Hans Hoffmann
Der eiserne Rittmeister
Hans Hoffmann

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Siebzehntes Kapitel

Des Physikus Ende. Der Rittmeister fällt hilflos dem Glück in die Hände, und Hartmut hat noch einmal Gesichte.

Am nächsten Nachmittag saß Hildegard mit Frau Doris in deren Zimmer, trauriger Unterhaltung pflegend.

»Und es gibt keine Rettung für ihn?« fragte Doris weinend.

»Ich wenigstens sehe kein Mittel«, seufzte Hildegard, »und ich muß leider sagen, liebe Mutter, ich habe um so weniger Hoffnung, als es schon genug des unverhofften Glückes scheint, daß nur Ihr Sohn gerettet wird. Wir dürfen nicht einmal klagen über Ungerechtigkeit oder Härte.«

»Und doch sitzt auch er in harter Gefangenschaft!« klagte Doris.

»Er könnte größere Freiheit genießen«, antwortete Hildegard mit einem trüben Lächeln, »wenn ich es erlaubt hätte. Ja, denken Sie nur, ich selbst riet dem Kapitän Schmälzle, ihn in strengem Gewahrsam zu halten.«

Frau Doris blickte sie mit vorwurfsvoller Verwunderung an.

»Es ist nicht anders«, bestätigte Hildegard, »und es geschah auf kluge Warnung des Herrn Physikus.«

Frau Doris rang die Hände. »O liebe Tochter«, jammerte sie, »wie konnten auch Sie auf diesen unheilvollen Menschen hören?«

»Ich denke nicht so schlimm von ihm«, sagte Hildegard ruhig, »und jedenfalls war seine warnende Meinung klug und richtig. Es ist kein Zweifel, Ulrich würde, in Freiheit gelassen, alles aufbieten, um seinen väterlichen Freund zu retten. Und was er tun könnte, wäre nichts als Unbesonnenes. Ich glaube wohl, es möchte ihm gelingen, in der Stadt oder in der Umgegend einen Aufruhr heißblütiger Leute anzustiften; es 406 würde Blut fließen – und wer kann wissen, wessen Blut; möglich sogar, daß es gelänge, das Häuflein Franzosen zu überwältigen, das Schloß zu stürmen, den Gefangenen zu befreien: doch was wäre damit gewonnen? Ein Aufschub von wenigen Tagen für den einen und sicheres Verderben auch für die vielen anderen, am allermeisten für Ihren Sohn, der kaum wie durch ein Wunder entronnen ist. Wir wissen es ja alle, die Franzosen haben dies Land Preußen wie in ein eisernes Netz verstrickt, das sie jeden Augenblick noch zwängender zuziehen können nach ihrem Belieben; vielleicht, daß sie nur begierig auf eine gute Gelegenheit lauern. Und wehe dem, der eine solche Gelegenheit herbeiführt, er würde zuerst zerdrückt und erwürgt werden in den Maschen des Netzes, geholfen aber wäre keinem. So sagt der Physikus, und ich sehe nicht, was dagegen einzuwenden ist. Darum gab ich selbst dem Feinde jenen Rat, und er war verständig genug, ihn pünktlich zu befolgen. So dürfen Sie jetzt ohne Sorge sein um das Schicksal Ihres Sohnes; er wird bald frei sein – wenn auch um einen furchtbaren Preis.«

»O mein Gott, o mein Gott«, seufzte Doris, »so soll ich denn gar den Tod des treuesten Freundes noch herbeisehnen müssen als die einzige Aussicht, meinen Sohn wieder lebend ans Herz zu drücken? Oh, liebe Tochter, wie Schreckliches ist auf unsere schwachen Schultern gelegt! Und auch Ihr unglücklicher Bruder schmachtet noch im Kerker?«

»Nein«, erwiderte Hildegard, »mein Bruder wenigstens ist wieder frei. Doch er hat Furchtbares erlitten, eine so rohe Grausamkeit, daß selbst der Kapitän entrüstet seinen Untergebenen, der dies verübt hat, zu strenger Verantwortung zieht, meinem Bruder aber eine bewundernde Ehrenerklärung gibt; denn dieser hat sich als ein Held bewährt, wie gewiß es niemand außer mir von seiner weichen Seele erwartet hätte. Ich habe ein Recht, auf ihn stolz zu sein, wie ich ihn liebe. Was ihm die wunderbare Kraft gegeben hat, ich ahne es wohl: die seltsame und in ihrer Seltsamkeit gewaltige Persönlichkeit Ihres Herrn Rittmeisters erfüllte ihn mit neidvoller Bewunderung und dem heißen Wunsch, seiner würdig 407 zu sein und um seinen Beifall zu werben. Und vielleicht noch eine stärkere Helferin mag ihm die Liebe gewesen sein. Ich weiß, er liebt von Herzen die Nichte des Herrn von Jageteufel –«

»Lisbeth! Unsere liebe Lisbeth! O das ist herrlich!« fiel Frau Doris lebhaft ein, »und wie er von ihr geliebt wird, das hätte er gestern entdecken können an ihrer verzweifelnden Angst, als das Gerücht von seiner Verhaftung zu ihr gedrungen war. Sie war wie verwandelt, das schüchterne, bescheidene Kind. Mit aller Gewalt wollte sie ihn befreien, ihn losbitten, für ihn bürgen; sie entwarf die abenteuerlichsten Pläne und fand doch keine Möglichkeit, irgend etwas zur Ausführung zu bringen. Ich hatte ein rechtes Mitleid mit ihrer hilflosen Herzensnot, nur daß ich selbst an eigenen Sorgen allzu schwer zu tragen hatte.«

»Und doch hat das liebenswürdige Mädchen heute ihrem Herzen genug tun können«, sagte Hildegard mit heiterer Rührung, »da sie bei unserer Rückkunft noch nicht ahnte, daß für meinen Bruder jede Gefahr bereits vorüber war. Ich selbst war zugegen und konnte es mit herzlichem Anteil beobachten, wie kühn ihre Schüchternheit sich Bahn brach zu dem französischen Offizier, wie sie ihn mit Forderungen fast mehr als mit Bitten bestürmte und ein freudiges Zeugnis ablegte, wenn nicht für seine Unschuld, so doch ganz gewiß für ihre redliche Liebe. Der Franzose selbst, der kein harter Mensch ist trotz seiner Feindseligkeit gegen den Herrn Rittmeister, ward sichtlich bewegt durch ihr anmutiges Dringen; er begann sie nur noch neckend zu ängstigen, mein Bruder habe sich gar verdächtig gemacht durch seinen noch nicht erklärten häufigen und langen Aufenthalt in diesem staatsgefährlichen Hause, bis er endlich das reizende Geständnis aus der Weinenden und heiß Errötenden herauslockte, sie selbst sei es gewesen, die ihn dorthin gezogen und festgehalten habe, und es sei doch nichts Arges dabei, denn sie dürfe sich seine Braut nennen trotz der kurzen Bekanntschaft. Es ward ihr so schwer, dies Bekenntnis, und kam ihr so lieblich heraus, daß der Kapitän noch fortfuhr, sie hinzuhalten, und meinte, wenn er so ein seltsames 408 Märchen glauben solle, so sei es ihre Sache, ihm die Wahrheit dessen durch Taten zu bestätigen; und ob sie sich getraue, zum deutlichen Erweise ihrer Brautschaft dem verdächtigen Menschen ohne weiteres mit einem Kusse entgegenzuspringen. Es ward ihr gar bitterlich schwer, das zuzusagen, aber sie tat es zuletzt, und der belustigte Offizier versagte sich das Vergnügen nicht, sie selbst in die Gefängniskammer meines Bruders hinaufzuführen; und auch ich durfte zugegen sein. Doch wir fanden ihn schlafend, seit vierundzwanzig Stunden; wie furchtbar muß das ihm angetane Schrecknis den Armen erschüttert haben! Wir getrauten uns auch jetzt nicht, ihn gewaltsam zu wecken; der liebenswürdige Offizier aber ließ ihm eine Flasche Rheinwein hinaufbringen, damit er ein tröstliches Erwachen habe und sich zu mutigem Ertragen des allzu großen Liebesglückes vorbereiten könne: denn darauf, fügte der Kapitän hinzu, bestehe er unbedingt, daß jener nur durch den beweisenden Kuß der angeblichen Braut von jedem Verdacht gereinigt werden könne. So wird denn dieser eine traurige Zwischenfall wohl bald zu einem fröhlichen Ende gedeihen; dürften wir nur für den anderen schlimmer verwickelten Freund eine gleiche Hoffnung nähren! Allein glauben Sie mir, verehrte Mutter, in diesem schrecklichen Falle würden Ihre Fürbitten so vergeblich sein wie es die meinen waren: der Franzose kann den Herrn von Jageteufel gar nicht mehr freigeben, wenn er auch wollte, denn er hat seine Entdeckung bereits zur Anzeige gebracht, wie er achselzuckend mir mitteilte; und um gerecht zu sein, sein Ehrgeiz nicht allein, auch seine Pflicht als Offizier und Franzose gebot ihm sein Verfahren und gebietet ihm ferner unerbittliche Festigkeit. Wollte Gott, ich wüßte Ihnen und uns allen besseren Trost zu geben.«

Frau Doris warf sich weinend an den Hals der neu gewonnenen Tochter und vermochte lange kein Wort mehr hervorzubringen.

Da klopfte es, und die Dienerin brachte einen Brief herein. Doris öffnete ihn mit zitternden Fingern und las in wachsender Erregung:

»Wenn es möglich wäre!« rief sie aus; »doch nein, wie 409 sollte denn gerade dieser Mensch – nicht zum zweitenmal werde ich ihm vertrauen, er ist ein höhnischer Possenreißer und weiter nichts, er wird auch mich zum besten haben wollen – sich rächen wollen, daß ich nicht einzustimmen vermochte in sein häßliches Lachen, an seinem armseligen Triumph über unseren Freund nicht teilnahm – denn das verlangte er von mir, die ich nur tief erschüttert war durch einen schrecklichen Auftritt, den seine Bosheit angestiftet hatte. Oh, ich fürchte mich vor diesem Menschen, ich glaube nicht mehr, daß mir von ihm etwas Gutes kommen könne, auch wenn er sich manchmal diesen Anschein gibt. Er kann nur spotten und spotten, doch gewiß nicht in frommer Absicht einem anderen etwas Liebes tun, am wenigsten nun diesem Manne, den er bitterlich haßt, und dem er von Herzen nur alles Böse gönnt! – Denken Sie doch nur, liebes Kind, dieser Physikus schreibt mir – doch lesen Sie selbst hier seine wunderliche Art«

Hildegard empfing das Papier und las:

»Meine Gnädigste! Trotz Ihrer Ungnade werden Sie mir doch die Gnade schenken müssen, meinen Rat anzuhören. Der Bär ist einmal wieder in eine Falle geraten, und man wird schon den Fuchs bitten müssen, ihm herauszuhelfen. Und der hochherzige Fuchs ist in der glücklichen Lage, das zu vermögen, und zwar ebenso leicht als sicher. Wissen Sie noch einen anderen, der das auch vermag, so ermahne ich Sie, mich auch fernerhin mit der tiefsten Verachtung zu strafen. Da Sie aber zuversichtlich keinen anderen Helfer haben, so lade ich Sie ein, mich unverzüglich in meiner Höhle aufzusuchen, jedoch, wie ich bemerke, nur Sie allein, weil ich mich nicht in der Verfassung befinde, meine Nerven zu strapazieren; auch ist es ein äußerst empfindliches Geheimnis, das ich in Ihre Hände zu legen gedenke. Daß Sie diesen Besuch nicht gern machen, ist mir sehr wohl bewußt, denn Sie wittern hierselbst unbekannte Schrecknisse. Allein Sie wissen, ich lasse mich gern ein wenig fürchten, am liebsten aber von Ihnen. Zögern Sie 410 nicht zu lange, meine gnädigste Freundin, das ist Verschwendung von Nervenkraft, deren Sie vielleicht bei mir recht sehr benötigt sein werden. Denn kommen müssen Sie ja doch, ob mit gutem oder bösem Willen; Ihnen bleibt keine Wahl. So wenig Vertrauen Sie zu mir auch haben: möglich ist es ja doch, daß ich diesmal ausnahmsweise zu etwas Nützlichem zu gebrauchen bin, und weil es möglich ist, so sind Sie gezwungen, den Versuch zu machen. Oder lassen Sie den alten dummen Grobian freiwillig in seinen Sünden dahinfahren, mir soll's recht sein. Nur, daß ich der Welt nicht die Wohltat gönne, ihn loszuwerden. Ich erwarte Sie, meine liebenswürdige Patientin; glauben Sie mir: Sie werden kommen. In schuldiger Ehrerbietung

Ihr getreuer Seelenarzt Stanislaus Gugelmann.«

»Was soll ich da tun?« rief Frau Doris verzweifelt, »was soll ich tun? Mir graut vor dem Menschen und mehr noch vor seiner Hilfe.«

»Und dennoch hat er recht«, sagte Hildegard ernsthaft, »Sie werden gehen müssen. Denn es wäre Sünde, auch die geringste Möglichkeit einer Hilfe zu versäumen. Doch gestehe ich, daß ich auch besseres Vertrauen habe als Sie. Wohl ist der Mann auch mir ein Rätsel, aber ich ahne etwas in ihm, das ganz anders ist, als es sich zeigen möchte; er ist vielleicht ein Mensch, der unablässig im Herzen nur sich selbst verspottet, indem er mit anderen zu spielen scheint. Und ich glaube, er trägt ein tiefes Unglück geheim in sich herum, vielleicht eine übergroße Sehnsucht, die er höhnisch vor den Menschen versteckt, weil er fürchtet, sie könnten über ihn lachen; denn wirklich, wie sonderbar müßten Tränen zu diesem Gesichte stehen! Ganz als ob man einen Affen zum Weinen abgerichtet hätte. Ich würde vielleicht mitweinen, wenn ich es sähe, aber mitten im Weinen zugleich von einem unbezwinglichen Lachen geschüttelt werden. Ich weiß nicht, ob ich recht habe, doch ich könnte das mit ihm empfinden; es gibt nichts Abscheulicheres, als in Tränen belauscht zu werden von Augen, die nicht herzlich mit uns weinen. Vielleicht dürfen Sie, liebe Mutter, 411 Ihr Grauen vor ihm durch ein gerechtes Mitleid überwinden lassen. Sehen Sie, ich habe so seltsame Dinge an meinem verstorbenen Oheim kennengelernt.«

Frau Doris sah die Braut ihres Sohnes leise bewundernd an und fragte:

»Und glauben Sie, daß er uns helfen kann?«

»Ich glaube es sicher«, sagte Hildegard, »seine Klugheit und erfindungsreiche List habe ich erfahren, und ich weiß auch, daß er eher zu wenig als zu viel verspricht. Gehen Sie, liebe Mutter, Sie können nicht anders.«

»Nun denn, so soll es gewagt sein«, entschied sich Doris nach einem kurzen Kampf, »ich muß mich demütigen um des Freundes willen. Wollen Sie mich hier erwarten, mein Kind, oder begleiten Sie mich eine Strecke?«

»Ich werde mit Ihnen gehen bis zu dem Hause«, antwortete Hildegard, »und mich dann im Schlosse nach meinem Bruder umsehen – und nach den anderen.«

Doris rüstete sich in Eile, und beide Frauen verließen Arm in Arm den Garten.

Als sie hinaustraten unter die Lauben der Straße, sahen sie das gewohnte Tagesleben in unveränderter Stille, und doch schien ihnen sogleich ein neues, dumpf erregtes Leben wie eine Schwüle unter den Wölbungen zu zittern. Die Leute standen wie sonst untätig und schweigsam vor ihren Türen, aber sie standen nicht sorglos hingelehnt in vergnüglichem Träumen, sondern die einen gedrückt, brütend und finster hinlauernd, mit starr geballten Fäusten, die anderen steil aufgerichtet mit gekreuzten Armen, trotzig herausfordernd, alle, als ob sie eine unsichtbare Waffe neben sich stehen hätten und hier gelassen auf den Befehlsruf warteten, sie zu ergreifen.

Eine Gruppe von Handwerkern kam ihnen entgegen; als diese Frau Doris erkannten, traten sie verwundert beiseite, um Raum zu geben, und einer von ihnen, ein kümmerliches, verarbeitetes Männchen, aber mit festem Blick und knochigen Fäusten, rief ihr zu:

»Umbringen lassen wir ihn nicht, Frau Geheimderätin, eher soll der Herr Kapitän mit all seinen Franzosen dran 412 glauben; mit der Bande werden wir schon fertig, und wenn's hinterher uns allen an den Kragen geht; aber die Schande soll nicht über uns kommen, daß wir unseren Herrn Rittmeister hier mitten unter uns abschlachten ließen wie'n Huhn. Ein Grobian ist er ja wohl immer gewesen und hat uns behandelt wie die Hunde; aber zu brauchen war er auch immer, wenn einer was von ihm verlangte; und nachher, wenn's gegen den Bonaparte losgeht, müssen wir ihn bei uns haben, ohne ihn geht es nicht. Nein, sag ich, zwiebeln können sie ihn meinetwegen, das hat er manchmal um uns verdient, aber umbringen sollen sie ihn nicht. Sagen Sie ihm das, Frau Geheimderätin, wenn Sie zu ihm gehen.«

Frau Doris nickte den Leuten ängstlich zu und schritt eiliger vorüber.

»Der Physikus hat recht gehabt«, flüsterte sie Hildegard zu, »welch eine Gefahr für Ulrich, wenn er seinen heißen Mut an dem Trotz dieser Menschen entzündet hätte! Ich habe ihm doch wieder zu danken und Ihnen, mein Kind, für Ihre Besonnenheit. – So, hier bin ich an Ort und Stelle.«

Mit einem zärtlichen Händedruck verabschiedete sie sich von Hildegard und trat in das Haus der Physikus. Als sie sich die dunkle Treppe hinaufgewunden hatte und oben von einer alten Dienerin empfangen und bis an das Speisezimmer des Hausherrn geführt worden, quoll ihr aus der rasch geöffneten Tür ein grellflimmernder Lichtschein entgegen, der sie im Verein mit der fremdartigen Farbenpracht des Gemaches für einige Sekunden völlig blendete.

Als sie wieder einzelnes zu unterscheiden vermochte, bemerkte sie, daß die Fenster durch dichte Teppiche gänzlich gegen das Tageslicht abgeschlossen waren und statt dessen ein sehr großer, kranzförmiger Kronleuchter aus geschmiedetem Eisen das flimmernde Licht zahlreicher Kerzen von der Decke niederstrahlte. Gerade unter diesem Lichterkranze saß in der Mitte des Zimmers, tief in einen schwergepolsterten Prunksessel zurückgelehnt, der Physikus neben einem kleinen Tische, der ein kunstvoll gearbeitetes Fäßchen sowie einige Schalen und Becher trug. Der Hahn war aus Nachlässigkeit oder 413 Zufall nicht richtig zugedreht; es tröpfelte aus ihm in ziemlich lebhaftem Fall eine dunkle Flüssigkeit in ein großes Silberbecken, von dem ein schwerer berauschender Duft emporstieg und das ganze Zimmer füllte. Seinem Sessel gegenüber stand ein zweiter Lehnstuhl nebst einem Tischchen, das mit Papieren bedeckt war. Der Physikus sah noch farbloser, verfallener und häßlicher aus als sonst. Doris fühlte sich bei seinem Anblick und dem all dieser wunderlichen Veranstaltung von einem neuen Schauer bangen Mißtrauens überlaufen.

Sobald sie eingetreten war, erhob er sich mit merklicher Mühe, schloß die Tür hinter ihr zu, küßte ehrerbietig ihre Hand und führte sie zu dem Lehnstuhl am Papiertische; er selbst sank schwer in seine Polster zurück. Sie fühlte ihren Geist wie gelähmt, ließ alles mit sich geschehen, und ihre Blicke wanderten in verwirrtem Staunen scheu umher.

Der Physikus lächelte sonderbar. »Sie fühlen sich noch ein wenig beklommen in diesem Raume, meine gnädigste Freundin«, sagte er, »ja, gerade heraus: Sie fürchten sich – Sie wissen nicht recht, wovor, aber vor irgend etwas Unerwarteten, Unheimlichen, vielleicht Unangemessenem. Es erschreckt Sie, sich mit mir, einem Menschen von höchst unklar schillerndem Charakter und Wesen, fest eingeschlossen zu finden. Allein beruhigen Sie sich durchaus; ich bin ein hilfloser Mann versagenden Atems und Sie eine blühende Frau von weit mehr Kraft und Mut, als Sie sich zutrauen; sonst wären Sie nicht zu mir gekommen, von dem Sie seit gestern nichts Besseres mehr als heimliche Tücken erwarten. Und ganz mit Recht, das ist mein Fach und mein Vergnügen. Doch gedenke ich diese meine schlimmen Freuden auch jetzt gewiß nicht auf Ihre Kosten zu genießen. Meinen Gegner kennen Sie; Sie sind es wahrlich nicht. Auch habe ich Sie nicht eingeschlossen; der Schlüssel steckt und ist völlig in Ihrer Gewalt. Ich habe nur etwas ausgeschlossen, etwas, das mich nun fast sechzig Jahre lang begleitet hat, ein sehr rätselhaftes, sehr schnurriges und doch allerorten überaus beliebtes Etwas; ich habe das Leben ausgeschlossen. Weiter nichts. Schaudern Sie einstweilen nicht, meine Verehrteste; es ist nichts 414 Schauderhaftes; Sie werden meine Meinung sogleich verstehen. Die Papiere dort sind für Sie bestimmt; sie enthalten meine Meinung. Doch bitte ich Sie zunächst, mir aus diesem Glase Bescheid zu tun: er duftet etwas stark, dieser Wein, nicht wahr? fast betäubend; er hat etwas Hippokratisches, dieser schwere, heiße Geruch, doch nur für mich, für meine klugen, dunkel witternden Nerven; für Sie ist es nur Kraft und Leben, was er haucht. Es ist nichts Ärgeres als Wein von den Kanarischen Inseln, die man die Inseln der Seligen nennt; ich habe ihn eingeschmuggelt auf eigene Kosten und Gefahr; er sollte mich für eine letzte Stunde auf eine selige Insel versetzen; es ist möglich, daß er dies in Wahrheit fertig bringt. Bitte, versuchen Sie ihn, vielleicht werden Sie doch einer Kräftigung benötigt sein; denn immerhin wird meine Neuigkeit Ihnen eine starke Überraschung sein. Wir kommen dann sogleich zur Sache.«

Doris gehorchte, als wenn sie nicht anders könnte, unter einem geheimnisvollen Zwange; sie empfing das zierliche Glas, trank es langsam aus und fühlte ihren Mut und Willen leise wachsen, ohne daß ihr still fragendes Grauen sich verringerte. Ihr Blick heftete sich starr auf den halboffenen Hahn des Fäßchens und den eintönigen Fall der sickernden Tropfen wie auf eine höchst wunderbare Erscheinung oder ein zu lösendes Rätsel.

»Ich habe Sie hierher gebeten«, sagte der Physikus plötzlich, »um über gewisse Kunststile oder Schönheitsgesetze mit Ihnen zu beraten. Sie haben vielleicht meine drei polnischen Grazien gesehen – Jugenderinnerungen –, sie befriedigen mich so wenig mehr wie diese vergnüglichen Bilder an den Wänden mit samt den tollen Farbenquadrillen der Teppiche und all dem anderen Firlefanz, den ich gern mit dem Leben zugleich aus der Tür gesperrt hätte. Ich habe es dann versucht mit all dem anderen Zeug erträumter, träumend geformter Schönheit, das die sehnende Menschheit im Laufe der Jahrtausende ausgeworfen hat wie das tobende Meer seinen zarten Schaum – Sie finden in jener Ecke alles bei Haufen zusammen von Pheidias bis Raffael und Rembrandt, 415 Stiche und Schnitte, alles die Wonne meiner Augen durch lange Jahre, aber heute auch das nicht mehr; es gehört dem spielenden Leben an und ist nicht stark, nicht fest, nicht lebendig genug, auch dem Tode genug zu tun – ich dürste nach einer neuen, anderen, volleren, wirklicheren Schönheit, die mir auch im Tode noch etwas sein kann – und da fand ich im Reich der mir bekannten kleinen Welt nichts Holderes als Sie, meine liebenswerte Gönnerin –«

Frau Doris zuckte zusammen und machte Miene, aufzustehen und zurückzuweichen.

»Herr Physikus«, rief sie, »ich verstehe Sie nicht – Sie verhießen mir Hilfe in einer bitterernsten Sache und jetzt plaudern Sie mir törichte und fast ungezogene Dinge vor –«

»Bitterernste Dinge, meine Gnädige«, unterbrach er sie gelassen, ohne sich zu rühren, »wenigstens für mich bitterernst, und Sie wissen, ich bin mir in allen Fällen die Hauptsache. Wenn ein Sechzigjähriger, dessen vornehmlichste Beschäftigung im Augenblicke gerade das Sterben ist, nebenher einer Frau von vierundvierzig Jahren – nicht wahr, ich verzähle mich nicht? – ein wenig von ihrer Schönheit vorplaudert, so wird nur die liebenswürdige Befangenheit darin etwas Ungezogenes erblicken. Doch Sie haben recht, es wird am besten sein, erst die verdrießliche Nebensache abzutun, deren schriftliche Andeutung Sie zu mir zu locken vermochte. – Also richtig, Ihr blecherner Rittmeister ist in der Gewalt eines Feindes, der gegen ihn unerbittlich ist, weil er unerbittlich sein muß. Was wollen Sie? Haben Sie nicht gehört von Napoleons gewaltigem Haß gegen die deutschen Ideologen, diese wirrzüngig zischenden Schwärmer, von denen Ihr Freund der tollsten und schlimmsten einer ist? Sie verstehen ihn freilich nicht, diesen herrlichen Haß, weil Sie ihn nicht mitempfinden wie ich, den Haß des Sehenden gegen die Blinden, den Haß des übergewaltigen Ich, das sein schrankenloses Recht erkennt, gegen die ewig Dummen und ihren trägneidischen Widerstand. Die Franzosen aber wittern überall mit klugen Nasen die gefährlichsten Feinde ihres Kaisers, und so haben sie nun auch diesen Rittmeister aufgespürt und gestellt 416 und werden ihre Jagdbeute nicht fahren lassen – es sei denn, daß sich zufällig ein anderes Wild vor ihn in die Schußlinie drängte und die Kugel auffinge. Dieses aber, meine gnädige Frau, ist die seltsame Aufgabe, die ich mir gesetzt habe. Wollen Sie gefälligst das hier vorliegende Schriftstück geduldig anhören, es enthält neben der Übersetzung den französischen Text, zwar auch nur in Abschrift, aber einer eigenhändigen und vom Notar beglaubigten. Dies Exemplar geht hiermit zu beliebiger Verwertung in Ihren Besitz über; andere gleichlautende und ebenso beglaubigte Abschriften sind bereits nach verschiedenen Seiten zur Versendung gelangt. Das Original wird binnen jetzt und etwa einer halben Stunde durch einen sicheren Boten dem Herrn Kapitän Schmälzle übergeben werden. Sie werden also nicht erschrecken, wenn der Letztgenannte in Erwiderung einige mindestens ebenso sichere und obendrein noch gut bewaffnete Boten sendet, um sich neben meinem Werke auch meiner Person zu versichern. Erschrecken Sie nicht, sage ich, und fürchten Sie nichts für mich; was jene betrogenen Leute von mir finden werden, ich verbürge Ihnen, das werden sie liegen lassen. Hören Sie:

An das und so weiter und so weiter – die Titulaturen erspare ich Ihnen – Kommando und so weiter zu Händen des Herrn Kapitän Schmälzle und so weiter.

Hiermit erkläre ich rund und feierlich, daß die gestrigen Tages auf der Nehrung entdeckten englischen Waffen von keinem anderen als von mir Endesunterzeichnetem eingeschmuggelt und daselbst niedergelegt worden sind, um später zu landesverräterischen Zwecken weitergeführt zu werden. Zu meinem Bedauern vernehme ich, daß durch ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen mehrere unbeteiligte und gänzlich unschuldige Personen in den Verdacht der Täterschaft oder Mitwissenschaft geraten sind. Dem entgegen bekunde ich mit voller Bestimmtheit, daß meine Mithelfer und Mitwisser ausnahmslos sich auf einem ausländischen Schiffe in guter Sicherheit befinden, folglich nach Recht und Gerechtigkeit zur Zeit kein anderer außer 417 mir haftbar und strafbar sein kann. Die moralische Unmöglichkeit, für mein Verbrechen Unschuldige leiden zu sehen, veranlaßt mich, vorstehendes Bekenntnis abzulegen und meinen Leib aus eigenem Willen der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern. – Eben diese schriftliche Erklärung habe ich gleichzeitig den zuständigen preußischen Behörden zu Königsberg und Berlin in beglaubigter Copia übersendet, um denselben Gelegenheit zu geben, den weiteren Gang des kriegsgerichtlichen Verfahrens im Auge zu behalten. Ebenso ist von mir selbst für eine genügende Veröffentlichung des eigentümlichen Falles gesorgt worden.

Untertänigst und so weiter und so weiter

Stanislans Gugelmann,
Stadtphysikus       

Sie sehen, meine Gnädigste, ich habe Vorsorge getroffen, daß dies wertvolle Aktenstück nicht etwa aus irgendeinem Grunde von dem Herrn Kapitän oder einem sonstigen Militärkommando verheimlicht und unterschlagen werde – vornehmlich aus dem Grunde, weil man ohne Zweifel die Haut des Herrn Rittmeisters sehr viel höher schätzt als die meinige, teils um ihrer größeren Schönheit willen, teils aus anderen Rücksichten – – aber ich merke, meine liebenswürdige Gönnerin, daß mein Vortrag Sie in eine bedauerliche und sehr unnötige Aufregung versetzt –«

Frau Doris saß tief erschüttert, die gefalteten Hände vor die Brust gepreßt, mit überströmenden Augen.

»Das wollen Sie tun?« rief sie stammelnd, »das haben Sie getan? O mein Gott. O mein Gott. Wie sollen wir Ihnen danken? Aber es darf ja nicht sein, ein solches Opfer ist unerhört; wie dürften wir es annehmen? Allgütiger Himmel, und wie schmählich haben wir Sie verkannt!«

»Das will ich meinen«, versetzte der Physikus ruhig, »ich wette sogar, Sie verkennen mich auch jetzt noch aufs gründlichste, Sie schieben mir unzweifelhaft Beweggründe unter, die mir so fremd sind wie der Glaube an Tugend, Selbstlosigkeit, Pflichterfüllung und ähnliche blecherne Schellen. Sie nehmen 418 vielleicht an, ich hätte die gutherzige Absicht, dem lieben Rittmeister einen frommen Dienst zu erweisen, mein wertloses Leben für sein kostbares hinzugeben und damit stillschweigend zuzugestehen: Siehe, ich habe dir bitter unrecht getan mit meinen hohnvollen Narrenspossen, ich bitte dir alles ab und büße es mit freiwilligem Opfertode! – O nein, meine Freundin, Sie verkennen mich schmählich, empörend: mich für einen sentimentalen Großmutspinsel zu halten, welch eine Kränkung! Ich bekenne, eine solche kleingeistige Auffassung meiner Handlungsweise von Ihrer und anderer Seite würde mir wahrhaft fatal sein – gerade so fatal, wie mir der Gedanke köstlich ist, welch ein furchtbar ödes, schafshilfloses Dummgesicht der Rittmeister machen wird, wenn er erfährt, wer ihn gerettet hat und durch welches Mittel. Daß ich diesen Anblick nicht selbst mehr genießen kann, ist mein einziger Kummer in der ganzen vergnüglichen Angelegenheit. Der Möglichkeit aber, so mißverstanden zu werden, muß ich vorbeugen und Ihnen in aller Kürze meine wahren Zwecke deuten. Vorher nur diese eine Klarstellung noch: Sie mögen wissen, daß mein natürliches Leben nach sicherer ärztlicher Voraussicht noch nach einigen Tagen zählen würde – nach Tagen stetig wachsender, unvernünftiger Folterqualen. Wissen Sie, wie Herzkranke zu sterben pflegen? Denken Sie sich, man legte Ihnen ein feines Seidenband säuberlich um den Hals, schlänge die beiden Enden umeinander und finge an, sie zu drehen, langsam, ganz langsam, ganz gemütlich. Die Folge dieses scherzhaften Verfahrens wird sein, daß Ihr Halsbändchen Ihnen allmählich etwas zu eng sitzen wird, ja sogar unbequem, zwängend, beklemmend. Doch wir drehen geduldig weiter: das Atmen wird Ihnen schwer, immer schwerer, immer qualvoller das Ringen nach Luft, immer entsetzlicher das Versagen des Atems. Sie schnappen, Sie würgen, Sie zucken, Sie pfeifen und röcheln; wir aber drehen weiter, geduldig weiter – – sehen Sie, so ungefähr wird sich ein Menschenkind mit verdorbenem Herzen zu Tode zappeln, wenn nicht etwa ein vernünftiger Arzt durch ein mitleidiges Tränkchen die scheußliche Grausamkeit der Mutter Natur beschämt. Nun, solch ein Arzt 419 will ich mir lieber selber sein; das Tränkchen steht bereit, es wirkt mit köstlicher Sicherheit, qualenlindernd, gliederlösend, schlummerspendend. Das schönste Ende, sich still in den Tod zu schlafen, statt des schrecklichsten, dem ich entrinne. Sie begreifen jetzt, daß ich mein Leben nicht wie ein schwärmerischer Knabe wegwerfe, daß ich kein eigenes Gut hingebe für das Wohl eines anderen. – Nun also, da doch der Tod einmal harrend und drängend neben meinem Sessel steht, warum sollte ich mir nicht die letzten Stunden oder Minuten, die mir der Dämon in meiner linken Seite vielleicht noch vergönnt, nach allen Kräften versüßen und erheitern? Das aber vermag ich mir nicht besser zu gewähren als durch diese zwei Mittel: daß ich Ihre lebendig schöne Gestalt an mein Sterbelager banne, und daß ich dem Rittmeister durch meinen Tod noch einen letzten spitzen Giftpfeil entgegensende, wie ein Parther im Fliehen siegend. Es ist wahr, ich habe denselben Pfeil schon einmal versendet, er traf gut und vermochte dem zähen Herrn Kato doch nicht ans Leben zu dringen; an seinem eigenen Schopfe zog er sich aus dem Pfuhl der Lächerlichkeit und versucht es noch einmal, erhaben zu sterben, nachdem er beim ersten Anlauf zum Riesensprunge in die Ewigkeit über einen Strohhalm gestolpert war und sich dicht vor dem Abgrunde nur die Nase ein wenig beschmutzte. Er versucht es noch einmal: gut, so will ich ihm noch einmal den Knüppel zwischen die Beine werfen, und er soll sich und das Strahlenkleid seiner sittlichen Größe noch einmal in der Senkgrube wiederfinden. Jetzt steht er da, Ihr gespreizter Held, und hofft vor der Welt und mehr noch vor Ihnen mit aller tragischen Hoheit den sterbenden Fechter zu agieren; der Vorhang ist aufgezogen, das Publikum ist versammelt und harrt mit stockendem Atem der schreckenvollen Größe des heiligen Schauspiels: schon hebt er das Schwert mit mächtiger Gebärde und zaudert nicht, es in die unerschütterte Brust zu senken – siehe, da springt dicht vor ihm ein scheußlicher Affe auf die Bühne, macht mit läppischer Feierlichkeit die gleiche stolze Gebärde und bricht unter greulichem Quieken tot vor seinen Füßen zusammen – ein wahnsinniges Gelächter 420 durchwiehert das Haus; der Held aber versteckt sein Schwert unter den Frackschößen, schnaubt sich verblüfft die Nase und trollt sich trübselig von dannen, merkend, daß er sich im Lokal geirrt hat und aus Versehen in ein Affentheater geraten ist. – So soll er mit bewunderndem Ekel sehen, daß ich, der grinsende Affe, seine eigene erhabene Rolle weit besser und sicherer spielte als er, und also zum zweitenmal zum Narren geworden, wird er nicht leicht wieder eine neue Pose gewinnen, denn diesmal wird er nicht wie gestern das verschleiernde Mitleid auf seiner Seite haben. Ich will ihm ein Rätsel aufgeben mit meinem Tode, und er soll sein Leben lang beschämt und qualvoll daran kauen, wie es denn möglich war, daß ein Mensch wie ich ihm seine Textrolle stehlen und so glatt auswendig lernen konnte. Das ist mein Triumph in dieser Stunde und der schönste Teil desselben, daß ich auch Sie, meine Gönnerin, ganz wider Ihren Willen zwinge, Ihr teilnahmvoll bewunderndes Antlitz von jenem abzuziehen und mir zuzukehren. Glauben Sie mir's, ich zwinge Sie; ich habe Sie schon gezwungen. Denn Sie schaudern in Ihrem Herzen; und dieser Schauder heißt in seinem tiefsten Wesen heimlich zitternde Bewunderung. Aber ich verlange noch mehr von Ihnen und werde es erreichen: Sie sollen doch noch lachen über jenen, widerstandslos lachen über sein närrisches Gesicht bei Ihrer Nachricht, und die Erinnerung wird Ihnen aufsteigen an sein Abenteuer von gestern, und Sie werden die Vorstellung nicht mehr los werden können, welch ein überirdisch dummes Gesicht er da erst gemacht haben muß, und Sie werden noch hilfloser und noch grausamer lachen; und dieses Lachen wird ihm der Tod seiner Liebe sein. Es hilft Ihnen nichts, je mehr Sie sich sträuben gegen den wunderlichen Reiz, desto heftiger steigt er Ihnen auf, desto sicherer wird das ängstlich verhaltene Kichern zum sprudelnden Gelächter. Das sage ich Ihnen voraus mit zweifelloser Zuversicht, und diese Zuversicht ist's, die mir ein vergnügliches Ende bescheren soll. Das ist mein Vermächtnis für meinen Feind; und noch darüber hinaus hinterlasse ich ihm den prickelnden Neid, wenn er hören muß, daß ich den letzten, 421 leidenlösenden, liebevollen Becher aus Ihrer Hand empfing – ja, meine Gnädige, das wird geschehen, Sie werden dies Glas mit dem köstlichen Gift in eigener Hand mir reichen, glauben Sie mir's, Sie können nicht anders; weil ich es fordern werde, werden Sie gehorchen müssen. Sträuben Sie sich nicht, es nützt Ihnen nichts, ich weiß auch das mit ganzer Zuversicht. Denn wenn ich nicht sterbe, der ich schon ein Kind des Todes bin, so stirbt der andere, der in Kraft und Gesundheit blüht, und das dürfen Sie nicht zu wollen wagen; wenn ich aber hier nicht sterbe, so sterbe ich durch die Kugeln der Henker oder in eigener Höllenqual, und so grausam sind Sie nicht, mir das zu gönnen: hier aber will ich nicht sterben außer durch Ihre Hand. Und in dem Glücke solches hohen Augenblicks will ich mich mit glühendem Auge weiden an Ihrer Schönheit, die Sie mir nicht mehr entziehen können, unter keinem Vorwande, und Sie werden mir einen letzten Trunk kredenzen von diesem Feuerwein der seligen Inseln, und Sie werden mit mir trinken und mit Ihren warmen Lippen den Rand des Glases weihen für meine erkaltenden Lippen. Und so will ich hinscheiden trunken von dreifacher Wonne und meiner entmenschten Mutter Natur hohnlachend dies Leben aus den Krallen reißen, das sie mir einst zum Hohne nur gegeben hat; ein giftdurchtränktes Leben werde ich ihrem herzlosen Willen trotzend in himmlischer Wollust beschließen.«

Er verstummte plötzlich mitten im aufgeregten Redestrom, schloß zusammenzuckend die Augen und legte den Kopf schwer gegen das Polster zurück. Frau Doris blieb noch von dem rinnenden Schauder gebannt, der sie unter all seinen Reden wie in einer Erstarrung gefesselt hielt. Kaum wußte sie zu unterscheiden, ob sie den Träumen eines Fieberkranken lauschte oder selbst in wirrem Fiebertraum befangen sei. Immer noch hing ihr Auge wie festgezaubert an den fallenden Tropfen, und das unablässig eintönige Tupfen wirkte seltsam beruhigend, ja lähmend auf ihre Nerven und gab ihr die Fähigkeit, mit einem ihr selbst unerklärlichen Gleichmut dies Wirrsal dumpf aufregender Gedanken zu ertragen. Sie ersehnte beklommen ein Ende des traumschweren Zustandes und 422 wußte doch, daß sie ihn noch unendlich lange aushalten würde, ohne sich dagegen aufzulehnen. Sie hatte ein dunkles, stumpfes Gefühl, als ob der Tod sich wie eine stille, eherne Hand auf ihr eigenes Herz lege und ihm gebiete stillzustehen. Sie empfand sich plötzlich beinahe als ein Wesen mit dem unverstandenen Menschen da vor ihr; sie glaubte all seine Worte in ihren Tiefen zu begreifen, in sie einzutauchen wie in ihr eigenes Empfinden und doch gleichzeitig scheu und fremd herumzuirren in ihrer pfadlosen Wildnis. Aber immer vermochte sie die Augen nicht aufzuheben zu dem Menschen; sie zitterte heimlich vor dem Moment, der sie zwingen würde, es zu tun.

Auf einmal hörte sie die Stimme des Physikus wieder, der ganz ruhig sagte:

»Jetzt, bitte, ein wenig höher die Stirn; den Umriß des Kopfes habe ich genossen, die Linie ist vollendet weich und schön; so, und nun haben Sie die Güte, den Kopf ganz gegen die Lehne zurückzubiegen; ich danke Ihnen; die Ansicht ist gerade jetzt die denkbar beste. Was sagen Sie zu dem feurigen Goldrahmen, den ich erfunden habe?«

Doris gehorchte seinem Verlangen willenlos, fast auch ohne es zu wissen; ihre Stirn hob sie nach rückwärts, und ihr Gesicht richtete sich voll nach oben.

›Was soll das heißen?‹ dachte sie trotzdem ganz klar. ›So kann er mein Gesicht doch erst gar nicht sehen?‹

Da sah sie plötzlich mit heißem Schrecken seine sonderbaren Züge gerade vor sich und sah seine Augen fest an den ihren haften.

›Wie ist das möglich?‹ dachte sie. ›Ich sehe doch nach oben.‹

Allmählich erkannte sie, und jetzt ganz ruhig und ohne sich zu verwundern, sanft einleuchtend wie etwas Selbstverständliches, daß über ihr das mittlere Rundfeld der Zimmerdecke von einem Spiegel eingenommen wurde in der Art, daß der Ring des Kronleuchters dem Blick seine Ränder deckte und also der Lichterkranz einen feurigen Rahmen darstellte für das innere Bild, das dem Aufwärtsschauenden freilag.

423 So erblickte sie sein fratzenhaftes Gesicht in dem Lichtglanz schwimmend, und je länger sie festgehaltenen Blickes hinsah, desto merklicher schien ein Hauch von innerer Verklärung über die häßlichen, immer grinsenden Züge hinzufließen, die kleinen Augen öffneten sich größer und freier und gewannen einen Blick hingebenden Schauens und sehnsuchtsvollen Träumens zugleich; um die Lippen und die faltigen Wangen aber zuckte statt des gewohnten bösen Spottes der Ausdruck eines tiefverborgenen Seelenleidens.

Ein Gefühl unendlichen Mitleids kam über sie und doch zugleich eine stille, reine Freude an der eigenen Schönheit, die ein so herrliches Wunder an einem Menschen zu schaffen vermochte.

›Jetzt muß ich alles tun, was er von mir fordert‹, dachte sie, ›und wäre es das Schrecklichste.‹

Indem sie das dachte, verschwand sein Bild vor ihr mit einem Ruck, ein plötzliches Stöhnen und Keuchen riß ihren Blick aus der sanften Erstarrung herab, und sie sah vor sich die armselige Gestalt des Mannes, der sich in Zuckungen krümmte.

»Es ist Zeit«, hörte sie sein Ächzen, »der Krampf ist da und wird nicht wieder aufhören – geben Sie das Glas –«

Sie vermochte keinen Augenblick zu zaudern, eine unerbittliche Gewalt schien ihre Hand zu führen; sie sah ein Fläschchen neben seinem halb mit Wein gefüllten Glase stehen, goß den Inhalt hinein und hielt ihm das Glas an die Lippen. Er trank begierig, und als er es geleert hatte, griff er tastend nach dem Hahn des Fäßchens und drehte ihn weiter auf, daß der Wein in vollem Strom hervorsprudelnd in das silberne Becken rauschte und ein mächtigerer Duft emporstieg. »Von diesem Todeswein soll keiner nach mir trinken«, hauchte er.

Bald wurde der Kranke ruhiger und schloß die Augen.

»Ich sehe in den Tod«, sagte er mit klarer Stimme, »es ist ein dunkler Trichter und wird enger und enger, aber das geschmeidige Ich windet sich doch hindurch und sinkt vergessend hinab in die silberne Weite des Nichts. Das Ich ist 424 tot: die Welt ist tot. Auch der große Bonaparte wird durch den Trichter schlüpfen; die Welt wird alle Tage neu vernichtet mit jedem Menschen, jedem Ich, in dem sie lebte und mit dem sie stirbt. Es ist abscheulich, daß die schöne Welt nicht dauern kann. Noch wenige Minuten, und sie ist nicht mehr, und kein Lichtstäubchen bleibt von ihr übrig. Auch Sie nicht, Doris, auch Sie nicht, und das ist herzlich schade. Und auch der blecherne Reiter nicht, und das ist ein ungeheures Elend, denn es wird fortan nichts mehr zu lachen geben. Schade, schade, ich möchte nur einmal noch grimmig lachen über ihn und kann es doch nicht mehr, mein Herz ist zu ruhig geworden; ich sitze schon zu tief im dunkeln Trichter.«

Er schwieg eine lange Zeit, atmete ruhig und schien langsam einzuschlafen. Plötzlich aber richtete er sich noch einmal hastig in die Höhe, riß die Augen weit auf und rief mit einem sonderbar trotzigen Ton wie ein wild widersprechender Knabe:

»Es ist nicht wahr, daß ich Respekt habe vor Eurem eisernen Rittmeister, es ist nicht wahr, daß ich an seine Tugend glaube und an sein Vaterland. Unsinn ist alles. – Er stahl mir meine Liebe – ich stehle ihm die seine. Es ist gelungen. Sie lacht mit mir über ihn und erlöst mich von dem Übel. Amen – Amen –«

Die krähende Stimme versagte ihm, er fiel zusammen und regte sich nicht mehr.

Sie wußte, daß er tot war; allein sie wagte es nicht, den Leichnam zu verlassen; sie saß mit gefalteten Händen dumpf harrend in der drückenden Stille.

Da erscholl von draußen das Geräusch scharfer, regelmäßiger Schritte, rasch näherkommend, plötzlich auf einen Anruf haltmachend. Man hörte Leute ins Haus treten, zahlreiche Füße die Treppe heraufstampfen.

Frau Doris erhob sich aufatmend und drückte dem Toten die Augen zu; dann ging sie zur Tür und öffnete. Der französische Offizier mit mehreren Soldaten trat ihr entgegen; er blickte verwundert durch das fremdartig ausgestattete Gemach und fragend auf die regungslose Gestalt, die zusammengesunken in den Polstern hing.

425 »Der Hausherr hier ist tot«, sagte Frau Doris, »er hat Gift genommen. Er gedachte einem härteren Tode aus dem Wege zu gehen. – Und der Rittmeister von Jageteufel?« fügte sie angstvoll fragend hinzu.

Der Kapitän zuckte die Achseln.

»Er ist in Freiheit«, sagte er kühl, »jedoch nur halb entlastet. Wenn Sie Anteil an ihm nehmen, Madame, wie Ihre frohe Miene zu verraten scheint, so mögen Sie ihn warnen. Er verdankt die Freiheit weder seiner Unschuld noch meinem Glauben an seine Unschuld; mag dieser einzelne Fall auf Rechnung des armseligen Toten hier kommen, das entlastet jenen nur für einen Augenblick. Ich kenne ihn gut genug; er mag sich hüten. Das Zeugnis dieses Unglücklichen war mir ein Vorwand, ihn in Freiheit zu setzen, den ich gern ergriff, nichts weiter. Denn es zeigt sich seinethalb ein Gären hier unter den Leuten, das mich für jetzt bedenklich macht. Ich sage das Ihnen getrost, Madame, damit Sie es ihm berichten: denn es ist kein Zeichen meiner Schwäche, sondern unserer Stärke. Ich wünsche ein Blutvergießen zu vermeiden, das über diese Stadt das furchtbarste Unheil heraufbeschwören müßte. Es könnte ja sein, daß auch wir dabei Verluste erlitten, vielleicht – setzen wir das Unglaublichste – für einige Tage uns aus der Stadt zurückziehen müßten. Daß wir wiederkommen würden, bezweifeln auch Sie nicht, Madame, und welche Strafe die Bürgerschaft dann treffen würde, erlassen Sie mir auszumalen. Schon jetzt ist die Folge des noch unblutigen Zwischenfalls die sofortige Verstärkung unserer hiesigen Garnison – versteht sich, auf Kosten der Bürgerschaft; ich bitte auch das dem Herrn Rittmeister zu melden; es mag vielleicht zu seiner Warnung dienen. Das klügste wäre, er verließe diesen Ort. Für heute ist er in Sicherheit; vielleicht schon morgen nicht mehr. Für heute starb dieser Mensch mir so gelegen wie ihm; ob dessen Selbstanklage richtig war oder erdichtet, mir gilt es gleich; ich brauchte ein Opfer, er hat es mir geliefert in der mir genehmsten Form. Es ist mir auch lieb, daß er es uns erspart hat, unsere Kugeln an einem solchen Leibe zu versuchen. Ich bitte 426 Sie, Madame, dem Herrn Rittmeister jedes meiner Worte so getreu wie möglich zu berichten; es widerstrebte mir, mich ihm ins Angesicht als großmütigen Warner hinzustellen.«

Er warf noch einen Blick auf den Leichnam des Physikus und fügte hinzu:

»Was diesen betrifft, so ist mir seine Tat wie sein Ende ein Rätsel, das ich nicht aufzuhellen begehre. Er trug französische Sympathien zur Schau, der einzige hier im Orte; und dennoch war er mir immer unbehaglich; sieht er nicht im Tode noch aus wie eine krabbelnde Spinne? Er muß ein großer Heuchler gewesen sein. Doch er verstand es, sehr zur rechten Zeit zu sterben; und das ist auch eine Kunst, die Dank verdient.«

Er verbeugte sich und schritt, von seinen Soldaten begleitet, hinaus.

Doris blickte ihm ein Weilchen sinnend nach. »Es ist ja doch die Furcht allein, die Euch die Großmut lehrt«, sagte sie endlich laut; »o wir durchschauen Euch!«

Dann erschrak sie über den Klang ihrer Stimme in Gegenwart des Toten, wandte sich noch einmal zu ihm und blieb in seinen Anblick versunken.

Da öffnete sich hinter ihr die Tür, und hastigen Schrittes trat der Rittmeister herein. Er blieb alsbald wie angewurzelt stehen und starrte auf den Leichnam, mit einem Gesicht, aus dem nichts sprach als eine verständnislose Frage. Doris sah es und gedachte der spöttischen Voraussage des Sterbenden; und ein prickelnder Lachreiz zuckte in ihrer Brust empor, ihr selbst unheimlich und widrig, doch schwer zu bezähmen.

Schnell ergriff sie den Alten bei der Hand und zog ihn hinaus zur Tür hin. Zum letztenmal zurückblickend sagte sie leise und ernst:

»Lieber Freund, der Mann ist, wie mir meine Ahnung sagt, im Tode Ihr Schüler geworden wider seinen eigenen Willen; es ist ein seltsames Ding und schwer begreiflich, wie Sie wunderlicher Mensch die Leute alle, die über Sie lachen und schelten, zuletzt so zu bezwingen vermögen und ihnen Taten eingeben, an die sie sonst nimmer gedacht hätten. Ich 427 hab es an mir erfahren und wie viele andere, und nun gar dieser! Darum lassen Sie uns getrost nur lachen über Ihre hochfliegenden Lehren; irgend etwas Vernünftiges muß am Ende doch auch daran sein, da Sie mit ihnen all diese stillen Wunder vollbringen. Doch kommen Sie, draußen im Sonnenschein werde ich freier mit Ihnen reden – ich habe Ihnen noch manches zu sagen; hier aber bedrückt mich noch etwas anderes als der Schauer des Todes.«

»Auch ich habe mit Ihnen zu reden«, sagte er feierlich und reichte ihr den Arm, sie hinauszuführen.

In tiefem Schweigen schritten sie miteinander die Straße entlang; erst nachdem sie in dem Rundgemache des Rittmeisters sich niedergelassen, begann dieser durch starkes Räuspern und Streichen der Augenbrauen zu erkennen zu geben, daß er etwas Bedeutsames zu sagen gewillt sei.

»Tante Doris«, hub er endlich an, »wie ich diesen Physikus und seine Tat verstehen soll, das weiß ich nicht; nur das ist sicher: nicht er ist mein Schüler geworden, sondern ich der seine. Ein schlimmer Geselle zwar, Epikureer und Selbstling, ist er allezeit gewesen; aber eine Tugend hat er vor mir vorausgehabt, die im Sinne Kants sogar die allererste und höchste ist; er ist zehnmal wahrhaftiger als ich gewesen. Denn er hat sich selbst nichts vorgelogen, und in dieser schmählichen Kunst bin ich vielmehr von je ein rechter Meister gewesen. Das habe ich gestern von ihm gelernt, sein grausames Hohngelächter hat meine blinden Augen sehend gemacht. Und wie mich selbst, so habe ich auch andere belogen – auch Sie, Tante Doris; und das muß ein Ende nehmen; ich habe Ihnen ein Geständnis zu machen. Sehen Sie, wie ich immer ein Mensch gewesen bin, der gedankenlos dem Glücke nachjagt und den Leidenschaften unterliegt –«

»Ja freilich, alter Herr«, unterbrach ihn Doris lebhaft, »in einem Stücke haben Sie wirklich recht rücksichtslos nur an Ihr eigenes Glück gedacht und gar nicht mehr an das meine: nämlich, als Sie sich mit aller Gewalt auf und davon machen wollten, um behaglich da oben im Himmel zu sitzen und sich mit Ihrem Kant zu unterhalten; das wäre für Sie natürlich 428 das Herrlichste gewesen, was Sie sich wünschen konnten; aber um so grausamer und häßlicher war es, mich hilfloses Geschöpf allein in die Welt hinauszustoßen, da Sie doch wußten, daß ich allein ja ganz und gar nicht zu leben verstehe in dieser wirren Welt –«

»Doris«, sagte er sehr ernst, »ich hatte Ihnen Ihren Sohn wiedergegeben, der für Sie sorgen und für Sie leben sollte; wenn's nach mir ging, hätten Sie ihn ganz für sich gehabt, aber das wollten Sie nun einmal nicht und haben selbst ein Frauenzimmer zwischen sich und ihn geschoben; doch immerhin, Sie hatten Ihren Sohn und konnten mich entbehren – und Sie hatten auch den Herrn Physikus als Berater –«

»Still, Alter«, fiel sie schnell ein, »davon schweigen Sie fortan, wenn Ihnen an meiner Gnade etwas liegt. Freilich sollen Sie auch nicht denken, daß ich nur Schlechtigkeiten und Bosheiten von ihm gelernt habe (o Gott, man müßte dem Ärmsten auch das verzeihen!), sondern auch manche wirklich wissenswerte Dinge. Über zwei Dinge aber ganz besonders hat er mich aufgeklärt, nämlich erstens über mich und zweitens über Sie, Herr Rittmeister von Jageteufel. Über mich – das weiter zu erzählen gestattet mir meine Bescheidenheit nicht, am wenigsten ehe ich einen Spiegel um Bestätigung ersucht habe, denn ich hätte es wahrhaftig längst nicht mehr für möglich gehalten. Über Sie – ja, das muß ich erst recht mit Schweigen bedecken, denn es klingt etwas sonderbar und ist auch etwas, das ich bei so einem alten Griesgram längst nicht mehr für möglich gehalten hätte. Eine dritte Erkenntnis aber habe ich ganz aus eigener Kraft gewonnen, und davon kann ich reden, soviel es mir beliebt. Sehen Sie, Onkel August, daß Sie mir den Jungen so ganz für mich allein gönnen wollten, das war ja recht brav und lieb von Ihnen gemeint, aber richtig und klug war es darum doch nicht. Das ist's, was ich gestern gelernt habe in der Stunde des seligsten Mutterglückes; mein Sohn und ich, wir gehören ja doch nicht mehr so zusammen wie zwei Menschenkinder zusammengehören, die gleiche Sorgen und gleiche Freuden haben, nicht so wie Mann und Frau ineinander leben oder zwei 429 gleichgesinnte Freunde. Es sind andere Erinnerungen und andere Wünsche und andere Hoffnungen in ihm als in mir und auch andere Gedanken; er hat dort außen im Reiche anders denken und fühlen gelernt, als wir es hier von alters her gewohnt sind; und das können wir beide ihm nicht mehr nachlernen. Sie werden es auch noch mehr merken, er ist ganz und gar so ein Neupreuße geworden oder Reichsdeutscher, oder wie Sie es nennen wollen, und sein Herz hängt an solchen Dingen, von denen wir nichts wissen und wissen wollen; ob seine neue Art besser ist oder schlechter als die unsere, das kann ich nicht sagen, aber es ist eine andere Art. Denken Sie doch, er nimmt sich heraus, unseren lebendigen König zu tadeln oder doch ein wenig zu bekritteln, als ob er gar nicht mehr dessen richtiger Untertan wäre; das hätte sein seliger Vater niemals übers Herz gebracht, zu glauben, daß man seinem eigenen Könige könne dreinreden wollen in seine Meinungen und Entschlüsse. Dieser Junge aber, der Ulrich, hat sogar auf den Alten Fritz ganz dreist gescholten, daß er aus unserem großen Ritterschloß sich eine Kaserne zurechtgebaut hat. Du lieber Gott, sagte ich, warum denn nicht? Eine Kaserne brauchte er doch, und Ritterburgen haben heute gar keinen Nutzen mehr – sehen Sie, das sind eben solche Dinge, die wir nicht verstehen. Das Schloß wäre so schön, meint er, wie der Dom zu Köln, und müßte wieder aufgebaut werden, genau so, wie es gewesen ist, und da sollte man ein Wunder sehen! Ich frage aber jeden Menschen, wer soll denn in so einem riesigen Kasten wohnen, oder wozu soll er sonst dienen?«

»Jawohl«, grollte der Rittmeister, »diese jungen Burschen wollen Schlösser bauen und Frauenzimmer heiraten, bloß weil sie schön sind und ihnen gefallen; das ist so richtig die verkehrte Welt.«

»Nun, nun«, sagte Doris lächelnd, »das mit den Frauenzimmern hat schon seine guten Seiten, und mit den Schlössern mag es sich also vielleicht auch so ähnlich verhalten. Bloß es ist nicht unsere Art; wir wollen wissen, wozu etwas nützt; und ich meinte das auch nur als ein Beispiel, daß er anders 430 geworden ist als wir einfachen Altpreußen, und daß ich nicht ganz richtig mehr mit ihm an einem Strange ziehen kann, wie ich es mit Ihnen doch immer konnte trotz all Ihrer Schrullen. Es ist wahr, das ist mir in den ersten Stunden eine bitter traurige Erkenntnis gewesen, und ich habe in der Nacht noch genug darüber geweint; aber am Morgen bin ich ruhig geworden und klar in mir selber. Denn ich sagte mir ehrlich: es kann ja nicht anders sein. Das Alter gehört zum Alter und die Jugend zur Jugend, da hilft kein Sträuben. Wir armen Mütter sind ohne Gnade dazu verurteilt, unsere Kinder für andere Leute aufzuziehen und am Ende still von weitem ihr neues Glück mit anzusehen. Das ist einmal so eingerichtet, und wir können's nicht ändern, ich nicht und Sie auch nicht beim besten Willen. Und wenn wir sie gewaltsam festbinden könnten, was hilfe es uns? Sie würden an unserer Seite nicht mehr glücklich sein: und wo bliebe da unser Glück? Und ein bißchen Glück, sehen Sie, Onkel August, mir ist's so nötig wie der liebe Sonnenschein. Mit Ihnen steht es ja anders, Sie können das Glück bequem entbehren, ja, ich glaube, es würde Sie kreuzunglücklich machen, wenn man Sie zu einem rechten goldenen Glücke verdonnerte. Darum aber gerade sage ich: es ist Ihre schauderhafte Pflicht, so ein großes Glücksunglück freiwillig auf sich zu nehmen –«

»Doris«, unterbrach sie der Rittmeister in seinem gleichen schweren Tone, »Sie haben mich noch nicht ausreden lassen. Sie werden aus meinem Geständnisse erst ganz ersehen, wie sehr ich von je der Leidenschaft und der Glücksucht untertan gewesen bin. Sehen Sie, Madamchen, Sie haben mir niemals recht glauben wollen, daß eine Ehe, die aus blinder Liebesleidenschaft geschlossen wird –«

»Aber jetzt glaube ich es Ihnen ja«, rief sie schnell einfallend, »lassen Sie mich doch nur ausreden! Eine solche Ehe ist die Hölle auf Erden, weit härter als ein schneller Tod – das ist's ja eben, was ich meine! Dem Tode trotzen, das ist ja schon etwas, aber schließlich kann es doch nichts allzu Großes sein, denn nicht Sie allein vermochten es, sondern auch der Physikus und der Bruder meiner lieben Schwiegertochter; 431 ein wieviel größerer Heldenmut aber muß dazu gehören, sich mit Wissen und Willen in den grauenvollen Schlund einer Liebesehe zu stürzen! Das wäre ein Heldenstück für Sie! Wenn Sie das wagen, werden Sie der wahre Märtyrer Ihres Glaubens sein! Ich mache Ihnen den Vorschlag natürlich nur für den Fall, daß Sie wieder einmal ein Selbstmordsgelüstchen haben sollten. Und übrigens ist ja freilich wahr, daß Sie zu diesem Behufe sich erst eine solche törichte Liebesleidenschaft verschaffen müßten: aber was sollte man von der Kraft Ihres kategorischen Imperativs halten, wenn Sie nicht einmal imstande wären, sich aus erkanntem Pflichtbewußtsein herzhaft und feierlich zu verlieben? Sollten Sie aber um einen Gegenstand verlegen sein, der Drache genug ist, Ihrer Hoffnung auf eine rechte Hölle zu genügen –«

Sie hielt inne und blickte dem Alten voll Heiterkeit und Anmut ins Gesicht; ein Glanz unverwüstlicher Jugend überfloß ihre Züge. Der Rittmeister aber sagte verdrießlich und ernsthaft:

»Vor allem lassen Sie mich ausreden, Madamchen. Gerade davon wollte ich reden, daß ich diese Erfahrung in meiner Jugend gemacht habe. Doris, ich habe Sie belogen ein halbes Leben lang. Jene Person, die ich heiratete, die schöne Polin – ich nahm sie einzig aus blinder, toller, törichter Liebe und Leidenschaft: daher zu begreifen ist wie leicht es mir wurde, Ihnen zu entsagen und Sie Ihrer Kindespflicht gehorchen zu lassen. Seit jener Zeit also weiß ich, wohin die schrankenlose und blinde Liebe führt. Das ist das Geständnis, das ich Ihnen machen mußte, Doris, um endlich der vollen Wahrheit die Ehre zu geben.«

Er blickte verlegen und trübselig vor sich nieder. Frau Doris aber machte große erschrockene Augen, ein feines Erröten überzog ihr Gesicht, und um ihre Mundwinkel zuckte es wie das Vorspiel zu einem Tränenausbruch. Sie schwieg, eine gute Weile mit sich kämpfend, und der Ausdruck rechter Gekränktheit wollte nicht aus ihren Zügen weichen.

Der Rittmeister bemerkte es endlich mit einem scheuen Aufblick.

432 »Doris«, sagte er befangen und ängstlich, »liebe Doris, aber es ist seitdem ganz anders mit mir geworden.«

Da raffte sie sich auf und sah ihn mit einem glücklichen Lächeln an.

»Das habe ich freilich nicht gewußt«, sagte sie, »daß man wirklich mit der Liebe auch falsche Erfahrungen machen kann. Denn da wir nun einmal bei den Geständnissen sind: ich habe ganz andere Erfahrungen in meiner Ehe gemacht, und die war doch auch aus eitel heißer, trunkener und allerblindester Liebe geschlossen.«

Der Rittmeister blickte sie erstaunt und fragend an.

»Ja, Alterchen«, fuhr sie lächelnd fort, »es ist nicht anders, ich habe meine Menschenwürde leider gerade so wenig gewahrt wie Sie und habe Ihnen in dieser Sache auch ein bißchen vorgeflunkert. Ich denke aber, daß die beiden Unwahrheiten einander wohl aufheben werden und eine recht ehrbare Wahrheit herauskommt! Ich habe meinen Rudolf geliebt, wie nur je ein heißblütiges Mädchen in einen Mann verliebt gewesen ist – und, denken Sie bloß, ich bin unsagbar glücklich dabei geworden! Es hat noch nie eine glücklichere Frau gegeben, solange die Welt steht. Und als er starb, da meinte ich, das Leben sei nun zu Ende, und die Welt müsse untergehen.

Allein sie tat das nicht, und mich hat mein Ulrich auf der Erde festgehalten, und mit den Jahren lernte ich auch das Leben wieder lieben, zuerst um seinetwillen, dann auch um etlicher anderen Menschen willen; da war zum Beispiel ein gewisser wunderlicher Heiliger, den ohne meinen besänftigenden Einfluß seine Schrullen wahrscheinlich vollkommen umgebracht hätten – ja, ja, Onkel August, es ist seitdem ganz anders mit mir geworden.«

Er hatte mit dem Ausdruck grenzenlosen Staunens und wachsender Verwirrung zugehört; nun saß er verlegen und brummig, doch mit dem leisen Zucken eines glücklichen Lächelns um Lippen und Augen, wie ein Knabe, der bei seinem ersten süßen Geheimnis ertappt wird. Da er durchaus nicht reden wollte, begann Doris von neuem:

433 »Es scheint Sie zu erschrecken, daß meine Offenbarung Ihrer künftigen großen Heldentat den Boden unter den Füßen wegzieht. Natürlich, wenn man bei einer Liebesheirat riskiert, am Ende noch geradezu glücklich zu werden, was ist dann noch für ein wahres Verdienst dabei?«

Der Rittmeister sah sie ernst und ehrlich an und seufzte.

»Ja«, sagte er gedankenvoll, »ich habe es eingesehen; so armselig ist es um den Menschen und sein Streben bestellt, daß man selbst dem Glücke nicht mit freiem Willen aus dem Wege gehen kann. Man kann auf Erden nicht die einfältigste Pflicht erfüllen, ohne daß einem das Glück dabei gewaltsam in die Arme fliegt. Doris, lassen Sie mir Zeit, zur Besinnung zu kommen und meine Gedanken in eine neue Ordnung zu gewöhnen; nachher habe ich Ihnen etwas zu sagen, das Ihnen nicht neu ist und doch noch gesagt werden muß.«

Da lachte sie hell und fröhlich auf und rief mit vollem Übermut:

»O Sie herrlicher Ausbund steifgereckter Zuchtmeisterei! Gut, so drillen Sie Ihre tapfern Gedanken erst gehörig ein und lassen sie dann ordnungsmäßig in strammen Paradeschritten aufmarschieren; mir aber gönnen Sie so lange das ungeregelte Vergnügen, Sie von ganzem Herzen und aus vollem Halse auszulachen. Der kluge Physikus hat mir's vorausgesagt, daß es so kommen müßte. In einem freilich bin ich doch noch klüger als er; denn gerade jetzt ist es mir freundlich offenbar geworden; man kann recht gründlich über einen Menschen lachen und wieder lachen und ihn darum doch nicht minder aus tiefster Seele verehren und – – und vielleicht sogar noch etwas anderes. Das aber, glaube ich, ist die einzige Wahrheit, die er mit all seinem Scharfsinn nie hat begreifen können, und darum allein ist er unglücklich gewesen sein Leben lang. Mir fällt nun ein, ich habe ihn nie so fröhlich herauslachen sehen: und da hat er gemeint, daß andere auch das nicht könnten und immer nur spotteten, wenn sie lachten, über ihn und andere. Wirklich, er muß sehr 434 unglücklich gewesen sein. – Auf Wiedersehen, mein Freund; ich hoffe, Sie werden das besser begreifen als er.«

Mit diesen Worten reichte sie ihm schelmisch lächelnd die Hand, erhob sich und schritt ruhig hinaus. Er aber verweilte noch lange in seiner Einsamkeit, stand mit gekreuzten Armen, die Brauen runzelnd, und ordnete seine Gedanken.

Zur gleichen Stunde war es, daß Hartmut endlich aus seinem langen Schlaf erwachte. Er fand sich in voller Kleidung auf der harten Pritsche seines Gefängnisses liegend, richtete sich langsam auf und blickte verworren umher, mit vieler Mühe seine Erinnerungen sammelnd. Da entdeckte er auf dem Tische eine blinkende Flasche Rheinwein mit einem grünen Glase und nicht weit davon eine frische Rosenknospe. Unter der Flasche lag ein Zettel, auf dem folgendes geschrieben stand:

»Verehrter Herr! Empfangen Sie mit versöhnlichem Sinne den mitgegebenen Morgengruß von einem Manne, der die Ihnen widerfahrene rohe Mißhandlung von Herzen bedauert und nicht minder aufrichtig Ihre Tat bewundert und fast beneidet.

In großer Hochachtung

Schmälzle, Kapitän«

Hartmut strich sich mit der Hand über die Stirn.

»War das eine Tat«, sagte er nachdenklich, »was ich hilflos erduldete? Ist das wirklich eine Tat gewesen?«

Ein hohes Gefühl von Mut und Freude erfrischte seine Seele. Er griff nach der Rose und sog ihren Duft; es war kein Kennzeichen an ihr, aber der Duft schien ihm zu verraten, wer sie gespendet habe. Eine köstliche Sicherheit nahen Glückes erwuchs in ihm, Zweifel und Zagen fiel ab von ihm wie welke Blätter, und er fühlte sich in sich selbst erneut und wie ein Baum über ein zwängend niedriges Dach hinaus ans Licht gewachsen. Er empfand keine Sehnsucht mehr und kein Drängen, denn er wußte, daß er der Mann war, sein Glück mit ruhiger Hand zu ergreifen und zu zwingen, und daß dies Glück tief unten in der stillen Stadt geduldig seiner harrte.

435 Er trank ein Glas von dem edlen Rheinwein und spürte belebt das fröhliche Feuer in seinen Adern. Er vertiefte sich mit Behagen in den süß prickelnden Genuß, den Augenblick der letzten Erfüllung noch um Minuten und wieder um Minuten freiwillig hinauszuschieben. Er genoß ein zweites Glas und erquickte sich tiefer; ihm war, als sitze dies Glück nun wieder dicht an seiner Seite wie sonst in der traulichen Nische, er vernahm das Wehen eines leisen Atems, und es witterte um ihn wie ein schelmisch verschämtes Kichern und Raunen. Er trank noch einmal und blickte begeistert nach dem Fenster, durch das der blaue Himmel hereinschien. Ein schimmerndes Wölkchen wallte vorüber, verschwand und grüßte zum zweitenmal durch das andere Fenster; und neue Luftgebilde folgten nach, alle zierlich gestaltet und überhaupt von einem rosigen, sanften Schein. Und sie quollen leise und dehnten sich und lösten die zartesten Blätter und ließen sie flattern, und schwebend fügten die rosenroten Blättchen sich hier wieder und dort wieder zusammen zu neuen Knospen und neuen Blumen, und die Fülle der Rosen sank und sank wie ein schwerer, herrlicher Regen zur Erde nieder. Und schnell bedeckte der Boden der einsamen Straße sich hoch wie mit rötlichem Schnee; und der duftende Teppich wuchs höher und höher und ballte sich zu einem Hügel und schwoll sänftlich empor bis zu einem kleinen Giebelfenster mit Blumentöpfen hinauf, zwischen denen ein reizender Mädchenkopf mit einem Vergißmeinnichtkranz hervorblickte und süße Worte zu flüstern schien. Doch als die Worte vernehmlicher wurden, klangen sie höchst seltsam und fast drohend nach einer schweren Choralmelodie und lauteten:

»Herr Gott, sitzen Sie immer noch hier?«

Da sprang er in verzweifelter Entschlossenheit empor, nahm den großen grünen Humpen, trank ihn aus bis auf die Nagelprobe, kehrte ihn um, stellte ihn auf die Erde und stieg hinauf wie auf eine Fußbank. So reichte er hinauf bis zu dem Giebelfenster, und Lisbeth streckte den Kopf so weit heraus wie sie konnte und hielt ihm den blühenden Mund vorsichtig entgegen wie eine schöne Herzkirsche, in die er nur 436 hineinbeißen durfte. Und als er immer noch nichts weiteres wagte, nahm sie ihn mit beiden Händen beim Kopfe, küßte ihn sorgfältig und sprach:

»Ich danke Ihnen für diese Tat.«

Doch da merkte er plötzlich mit Entsetzen, daß er gar nicht mehr träumte, sondern vollkommen wach war mit Augen und Ohren, und die wirkliche lebendige Lisbeth stand neben ihm und hatte ihn wirklich geküßt, wie er noch spürte an der süßen Wärme seiner Lippen. In der Tür aber stand der französische Offizier, verbeugte sich mit einem sonderbar spöttischen und doch liebenswürdigen Lächeln und sprach:

»Ah, ich danke Ihnen, mein Fräulein, der Beweis seiner Unschuld ist erbracht.«

Und damit entfernte er sich. An seiner Statt trat Hildegard hervor an Ulrichs Arm und flog dem Bruder strahlend entgegen. Lisbeth hingegen wollte zurückweichen und entfliehen; er aber hielt sie mit starkem Arme fest, küßte sie wieder aus eigener Kraft und legte ihren Kopf an seine Brust. Da blieb sie nun liegen wie ein zahmer Vogel und seufzte nur gelinde.

Hartmut seufzte auch und sagte: »Gott sei Dank, daß es diesmal kein Traum blieb – jetzt werde ich leben lernen.«

»Und Sie bleiben bei uns?« fragte Ulrich ihn umarmend.

»Bis wir marschieren«, versetzte Hartmut ernst.

 


 


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