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III.

Die Hellersche Ehe war gegen den Willen der Lerchs zustande gekommen. Die ungestüme Leidenschaft eines jungen Mädchens hätte allein wohl kaum ausgereicht, um Referendar Heller, der ohne Mittel und Aussichten, aus dürftigen Verhältnissen hervorgegangen war, in eine der reichsten Familien des emporgekommenen Geldadels aufzunehmen. Und in der Tat lag diese Verlobung, die damals einem Teil der Berliner Gesellschaft für eine kurze Zeit den Gesprächsstoff abgegeben, in eigentümlichen Verhältnissen begründet.

Dieses junge Mädchen hatte immer in einem feindseligen Gegensatz zu seinen Angehörigen gestanden. Sie glaubte in dieser dumpfen Atmosphäre zu ersticken von dem Zeitpunkt an, wo frühreife Erkenntnis sie Menschen und Dinge ihrer Umgebung überschauen ließ. Der Verkehr zwischen ihr und der Mutter war immer ein kühler gewesen; er erhielt aber einen ranzigen und bitteren Beigeschmack, als Reginens erwachte Frauennatur für ihre instinktive Entfremdung überreiche Nahrung erhielt. Ihr ganzes, im höchsten Grade verfeinertes Schamgefühl sträubte sich dagegen; sie wollte es nicht glauben und fand doch untrügliche Beweise für das, was in engeren Kreisen als lautes Geheimnis über ihre Mutter getuschelt wurde.

Sie war ein verschüchtertes, unzugängliches Kind gewesen, um das sich Frau Lerch wenig gekümmert hatte – sie wurde ein verschlossenes, in sich gekehrtes Mädchen, das jeden Umgang ängstlich mied und gerade in der Zeit seiner wichtigsten Entwickelung trostlosen Gedanken sich hingab.

Es kam zwischen ihr und der Mutter nie zu heftigen Szenen, aber es kam begreiflicherweise auch nie zu herzhafter Aussprache, zu jenem besonderen, frauenhaften Wechselverkehr, der für ein junges Mädchen, wenn es zum Weibe wird, einen geheimnisvollen Zauber hat, während er der gereiften Frau eigenes Jugendleben erst zum Bewußtsein bringt.

Die beiden lebten in einem Verhältnis, das, je mehr es nach außen in glatten Formen sich bewegte, für sie selbst immer unerträglicher wurde und schließlich in einen Haß, eine Feindseligkeit und Verbitterung mündete, deren unsichtbare Fäden sich immer dichter und enger verknüpften. Wenn Regine ihren Vater wie einen Schatten im Hause sich bewegen sah, einen kranken, müden Mann, der wußte und sich doch nicht wehrte, in stiller Verzweiflung seine Bürde schleppte, kampfmürbe – und in Angst vor dieser Frau, die ihn mit einem Blicke ihrer kalten, stahlgrauen Augen zu beherrschen vermochte – so meinte sie, daß alles Leben ihrem Körper entfloh. Eine nervöse Erregtheit, ein trotziges Sichauflehnen gegen jede mütterliche Autorität überkam sie, die nur durch ihre jungfräuliche Scham gezügelt wurden. Und doch ging sie in dem beängstigenden Gefühl einher, als könnte diese Spannung von ungefähr gesprengt werden, als müßte es zu leidenschaftlicher Aussprache, zu einem jener brutalen Auftritte kommen, die, sobald das letzte Wort gesprochen, ein Atmen in derselben Luft zu unerträglicher Marter machen.

Auch den Brüdern, die zur Mutter hielten, Lebemänner waren und in naiver Frivolität ihrer Lebensanschauung Ausdruck gaben, fühlte sie sich fremd.

So schlich sie mit ihrem Gram und ihren Sorgen einher, zu einer Zeit, wo ihre Frauennatur erwacht war, und sie in sehnsüchtigem Verlangen an irgend ein Geschöpf sich hätte klammern mögen.

In dieser seelischen Verfassung trat sie ihren ersten Winter an – und auf einem ihrer ersten Bälle war es, wo sie Referendar Heller kennen lernte, der kurz vor dem Assessor stand.

Heller mit seinem munteren, zutraulichen Wesen, seinem gesellschaftlich sicheren Auftreten, dem hübschen Knabengesicht, machte auf das kleine Fräulein, in dessen Phantasie die buntesten Vorstellungen hin- und herwogten, einen tiefen Eindruck.

Er war der erste Mann, mit dem sie in Berührung trat und die ganze Art, wie er sie als erwachsene Dame behandelte, der Respekt, mit dem er jede ihrer Meinungen aufnahm und eifrig debattierte, versetzte sie in ein Entzücken, das sie vorher nicht gekannt hatte.

Er beschäftigte sich den ganzen Abend nur mit ihr und brachte ihr junges, heiß erregtes Blut in eine ihr fremde Bewegung. Sie empfand, wie ihr Körper so eigentümlich zitterte und vibrierte – und ihre grauen, schimmernden Augen feuchteten sich kaum merklich, so oft sie seine Blicke auffing, die Bewunderung, Verlangen und ritterliche Zurückhaltung zugleich auszudrücken schienen. Ihre tieftraurige Stimmung, die in letzter Zeit sie oft zu überwältigen drohte, löste sich in weiche Zärtlichkeit auf. Sie fühlte geheimnisvolle Schauer und schuf sich von dem, der sie geweckt hatte, ein Bild, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hatte. Sie vergaß völlig ihre Umgebung. Und wenn mädchenhafte Scheu ihr nicht Schranken auferlegt hätte, an diesem Abend wäre sie zu allem fähig gewesen.

Es zuckte schmerzlich um ihre Lippen, wenn ein anderer sie zum Tanze holte; sie sah ihn dann jedesmal mit schüchterner, bittender Miene an, als hätte sie sich eines Unrechts gegen ihn schuldig gemacht. So oft sie aber mit ihm durch den Saal flog, ergriff sie eine bange Angst; sie hätte sich an ihn schmiegen mögen, während doch eine geheimnisvolle Gewalt sie zwang, jede Berührung mit ihm zu meiden. Sie fühlte, wie ihr Busen auf- und niederging, wie alle ihre Pulse klopften – und wagte nicht, ihn anzusehen. Sie schloß die Augen. Das helle Licht des Saales begann sie zu schmerzen. Sie bat ihn mit stockender Stimme, sie auf ihren Platz zu führen. – »Mir ist nicht recht wohl,« fügte sie leiser hinzu.

Und da er sie erschreckt ansah, lächelte sie schmerzhaft.

In dieser Sekunde glaubte sie, aller Augen seien auf sie gerichtet, und eine seltsame Furcht ergriff sie. Ihr Auge fiel, plötzlich auf ihren Vater, der in einem Winkel gekauert vor sich hinstarrte, während ein idiotisches Lächeln seine schmalen Lippen verzerrte. Dabei ließ er die Hand auf seinem dünnen Scheitel krauen und blinzelte unvermittelt zu ihr hinüber.

Unter diesem Blicke fing ihr Körper zu beben an, während zugleich eine grausige Stimmung in ihr aufstieg. Sie preßte mit ihren zarten Fingern Hellers Handgelenk und grub die Zähne in ihre Unterlippe, um nicht laut aufschluchzen zu müssen. Auf ihrem Stuhl brach sie wie leblos zusammen und blickte hilfeflehend zu ihm empor.

Niemals hat sie völlig begriffen, was in dieser Stunde in ihr vorgegangen. Aber während ihres ganzen Lebens ist sie die Erinnerung an diesen Abend nicht losgeworden, dessen Vorgängen sie viel, viel später eine mystische Deutung gab.

Als sie nach einigen Minuten ihre Ruhe wiedererlangt hatte, lag auf ihren Zügen so viel weiche Hingebung, daß Heller sich plötzlich zu ihr niederbeugte und in einem aufwallenden Gefühle ihre Hand küßte.

Sie sah ihn erschreckt mit glänzenden Augen an, während ihre zarten, fast durchsichtigen Schultern, deren Formen beinah noch unfertig schienen, in die Höhe fuhren.

»Wenn Sie wüßten, wie schlecht ich bin,« sagte sie mit gedämpfter Stimme.

In dem Tonklang dieser Worte lag etwas, das Heller feierlich stimmte. – Und wenn ein Gefühl der Mannes-Eitelkeit, des Sieges-Bewußtseins, dieses, zarte Wesen ganz in sich aufgehen zu sehen, ihn vorher beherrscht hatte, so trat das alles jetzt weit zurück; denn er ahnte, daß von diesem jungen Geschöpf ein Empfinden zu ihm herüberströmte, das mit den gewöhnlichen Tändeleien einer Ballnacht nichts gemein hatte. Aber während Reginens jungfräuliche Glut auch seinem Wesen Läuterung gab, schlichen sich ganz leise noch andere Vorstellungen bei ihm ein. Er war als nüchterner Kopf sich klar, daß er der arme Referendar Heller war, den man als eleganten Tänzer und vorteilhafte Ballerscheinung gerne einlud. Regine hingegen zu jenen großen Partien Berlins zählte, für die er, der Rechtsanwalt in spe, aus einer dürftigen Familie stammend, überhaupt nicht in Betracht kam. Er versuchte in einem jähen Gedankensprung, als ob er vor einem Spiegel stände, seine ganze Erscheinung zu mustern. Er lächelte still in sich hinein: am Ende ... wer konnte es wissen ... auf dieser Welt war alles möglich.

Er wurde auf einmal sehr verlegen. Er hatte ihre Frage überhört, warum er so schweigsam geworden. Und ganz unsicher blickte er auf seine weißen Glacés. Es überkam ihn doch etwas wie Scham, daß er solcher Erwägungen in dieser Stunde fähig gewesen.

Das junge Mädchen errötete und ganz von ihrer weichen Stimmung voll, glaubte sie ihn mit ihrer Frage verletzt zu haben, oder was sie beinahe quälte, ihm ihr innerstes Empfinden aufgedeckt zu haben. Sie erhob sich sehr rasch und mit einem kaum merkbaren Kopfnicken und fast traurigen Gesichtsausdruck eilte sie zu ihrem Vater, der verwundert aufblickte und mit einer verlorenen Bewegung über ihr schimmerndes, braunes Haar fuhr.

In dieser Nacht schloß Regine kaum die Augen. Sie lag in ihren weißen Linnen und starrte in das Dunkel und leise bewegten sich ihre dünnen, schmalen Lippen.

Sie hatte ihre schlanken Hände, auf denen die Adern in zarter Färbung hervortraten, über die Brust gekreuzt, während ihr welliges Haar die feingeformten Schultern berührte. Als sie gegen Morgengrauen einschlief, lag auf ihren Zügen ein banges Lächeln.

Sie träumte von der Prinzessin, die verzaubert in den Rosenhecken schläft, vom Dornröschen, das der Prinz zu lösen kommt.

Während der ganzen Folgezeit lebte und webte sie in dieser Traumvorstellung, suchte sie des Märchens tiefsten und geheimsten Sinn zu erschöpfen, wie er jedem Weibe aufgeht, sobald sein Frühling kommt, in der geschlossenen Knospe geheimes Leben sich zu regen beginnt.

Es gab im Hause, als Regine ihren Willen erklärte, heftige und erbitterte Szenen – Mutter und Brüder stellten sich ihr schroff entgegen, und sicherlich wäre diese Verlobung nicht sobald zustande gekommen, wenn nicht plötzlich der alte Herr Lerch mit der ganzen zähen Launenhaftigkeit und Willenskraft eines Kranken, der sein nahes Ende fühlt, die Partei der Tochter genommen hätte.

Heller verhielt sich als Bräutigam durchaus korrekt. Er war gegen seine Schwiegermutter von verbindlicher Höflichkeit; er erkannte ihr völlig das Recht zu, ihn als Eindringling zu betrachten, so daß Frau Lerch, da sie sich doch einer Tatsache gegenübersah, den künftigen Schwiegersohn bald ganz sympathisch fand.

Regine fühlte sich davon nicht gerade angenehm berührt. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn der Ton zwischen den beiden ein kühler, zurückhaltender geblieben wäre. Aber in dem Jubel ihres bräutlichen Empfindens hatte sie für eifersüchtige Regungen keinen Raum. Die überlegene Herzlichkeit, mit der er sie behandelte, machte sie nur stürmischer.

Heller gefiel sich in der Rolle eines Mannes, der mehr empfing, als er zu geben vermochte. Seine Eitelkeit hatte sich gesteigert, da er sich von allen Seiten beneidet sah. Gewiß, er war ein Glückskind. Seine künftige Lage faßte er als einen Wechsel auf gesicherte Verhältnisse, als eine Befreiung von seiner Schuldenlast auf. Daß er ein blutjunges, liebreizendes Ding mit in den Kauf bekam, konnte ihn nur fröhlich stimmen.

Er kannte die Frauen und hatte seine Erfolge hinter sich. Aber gerade ihre verlangende Keuschheit, die fromme Sinnlichkeit ihrer rätselhaften Augen reizten ihn.

Von alledem ahnte Regine nichts. Für sie war diese Zeit ein unerschöpflicher Quell innerlichen Lebens. Sie dachte an die Zukunft und weiche Stimmungen überwältigten sie. In seiner Scham empfand sie ihre Bräutlichkeit und zähmte ihre Liebe. Und zwischen den schneeweißen Prachtstücken ihrer Ausstattung, die zahllos, von mattblauen Bändchen umschnürt, vor ihr getürmt lagen, erwachten diese vormütterlichen Gefühle und ernsten Gedanken, diese fast düsteren Ahnungen, mit denen ein junges Mädchen der entscheidenden Stunde entgegenbangt. Sie wurde von alledem scheu und in sich ratlos und hätte doch mit niemandem über das, was sie bis in das Letzte und Innerste erschütterte, sprechen mögen.

Aber dann, als der Frühling über das Land brach, jäh und ungestüm, und auf nasse Regentage glitzernde, junge Sonnenstrahlen schüchtern und leise ihre Fühlhörner nach der begehrlich lüsternen Erde ausstreckten, bis ihr Kosen immer traulicher wurde, als Erde und Sonne ganz verdächtig sich in Liebe fanden – als in weichen, warmen Lüften neues Leben zu treiben begann – zog Regine ihren Schleier zusammen. Den Schleier, der ein bleiches Gesicht verhüllte, dessen graue, umflorte Augen voll ängstlicher Spannung in verlorene Ferne gerichtet waren.


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