Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVI.

Die Konferenz mit Bankier Wertheim hatte drei volle Stunden gedauert. Als Felix die Lage der Firma offen bekannt und Wertheim erklärt hatte, daß von seiner Entscheidung die Rettung des Hauses Lerch & Co. abhinge, hatte der Bankier den Kneifer abgenommen und Felix mit einer so höhnenden Miene angesehen, daß ihm das Blut zu Kopf gestiegen war. Dann hatte er mit heiserer Stimme hervorgestoßen: »Wenn wir ein anständiges Begräbnis zustande bringen, wirst Du wohl auch zufrieden sein. Ich denk gar nicht daran, Dir in Deinen Plötzensee-Ideen Vorschub zu leisten.«

Felix hatte die Zähne aufeinandergebissen und geschwiegen. Arthur aber war tief verletzt dicht an seinen Schwiegervater herangetreten. Bevor er jedoch noch den Mund auftun konnte, schnitt ihm dieser das Wort ab.

»Du brauchst mir gar nichts zu erzählen,« ranzte er ihn an, »gar nichts, dadurch wird die Geschichte nicht um ein Jota anders!«

Nach dieser kurzen Replique hatte er mit Felix gerechnet, unaufhörlich gerechnet. Nicht ein Wort zu viel würde gesprochen, nur Zahlen, nichts als Zahlen würden von den beiden Geschäftsleuten gemurmelt.

Arthur ging unterdes mit schlotternden Knieen in seine Wohnung zurück. Nur von Zeit zu Zeit steckte er sein schreckensbleiches Gesicht in die Tür, um sofort wieder lautlos zu verschwinden.

Als die Bilanz endlich gezogen war, erhob sich Bankier Wertheim. Er sprach kein Wort, aber er sah Felix mit so verächtlich mitleidigem Blicke an, daß dieser die letzte, klägliche Hoffnung aufgab.

»Ich komme in einer halben Stunde wieder, dann werde ich Dir meine Meinung sagen.«

Und mit kaum merklichem Nicken wandte er sich zur Tür. Dort stieß er auf Arthur, der wortlos an ihm vorüberging.

»Spielst Dich wohl gar noch als beleidigt auf,« redete er seinen Schwiegersohn an und stieß ein kurzes Lachen aus. Dann fixierte er Arthur eine Sekunde scharf und entfernte sich kopfschüttelnd.

Als die Brüder allein waren, sagte Felix, indem er zu Arthur scheu und traurig emporsah: »Der hilft nicht. Du wirst es sehen!«

In das fette Gesicht Arthurs trat bei diesen Worten jener blöde Ausdruck, wie er sich beschränkter Menschen so oft bemächtigt, wenn sie sich einer Gefahr gegenübergestellt sehen.

»Er muß ja!« stammelte er endlich.

»Für den gibt es kein Muß, der ist aus hartem Holz!«

»Und was dann?« fragte Arthur leise.

Felix: »Darüber wollte ich gerade mit Dir reden. Komm, setz Dich zu mir und hör mich ruhig an. Nämlich,« begann er in einem seltsam schüchternen Tone, indes er wie zufällig Arthurs Hand zwischen die seinige nahm, »soviel ist Dir wohl klar, daß ich nicht weiter leben kann, oder soll ich etwa als Pfuschmakler auf der Börse herumlaufen; ganz abgesehen davon, daß man mir die Börse überhaupt verschließt. Nein, sprich gar nichts. Ich bin unten durch. Ich bin fertig. Und weißt Du, ich nehm's nicht einmal schwer – ich gehe viel lieber freiwillig, als daß ich mich lynchen lasse. Aber mit Dir steht es ganz anders. Deine Existenz ist durch Wertheim gedeckt. Er wird schon für Dich sorgen – und die Leute werden mit Recht Dich in Schutz nehmen, denn was kannst Du schließlich dafür, daß meine Spekulationen mißglückt sind? Darum meine ich, sollst Du vernünftig sein und nicht den Mut verlieren. Gewiß wirst Du anfangs zu leiden haben – aber schließlich vergißt sich alles. Und Dörmann wird Dich schon vor Gericht herausreißen, darum bin ich nicht bange – er hat es ja auch leicht, nachdem ich mich selbst ... Also den Kopf in die Höhe,« schloß er, »und ruhig Blut!«

Nun sah er fragend Arthur an, um dessen Mund ein trübes Lächeln spielte. Aber in diesem Augenblicke hörten sie das Geräusch schwerer Schritte, und unmittelbar darauf trat Bankier Wertheim ein.

»Was soll ich Euch hinhalten,« sagte er kurz, während er nervös mit seinem Kneifer spielte, »es gibt ja gar kein Überlegen. Um Euch nur über Wasser zu halten, müßte ich rund sechs Millionen, das ist über die Hälfte meines Vermögens, flüssig machen. Aber selbst damit ist Euch nicht einmal geholfen. Absolut nicht. Denn da ihr auf die Dauer die versprochenen Zinsen doch nicht zahlen könnt, fallen die Serben in jedem Fall rapid, und ehe Ihr mit der Regierung da unten Euch geeinigt habt – wenn es dazu überhaupt kommt – ist das ganze Unternehmen ruiniert. Die Sache kann nur noch von den großen Banken gehalten werden. Na – und Eure andern Unternehmungen, oder richtiger gesagt, Chloroformgeschäfte, darüber wollen wir lieber still hinweggehen. Mit einem Wort: ich bin nicht der Narr, in einen Topf, der ein Loch hat, Wasser zu gießen. Könnt Ihr mir nicht verdenken. Wie die Dinge liegen, bleibt Euch gar nichts anders übrig, als einfach zu liquidieren. Und ich rate Euch, das schnell zu tun, bevor der Staatsanwalt seine Nase hineinsteckt. Man sagt, Staatsanwälte haben feine Nasen! – Und mit Dir möchte ich allein sprechen,« wandte er sich an Arthur.

Felix, der beinah gelangweilt zugehört hatte, wollte sich jetzt mit ironischer Miene verabschieden. Aber Arthur bat ihn so dringend, nur ein paar Minuten auf ihn zu warten, daß er mit dem Kopfe nickend nachgab. Er trat an das Fenster und klopfte mit den Fingern taktmäßig an die Scheiben. Das ist die Trauermusik, die ich mir selber aufspiele, dachte er. Er empfand es als eine unverdiente Wohltat, daß nun alles für ihn klar und in schönster Ordnung dalag, daß es kein Schwanken und kein Besinnen mehr gab. Er freute sich seiner Ruhe. Keine Gewissensbisse quälten ihn mehr. Die Schlacht war verloren – aber er blieb Herr des Plans, bis zu dem letzten Augenblicke, wo er es selbst für gut befand, mit einer eleganten Verbeugung vor dem Sechsläufer, die Zähne hart aufeinander gepreßt, diese Zeitlichkeit zu segnen. Er fühlte sich ordentlich erfrischt von diesem Gedanken. Keine sentimentalen Empfindungen mehr, keine wehleidigen Regungen, keine Abschiedsunbehagen! Er dachte flüchtig an Bär. Dieser wimmernde Schuft, dieser klägliche Esel! ... Was lag an diesem ganzen Plunder! Warum hingen die Menschen wie die Kletten an diesem Dasein selbst dann noch, wenn es ihnen nichts als Elend und Gram brachte? Wunderliche Welt! Armseliges Bettelvolk, das nicht die Kraft fand, reinen Tisch zu machen, das ängstlich lauerte, bis der Schwarze herangehinkt kam, um es mit grinsender Fratze hinwegzufegen.


 << zurück weiter >>