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X.

Advokat Heller sprang leichtfüßig aus dem Wagen, der vor einem Hause in der Kurfürstenstraße hielt. In großen Sätzen eilte er hinauf. Oben schellte er mit solcher Wucht, daß es im ganzen Hause wiederhallte. Die alte Frau Lerch, die gerade von einer Spazierfahrt heimgekehrt war und im eleganten Zobelpelz noch im Entree stand, öffnete selbst und begrüßte den Advokaten lebhaft. Er war ihr beim Ausziehen behilflich und reichte ihr alsdann geflissentlich den Arm. Im Salon nahmen sie Platz.

»Du hast etwas auf dem Herzen, lieber Edmund, ich seh es Dir an. Also sprich!«

Der Advokat machte eine verlegene Miene und zauderte einen Moment.

»Liebe Mama,« begann er endlich, »erschrick nicht – aber es wird Ernst bei uns.«

»Was?« fragte sie ungeduldig.

»Sie will fort!«

»Du bist nicht recht gescheit!«

Nun sprudelte Heller mit wichtigem Tone hervor: »Wenn ich Dir versichere, Mama, daß sie von nichts anderem mehr spricht, schon seit Wochen nicht. Ich bin bereits so nervös, daß ich für mich selber fürchte. Kann man liebevoller sein als ich? Aber sie denkt nicht an mich und denkt nicht an das Kind. Und meinst Du etwa, daß sie irgendeinen plausiblen Grund vorbringt? Keine Spur!«

Nachdem Frau Lerch sich einigermaßen gefaßt hatte, sagte sie: »Lieber Edmund, vor allem ersuche ich Dich, ganz aufrichtig zu sein. Es kommen ja in jeder Ehe Reibereien vor, aber dann gibt es doch naturgemäß wieder Augenblicke, wo man sich verständigt – wie soll ich mich nur ausdrücken: mit einem Worte, wo man sich findet und allen Groll vergißt!«

Heller verschränkte die Arme.

»Bei uns liegen die Dinge anders, Mama. Wir leben wie zwei fremde Menschen nebeneinander.«

Frau Lerch blickte ihn scharf an.

Das läßt Du Dir bieten? Nimm mir's nicht übel, Edmund, aber ich meine fast, Du würdest mehr succès bei ihr haben, wenn Du andere Register ...«

Er unterbrach sie. »Auch das habe ich versucht – und jämmerlich Fiasko gemacht.«

»Ja, aber sag einmal, neulich schien es Dir doch noch, als wenn die leidigen Dinge endlich etwas besser würden?«

»Ich hab mich eben geirrt. Wir verkehren da mit einem wirklich netten Kollegen, von dessen vernünftiger und freier Lebensauffassung ich mir das beste für Regine versprach. Es schien auch wirklich so, bis sie auf einmal ...«

Frau Lerch hatte sich erhoben.

»Ein Teufel steckt in ihr. Ich weiß ein Lied davon zu singen. Wie die in unsere Familie gekommen, ist mir einfach ein Rätsel.«

»Ich wollte Regine in keiner Weise – im Gegenteil, ich wollte eher ...«

Frau Lerch machte eine unwillkürliche Bewegung.

»Laß das, Heller. Macht ja Deinem Charakter alle Ehre, aber mein Urteil steht fest! Aber wenn Regine sich einbildet, daß ich einen Skandal dulden werde, ist sie sehr im Irrtum. Dazu stehen wir denn doch zu sehr im Vordergrund. Was will denn diese Gans,« schrie sie plötzlich wütend, »setzt diese Partie gegen unser aller Willen durch und kommt uns jetzt so! Na, der werd ich die Abenteuerlust besorgen. Verzeih, lieber Edmund, wenn ich mich etwas exaltiere, aber das ist ja auch zum ... ich kann Dir übrigens versichern, daß Du uns allen durchaus sympathisch bist – ja, bei mir hast Du einen Stein im Brett. Auf mich darfst Du doppelt zählen!«

»Liebe Mama, ich bin so froh, bei Dir Trost und Hilfe zu finden. Man wird kleinmütig, so entsetzlich kleinmütig. An nichts hat man mehr Freude.«

Frau Lerch streichelte ihm mitleidig die Hand.

»Du armer Tropf Du! Nun, wir reden noch darüber. Übrigens,« fuhr sie fort, »Ihr werdet doch bei Arthurs Gesellschaft sein? Sie findet also bestimmt in acht Tagen statt. Er war außer sich, daß er sie verschieben mußte.«

»Ich denke, Mama, daß wir kommen werden,« antwortete Heller nachdenklich, »obwohl ...«

»Obwohl?« fragte Frau Lerch piquiert.

»Obwohl,« fuhr Heller fort, »Eine nicht gerade Lust hat.«

»Na, aber höre mal, jetzt wird die Geschichte doch zu bunt. Der reine Pantoffelheld bist Du ja! Regine vorn und Regine hinten. Hast Du denn überhaupt noch eine Meinung? Wenn Du sagst, die Gesellschaft bei Arthur wird mitgemacht – genügt denn das nicht?«

»Nein, liebe Mama, das genügt noch lange nicht. Da unterschätzt Du Deine Tochter gewaltig.«

Frau Lerch legte ihre Hände auf seine Schulter.

»Lieber Junge, das muß anders werden. Das geht nicht länger so. Zu Arthur müßt Ihr kommen. Ich will Dir auch sagen, weshalb. Die Jungen haben große Pläne. Felix wird überhaupt eine Macht. Zunächst soll Darz große Aktiengesellschaft werden. Sie wollen eine Kolonie von etwa 150 eleganten Villen bauen und daraus ein kleines Weltbad, machen. In den Aufsichtsrat dieser Aktiengesellschaft soll auch ein Advokat. Jetzt weißt Du, worum es sich handelt. Du mußt Arthur und vor allem Felix etwas mehr poussieren. Sie haben noch ganz andere Pläne.«

Heller hatte gespannt zugehört.

»Glaubst Du, Mama,« rief er erregt, »daß Felix und Arthur so niederträchtig sein könnten, mich beiseite zu schieben? Das wäre ja gemein, mehr als gemein!«

»Arthur,« entgegnete sie, »kommt überhaupt nicht in Betracht. Den Ausschlag gibt Felix. Im übrigen, mein Junge, bin ich da. Ein bißchen Einfluß habe ich ja Gott sei Dank bei meinen Söhnen.«

»Mama, ich bin Dir zu größtem Dank verpflichtet,« rief Heller emphatisch. »Selbstverständlich müssen wir zu Lerchs, daran ist gar nicht mehr zu rütteln.«

Frau Lerch zuckte ein wenig empor. Hellers Erregung war ihr keineswegs entgangen.

»Du bist ein anschlägiger Kopf!« meinte sie.

Er nickte zerstreut.

» A propos, wenn Du jetzt zu Arthur gingst, könntest Du mit Ihnen dinieren. Felix speist auch heute dort. Es wäre sogar ganz ratsam, wenn Du Dich einmal zeigtest.«

Heller sah auf die Uhr.

»Es ist bereits ein Viertel fünf.«

»Um fünf Uhr dinieren sie erst – der Börse wegen.«

Eine Sekunde überlegte er. »Mama, Du hast recht, unbedingt recht.«

Er küßte ihr galant die Hand. »Du bist die beste aller Schwiegermütter.« Er blickte sie mit einem dankbaren Lächeln an.

»Weißt Du,« sagte er plötzlich, »daß man Dich für Reginens Schwester halten könnte. So prachtvoll siehst Du aus!«

»Ich danke für das Kompliment, lieber Junge,« entgegnete sie in etwas ironischem Tone.

»Das ist bei Gott keine Schmeichelei,« beteuerte Heller, während er sich in etwas stürmischer Manier verabschiedete.

»Donnerwetter, das ist ne Frau!« brabbelte er vor sich hin, als er die Treppen hinunterstürzte. Ob sein Kompliment nicht etwas gewagt war – überlegte er. Wenn das Regine gehört hätte! ... Ah, Dummheiten! beruhigte er sich.

Er blieb auf einem Treppenabsatz plötzlich stehen, griff in die Seitentasche seines Rockes und holte eine Brieftasche hervor, in deren Innenseite sich das Bild seiner Frau befand. Lange betrachtete er es. Herrgott, was ist das Weib schön – und weiß es selber kaum – zum Tollwerden schön, wenn doch nur ... Er steckte die Brieftasche seufzend wieder ein. Ist's nicht doch gescheiter, wenn ich nach Hause gehe? kalkulierte, er. Dann aber fiel ihm ein, daß diese Lerchs imstande wären, ihn zu übergehen, wenn er nicht rechtzeitig dazwischen träte. Bei dieser Erwägung schoß ihm das Blut zu Kopf. Nun zauderte er nicht mehr. Er trat ins Freie und beschleunigte seine Schritte.


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