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XIII.

Donnerstag. Grande soirée bei Arthur Lerch.

Vor dem Portal des Hauses fuhr Wagen auf Wagen vor. Schutzleute hatten sich eingefunden und suchten in der gaffenden Menge, die trotz der schneidenden Kälte das Palais besetzt hielt, die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Der Portier des Hauses in Galalivrée und Eskarpins öffnete in steifer Haltung den Wagenschlag, ohne auch nur einen Blick auf das neugierige Pack zu werfen.

Sobald ein der Menge bekanntes Gesicht auftauchte – mochte es eine Schauspielerin, ein Tenor, oder gar ein Abgeordneter sein – wurde ein lautes Tuscheln vernehmbar. Die Hälse reckten sich übereinander, und die Berittenen hatten ihre Mühe bei dem Stoßen und Drängen, das nun entstand, sich geltend zu machen.

Den in das Haus tretenden Gästen wogte eine blendende Lichtflut entgegen. Jede der Damen erhielt zu ihrer Verwunderung einen Hermelinkragen umgehängt; denn der Herr des Hauses wünschte, daß in den Toiletten für die erste halbe Stunde ein Stil zum Ausdruck käme.

Durch eine Flucht von Gängen und Garderoben gelangten nun die Geladenen in einen Wintergarten, der ebenso, wie die anstoßenden Nebenräume, durch elektrische, in allen Farben sprühende Ballons feenhaft erleuchtet war.

Dem Auge bot sich jetzt ein tolles Durcheinander.

Hier hatte eine Zigeunerbande, in phantastische Kleidung gehüllt, ihr Lager aufgeschlagen, und während die Männer aus den Fiedeln wilde Weisen hervorzauberten, tanzten Weiber und Kinder in buntscheckigem Zuge. Im Nebensaale harrten italienische Volkssänger mit ihren schwarzgelockten Mädchen nur auf den Augenblick, wo die Zigeuner pausieren würden, um ihr Funiculi-Funiculi ertönen zu lassen und unter den Schlägen der Kastagnetten ihre Tarantella vorzuführen. Wieder in einem anderen Raume war buntes Zirkus- und Jahrmarktsleben entrollt. Hier spielte eine ungarische Knabenkapelle tolle Csardasmelodien.

Inmitten dieses Getümmels tauchten Mädchen in Tiroler Tracht auf, die perlende Weine und appetitreizende Brötchen servierten und besondere Wünsche der Einzelnen in der kleinen Bodega meldeten, wo Arthur Lerch in weißseidenem Kochkostüm, die Kelle in der Hand, vor den Augen seiner Gäste, Küchenjungen und Köche kommandierte.

Die Dame des Hauses nahm mit müdem Lächeln von allen Seiten die Bewunderung ihrer Gäste entgegen. Ihre dürftige, zarte Gestalt, die ein so blasses und frühwelkes Gesichtchen trug, nahm sich in diesem Glanz und Reichtum, in dieser sinnverwirrenden Pracht wie eine grausam bittere Satire aus.

Als Felix den Saal betrat, glitt ein Lächeln der Befriedigung über seine blasierten Züge.

»Chic, wirklich chic,« wandte er sich an Arthur, der in nervöser Ungeduld Felixens Kommen erwartet und auf dieses Wort gelauert hatte, als hinge davon sein ganzes Schicksal ab. Er atmete ordentlich befreit auf, bevor er aber seine Freude äußern konnte, war Felix bereits entwischt, um die Schar der Gäste zu mustern.

»Ah ... Rotmühl, Tag! Is nett – was?« begrüßte er den Sänger und klopfte ihm jovial auf die Schulter – um gleich darauf der Jenny Groß die Hand zu küssen und ihr ein gewagtes Kompliment über ihre Brillanten zuzuflüstern.

»Sie da, Lieban!« wandte er sich von der Jenny Groß an den kleinen Tenorbuffo der Hofoper und von diesem wieder an seinen Leibjournalisten Pförtner, der sich ostentativ Notizen machte, um mit dem Allerfrühesten den Lesern des Börsenboten von den Sensationen des großen Balles zu berichten. Der Börsenbote war zum größeren Teile im Besitz der Gebrüder Lerch. Sie waren die Hauptaktionäre. Felix gebrauchte das Blatt zu seinen Börsenmanövern, und Arthur protegierte hier seine Lieblinge vom Theater und veröffentlichte unter der Rubrik »Vermischte Nachrichten« seine neuesten Entdeckungen auf dem Gebiete der Gastronomie.

Besagter Pförtner war spiritus rector in der Redaktion. Dieser fette Bursche mit den verlebten Zügen, der gebogenen Nase, den wulstigen Lippen und den geschlitzten Augen, aus denen alle niedrigen Triebe leuchteten, war eine in jeder Hinsicht dunkle Existenz. Er war zu allem zu gebrauchen, beherrschte das alte Testament so gut wie das neue und wußte es mit rabulistischem Geschick in den Leitartikeln auszuschlachten. Daneben war er ein sehr verwendbarer Börsen- und Handelsredakteur, berichtete außerdem über die neuesten Resultate auf naturwissenschaftlichem Gebiete und schlachtete schließlich auf das blutigste die Literatur des In- und Auslandes ab. Nachdem Felix seinem Faktotum einige Winke gegeben und den Vertreter einer anderen Zeitung, einem gewissen Trenkel – dem Typ jener arroganten, jungen Preßbengel, die ohne eine Spur von Talent für ihren Beruf nichts außer einer grenzenlosen Aufdringlichkeit und Frechheit mitbringen, kordial zugenickt hatte – schob er seinen Arm in den des Cellisten Grünau und promenierte mit diesem langsam durch die Festräume, die allmählich mit Gästen und Spaßmachern sich gefüllt hatten. Als er Dörmann in eifrigem Gespräch mit Frau Berger sah, lächelte er verständnisvoll. Noch mehr heiterten sich seine Mienen beim Anblick des serbischen Gesandten auf, der in seine Frau vertraulich hineinsprach. »Wird gut!« dachte er. Inmitten wohliger Gedanken, schreckte er empor, als er plötzlich leise seinen Namen rufen hörte. Er wandte sich rasch um und sah in das gerötete Gesicht seiner Mutter, die maßlos erregt schien.

»Pardon, lieber Grünau, ich muß Ihnen Felix einen Augenblick entziehen.«

Der Cellist entfernte sich mit einer eleganten Verbeugung.

»Was ist denn los, Mutter?« fragte Felix unter wachsendem Unbehagen.

»Komm beiseite,« entgegnete sie gedämpft.

Nachdem sie ihn in einen durch Portieren geschützten Winkel gezogen hatte, stieß sie hervor: »Du, wir stehen dicht vor einem Skandal. Regine hat ihrem Mann ausrücken wollen.«

Felix trat betroffen einen Schritt zurück. »Mutter, Du scherzest wohl,« schnitt er ihr jedes weitere Wort ab, während sich seine niedrige Stirn in unzählige Falten zog.

»Wenn ich Dir sage. Heller hat das Frauenzimmer von Bonne gerade dabei ertappt, als sie Kartons mit Kleidern und Wäsche aus dem Hause lancieren wollte.«

»Ja, aber weshalb in aller Welt so plötzlich?«

»Die Person ist überspannt!« schrie seine Mutter, indem sie sich einen Augenblick vergaß. »Edmund hat mit der Bonne ein bißchen getändelt, und das alberne Ding hat nichts Eiligeres zu tun, als ihn bei Regine zu verklatschen.«

»Heller ist auch ein Schlemihl,« entgegnete Felix geärgert. »Er kennt doch Regine. Wozu braucht er so was in seinem Hause anzufangen!«

»Schön! Hast recht!« erwiderte etwas gereizt Frau Lerch. »Ist das aber ein Grund einen Skandal zu provozieren?«

»Wer sagt denn das!« lenkte Felix ein.

»Du mußt mit ihr reden,« drang seine Mutter in ihn ein. »Auf mich hört sie ja nicht. Heller hat übrigens das Kind in meine Obhut gegeben. Das ist seine letzte Waffe! Was hat das für Mühe gekostet, daß sie sich überhaupt noch entschloß, hierher zu kommen.

»Wo ist sie denn?«

»Noch gar nicht da. Aber jede Sekunde können sie eintreten.«

Einen Augenblick schwiegen die beiden.

»Was kann ich da tun?« murmelte Felix und kraute sich nervös hinter den Ohren. »Meinst Du denn, daß sie auf mich hören wird?«

»Wenn Du's richtig angreifst, ja! Du mußt ihr den Kopf zurechtsetzen, das ist Deine Pflicht. Dafür bist Du Chef des Hauses.«

Felix lachte spöttisch auf. »Is komisch, Mutter, glaubst Du ja selber nicht. Wenn ich Regine so komme, läßt sie mich beim dritten Worte einfach stehen. Man soll sich überhaupt nicht zwischen Eheleute stecken.«

Frau Lerch maß ihn mit einem feindseligen Blick. Aber kein Wort sprach sie.

»Ich will es ja versuchen, Mutter, nur für den Erfolg stehe ich nicht. Das mit der Bonne ist doch wohl nur der äußere Anlaß,« fügte er hinzu.

»Weiß ich's! Die ist ja unberechenbar. Übrigens ich habe meinen Verdacht.«

»Nun?« fragte Felix.

»Dieser Schubiack von Gent,« stieß sie heftig hervor, »seit der im Hause verkehrt – der fehlte ihr gerade noch – meinen Kopf wette ich, daß dieser Mensch mit seinen albernen Ideen sie vollends verdreht hat.«

»Kommt Gent denn oft zu ihnen?«

»In der letzten Zeit haben sie sich fast jeden Abend getroffen. Heller ist in der Beziehung wie ein Kind. Er hat an dem Menschen einen Narren gefressen. Er merkt nichts. Wie ein Blinder tappt er herum.«

»Du, das glaub ich nicht. In der Beziehung ist Regine nicht zu haben – und Gent macht weiß Gott nicht den Eindruck, als oh er ...«

»Du verstehst mich nicht. Davon ist gar keine Rede, daß die beiden – Unsinn – ich meine nur, daß ihr der Mensch noch mehr Verrücktheiten in den Kopf gesetzt hat – schleppt ihr die überspanntesten Bücher zu – als wenn die nicht schon genug – ich bitte Dich, biete Deinen ganzen Einfluß auf – sieh, da kommen sie,« schloß, sie leiser und wies auf Advokat Heller und Frau Regine.

»Was ich tun kann, soll geschehn, Mutter. – Rücksicht kennt Regine überhaupt nicht,« fuhr er ärgerlich fort, »einem gerade an so einem Tage die Stimmung zu verderben.«

»Komm jetzt, sonst schöpft sie Verdacht, geh Du zuerst – ich will nicht, daß sie Dich mit mir sieht.«

Felix nickte zustimmend und entfernte sich rasch.

»Ah, da seid Ihr ja auch,« sagte er jovial und reichte Heller die Hand. Dann musterte er mit einem schnellen Blick Reginens Toilette. »Hast Geschmack – alles was recht ist,« meinte er in ehrlicher Bewunderung. »Etwas klösterlich, aber chic.«

Frau Regine erwiderte nichts. In ihrem weißen Surahkostüm im Schnitt der Königin Luisentracht bot sie in der Tat ein Bild strenger Einfachheit.

»Siehst etwas blaß aus, Regine,« hub Felix wieder an, und ein mitleidiger Blick streifte die Schwester. – »Komm, ich führ Dich mit Hellers Erlaubnis ein bißchen herum,« und sich leicht verbeugend, reichte er ihr den Arm.

»Ich will inzwischen Arthur begrüßen,« meinte Heller, und unfähig, eine gewisse Verlegenheit zu verbergen, schritt er rasch von dannen.

Schweigend gingen die Geschwister durch das bunte Gedränge dem Winkel zu, wo Felix wenige Minuten vorher mit der Mutter beraten hatte. Seine ganze Leichtlebigkeit versagte vor Reginens schroffem Ernst.

»Weißt Du, Regine, Du nimmst das Leben zu schwer,« sagte er endlich, als sie einander gegenübersaßen. Und etwas lebhafter fuhr er fort: »Man untergräbt sich damit selbst – sei ein bißchen leichter – nimm Heller wie er ist – es gibt Schlimmere.«

Sie hatte ihm still und stumm zugehört.

»Gib Dir keine Mühe – ich weiß, die Mutter – unterbrich mich nicht, ich weiß die Mutter hat Dich beauftragt – aber das ist zu Ende und so weit reicht Euer Einfluß denn doch nicht. Ich kann nicht mehr mit ihm zusammenleben – ich kann einfach nicht. Es ist nur ein Aufschub, verlaß Dich darauf!«

»Willst Du mich mal anhören?«

Sie nickte.

»Du bist doch sonst in allem so überlegt. Hast Du schon daran gedacht, was aus Deinem Jungen werden soll?«

Als er sah, wie sie bei dieser Frage zusammenzuckte, fuhr er fort. »Das ist doch klar, daß Heller den Jungen nicht herausgibt, darüber mach Dir keine Illusionen. Wie ein Luchs überwacht er das Kind.«

Sie lachte bitter auf. »Ich weiß es. Er hat ja Fritzel aus dem Hause geschafft, und die Mama, hat ihm die Hand dazu geboten – die Mama« – sie hielt plötzlich inne und legte ihre bleiche Hand auf das Herz, und mit weitgeöffneten Augen sah sie den Bruder eine Weile wortlos an.

»Man wird über mich herfallen,« fuhr sie endlich fort, »ach, darüber gebe ich mich keiner Täuschung hin, jeder wird seinen Stein auf mich werfen, mich herzlos nennen, weil ich das Kind im Stiche lasse, aber ich weiß ja,« schrie sie schluchzend, »daß er mir Fritzel herausgeben muß. Ich habe ja Waffen in der Hand ...«

»Überschätze die nicht,« unterbrach sie Felix, »Du meinst die Geschichte mit der Bonne. Vor Gericht spielt das keine Rolle. Da irrst Du – da irrst Du wirklich!«

»Die Mama hat es ja eilig gehabt, Dich zu orientieren, hat sie Dir auch gesagt,« brachte sie endlich mühsam hervor, »daß es beinah aussieht, als ob sie mit Heller ... daß meine Dienstboten zischeln und ihre ...«

Felix erhob sich nervös. »Wir wollen nicht weiter reden. Du siehst Gespenster, Regine. Was ist denn wirklich schon dabei, daß die Mama Heller ganz gern hat. Jede andere Frau würde sich darüber eher freuen, Du aber nein, nimm mir's nicht übel, da ... da muß ich wirklich ...«

»Du haß schon recht, wir verstehen uns nicht – ist gescheiter, wir brechen ab, ich hab ja auch nicht davon angefangen.«

Müde richtete sie sich in die Höhe und fuhr mit ihrem Spitzentüchelchen über das erregte Gesicht.

Felix zuckte mit den Achseln: »Du kennst meine Meinung,« sagte er gedehnt. »Überleg Dir jeden Schritt.« Und froh im Grunde seines Herzens, die lästige Pflicht hinter sich zu haben, bot er ihr den Arm.

»Ich danke,« entgegnete sie schlicht. »Laß uns nur so hinausgehen.«

»Wie Du willst!«

Er schob die Portieren auseinander, und wieder traten sie in den Saal, in dem jetzt ein unübersehbares Gedränge herrschte.

Mikadomusik schallte ihnen entgegen, und leichttänzerische Paare wirbelten aus dem Nebenraume an ihnen vorüber.

»Was ist das mit Gent?« fragte Felix plötzlich in gedämpftem, sonderbarem Tone.

Sie warf ihm einen Blick zu, der ihn total einschüchterte und von jeder weiteren Frage abstehen ließ. »O, Ihr Niederträchtigen,« flüsterte sie tief erregt. Und mit einer raschen Bewegung wandte sie sich von ihm.

»Gott, ist die exaltiert,« dachte Felix und der Schwager Heller tat ihm im stillen leid.

Ein junger Mensch mit schläfrigen, blasierten Zügen, kurz rasiertem Schädel und einem französisch zugestutzten Bart begrüßte ihn.

»Ah, Tosti! Nun wieder ein schlüpfriges Geschichtchen unter der Feder?« fragte er lächelnd und schob begönnernd seinen Arm in den des jugendlichen Herrn, der von sehr ernsten Plänen sprach und dazwischen mit einer nonchalanten Koketterie sich von einigen Backfischen und überreifen Frauen beliebäugeln ließ.

Als Regine durch das Gedränge all der lustigen Menschen schritt, füllten ihre Augen sich mit Tränen, dann wurde ihr für eine flüchtige Spanne Zeit zumute, als zöge man sie in eine Tiefe, wo es nur Nacht und Stille und Frieden gab, keine Freude und keinen Gram. Sie raffte sich auf und ballte die schmalen Hände zusammen. Sie durfte ja nicht zusammenbrechen, sie mußte stark bleiben, um noch in dieser Nacht handeln zu können. Aber wie verlassen sie sich vorkam, wie mutterseelenallein in diesem Schwarm inhaltsloser Menschen.

Sie schrak plötzlich empor und lauschte unwillkürlich. In einer dichten Gruppe von Palmen und Blattgewächsen stand Kommerzienrat Bär und sprach unaufhaltsam in Frau Berger hinein.

»Morgen nachmittag, wie?«

Und Frau Berger: »Wo denken Sie hin! Ich darf mich ja kaum aus dem Hause rühren – so mißtrauisch ist er.«

Der Kommerzienrat: »Man kann alles, was man will! Soll ich vor Sehnsucht ...«

Sie: »Es wird nicht so arg sein.«

Ein heiserer Laut entrang sich dem Mann.

Sieh mal! Er ergriff ihre Hand und streifte einen kostbaren Brillanten über ihren Finger.

Frau Regine hielt den Atem an und schlich lautlos davon. Um ihre Lippen zuckte es mitleidig-verächtlich. Aber dann schüttelte sie sich unmerklich und schritt ohne Ohr und Auge für das, was sie umgab, weiter.

Auf einmal wurde es ganz still ... feierlich still. Sie horchte wie gebannt. Ihr war's, als müßte plötzlich jemand auf das Podium treten und mit gellender, durchdringender Stimme den fremden Gästen zurufen: Seht, das ist die ehrlose Frau Rechtsanwalt Heller, die bei Nacht und Nebel ihr einziges Kind verlassen will.

Aber statt dessen wogten helle, jubelnde Tenortöne durch den Saal. Rotmühl sang unter andachtsvollem Lauschen der Hörer Fragmente aus Trosczkowskis soeben vollendeter Oper, die in der nächsten Woche im königlichen Opernhause in Szene gehen sollte. Der Komponist akkompagnierte.

»Wundervoll ... ganz wundervoll!« hörte Frau Regine dicht neben sich. »Das gibt einen kolossalen Erfolg. Haben Sie schon Billets? Nein? Na, dann beeilen Sie sich. Ist ein unglaublicher Andrang.«

Als der Sänger geendet, drängte sich alles um ihn und den Komponisten. Jeder wollte sein Kompliment und Fachurteil an den Mann bringen.

Arthur Lerch, der inzwischen sein Kostüm gewechselt hatte, strahlte: in seinem Hause Vorpremiere!

Pst! ... ging es durch den Saal und nun trat Grünau in vollendeter, liebenswürdiger Pose auf das Podium, um mit einer seiner graziösen Nummern von Davioff und Popper aufzuwarten – zum Schluß Trosczkowskis bekannte Tarantella für Cello bearbeitet.

Wieder erbrauste Beifall. Arthur benutzte die kleine Pause, um seinen Gästen mitzuteilen, daß dieser Teufelskerl von Grünau Anfang nächster Woche bei dem russischen Gesandten und zwei Tage darauf beim Kaiser spielen werde.

Und kaum zirkulierten diese Daten, als die Lola Feld, die man sich eigens aus Wien hatte kommen lassen, ihre kalte Schönheit und ihre noch kältere Stimme präsentierte.

Jetzt wurde Felix unruhig. »Ist zu viel Musik!« raunte er seinem Bruder zu. »Man kriegt Hunger!«

»Nur noch Lieban!« beruhigte dieser.

Gleich darauf erschien der Genannte und trug seine Glanznummer, das Lied vom Schweinehirten vor.

Das offizielle Konzert war damit beendigt, und alles drängte von den musikalischen zu den lukullischen Genüssen.

Frau Regine wäre am liebsten davongeeilt. Jedes Wort – jeder Blick tat ihr so weh. Sie zog die kleine Uhr. Nein, noch war es viel zu früh.

»Wie finster Du dreinschaust!« Mit diesen Worten störte sie Felixens Frau aus ihrem Grübeln auf. Dann nahm sie ohne weiteres den Arm der Schwägerin und zog sie mit sich fort.

»Ich sehe, was Du leidest, Regine,« sagte sie teilnahmsvoll. »Weshalb verbitterst Du Dir so das Leben? Warum fügst Du Dich nicht in das Unvermeidliche, nimmst Heller für den Narren, der er ist – und gehst im übrigen Deine eigenen Wege. Ich tue das längst,« schloß sie gedämpften Tones, »und fange dabei an, wieder aufzuleben – wenn Du ...« sie kam nicht zu Ende.

Heller und Gent kamen direkt auf sie zu.

»Da bist Du ja endlich,« begann Heller. »Wir suchen Dich nämlich an allen Ecken und Enden.«

Gent verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Es wird einem ganz wirr im Kopfe bei dieser bunten Mannigfaltigkeit,« bemerkte er.

Frau Heller nickte ernsthaft.

Jetzt gesellte sich noch der serbische Gesandte zu ihnen, ein Mann von orientalischem Typ mit bereits ergrauendem Haupthaar und pechschwarz gefärbtem Knebelbart.

Er begrüßte die übrigen nur flüchtig. Zu Frau Lerch gewandt, bemerkte er mit einem bedeutsamen Lächeln, indes er zerstreut mit seinem blauen Kneifer spielte: »Es ist nicht gerade hübsch von Ihnen, einen alten Herrn so treulos zu verlassen.«

Sie sah ihn kokett an, versetzte ihm mit dem Fächer einen leichten Schlag und entgegnete: »Wäre ich boshaft, würde ich Ihnen einfach erwidern, ich halte es mit der Jugend.«

»Da Sie aber nicht argen Sinnes sind, so werden Sie mir gütigst Ihren Arm reichen.«

Die letzten Worte hatte Felix aufgefangen, der wie ein Stößer auf den Gesandten zugeschossen kam.

»Ist ein schwieriges Geschäft mit Frauen umzugehen,« bemerkte er lächelnd.

»Die Ihrige ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt,« antwortete der Serbe.

Felix: »Ich bin im Augenblick zu bescheiden, um zu widersprechen. Wenn es Sie übrigens interessiert, Exzellenz, fuhr er im Tone leichter Konversation fort, »so kann ich Ihnen mitteilen, daß der Weg, den die Bahn zu passieren hat, gefunden ist. Meine Techniker haben sich in Ihrem Vaterlande heimisch gemacht und die Karten bereits gezeichnet.«

Der Gesandte konnte ein malitiöses Sticheln nicht unterdrücken. Aber in dem Augenblicke, wo er Frau Lerchs peinliche Verlegenheit wahrnahm, antwortete er rasch, »ich bin von Ihrem Eifer wirklich erfreut, vielleicht machen Sie mir in den nächsten Tagen das Vergnügen mich zu besuchen, damit wir eingehender das Projekt besprechen können.«

In Felix matten Augen blitzte es auf.

»Ich werde nicht verfehlen, Exzellenz; Sie entschuldigen mich jetzt gütigst, ich muß meinem Bruder die Pflichten des Wirts ein wenig erleichtern; nicht wahr, Sie haben die Liebenswürdigkeit, meine Frau ein wenig unter Ihren Schutz zu nehmen.«

»Gewiß – gewiß!«

»Hast Du vielleicht ein paar Minuten Urlaub, Heller,« wandte er sich rasch an seinen Schwager; und als Heller seine Bereitwilligkeit ausgedrückt, gingen sie schnell der entgegengesetzten Richtung des Saales zu. Auch der Gesandte und Frau Lerch, über deren häßlich-kluge Züge während Felix' Monolog es wie Wetterleuchten fuhr, hatten sich entfernt, und Frau Regine und Rechtsanwalt Gent standen sich schweigend allein gegenüber.

»Mein Bruder will in Serbien eine Bahn bauen,« sagte Frau Regine endlich, »und da es in seiner Natur liegt, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, so durften wir soeben Zeugen einer geschäftlichen Konferenz sein.«

»Ihr Bruder ist doch ein staunenswerter Tatmensch.«

Sie sah ihn prüfend, an, als suchte sie aus seinen Worten einen besonderen Nebenton herauszuhören.

»Mein Bruder,« sagte sie langsam, »ist das Produkt einer fatalen Erziehung.«

Er schaute verblüfft zu ihr empor; ihre Offenherzigkeit frappierte ihn.

»Ich meine,« fuhr sie unbeirrt fort, »er hätte statt eines tollen Spekulanten und Genußmenschen, statt eines Großjobbers, der, um seine Nerven zu stimulieren, sich in waghalsige Unternehmungen stürzt, ein genialer Kaufherr werden können, anstatt zu ruinieren, hätte er möglicherweise bauen können. Aber bitte, Sie werden Appetit verspüren – und ich möchte es nicht auf mein Gewissen laden, daß Sie hungrig dieses gastfreie Haus verlassen. Um mich brauchen Sie sich nicht zu kümmern.«

»Sie haben heute eine Ihrer merkwürdigen Stimmungen, gnädige Frau, es bedarf allerdings nur eines Wortes, wenn Sie ungestört zu sein wünschen.«

»Ich bin in der Tat übellaunig, und solche Stimmungen soll man eigentlich allein ausfechten und nicht andere damit behelligen. Aber kommen Sie, die Menschen sind so lustig, die Musik so froh – lassen Sie uns auch vergnügt sein, wer weiß, wie lange der ganze Tanz noch dauert.«

Sie lachte plötzlich hell und silbern, in ihren braunen Augen flackerte es unruhig, und über ihr bleiches Gesicht goß sich das Rot der Erregung.

Advokat Gent wurde unheimlich zumute.

»Sie sind unberechenbar, gnädige Frau!«

Sie wurde mit einem Schlage tiefernst und mit einer freimütigen Bewegung reichte sie ihm die Hand. Er drückte sie leise. Da entzog sie sich ihm hastig. Gent trat einen Schritt zurück und murmelte unverständliche Laute, während seine Züge um einen Schatten bleicher wurden.

Eine Tirolerin mit einem Tablett, auf dem Roederer und Kristallgläser standen, wollte an ihnen vorüberhuschen.

Gent hielt sie an, und ohne sich über sein Tun recht klar zu sein, schenkte er den schäumenden Wein in die zierlichen. Gläser. Eines reichte er ihr schweigend, und indem er das seine prüfend einen Augenblick gegen das Licht hielt, sagte er langsam mit schwerer Zunge: »Ich trinke auf Klarheit.«

Es fröstelte, sie – ein irrer Ausdruck beherrschte für eine Sekunde ihre Züge. Sie sah ihn dann durchdringend an, und mit trauriger Stimme entgegnete sie: »Ich wünschte, Sie dächten niemals gering von mir.«

Der Advokat wollte etwas erwidern. Aber ein inneres Gefühl zwang ihn, ihr schweigend zuzuhören und zum Zeichen des Einverständnisses nur leicht den Kopf, zu neigen.

Stimmgewirr und übermütige Musik drang wieder zu ihren Ohren. Sie aber hörten nur den feinen Ton der Gläser, die in reinem Klang zusammentrafen. Langsam, ohne Worte, schritten sie dem Gedränge zu, aus dem Hellers Gestalt auftauchte und auf sie lossteuerte.

»Ich bitte um Verzeihung, aber ich konnte wirklich nicht eher, hatte mit Felix etwas Dringendes zu besprechen. Übrigens müssen wir eilen, es ist schon alles besetzt ... ah, da bei Kommerzienrat Bär ist noch Platz!«

»So gehen wir dorthin,« antwortete Regine. Ihr Ton klang müde, ihr Gesicht hatte den gespannten Ausdruck verloren und zeigte wieder den ihr eigentümlichen Zug schwermütigen Ernstes.

Als sie sich der kleinen Tafel näherten, winkte ihnen Frau Berger, die in ausgelassener Weinstimmung bald mit dem Kommerzienrat, bald mit Dörmann ihr freies Spiel trieb, fröhlich zu. Ihre leuchtenden Augen schimmerten in bacchantischem Glanze, ihre prachtvolle Büste, bis an die Grenze des Erlaubten dekollettiert, zeigte den weichen Hals, den stolzen Nacken. Die ganze Gestalt schien Lebensfreudigkeit zu atmen und nur einem Zwange zu gehorchen, wenn sie die Geister mühsam zusammenhielt, die in ihr pochten und hämmerten und Freiheit für ungezähmten Genuß und tolles Sichausleben begehrten – das war das Weib, geschaffen für den Pinsel des Rubens.

Regine erschauerte. Sie konnte es nicht fassen; das war dieselbe Frau, die geprügelt und mißhandelt das Leben wie eine Bürde schleppte, um in dem Augenblick, der ihr noch so flüchtige Erlösung schuf, besinnungslosem Rausch sich hinzugeben – eine Verdürstende, die den Krug nicht von den Lippen läßt, bis sie den letzten Tropfen ausgeschlürft.

»Regine ... Regine!« rief sie verzückt, »das ist ein Fest für Selige und Götter, kommt, setzt Euch zu uns!«

Und Frau Heller erwiderte den Blick der Berauschten. Alles kleinliche Bedenken warf sie weit von sich. Ein reiches, weites Mitempfinden für die Ärmste ergriff sie, der Lichtgeflirr und perlender Wein eine Spanne Zeit Vergessen beschert hatte.

Dann verglich sie blitzschnell damit ihr eigenes Geschick: ihr würde der grauende Morgen Freiheit und Leben bringen ... ihr ...

An den Nebentischen wurde es plötzlich laut. Die Künstler hatten beim Durchbrechen ihrer Brötchen kostbare Überraschungen vorgefunden: Leuchtende Brillanten, kleine mit Smaragden besetzte Uhren und dazu Sprüchelchen, in denen man ihre Kunst feierte und sie bat, den schwachen Dank geneigten Sinns entgegenzunehmen.

»Donnerwetter, Ihr seid aber üppig,« raunte Bankier Wertheim seinem Schwiegersohne zu, und ein satanisches Lächeln glitt um seine dünnen Lippen, »müßt ja glänzende Geschäfte gemacht haben, um Euch solche Spaßmachereien zu leisten!«

Arthur wich verlegen aus; Felix aber sprang ihm zu Hilfe.

»Moderne Menschen, die wir einmal sind,« sagte er liebenswürdig, »suchen wir der ausgleichenden Gerechtigkeit Geltung zu schaffen.«

»Guten Appetit,« meinte Bankier Wertheim trocken.

»Und dann,« fügte Felix hinzu, »unser Weizen blüht – Aktien auf serbische Bahn – Aktien auf Wellblech – Aktien auf Darz, wenn Du 'ne gute Miene aufsetzt, lassen wir Dich zeichnen.«

Der Bankier lachte heiser auf: »Muß schönstens danken,« krächzte er. »Muß nicht überall dabei sein!« Und mit einer knappen Wendung ließ er die Brüder stehen.

»Das ist ein unglaublicher Filz, Dein Herr Schwiegervater,« knurrte Felix und zog die Stirn in Falten.

Aber nur einen Moment hielt seine schlechte Laune an. Denn unmittelbar nach diesem kleinen Intermezzo erhob sich der alte Pletten, die goldgestickte Tischkarte in der Hand, um unter feierlichem Silentium seinen Humor aus Steinberger Kabinet hervorsprühen zu lassen. Wie der kleine Herr mit der Utopistenstirn und dem dreieckigen holsteinischen Schädel, auf dem nur noch spärliche Haarbüschel von entschwundener Pracht zeugten, mit staatsmännisch-ernster Miene in hohen Fisteltönen an der Hand von Austern und Trüffeln die europäische Konstellation beleuchtete, da entstand schallende Heiterkeit, so daß der Redner, der nicht eine Sekunde die feierliche Strenge des Gesichtsausdruckes einbüßte, minutenlang pausieren mußte, um diese Heiterkeitsstürme sich austoben zu lassen.

Etwa eine Stunde später, als der Trubel seinen Höhepunkt erreicht hatte, und Arthur Lerch gerade seinen Gästen ein internationales Ballet vorführte – schlich Frau Regine den Korridor entlang zur Garderobe.

»Ich bitte, nichts verlauten zu lassen, daß ich früher fortgegangen bin,« wandte sie sich an die Garderobiere, »ich fühle mich nicht ganz wohl und wünsche um keinen Preis, daß mein Mann und mein Bruder etwas davon erfahren – mein Bruder würde außer sich sein, wenn das Fest gestört würde.«

Die Garderobiere nickte verständnisvoll: »Soll ich einen Wagen besorgen, gnädige Frau?«

Regine drückte ihr ein Goldstück in die Hand. »Eine gewöhnliche Droschke und schweigen!«

»Gnädige Frau können versichert sein!«

Regine hüllte sich tief ein. Fünf Minuten später saß sie in einem Coupée, dem ein anderes dicht folgte. An der nächsten Ecke ließ sie den Wagen halten, sprang heraus und lohnte den erstaunten Kutscher überreich ab. Alsdann schlüpfte sie in jenes andere Gefährt, das von einem jungen Mädchen rasch geöffnet wurde. Dieser Wagen setzte sich blitzschnell in Bewegung. Der verabschiedete Rosselenker blickte dem Gespann verdutzt nach. Er drehte das Geldstück in seinen Fingern, zog ein urschlaues Gesicht, holte phlegmatisch eine kleine Tabakspfeife hervor und fuhr gemächlich zur Haltestelle zurück.


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