenlosen Himmel überglänzte.

Die Zweige troffen zwar noch und der Wald schien voll Glanzperlen zu hängen, auch die Wege und Stege hatten noch gar ein betrübtes Aussehen, aber in allen Pfützen spiegelte sich die lachende Sonne und über die zerfurchten Straßen wehte der Duft erfrischter Wiesen und Wälder.

Nur in Veits Kopfe sah es wüst und wirblich aus. Er hatte die Nacht wenig geschlafen, der betäubende Duft des frischen Heus spannte ihm die Kopfnerven in Schmerzen und, seit die Sonne durch den Wald schien, wollte der Gedanke an Fanny nicht mehr aus seinem Nachdenken.

»Werd' ich Dich wiederseh'n und wann?« sagte er zu Martha, die in den halb und halbgetrockneten 180 Kleidern zurechtgeputzt sanft lächelnd vor ihm stand und ihm die Hand reichte.

Sie schüttelte verneinend das Haupt.

»Versprich mir zweierlei!« begann sie dann zu reden. »Für's Erste, daß Du meine Spur nicht verfolgen, daß Du Dir keine Mühe geben willst, mich aufzusuchen! Nicht die Uebergewalt einer stürmenden Herzensneigung hat Dir meine Gunst gewonnen, sondern ein spöttischer Waldgeist, ein Kind des Zufalls und der Laune hat uns in eine Liebe verwickelt, die heiß und stürmisch dahinlebte, aber nicht länger leben soll als die Eine Nacht, die sie geboren. Denke nicht, daß ich in Klag' und Groll schiede; wundere Dich auch nicht, daß ich Worte rede, welche Dich nicht mädchenhaft dünken mögen. Sei's gestanden, Du bist meine erste Liebe so wenig als ich Deine letzte. Du hast mich heute Nacht die mehreren Male Fanny genannt; der Ton kam von Herzen; Du hast also einen Schatz daheim, der Fanny heißt. Geh Du Deiner Wege, mein Freund, und laß mich die meinen geh'n, ohne mich durch den bittern Nachschmack, den Du einer süßen Freude giebst, zu gemahnen, daß es vielleicht ein Unrecht war, mich Dir zu ergeben. Denk' an mich wie an einen lieben, entfernten Freund, wie ich Deiner gedenken will – und das ist die zweite Bitte, so ich an Dich richte. Folge nicht der frechen herrischen eigennützigen Lügenhaftigkeit 181 Deines Geschlechts, bei dem es Brauch ist, das schwächere Geschöpf, das man überlistet und, als es wehrlos geworden, beraubt hat, gering zu achten. Auch ich war einmal ein Mädchen, das bei jedem Gedanken an einen Mann die Augen niederschlug und eine stille einzige Liebe im Herzen barg. Aber der Gegenstand dieser Liebe kannte die Welt besser als ich und da ein Zufall ähnlich wie der gestrige meinen Willen in seine Hand legte, nahm er lachend was ich ihm weinend gab. Und als ich wiederum weinte und mich sehnte und härmte, schalt er mich ein kindisches Närrchen und erklärte mir die Vorrechte, die Lebensanschauungen seines Standes und seines Geschlechts. Ich lache lieber als ich weine, ich bin klug und gelehrig, ich bin stolz und will keine Sklavenseele in einem Sklavenleibe tragen, dem man das Zeichen der Unterwürfigkeit aufdrückt und sie dann als untergeordnetes Wesen mißhandelt oder bemitleidet. Gleiches Recht für Alle! Was Ihr als ein Vorrecht Eures Geschlechtes betrachtet, nach Neigung zu handeln, nach Gefallen zu begehren, und das Genossene zu vergessen – ich nehm' es als mein Recht, was mir so gut sich eignet als Euch tyrannischen Männern, und also ward ich, wie Ihr's nennt, ein raisonnables Frauenzimmer. Sei raisonnabel auch Du. Liebe mich ein wenig, ein ganz klein raisonnabel wenig und wenn wir uns je im Leben, ohne uns gesucht zuhaben, wieder 182 begegnen, so wollen wir uns höflich und herzlich begrüßen wie ein Paar alter guter Freunde, die sich einmal Liebes und Gutes erwiesen haben. Für heut' aber Gott befohlen und leb wohl! Leb wohl!«

Vitus drückte ihr schweigend und nicht ohne Rührung die Hand und an die Wand des Bockhäuschens gelehnt, sah er ihr nach, wie sie mit den zierlichen Füßen so rasch und doch so behutsam über die regendurchfurchte Straße dahin gieng. Das Abenteuer dieser Nacht übte noch seinen Zwang auf sein ganzes Wesen aus, aber anders als Martha ihm Worte gegeben. Ihm klang aus ihren emancipirten Redensarten das Grab und Klagegeläute alles Vertrauens in die Willenskraft des Weibes.

Dem Manne, den das Geschick frühzeitig auf die Heerstraße des Lebens wirft, ihm ist es Bedürfniß zu dem rein bewahrten, unantastbar gehaltenen Wesen des Weibes aufzusehen wie zu dem unentweihten Heiligthum der Schöpfung. Der Zwang, die Unwissenheit, der Ehrbegriff, mit dem er sie umgiebt, ist der Cultus seiner Verehrung, nicht die schnöde Vorsicht eines eigensüchtigen Sklavenhalters. Aber wie, wenn das Alles nach Marthens Worten wäre? wenn's dem lächerlichen Zufall so leicht gemacht ist, alle Wächter zu betrügen und die Tugend in Schlaf zu schmeicheln – – es war das böse Gewissen, welches solchergestalt das Bewußtsein der 183 denn doch verletzten Treue umklammerte und, obwohl es sich selbst noch keine Schuld beimaß, aus der Betrachtung seines Abenteuers Schluß auf Schluß zog und sich also ohne es zu wissen schon die Strafe bereitete.

Noch gährten die quälenden Gedanken in reflectirender Allgemeinheit durch das übernächtige Haupt, noch folgten seine Augen dem wehenden Kleidchen Marthas, das drüben am Waldessaum im Morgenwinde flatterte. Da schreckte ihn auf einmal ein schallendes Gelächter aus seinem Brüten auf, und als er sich umwandte, gewahrte er Helmtrost, der hoch zu Pferde dicht neben ihm auf der Wiese hielt.

Der Reiter drohte vor schütterndem Gelächter vom Roß zu fallen, er schlug bald mit der flachen Hand auf den Schenkel, bald stemmte er beide Fäuste in die Seiten, dann rief er: »Ach, das ist göttlich, himmlisch, unbezahlbar! ach, die liebenswürdigen Sterblichen! ach das unvergleichliche Menschengesindel!«

Dann gab er seinem Pferde die Sporen und indem er mit der kichernden Weisung: »Da hinauf müssen Sie unterwegs gehen, da hinauf, lieber Freund!« die Reitpeitsche in der entgegengesetzten Richtung ausstreckte, jagte er längs des Waldsaumes dahin, nach dem See zu, denselben Pfad, auf welchem Martha kurz vorher den Blicken entschwunden war. Durch den 184 Hufschlag seines Pferdes hörte man noch lange das schütternde Gelächter des Edelmanns.

Das peinliche Gefühl, das Jeden erfüllt, der sich urplötzlich als Gegenstand und Veranlassung eines ihm unerklärlichen Gelächters erkennt, überraschte den in seine gefährlichen Grübeleien vertieften Vitus um so heftiger, als sein Gemüth im Augenblicke so gänzlich wehrlos stand. Noch einen Blick nach dem davonlaufenden Reiter und athemlos rannte er die mäßig ansteigende Höhe hinan, welche die Wiese jenseits begränzte.

Da war abermals weites Wiesenland, dazwischen einzelne Baumgruppen und drei oder vier Heuschober, ganz wie der obenbeschriebene.

Veit wie vom Donner gerührt fuhr mit der Hand über beide Augen. Dort vor dem Thürlein des nächsten Blockhauses stand Fanny Pyrian und neben ihr die Nase in den Wind haltend Ohm Stoffel. Die beiden schienen soeben aus ihrem Nachtquartier gestiegen zu sein und sich nunmehr in Unschlüssigkeit zu berathen. Die Strahlen der Morgensonne beleuchteten die Gruppe mit greller Klarheit und flatternd im wechselnden Frühwind züngelte, ein Bild der fragenden Unentschiedenheit, das Band an Fanny's breitkrämpigem Sommerhut bald rechts bald links.

In diesem Augenblicke hätte ein Engel vom Himmel steigen und sichtbar seine Hand auf Fanny's schöne 185 Stirne legen dürfen zum Schwure, daß sie rein sei wie das Sonnenlicht, Veit hätte doch nur dem Dämon der schadenfrohen Selbstvergeltung Gehör und Gesicht geliehen, der jetzo mit teuflischer Schnelle an die Wand seines Gewissens ein farbenblendendes Bild hinzauberte: Fanny und des Ohms Gesichter, sonst Scene für Scene dem Abenteuer gleich, wie es sich Nächtens in der unteren Hütte zwischen Veit und Marthe begeben.

Alle guten Gedanken drehten sich in dem rasenden Gehirn um, eine Riesenfaust schien ihm Herz und Kehle zu zerdrücken; Veit wußte nicht mehr, was er that und sagte, er sah nur, wie Fanny, kaum daß sie seiner ansichtig geworden war, ohne sich vor dem gaffenden Ohm zu scheuen, gerade auf ihn zutrat.

»Grüß Gott viel tausendmal, lieber Herr Veit!« sprach sie, indem sie ihm die Hand entgegenbot, »wurden Sie auch vom Regen über Land verhalten? Sehen Sie nur einmal diesen Palast an, in dem wir die lange schaurige Nacht verbracht haben. Der Vater allerdings, der hat sich nicht abhalten lassen, im entsetzlichsten Regen den Bahnhof zu suchen, weil er heute früh mit der Deputation zum Könige fahren muß. Aber wir andern haben selb viert in diesem Heuschober gesessen. Sind Ihnen meine kleinen Brüder nicht begegnet? die bösen Buben haben vor Sonnenaufgang schon in den Wald laufen müssen, nun stehen wir da und passen 186 und können nicht an den Heimweg denken, ehe die beiden zurück sind, und ich sehne mich so sehr nach Hause. Meine Kleider sind noch halb durchnäßt und ich stehe auf feuchten Sohlen.

»Aber was haben Sie denn? Veit, Sie sehen so böse aus, Sie hören mich nicht und nicht einmal die Hand haben Sie mir zum Gruße geboten! Lassen Sie mir entgelten, daß mein Vater Sie so hart angeredet?«

Veit zerbrach etliche unverständliche Worte zwischen seinen Zähnen und Fanny nahm abermals das Gespräch auf, ganz nahe an ihn sich wendend, lispelte sie ihm so leise, daß es der verdutzte Ohm nicht hören konnte:

»Ich bitte Dich Veit bleib' ein Weilchen bei mir, der Ohm wird uns nicht verrathen, dafür sorg' ich schon.«

»Sie müssen sich den gekränkten Biedermann durch große Liebesdienste verbunden haben,« entgegnete Veit mit bitterem Hohne.

Fanny, die seine Meinung nicht verstand, versetzte: »Bewahre Gott, aber weiß Gott auch, wann ich Dich wiedersehen kann so ungestört wie jetzt. Und dann noch einen Grund. Vorhin kam Helmtrost von der Schneppe des Weges dahergeritten, gerade wie wir aus dem Heuschober kletterten. Er lachte so höhnisch, der abscheuliche Wicht, da er mich mit Ohm Stoffel alleine sah. Ein schlechter Mensch, der ein Gewissen hat wie der 187 da, muß sicherlich von allen Leuten gern das Schlimmste halten. Wer weiß was er sich Arges dachte, als er vorüber war!«

Veit, außer sich vor Wuth und Eifersucht, sagte nun mit herber Hast: »der Graf wird sich gedacht haben was jeder vernünftige Mensch denken muß, der Sie jetzt sieht, was ich selbst mir denke, der ich Sie da vor mir sehe und erkenne, welch ein blinder armseliger Mensch ich gewesen bin. O es ist zu abscheulich! zu schändlich!«

»Sie sind von Sinnen, um Gottes und aller Heiligen Willen, Veit was reden Sie da!« schrie Fanny mit dem Ton des Entsetzens und prallte einen Schritt zurück, als wäre sie unversehens von einer Schlange gebissen worden.

»Ja« sagte Veit, »ich war von Sinnen, da ich an Tugend und Treue glaubte, ich war von Sinnen, da ich einen Schwur auf jeden Ihrer Gedanken gethan, ich war von Sinnen, da ich Sie geliebt – oh und wie sehr hab' ich Sie geliebt!«

»Veit!« war Alles was Fanny unter der Gewalt des Entsetzens, der jähen Entrüstung hervorstoßen konnte; sie schlug die Hände zusammen und sah ihm mit weitgeöffneten Augen in's zuckende Antlitz.

»Gehen Sie, gehen Sie«, sagte der Thörichte, »und 188 überlassen Sie ein Herz das Sie verachten muß, seinem endlosen Schmerze!«

Fanny's Angesicht glich einer Maske von weißem Marmor. Sie wandte sich mit dem Gefühle physischen Schauders von dem Mann ab und die linke Hand in Ohm Stoffels dargebotenen Arm legend, sagte sie tonlos zu dem Staunenden: »ich bitte, führen Sie mich weg, wir können hier nicht länger bleiben.« Der Ohm gehorchte; stolz schritt sie von dannen, ohne eine Miene zu verziehen.

Veit aber stürzte wie rasend in das Blockhäuschen, er zerwühlte das Heu, dann warf er sich der Länge nach nieder und weinte, das Angesicht mit den Händen deckend, die bittersten Thränen seines ganzen Lebens. 189

 


 


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