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XXI.

Ungefähr vierzehn Tage nachdem man mit dem Bau der Bahn begonnen hatte, wurden die Aktien zu unerhört hohem Agio ausgegeben. Das Publikum, durch die Presse über die Großartigkeit und unzweifelhafte Gewinnbringung der Bahn unterrichtet, hatte mit den entfesselten Instinkten des Geldhungers und der Habsucht auf die Emission der Aktien gelauert. Die großen und die kleinen Kapitalisten waren wie von einem Fieber gepackt, das stündlich mehr um sich griff. Die Kaufwut schien keine Grenzen mehr zu finden. Die erste Ausgabe der Aktien war so überzeichnet, daß nur die Begünstigten Berücksichtigung erhoffen durften.

Felix war Börsenkönig. Sobald er, von Arthur begleitet, auf dem Plan erschien, war er von Maklern und Spekulanten umringt. Er war der Geniemensch, zu dem man volles Vertrauen haben durfte; er hatte mit einer Solidität und Umsicht gearbeitet, die ihm im Grunde von niemandem zugetraut worden war. Denn hinter ihm stand die ehrwürdige Gestalt des Geheimen Kommerzienrats Bär, des Chefs einer der renommiertesten Bankhäuser, das bereits unter dem seligen Herrn Bär, dem Vater des jetzigen Inhabers, eine beherrschende Stellung eingenommen hatte. Ja, in Felix, diesem Lebemann, steckte neben seiner Genußsucht doch noch manches andere, ein feiner Kopf. Sie hatten es eigentlich alle gewußt, daß der Junge eines Tages Rätsel aufgeben würde. Man berechnete schon die Millionen, die er verdienen würde.

»Dir gesagt, Jakobsohn! ... Warum gerade mir gesagt – Dir gesagt! ...«

So zog man sich gegenseitig witzelnd auf, und bewies Felix die denkbar höchste Verehrung.

Die Lehrjungen aus den Bankhäusern, die auf der Börse mit noch wichtigeren Mienen als ihre Chefs herumlaufen und sich bereits wie kleine Rotschilds schnäuzen, zeigten sich gegenseitig den großen Mann und drängten in seine Nähe. Jeder hatte den lebhaften Wunsch seines Geistes Hauch zu spüren.

Auch Bär wurde eifrig diskutiert. Ein nobler Mann hieß es, man sollte nur wissen, was der für seinen armen Familienanhang im Posenschen alles tat. Man sollte nur seine großmütigen Zeichnungen verfolgen, sobald es sich um einen Akt der Wohltätigkeit oder gar den Bau einer Gedächtniskirche handelte; man sollte das nur nachrechnen, es ging in die Tausende und Abertausende.

Beide Männer konnten sich kaum der sie umringenden Freunde erwehren, die alle bedacht sein wollten.

Arthur, der sich um die geschäftliche Frage so gut wie gar nicht kümmerte, hatte dafür desto mehr Protegés. Er lief überall umher und schwatzte den Leuten vor, was sein Bruder für ein Kerl sei: so was ist noch nicht dagewesen, noch nicht dagewesen! Wie ein Tier arbeitet der Mensch! Er wird sich noch aufreiben, jammerte er, ißt er denn, wie sich's gehört? Unsinn, er schlingt die besten Diners in sich hinunter ... er ... Mitten im Satze ließ er die Hörer gewöhnlich stehen ... setzte eine gewichtige Miene auf und erklärte, er müsse unbedingt in's Kontor.

Daselbst sah es bunt genug aus. Aus allen Kreisen drängte man sich hin, um nur ja mit dabei zu sein. Jeder wollte Felix sprechen, jeder wollte es aus seinem Munde hören, daß er sein Geld nicht besser anlegen könnte. In langen Reihen saßen die Leute im Warteraum und harrten auf den Augenblick, wo sie in's Privatkontor gelassen werden würden. Jeder erzählte dem anderen das neueste, das er gehört hatte. Bei den zahllosen Gerüchten, die umherschwirrten, wurde das neueste immer von noch neuerem überholt. Jeder kaufte auf Kurssteigerung. Denn solche goldene Gelegenheit, mühelos reich zu werden, wollte niemand sich entgehen lassen. Da warm alle Stände einträchtig nebeneinander vertreten, es gab keine sozialen Unterschiede mehr, es gab nur einen Hunger, den sie alle in gleichem Maße spürten: Arzte und Anwälte, Kaufleute und Lakaien, arme Lehrer und Lehrerinnen, hohe Würdenträger und mühselige, kleine Beamte, Gelehrte und Künstler.

Zu den letzteren gehörte auch Grünau, der eines Tages seine Karte in's Kontor schickte und trotz des Murrens der Wartenden sofort vorgelassen wurde. Als er eintrat, lachte Felix über das ganze Gesicht.

»Ist nichts mehr zu haben,« rief er ihm entgegen.

»Das glaub ich einfach nicht,« erwiderte Grünau, »ist nicht Ihre Art, die besten Freunde zu vergessen.«

Bär schmunzelte dazu. Er war aller Sorgen ledig, selbst die Viertelmillion für das Satansweib spielte jetzt keine Rolle mehr. Der Weizen blühte herrlicher denn je.

»Grünau,« sagte Felix wohlwollend, »Sie kriegen die Aktien zum Emissionskurs – selbstverständlich – darüber ist gar kein Wort zu verlieren, und bei dem Galakonzert von Klein-Ostende übernehmen Sie das Arrangement!«

Grünau verabschiedete sich von den Herren in gehobener Stimmung: es war doch gut, Bankiers zu Freunden zu haben. Auch ihn hatte es in den Taumel hineingerissen, der sich aller bemächtigt hatte.

Als Felix an diesem Tage die Fabri besuchte, brachte er ihr ein elegant versiegeltes Päckchen mit, das sie ihm gierig entriß und in einer Art von Ekstase an ihre Lippen drückte. Das Bündelchen enthielt Aktien auf die serbische Bahn.

»Na ... na!« stieß er hervor, »is großartig, erst die Aktien und dann ich – was die Dingerchen für 'ne Macht haben!«

Die Fabri schloß ihm den Mund mit Küssen.

Ihr Beisammensein war heute nur ein kurzes, da Felix jetzt immer auf dem Sprunge war. Sie tat sehr verstimmt wegen seines frühen Aufbruchs, so daß er Mühe hatte, sie zu trösten. »Soll ich Dir etwas sagen, kleine Schlange?«

Sie schob die schmale Junge ein wenig zwischen die Lippen, sah ihn lockend an und drängte sich dicht an ihn.

»Sag's!«

»Wenn die Emission glückt,« entgegnete er heiß, »kriegst 'ne Villa in Potsdam, 'n kleines Schmuckkästchen, ... ja, mein Schatz!«

Nun hatte er Arbeit, sich von ihr loszuwinden. Sie wurde ganz rasend vor Freude.

»Es glückt ... es glückt!« rief sie ein über das andere Mal und umklammerte ihn mit ihren mageren Armen, daß er zu ersticken glaubte. Endlich befreit, eilte er ganz atemlos hinunter und fuhr sofort nach Hause.

Als er nach etwa zwanzig Minuten vor seinem Palais anlangte und den Wagen verließ, sprang der Portier mit einer entsetzlich demütigen Miene aus seiner Loge.

Der Bankier witterte Unrat: »Daß Sie sich nicht unterstehen,« schrie er ihm wütend entgegen, »kein Wort will ich hören.«

Der Mann trat eingeschüchtert zurück.

Es tat Felix leid. »Sie sind ein fürchterlicher Esel, Krause, ich kann Ihnen doch nicht täglich – ach, Unsinn!«

Er sprang die Treppe hinauf. Was half's! Er mußte gegen diese Leute, den Kammerdiener, den Kutscher, den Portier, gegen das ganze Gesindel überhaupt ordentlich grob werden, um sie abzuwimmeln. Die Menschen hatten ebenfalls ihre paar hundert Taler in Serben angelegt und suchten bei jeder Gelegenheit aus eine demütige und raffinierte Methode über den Stand der Dinge einiges aus ihm herauszulocken, um vor den Kollegen mit ihrer verbürgten Weisheit groß zu tun.

Als Felix seinem Kammerdiener einmal riet, zu verkaufen und mit dem nicht unbeträchtlichen Gewinn sich zu begnügen, schnitt der Jean ein so schlaues Spitzbubengesicht, daß der Bankier noch lange daran denken mußte.

»Ne, gnädiger Herr Lerch, für so dumm brauchen Sie mich nicht zu halten. Ich werd den anderen das pure, liebe Gold in den Rachen werfen, da müßten se mich ja wegen des da,« er wies auf seine Stirn, »nach Plötzensee schaffen.«

Dies felsenfeste Vertrauen schmeichelte Felix. Er wußte, mit welcher Gier, wie eine verhungerte Meute, die großen und die kleinen Leute, die, welche ererbtes Vermögen, und die, welche die sauren Groschen jahrelanger Arbeit in Serben angelegt hatten, auf den Abend lauerten, um sich auf den neuen Kurszettel zu stürzen. Er hatte einmal die ganze Bedientenskala: den Koch, den Portier, den Kutscher, die Diener, die Kammermädchen über den Kurszettel vertieft angetroffen, so daß sie sein Kommen überhaupt nicht bemerkt hatten. Mit strahlenden Gesichtern hatten sich die Leute gegenseitig vorgerechnet, um wie viel sie heute wieder reicher geworden waren. Er hatte sich in einem großartigen Herrengefühl davongeschlichen, um ihren Genuß nicht zu stören.

Sein Koch war ein Überschlauer und hatte gemeinsam mit dem kleinen Zöfchen bei einem fremden Bankier für mehr als er im Vermögen besaß, gekauft. Er war ein Politikus, der die Konstellation benutzen wollte.

»Fluschen muß es,« meinte er zu dem Zöfchen, und dann stritten sie über das Hotel, das sie gemeinsam erwerben wollten.


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