Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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XIII.

Wer den Zwiespalt bannen könnte aus der Menschennatur, die Doppelseele, die in jedem Wesen arbeitet, vereinfachen, und den streitenden irrenden Willen, der nur zu oft gegen sich selbst und seine eigenen Gedanken kämpft, sänftigen und läutern könnte zu jener durchsichtigen Klarheit, die da weiß, woher sie kommt und wohin sie geht, wer uns zu jenen still und gelassen dahinwallenden Gestalten von Weisheit, Zufriedenheit und Friedfertigkeit machte, – wer weiß, ob er uns besser machte, als wir sind, ob er uns nicht entmenschte!

Wir schaudern vor dem Streit, aber wir lieben ihn wie das Leben selber und die Menschheit würde im Ganzen bald verkommen sein, wenn sie sich nicht im Einzelnen vernichten könnte. Das erste Denken, was wir empfinden, ist ein Streit, die Regung des Anderen in uns, der endlich einmal im Gehirn des Kindes »Nein« sagt, nachdem es so lange gedankenlos und ungestört »Ja« gesagt, oder blos geweint hat, da es noch nicht verneinen konnte. Wollen und Entschließen gilt uns die hohe Kunst des Lebens, wer immer weiß 108 was er will, wer leicht und rasch und sicher sich entschließt, der däucht uns – wenn wir ihn nicht für leichtfertig oder eitel halten müssen – klug und weise und glücklich. Ein Mann der nach einem Plane lebt, wie etwa ein anderer Schach spielt, erscheint uns als eine Krone des Geschlechts. Ja, wir lieben die Gattung in uns so sehr, daß wir alle den meisten Leuten, mit welchen wir verkehren, mehr Plane, mehr Ueberlegung und Absicht, mehr Vorsätze und Hindergedanken zuschreiben, als sie zu fassen fähig oder gewillt sind. Wir machen uns dadurch die Menschen nicht selten unbequemer, verhaßter, schlechter, aber immer interessanter. Darin steckt die liebe Eitelkeit. Wir wollen nicht zugeben, daß diejenigen, welche uns die Gattung repräsentiren, mit so wenig Gedanken auskommen, die meist nicht einmal ihre eigenen sind, und – sich dabei sehr behaglich befinden. Die Gedankenlosigkeit, die Gedankenarmuth der lieben Nachbarn hat für den Nachbarn etwas so empörendes, daß er jedem, auch dem dümmsten, Plan und Absicht in den Kopf dichtet – aus Eigenliebe. Und doch muß mancher sich gestehen: gerade das Beste was wir gethan ist manchmal gerade das gewesen, was wir vollbracht, ohne davon zu wissen, wie gut es sei. Gerade diejenigen Naturen, welche sicher und leicht vor den anderen einhergiengen, diejenigen, so alle Welt um ihres Gleichmuths, ihrer 109 Reinheit, ihrer Tugend willen pries, sie hatten wenig oder nichts von der Bewußtheit und Absichtlichkeit jener Schachspieler. Sie trugen wohl den klaren Spiegel in der Seele, aber nicht um sich und ihren Willen darin zu betrachten; es war ein glücklicher Instinct, der sie lockte und zurückhielt; das Häßliche, das Schlimme war ihnen widerwärtig, natürlicher Weise abstoßend, wie gewisse reinliche Menschen vor aller schmutzigen Wirthschaft naturnothwendigen Eckel empfinden, und wenn sie handelten, so dachten sie nicht daran, wie sie es machten und warum, sondern sie griffen lächelnd in den Loostopf und sie hatten die glückliche Hand, in die der Treffer glitt, wie das Eisen nach dem Magnet. Wir Enkel der Titanen schätzen doch immer die That sowie den Entschluß, der sie geboren, nach dem Erfolg. Aber der aristokratische Stolz der Promethiden bäumt sich dagegen, daß das Gute, das Große geworden sei, wie ein launiges reines Glück, er muß ihm den Kampf der Ueberlegung, den Sieg des Entschlusses mit allen Geburtswehen der Weisheit vorhergegangen dichten.

Und er hat Recht, jene Menschen mit der glücklichen Hand und dem Kinderauge sind selten, das Gute ist meist schwer und spröde und will errungen sein mit Mühen. Darum schätzen wir den Entschluß der Ueberlegung mit heiligem Stolz als ein Vorrecht unserer 110 Gattung. – Aber, aber wie oft ist auch bei dem Gerechtesten der Entschluß ein tolles Kind des blinden Wahnes, das er der durch Zweifel und Gram und Freude berauschten Mutter Ueberlegung im Zwielicht gezeugt, da sie die Kraft nicht kannte, der sie zu Willen war.

»Sie hätte sich nicht berauschen sollen!« sagst du, bramarbasirender Moralist, und brichst dein übertünchtes Stäbchen und denkst nicht daran, daß dir der Mensch ein Räthsel geblieben ist wie du selbst, und daß du das Haar zerrissen hast, an dem des Damokles Schwert gehangen. –

Veit hatte ein fröhliches rüstiges Herz, das sich unter der Last, die ein böser Tag darauf warf, nicht leicht gekrümmt hätte. Ein gutes Theil Trotz, ein gutes Theil Leichtsinn, wie sie seiner harten Natur durch den Wechsel früherer Schicksale eigen geworden, ein fester Glauben an sich selbst, der nicht so rasch zu überrumpeln war, wollten ihm keine schmerzliche Klage gestatten. Aber ohne daß er es merken konnte, stahl sich bei Betrachtung seiner Verhältnisse, wenn auch tropfenweise, doch so viel Bitterkeit auf den Grund seines Herzens, daß die galligen Dünste bei nächstem Anlaß aufsteigen und sein Haupt betrüben konnten.

Er war von Pyrians Zimmern über Treppen und Leitern in sein Dachstübchen gekommen, er wußte selbst nicht recht wie und saß wieder in der Fensterlucke und sah hinaus, wie die Regenwolken immer schneller und 111 dichter und dunkler gejagt kamen; hier stahl sich noch ein Sonnenstrahl durch, ein breiter, funkelnder, blendender; aber da hinten war der Horizont schon wie mit einer graublauen Wand verschlagen und man sah's, es mußte schon heftig regnen da drüben im Lande.

»Was der Teufel doch immer seine Klaue im Spiel haben muß,« sagte Veit, »es ist doch gerade als ob es geschrieben stünde, daß ich mit der Gelehrsamkeit nicht einmal über die ersten Weihen kommen soll. Und immer wegen nichts und wieder nichts; es ist doch gar zu toll!«

Er schritt so gut es gehn wollte zwischen den schrägen Wänden der Bodenkammer hin und her, nahm zuweilen das eine oder andere Buch, das ihm zunächst lag und warf es gröblich in einen Winkel.

Dann fieng er wieder an laut zu lachen bei dem Gedanken, daß all die Plackerei und das Unterducken umsonst gewesen. »Noch ein Jahr auf den Bänken unter den halbgewachsenen Jünglingen herumkugeln und das zehnmal abgewalkte zum zwölftenmal durchwalken! Und wenn nur Du es nicht wärst, der den Ausschlag dazu gegeben, alter Narr Pyrian und nun gar aus diesen Gründen!

»Ich könnte rasch außer Landes gehen, vielleicht daß ich in einem der Nachbarstaaten zu einem Privatexamen zugelassen würde, ehe das Semester beginnt. Ich glaub' 112 es kaum, aber wenn auch, mein baar Geld ist am Ende. Beißerle streckte mir vielleicht vor, wahrscheinlich ist's nicht, aber möglich, wenn ich ihm für's Dreifache aushülfsweise an Stunden abnehme. Allein Beißerle hat einen Zettel auf seinem Tisch hinterlegt, daß er auf vier bis fünf Tage über Land gefahren. Beißerle über Land! Es muß ein guter Handel sein, daß er sich solcherlei Allotrien gestattet, der alte Geizhals; wahrscheinlich hat er einem Müller oder Pächter ein Bündel Actien anzuhängen! Oder legt er sich nunmehr auch auf's Güterzertrümmern? wer weiß! Vielleicht hat sich der Alte aus dem Staube gemacht, weil er ein solches Ansinnen von mir erwartete und er ist mir näher als ich denke. Sicher ist, daß vor fünf Tagen nichts von ihm zu sehen, vor zwölfen kein Kreuzer Geld von ihm zu erlangen ist und gesetzt, daß er wirklich mir was vorschießt, soll ich auch wirklich jetzt aus der Stadt gehen auf zwei drei Monate? Wer weiß was bis dahin alles geschehen sein kann? Hätt' ich's nicht mit diesen meinen Ohren gehört, mit diesen meinen Augen gesehen, daß sie schmunzeln, kichern, lachen kann, wenn der ungehobelte Kerl sie mit seinen lüsternen Händen um die Hüften faßt – ich glaubte es nimmerdar. Wenn nicht das Grausen der Angst die Unschuld vor der ewigen Vernichtung schaudernd zurückzieht, wer kann sie vor der Gelegenheit hüten! Weibliche Tugend, sagen die Leute. Mag sein, ein 113 Matrose lernt die Welt nur immer so am Rande kennen, wo sie sich vielleicht nicht zum besten produzirt, aber was ich vom anderen Geschlecht im wüsten Leben gesehen, das sah nicht aus wie Tugend und war's auch nicht und wenn ja doch einmal, so war's ein Kind, das nichts wußte von der Welt und mit den Kieselsteinchen zufrieden war, die's in den Bach warf, oder es war ein Fräulein, das rechts und links eine Gouvernante laufen hatte mit Regenschirm und Brille. Als ich dich ersah, Fanny, da fieng ich an zu glauben, an alle möglichen Dinge zu glauben fieng ich an, und an die Tugend auch. Aber Tod und Teufel, was kannst du lachen, wenn sich so unsaubere Lippen nach deinem Munde drängen, was kicherst du, wenn Ohm Stoffel dich sein Bräutchen, sein kleines Weib schilt und trunken vom Anschauen deiner Gestalt die Hände nach dir ausstreckt!

Seit ich das habe sehen müssen, kommt mir die Geschichte von dem faulen Apfel nicht mehr aus dem Sinn, den man zu den gesunden reifen in eine Schachtel that, auf daß dieselben jenem seine Fäulniß benehmen möchten. – Den faulen Apfel seh' ich in einem fort, er tanzt vor meinen Augen da drinnen im Zimmer über die Bücher weg, er fliegt dort draußen kreiselnd dahin wie ein immerwährender Steinwurf, bald seh' ich den faulen Fleck oben, bald unten, bald überall; bald sieht 114 der Apfel aus wie eine kleine Weltkugel, bald wie eine Sparbüchse, sie trägt Ohm Stoffels wollüstig grinsendes Angesicht und dazu lacht und kichert es von allen Seiten. Fanny, Fanny, das ist zum rasend werden.«

Veit stand vom Fenster auf, er ermannte sich, verlachte seinen Kleinmuth und gieng aus dem Hause.

Veit schlenderte durch die Straßen dahin und daher, er hatte ja nichts zu thun und war sein eigener Herr geworden, der thun und lassen konnte, was er wollte. Die Zukunft war ihm mit Schleiern verhüllt, die er heute nicht heben zu können vermochte. Aber er dachte wenig an die Zukunft, auch nicht viel an Studium und Relegation, sondern immer und immer wieder an Fanny, und daß er nicht wußte, wie er zu ihr kommen sollte.

Lieber Leser, liebe Leserin, klagt mir diesen Mann nicht an wegen seiner Gedankenarmuth. Der Mensch ist am verträglichsten mit Einem Gedanken, dem er die andern nachsetzen und unterordnen kann. Was gilt's, geneigter Leser, auch Du bist manchen lieben Tag über Straßen gegangen und, was auch drum und dran aufstieg, eigentlich dachtest Du doch nur, »ob er den Schimmel kaufen wird?« und »was werd' ich mir für den Schimmel kaufen?« oder Du dachtest: »ob meine Oper heut' Abend gefallen wird und wie oft sie den Componisten vor die Lampen rufen werden?« oder »ob die zweite Instanz meine Gründe plausibel finden wird?« oder Du 115 dachtest »ob sie wohl morgen, übermorgen, nach drei, vier Tagen mir schreiben wird?« Und Du, schöne Leserin, bist Du nicht meilenweit über Land auf des Nachbars Gut gefahren einzig mit dem Gedanken beschäftigt: »ob er wohl finden wird, daß mir das blaßgrüne Kleid gut zu Gesicht steht?« Oder Du hast in einen ganzen Strumpf von der ersten bis zur letzten Masche nur den einen Gedanken gestrickt »warum sagt Papa, daß er ein leichtfertiger toller Mensch ist?« oder »wem zu liebe mag er sich wohl den Schnurrbart abrasirt haben?«

Seht, Ihr seid alle geistreiche Leute und wißt, man sagt nicht alles was man denkt und manches was nicht wahr ist, aber wahr ist, daß der König der Schöpfung mit seinen Gedanken manchmal genügsamer ist als er gestehen möchte, wenn man ihn fragen dürfte.

Also keinen Stein auf das Haupt meines Helden, welcher in einer rußigen Vorstadtschenke saß und sich einbildete, lustig, gelassen und guter Dinge zu sein und doch immer und überall, auf Gläsern und Tellern und Kannen den faulen Apfel tanzen sah, der Ohm Stoffel's grinsende Züge trug.

Als er heim gieng, rollte der Apfel vor ihm her durch die stillen Straßen, und seine Fäulniß schien ihm wie ein tanzendes Irrlicht auf dem Wege zu leuchten. Und als er nach langem Grübeln endlich einschlief, war's ihm als fände er sich wieder in die 116 Kellerholzlege gesperrt und Beißerle stünde vor ihm in einem langen Hemde und schriee: »Wollen Sie noch nicht einsehen, daß Liebe und Freiheit und Nationalbewußtsein eitel Dummheiten sind und daß ein anständiger Mensch sich um nichts kümmern darf als um Metalliques, Nordbahnactien und classische Philologie?« Dabei warf er wieder nach ihm, aber er warf nur mit faulen Aepfeln und alle, die da geflogen kamen, trugen Ohm Stoffels friedfertig grinsende Züge. –

Am andern Morgen – es war der sechste August und die Truppen sollten dem Reichsverweser schwören, weßhalb große Parade angeordnet war – gieng Meister Pyrian in der Stube, die er sein »Arbeitszimmer« zu nennen beliebte, bedächtig auf und ab. Die Luft zwischen diesen vier Wänden hatte einen penetranten, niemehr zu vertreibenden Tabaksgeruch angenommen, der von Pyrians Arbeitskraft Zeugniß ablegte. Sonst befand sich in diesem Zimmer außer einem kleinen Geldschrank von Eisen, einem Tisch mit etlichen Eintragbüchern und Courszetteln, dem Kasten, in welchem Pyrian seine Uniformen und Waffen aufbewahrte, und einem kleinen Sopha schlechterdings nichts, worauf man hätte arbeiten können.

Pyrian gieng bereits seit Dreiviertelstunden langsam auf und nieder, setzte sich zuweilen vor seinen Tisch um den ordonanzmäßig geschorenen Kopf in seine 117 Hände zu nehmen und sah bei alledem von Zeit zu Zeit auf ein Blättchen Papier, welches er zuweilen mit einem sehr entschiedenen Strich seines Bleistiftes belästigte.

Es war klar, er hatte wieder was auswendig zu lernen, der würdige Mann, der sich weder in Worten noch Thaten vergeben wollte.

Endlich schien er mit seiner Gedächtnißkraft zufrieden. Er gieng zu dem Schrank, zog sich den Waffenrock an, legte zwei Landkarten malerisch unordentlich über den Tisch, und darauf Säbel und Bärenmütze und Handschuhe in eine würdevolle Gruppe zurecht, warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und riß dann dreimal an der dunkelrothen Glockenquaste, die neben der Thüre hieng.

Dreimal hintereinander geschellt hieß in der Ceremoniensprache der Tuberkelburg: Fanny soll zum Vater kommen.

Es währte auch nicht lange und das blonde Kind, die Augen von verstohlenem Weinen geröthet, erschien vor dem kriegerisch gerüsteten Erzeuger, welcher die rechte Hand zwischen Rock und Weste gesteckt, die linke neben das so eben arangirte militärische Stillleben auf den Tisch gestützt, in einer imposanten Stellung die Eintretende reglos, als sollte er für eine Feldherrn- oder Ahnengallerie gemalt werden, erwartete und dann 118 nach dem präludirenden Räuspern eines Redners und dem bekannten Hauptschütteln also begann.

»Mein liebes Kind!

»Die Gnade des allmächtigen Gottes und die Huld unseres weisen Monarchen haben Deinen Vater mit seltenen Ehren gesegnet und auch die auf gleicher Stufe mit mir geborenen, meine Mitbürger, mich stets als ihren Führer und ihr Vorbild geschätzt und hoch gehalten. Mit Stolz darf ich sagen, meine Kinder dürfen auf ihren Vater stolz sein.

»Auf's neue, dreifach ehrenvoll in so bedrängter Zeit, ist ein Ruf meiner Mitbürger ergangen, der mich mit anderen Ehrenmännern an ihre Spitze beruft, um die Stufen des abwesenden Herrscherthrones zu suchen.

»Der sündhafte Schwindel dieses tollen Jahrs, der unsere fromme Bürgerschaft bisher weniger denn die Einwohner anderer Städte belästigt hat, will, nun er sich bereits mehr und mehr von allen Seiten bedrängt sieht, unserer gottesfürchtigen, königstreuen Gemeinde ein Angebinde zurücklassen, das Zwietracht und Unheil unter unseren Völkern aussäen, und Gewissenlosigkeit und Bürgerkrieg an allen Enden des Weichbilds entzünden müßte.«

Pyrian räusperte sich nach dieser schönen Periode, und während er eine andere nicht minder imposante Stellung einnahm, betrachtete er zufrieden den Eindruck, 119 welchen seine oratorische Fülle auf das Kind hervorgebracht haben mochte. Fanny schlug bald ihre Augen zu Boden, bald betrachtete sie mit angstgequälten Blicken den Vater. Sie hatte weder von dem Schwindel, der sich bedrängt sieht, noch von den entzündeten Enden des Weichbilds etwas gehört, derartige Scenen waren ja nichts Außergewöhnliches, doch ihr schwante, daß hinter all dem blühenden Unsinn ein neues Unheil auf ihr bedrängtes Herz lauerte. Aber Pyrian hatte schon längst fortgefahren.

»Eine Bande, eine Rotte herzloser Bösewichter hat sich unterstanden, an einflußreicher Stelle dahin zu arbeiten, daß das Gewerbswesen unserer in Zufriedenheit erhabenen Stadt in Trümmer geworfen, untergraben, ja an allen Enden durchlöchert werde, damit Spitzbuben, hergelaufene Ausländer, Communisten und Atheisten sich in dem ehrwürdigen Bau eine behagliche Stätte suchen möchten, welchen ihre Arglist über den Häuptern der rechtmäßig und seit Väterzeiten Besitzenden in Vernichtung gestürzt hat. Gerade die heilsame Einschränkung unserer Gewerbsbefugnisse, die stillvergnügte Abgeschiedenheit von den schändlichen Neuerungen der großen Welt, die heilige Scheu vor jeder das ehrwürdige gute Alte antastenden Reform hat unseren Bürgerstand so erhalten, wie er ist. Wohin soll es mit der Furcht Gottes, mit der Treue des Unterthanen, mit dem Wohlstand 120 unserer Nation kommen, wenn das herzlose, alles Ehrgefühls ermangelnde Durcheinander eingeführt wird? wenn der Salzstößler auch Fleckelschuhe, der Käskäufler auch Rettiche, der Knopfmacher auch gedrechselte Knöpfe verkaufen darf u. s. w.? Niemals soll es dahin kommen und noch vielweniger werden wir es dulden, daß der ehrsame Segen ritterlich ererbter oder theuer erkaufter Gewerbe durch frei gegebene Arbeit, losgelassene Concurrenz, daß der segensreiche Erwerb so vieler besitzenden Familien durch die gierig rührigen Hände von Tausend und Tausend Hungerleidern, welche Noth und Ehrgeiz Tag und Nacht nicht ruhen läßt, untergraben werde. Wer wird noch an göttliche Ordnung, wer an die göttliche Vorsehung, wer an die durch Gottes Vorsehung angeordnete Einsetzung eines Meisters glauben, wenn jeder Gesell Meister werden kann, sobald er nur geradezu so viel oder noch ein Bißchen mehr gelernt hat, der Undankbare, als jener sein Brodherr.

»Nein, wir wollen nicht, daß unsere Väter sich im Grab umkehren und unsere Weiber mit den Weibern unserer Gesellen auf einer Bank sitzen dürfen. Daher hat man eine Deputation erwählt, welche mit flehenden Worten die allerhöchsten Kniee des entfernten Thrones umklammern und dem Herrscher in der Sommerfrische die Gefährlichkeit der Eindringlinge und den entschiedenen 121 Willen seiner in Wehmuth ersterbenden Bürger an's Herz legen solle.

»Wie ein großer Feldherr« – hier räusperte sich Pyrian sehr anhaltend und begann mit langsamen feinschmeckendem Wiederholen dieser Worte von Neuem – »wie ein großer Feldherr und Kriegesheld werd' ich dies Häuflein der Vertrauensmänner aus der Stadt in das Gebirge führen, den Zugang zu dem Herzen des Landesfürsten erobern und unsere Zufriedenheit im Siegestriumph in diese Stadt zurückführen.

»Aber dürft' ich dem eigenen Hause sorglos den Rücken wenden, wenn ich meine Lieben ohne männlichen Schirm und Schutz wüßte in dieser wüthenden Zeit. Du bist kein kleines Kind mehr, Fanny. Die Stunde hat geschlagen und Dein Glück ist gemacht.

»Nicht einen gleichgültigen Freund, einen unbedachten Verwandten laß ich zu Deiner und meines Hauses Obhut zurück, nein, einen Mann, der fortan alle Deine Rechte und Deine Person als die seinigen zu vertheidigen haben wird. Der Oheim Christoph, ein Mann wie es wenige giebt, hat um Deine Hand angehalten und ich, freue Dich und danke mir, mein gutes Mädchen, Dein zärtlicher Vater hat nicht gezaudert, sie dem würdigen Bittsteller anzugeloben, fest und feierlich und stolz, wie es meiner würdig ist!«

Pyrian hatte seine imposante Stellung verlassen 122 und war mit ausgestreckten Armen auf sein Kind zugegangen, um die gehoffte Wirkung seiner Rede und seines Antrags in väterlicher Rührung über sich ergehen zu lassen, aber Fanny war zurückgeprallt, als wäre sie auf eine Schlange getreten und rief nun mit abwehrenden Händen:

»Ich will, ich mag, ich kann den Ohm Stoffel nicht heirathen, nie und niemals, lieber gleich sterben!«

»Mach' nur keine Faxen!« entgegnete Pyrian, dessen Concept zu Ende war, und ein heftiger Streit entspann sich in kurzen aber entschiedenen Sätzen, von der einen Seite mit allem Aufwand von Gott überkommener Autorität, von der andern mit aller Inbrunst einer zu Tode geängstigten Mädchenseele geführt.

»Mädel,« rief endlich der Alte in höchstem Zorn, »bedenke Dir, was ich jetzt sage: Onkel Stoffel hat mein Wort, mein Soldatenwort, mein gut bürgerlich Wort, mit allem Ernst, mit aller Würde hab' ich's ihm feierlich gegeben, Du darfst, Du wirst mich nicht zum Lügner machen. Vermöchtest Du das, wärst Du so ganz und gar aller Kindespflicht ledig und alles Ehrgefühls, so schwör' ich Dir, so wahr ich einen harten Soldatenkopf auf den Schultern sitzen habe, Du sollst niemals eine andere Aussteuer von mir erhalten als meinen Fluch – und verlaß Dich drauf, dann stirbst Du im Elend als alte Jungfer!«

123 Fanny schlug die Hände vor's Gesicht und schluchzte bitterlich. Der Alte aber fuhr fort, indem er den rohen Ton der Wuth milderte: »Ich weiß gar nicht, was die Prinzessin da hat? Glaubt sie, daß ich einer von den Rabenvätern bin, die ihre Töchter an alte, gebrechliche, boshafte Kerle verkuppeln oder die sie fürwitziger Weise an einen Leichtfuß ablassen, der erst ihr Heirathgut verzettelt und hernach ihnen nichts zu brechen und zu beißen geben kann? Ohm Stoffel ist ein schöner, gutherziger, wohlhabender Mann, ja was mehr noch ist, ein gedienter Mann, ein Mann, der zwei Orden hat, ein ganzer Kerl sag ich Dir, Du dumms einfältiges Dingelchen; um den Dich mehr als Eine beneiden wird.«

»Und wenn er der beste und erste Mensch auf der weiten Gotteswelt wäre,« entgegnete Fanny, indem sie den Ernst des Augenblicks fühlend mit brennenden Augen zu ihrem Vater aufsah, »und wenn sich alle Mädchen um ihn rissen, ich kann und will und werd' ihn nicht zum Manne nehmen, denn ich kann ihn nicht lieb haben und habe – meine Lieb' und meine Treue und meine Hand dazu schon einem Andern versprochen.«

Es war kein leichtes Geständniß, was sich hier von Fanny's todtbleichen Lippen rang. Kaum hörbar und doch so verständlich, so fest hatte sie die letzten Worte gesprochen und kauerte sich nun ängstlich und 124 eines furchtbaren Ausbruchs gewärtig in dem Winkel zwischen Thür und Sopha auf die Kniee nieder.

Pyrian, der alle Diplomatenherzen und Königsnieren des Jahrhunderts zu durchschauen vermeinte und das Gras auf sämmtlichen Festungswällen Europas wachsen hörte, stand wie vom Donner gerührt, da das Herz, die Seele, welche der seinigen am nächsten wohnte, ein Geheimniß zu enthüllen begann, welches unter seinen Augen sich geschürzt und gefestigt, ohne daß auch nur eine Ahnung von Argwohn in ihm rege geworden wäre. Indessen berückte ihn seine Eitelkeit noch im letzten Augenblick. In der festen Meinung, nun werde er den hochtrabenden Namen eines der Grafen und Barone, welche im verwichenen Carneval um sein schönes Kind so eifrig und galant gestrichen waren, zu vernehmen kriegen, fragte er mit verdoppelter Spannung nach der Person des heimtückischen Verbrechers.

Fanny antwortete leise aber fest: »dem ich mein Wort gegeben und halten werde, das ist meiner Brüder Lehrer, der Veit.«

»Was? wer? der Bauernbub, der Gänsehirt, den ein mitleidiger Pfarrer vom Weg aufgelesen hat, der Demokrat, der davongejagte Schuljunge! dem hast Du Dein Wort gegeben hinter Deines Vaters Rücken und das willst Du halten, Du ehrvergessene Dirne!« schrie 125 Pyrian außer sich vor Wuth und packte das zitternde Kind bei den Schultern.

»Heraus da aus dem Winkel, Sünderin!« schrie er und gab dem Mädchen einen Ruck mit aller Kraft, daß sie im taumelnden Fall mit Knie und Schulter und Haupt an den Kanten des langen Kastens aufprallte und laut aufschrie vor Schmerzen.

Wüthend, wie sie ihn nie gesehen, war der Alte schon wieder auf sie eingestürzt. »Willst Du von dem Burschen lassen!« brüllte er und faßte nach ihr mit den zornigen Händen.

Aber mit der Schnelligkeit der Angst raffte sich das empörte Blut unter seinen Griffen hinweg. Sie sah dem Alten nie so ähnlich wie in dieser Minute; mit einem schmerzglühenden Blicke, der sie mündig sprach, sprang sie unter die Thüre und rannte davon.

Der Vater rannte wüthend hinter ihr drein. Es war ziemlich dunkel auf dem Gang, aber er kannte jeden Stein. Zur Thüre sei sie hinaus und über die Stiege, meinte er. »Warte, ich will Dich kirre machen, Du mißrathen Kind, wo bist Du? gleich will ich Dich haben und anbinden, Du verliebtes Ding Du, und windelweich schlagen, bis Du mürbe wirst wie glühendes Eisen zwischen Ambos, Hammer und Zange! Ich will Dich –«

Damit stieß er die Thüre seiner Wohnung auf und 126 rannte auf die Treppe, aber da warf es ihn zurück, als ob ihn der Blitz getroffen hätte.

Auf dem Stiegenflur standen vier schwarzgekleidete Männer mit einer Tragbahre, deren alte fadenscheinige Vorhänge die Zugluft auf und abhob. Die schwarzen Männer schienen eben im Begriffe zu sein, an Pyrian's Schelle zu ziehen, und als sie nun seiner unter der Thüre gewahr wurden, griff der ihm Zunächststehende langsam nach der schmierigen Krempe und öffnete mit höflich stupidem Grinsen sein zahnlückiges Maul, in dem keine Sprache zu wohnen schien.

»Was wollen Sie hier, wen suchen Sie hier? Da ist kein Todter zu holen! was gibt's denn?« hastete der überraschte Pyrian hervor und der Athem wollte ihm versagen.

Der Todtenknecht riß sein Maul noch weiter auf und indem er mit der Tragstange, welche er in Händen hielt, gestikulirte, stotterte er: »E-Entschuldigen Sie mein H–rr, wir wollen niehie-hiemanden holen, wir bringen ihnen einen ha-heim, hi-hi-hi mit Respekt zu vermelden. Der alte H–rr da drinnen –« damit stieß er mit dem Fuße den Deckel zurück, der noch nicht festgenagelt war. Pyrian sah Beißerle's Leichenangesicht auf dem Sägespänekissen liegen. – »Der da hat in ihrem Ha-ause gewohnt; aber dort oben will niemand öffnen und wir haben keine, nein kei- keine Zeit 127 zu verlieren, und der Todtenwagen, der den a-a-alten H–herrn da abfahren soll, kann vor zwei-i-i-Stunden nicht da sein. A-also –«

Der Träger fieng an zu niesen, die drei andern nickten mit den alten Hüten grüßend ein »Helf Dir Gott!« Die Zugluft im Stiegenhause spielte mit dem grauen Stirnhaar des Todten, und Pyrian, der die Augen nicht von dem Leichnam hatte wenden können, ward trotz aller martialischen Eigenschaften ganz abscheulich zu Muth; er rief seinem Schwager und gieng hastigen Schrittes auf sein Zimmer.

Ohm Stoffel stand alsbald in blühend weißen Hemdärmeln unter den vier schmutzigen Schwarzröcken. »Aha, da ist er ja, der alte Herr,« sagte er gemüthlich, indem er den Deckel wieder auf den Sarg stülpte. »Nun wollen wir ihm auch ein stilles Plätzchen anweisen, liebe Leut', damit er beruhigt auf seine letzte Spazierfahrt warten kann.«

Er führte die Träger über den Hof und hieß sie den Sarg in eines der nächsten Kellergewölbe stellen, welche früher als Holzlegen gedient hatten. Dann gab er den Kerlen ein Trinkgeld und schickte sie fort.

Ohm Stoffel sah sich in dem kleinen Gewölbe um. Dort hinten im Winkel lag ein altes Stücklein Holz, das man beim Räumen vergessen hatte. Sonst war 128 nichts im ganzen Raume zu finden, als höchstens der Salpeter, der an den feuchten Wänden hieng.

Es war so behaglich kühl hier unten trotz der glühenden Hitze des Augusttages und Ohm Stoffel sagte zu sich selbst:

»Ich werde hier meine Cigarre rauchen, hier schwitzt man doch nicht so entsetzlich. Ich will mir aber den Alten noch einmal betrachten.«

Indem er eine dicke Rauchwolke von sich blies, hob er den Deckel nochmals vom Sarge.

»Sonderbare Physiognomie!« sagte er und machte behutsam wieder zu, setzte sich, da denn doch nichts anderes hier unten zu finden war, bequemlichst auf dem Sarge zurecht und rauchte weiter.

»Vor dem Gestohlenwerden bist Du hier nicht einmal sicher,« fuhr er gutmüthig lächelnd fort. »Da droben hat einer das Gitter im Kellerfenster durchgesägt; wie das dumm aussieht! – Was eigentlich mein Schatz das Fannyle haben mag? sie heult und schimpft seit gestern in einem fort, vielleicht hat sie Herzeleid, weil sie meine redlichen Absichten noch nicht kennt. Warum der Herr Schwager nur –«

»Stoffel! Ohm Stoffel!« schrie Pyrian's Stimme über den Hof herüber und der Gerufene wollte seinen zukünftigen Schwiegervater nicht lange warten lassen.

129 Er fand ihn gerüstet und gespornt unter der Hausthür stehn:

»Schwager,« sagte er, »mir ist so etwas mein Tag noch nicht passirt, jetzt habe ich mich um siebzehn Minuten verspätet und das Bataillon der Bürgermilizgrenadiere muß ohne mich zur Parade abmarschirt sein oder zu spät kommen. Das erleb' ich nicht. Der gottvergessene Professor, der an all meinem Unglück Schuld ist, muß einem das auch noch im Tod anthun. Aber mit dem Todten bleib ich keine Stunde lang unter einem Dach; mir graut es, wenn ich dran denke. Darum besorge mir einen Wagen, hörst Du, und wenn die Parade und die Huldigungsceremonie vorüber ist, fahren wir auf's Land, ich und Du und das Mädel und die Buben, und dann wollen wir auch der Fanny den Kopf zurecht setzen. Gottbefohlen!«

Er hatte das letztere schon im Steigbügel geredet und nun sprengte er davon die steile Straße hinab, daß Funken aus den Steinen flogen. Als er aber auf seine Grenadiere stieß, waren sie in der That schon in Marschbewegung und eine tödtliche Feindschaft zwischen dem sonst so dienststrengen und genauen, nun zum ersten Mal saumseligen schuldbewußten Commandanten und den schadenfrohen Offizieren des Bataillons datirte von diesem Augenblicke. –

»Fanny den Kopf zurecht setzen und einen Wagen 130 bereit halten,« wiederholte sich Ohm Stoffel, der noch immer unter der Hausthüre stand und von seines Schwagers Rede zwar nicht alles begriffen, nichtsdestoweniger aber sehr erfreut war. Dann gieng er wieder in den kühlen Keller zurück, machte sich's auf Beißerle's Sarg bequem, legte das dicke Gesicht in die beiden Hände und die Ellenbogen auf die Kniee, und also von keinem Gedanken belästigt, rauchte er seine Cigarre bis auf's letzte Stümpfchen. 131

 


 


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