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16. Kapitel.
Der Handel.

Das Werk des Individuums kann unter gewissen Umständen zur Ware werden, und zwar überall da, wo es sich nicht um das Werk einer Tat‚ sondern einer künstlerischen Eminenz, also um ein Buch, ein Bild, ein Theaterstück oder ähnliches, handelt. Der Vermittler zwischen dem Individuum und der Masse, die hier also nichts ist als Käufer, ist der Kaufmann, sei er nun Verleger, Kunsthändler, Theater [191]direktor oder ähnliches. Er hat wie jeder andere Kaufmann ein Interesse daran, seine Ware unter Bedingungen, die für ihn selbst besonders günstig sind, an das Publikum zu bringen, d. h. entweder den Preis möglichst hoch zu gestalten oder, wo der Weg der Reproduktion eingeschlagen werden kann, den Preis zwar zu erniedrigen, dafür aber einen möglichst großen Umsatz, also eine möglichst ausgedehnte Verbreitung des Kunstwerkes, zu erzielen. Auch darin ist seine Lage der anderer Kaufleute ähnlich, daß der Preis der Ware abhängig ist von dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, aber – und darin liegt der prinzipielle Unterschied – der Preis ist fast völlig unabhängig von den Produktionskosten: ein Bild, für das 10 000 Mark bezahlt werden, kann an Leinwand, Farbe usw. einen Wert von 10 Mark repräsentieren.

Es ist ohne weiteres klar, daß Nachfrage und Preis vor allem zurückgehen auf die Erscheinungsformen des Individuums: je »berühmter« – nicht etwa je eminenter – es ist, desto mehr werden seine Bücher gekauft, desto höhere Preise werden für seine Bilder bezahlt, desto länger zieht es die Masse ins Theater oder in den Konzertsaal. Der Kaufmann hat also ein sehr bedeutendes Interesse daran, daß diese Erscheinungsform möglichst günstig sei, und er wird stets bemüht sein, an ihrer Gestaltung, soweit er es vermag, aktiv mitzuwirken. Die primitivste Form dieser Mitwirkung, die namentlich im Buchhandel immer größere Bedeutung gewinnt, ist die der rein geschäftlichen, also bezahlten Reklame. An sie schließt sich, besonders im Kunsthandel, eine bald mehr, bald weniger deutliche Beeinflussung der Gestalter der öffentlichen Meinung, d. h. der Kritiker, an. In ihrer edelsten Form zeigt sich die Mitwirkung des Kaufmanns da, wo er das noch ungekannte Individuum mäcenatisch unterstützt, bis es durchgedrungen, d. h. bis es durch die Gesamtheit der anderen Faktoren zu Ansehen gelangt ist. In jedem Falle aber läßt sich an dem Preise, den das Individuum für sein Werk vom Kaufmann erhält, also den der Verleger dem Dichter, der Kunsthändler dem Maler, der Theaterdirektor dem Dramatiker oder auch dem Schauspieler (als Gage), der Konzertunternehmer dem Musikvirtuosen bezahlt, an diesem Preise läßt sich – und die Tatsache ist merkwürdig genug – die Er [192]scheinungsform des Individuums zahlenmäßig feststellen. Daß bei der Preisgestaltung neben der Erscheinungsform des Individuums als wichtigstem noch andere Faktoren mitwirken, ist selbstverständlich und wird im folgenden noch einzeln gezeigt werden. Ein näheres Eingehen auf die verschiedenen Arten des Handels mit Erzeugnissen der Kunst ist schon deshalb geboten, weil selbst da, wo der Kaufmann nicht ruhmzeugend wirkt, doch seine ruhmerweiternde Macht als bedeutungsvoll zu veranschlagen ist.

 

Der Verleger. Es ist hier hauptsächlich von den Verlägen für schöngeistige Bücher die Rede, da wissenschaftliche Verläge für Ruhmformen weniger in Betracht kommen. Die Mitwirkung des Verlagshandels an der Bildung der Erscheinungsform ist verschieden, je nachdem er sich mit der Herausgabe neuverfaßter und zum ersten Mal erscheinender oder mit dem Neudruck älterer Bücher befaßt. Daß eine ganze Anzahl von Verlägen beide Formen in sich vereinigt, kann eine gesonderte Betrachtung nicht hindern: sie ergibt sich von selbst aus den Fragen, die hier zur Erörterung stehen.

»Der Verleger, als ein Mann, den es lockt, Arbeit und Geld an immaterielle Werte zu setzen, will Entdecker sein. Er will helfen, neue Werte ans Licht zu fördern, als organisierender Geschäftsmann neue Werte zu schaffen.« Diese Worte eines Verlegers S. FISCHER, »Der Verleger und der Büchermarkt« in »Das 25. Jahr«. Berlin 1911, 24. weisen auf das wichtigste Amt hin, das jene erste Gruppe von Verlagshändlern zu erfüllen hat. Die Entdeckertätigkeit kann sich nach zwei Richtungen hin erstrecken: die Autoren werden nach einem bestimmten Prinzip ausgewählt, das sich etwa aus der Geistesart des Verlegers ergibt, oder es wird an sie nur der Anspruch eines bestimmten Eminenzgrades gestellt, gleichviel welcher Art diese Eminenz ist. Handelt es sich um ganz unbekannte Individuen, so wird sich die Erscheinungsform, die alsbald zu entstehen anfängt, nach der Art des Verlegers richten: ist dieser angesehen, so beginnt auch das Bild des Autors, dessen Werk er unter die Masse bringt, alsbald sich im günstigen Sinne zu transformieren. Das Primäre ist also wieder das akzidentelle Moment, in diesem [193] Falle der Verleger. Da er ein starkes Interesse an der Ruhmerweiterung seines Autors hat, wird er kein Mittel unversucht lassen, um dessen Namen – wenn auch zunächst nur in äußerlicher Weise – der Masse geläufig zu machen: er wird das Buch im Druck, im Einband besonders geschmackvoll ausstatten, wird in Zeitungen und Zeitschriften annoncieren, bestimmten Blättern Rezensionsexemplare, Interessenten Kataloge oder Prospekte ins Haus schicken, dem Sortimentsbuchhändler unverlangte Exemplare »in Kommission« übersenden usw. Es beginnt nun alsbald der Komplex der übrigen ruhmerweiternden Faktoren, unter denen die Eminenz niemals vergessen sei, auf die Erscheinungsform des Individuums zu wirken. Dringt das erste Werk durch, d. h. hat es Erfolg, so ist das Risiko des Verlegers bei den folgenden desselben Autors bereits sehr viel geringer. Deren Erscheinungsform ist dann also nicht nur von der des Verlegers, sondern auch von der des ersten Werkes abhängig.

Einfacher liegen die Verhältnisse da, wo der Verleger nicht Entdecker ist, sondern einen bereits geschätzten Autor an sich heranzieht. Aber das kommt bei den Verlegern schöngeistiger Werke verhältnismäßig selten vor, jedenfalls seltener als bei denen wissenschaftlicher. Namentlich bei umfassenderen wissenschaftlichen Sammelwerken ist der Verleger oft zugleich der Veranlasser, und er wird zu Mitarbeitern vor allem natürlich die heranziehen, deren Namen infolge der übrigen Faktoren bereits einen guten Klang hat.

Was der Massenverbreitung und damit der Erzielung höchster Ruhmformen zunächst im Wege steht, ist in vielen Fällen der hohe Preis, der für das Buch zu zahlen ist. Der Verleger, der sich entschließt, den Preis herabzusetzen – etwa durch Schaffung einer sog. »Volksausgabe« –, leistet damit sehr Bedeutsames für die Erscheinungsform des Individuums. Er kann das nur bei Autoren tun, bei denen auf einen Massenabsatz zu rechnen ist, aber in all solchen Fällen sind sich die Schriftsteller selbst der Bedeutung des Schrittes bewußt. Ein Schriftsteller selbst sagt etwa: »Hauptmanns gesammelte Werke sind um zwanzig Mark, alle Dramen Ibsens und die Werke Björnsons in schönen gebundenen Ausgaben für je fünfzehn Mark von ihm (gemeint ist S. Fischer) – fast [194] sagte man – freigegeben worden, und in seiner Ein-Mark-Bücherei findet man viele der besten Werke der neueren Literatur. Es ist gar nicht abzusehen, welch ein ungeheurer Gewinn dadurch den lebenden Dichtern erwächst, daß sie noch in der Sekunde ihres Wirkens in ihrer unmittelbaren Gegenwart schon in die weitesten Kreise mit ihrem ganzen Werk dringen können und nicht bloß mit dem einen Erfolg, den ihnen gerade ein Zufall geschenkt hat.« STEFAN ZWEIG, »Lob der deutschen Verleger«, Voss. Ztg. 9. Nov. 1912, Nr. 574.

Aber die volle Massenwirkung ist erst 30 Jahre nach dem Tode des Individuums möglich, wenn also nach dem internationalen Verlagsrecht seine Werke »frei« geworden sind. Die Stellung des Verlegers zu dem von ihm herauszugebenden Autor ist jetzt eine ganz geänderte: er ist nicht mehr – oder doch nur in seltenen Fällen – »Entdecker«, sondern befindet sich in völliger Abhängigkeit von der Gesamtheit unserer »Faktoren«, d. h. er verlegt hauptsächlich Werke, deren Erscheinungsform in den dreißig oder mehr Jahren, also einer verhältnismäßig langen Zeit, sich günstig gestaltet hat. In den meisten Fällen tritt jetzt das Individuum nicht einzeln, sondern in einer Gruppe mit anderen, unbedingt anerkannten auf, es entstehen also Sammelausgaben, die Titel führen wie »Bibliothek der Weltliteratur«, »Meisterwerke der Kunst«, vor allem aber die sehr zahlreichen sogenannten »Klassiker«-Ausgaben. Was die Massenverbreitung jetzt besonders erleichtert, ist die – eben durch das Freiwerden ermöglichte – starke Verbilligung des Buches. Aber auch wo durch andere Mittel, etwa durch besonders einfache Ausstattung, der Preis reduziert wird, ist stets für die Verbreitung und damit für die Popularität und den Ruhm des Autors ein äußerst wichtiger Faktor gegeben: der Name Reclam allein genügt, um zu zeigen, von welcher Bedeutung der Verlagshandel für die Erscheinungsform von Autoren werden kann.

Greifen wir aus den oben erwähnten Titeln den interessantesten, die »Klassikerausgabe«, heraus, so zeigt schon die erste Frage, die der Verleger hierbei zu entscheiden hat: Wer ist »Klassiker« und wer nicht? –, in welchem Maße er das [195] Urteil der Nachwelt zu beeinflussen vermag. R. M. MEYER, der in seinem bereits erwähnten Aufsatz (vgl. S. 73 dieser Schrift) die Frage nur vom Standpunkt des Literarhistorikers betrachtet, übergeht diesen Faktor völlig. NIETZSCHE hat auf jene Frage eine bittere, nur wenig übertreibende Antwort gegeben: »Unsere deutschen Buchhändler sind auf dem Wege, die fünfzig deutschen Klassiker, an die wir schon glauben sollen, noch um weitere fünfzig zu vermehren. Scheint es doch fast, als ob man eben nur 30 Jahre lang tot zu sein und als erlaubte Beute öffentlich dazuliegen brauche, um plötzlich als Klassiker die Trompete der Auferstehung zu hören.« »Der Wanderer und sein Schatten«, Aph. 125. Nur in der zünftigen Literarhistorie ist der Ausdruck »Klassiker« die Bezeichnung für eine bestimmte Gruppe von Dichtern –also für den Weimarer Kreis am Ende des 18. Jahrhunderts –, ursprünglich war er das, was er inzwischen wieder geworden ist: eine Wertbezeichnung, und es gibt heute nur noch wenig »Romantiker« (im literarhistorischen Sinne), die nicht schon in jeder Klassikerausgabe zu finden wären. Am deutlichsten vielleicht zeigt sich die Macht des Verlagshandels bei Körner, der niemals fehlt, wo eine Sammelausgabe die Allerbesten der deutschen Literatur vereinigt. Aber auch die Fouqué und Gaudy, die Hauff und Zschokke sind in »Klassikerausgaben« meist vertreten. In der zeitlich ersten hier zu betrachtenden Sammlung, der Cottaschen »Volksbibliothek deutscher Klassiker« (1853-58), finden sich neben Goethe, Schiller, Klopstock, Lessing, Wieland, Platen und Lenau sogar Thümmel und Pyrker.

Die Einordnung solcher Individuen, wie die letzten beiden es sind, in die Reihe der übrigen ist das Wichtige. Der Verleger hat hierdurch die Macht, jeden Dichter zu anderen, deren Eminenz unbestritten ist, in gewisse Beziehungen zu bringen, und der Käufer läßt sich den Glauben an die Eminenz des Neuhinzugekommenen um so eher suggerieren, als er annehmen muß, daß eine derartige Sammlung stets eine Auswahl des Besten darstellt. Wie weit die Willkürlichkeit des Verlegers gehen kann, zeigen die obengenannten Namen der Pyrker, Gaudy, Zschokke usw. zur Genüge. Aber sie ist, wie schon Nietzsche hervorhebt, schrankenlos nur für den toten Dichter, und es zeigt sich hier von neuem die – in diesem Falle [196] freilich nur mittelbare – Macht des Todes, von der bereits früher die Rede war. Wo der Verleger ein noch lebendes Individuum einreihen will, ist er völlig abhängig von der Erscheinungsform, die jenes Individuum ohnehin in den Augen der Mitwelt hat. Wenn etwa in einer Sammlung »Klassiker der Kunst« neben Raffael, Rembrandt, Dürer usw. auch Thoma, Uhde, Liebermann eine Stelle erhalten, so weiß der Verleger im voraus, daß er hiermit im ersten Moment zwar ein gewisses Staunen, aber doch keinen dauernden Widerspruch hervorrufen wird, eben weil jene Maler der Masse schon vorher als große Eminenzen erscheinen. Die ruhmerweiternde Macht des Verlegers liegt in solchen Fällen nur darin, daß er eine der Masse selbst unbewußte Wertung in ein schlagendes Wort – also »Klassiker« oder »Meister« – zusammenfaßt und das Individuum mit diesem Worte auf eine höhere Stufe stellt, als es vorher – selbst unbewußt – gestellt worden ist.

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den unaufhörlich wiederholten Neuausgaben oder Übersetzungen bestimmter Werke. Es zeigt sich hier wieder einmal, daß, was zunächst nur die Folge des Ruhmes ist, zugleich die Ursache weiteren Ruhmes wird. Aber das Hineinspielen kaufmännischer Interessen kompliziert die Sachlage noch mehr. Denn, wie so oft in moderner Zeit, ruft nicht das Bedürfnis, das also hier durch den vorherigen Ruhm veranlaßt wäre, die Produktion hervor, sondern die Produktion ist das Primäre, und erst nach ihr wird durch mehr oder minder künstliche Mittel das Bedürfnis erweckt. So kann denn auch dieser Teil des Verlagshandels zuweilen geradezu ruhmzeugend wirken. Als typisch stehe hier eine beliebige Rezension einer Neuausgabe von Karl Philipp Moritz' »Anton Reiser«: »1886 hat Ludwig Geiger den Anton Reiser für den engeren Kreis der Literaturfreunde zugänglich gemacht durch die Neuausgabe in den ›Deutschen Literaturdenkmälern‹. Und vor einigen Jahren ist er auch im Reclam erschienen, indessen ohne bisher die ihm gebührende allgemeinere Beachtung gefunden zu haben. Es ist nicht das erste Mal, daß eine Reclamausgabe der Verbreitung eines Autors vorausgeeilt wäre; man muß sich nur an Jacobsen erinnern«. Diese Rezension, die nicht einer wissenschaftlichen [197] Zeitschrift, sondern einer Tageszeitung Voss. Ztg. 4. April 1913, Nr. 168. entnommen ist, also auf starke Beachtung rechnen kann und der sich ähnliche mühelos zur Seite stellen ließen, zeigt mit völliger Deutlichkeit, wie ein Individuum, das bisher nur im allerengsten Kreise gekannt war, durch Faktoren, die mit seiner Eminenz nur höchst mittelbar etwas zu tun haben, es allmählich zu gewissen Ruhmformen bringen kann.

 

Das Verhältnis des Theaterdirektors, aber auch des Rezitators, des Konzertunternehmers und - Dirigenten zu den Autoren, deren Werke sie vor einer Masse zu Gehör bringen, entspricht in vielen Punkten ganz dem des Verlegers zu seinen Autoren. Auch sie müssen zunächst Entdecker sein und dann versuchen, das neuentdeckte Werk in möglichst ansprechender Form der Masse vorzuführen. Und diese Form ist hier von noch viel größerer Bedeutung als beim Buch. Der Einfluß, den z. B. eine gute Ausstattung, vor allem aber ein tüchtiger Schauspieler auf die Gestaltung der Erscheinungsform des Dramatikers hat, kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Als entgegengesetzte Ansicht stehe hier die von FRIEDRICH GUNDOLF, Shakespeare und der deutsche Geist, Berlin 1911, 280: »Publikum und Theater, oder Masse und Apparat, wird eine lebendige Geschichte der Geistesbewegungen immer nur als negative oder passive Faktoren in Betracht ziehen dürfen, wenigstens in der deutschen Literatur. In ihr hat zwischen den schöpferischen Geistern und dem Publikum – dem Bildungspöbel, den man mit einem grundverlogenen Schmeichelwort bei uns noch immer das »Volk« nennt, obwohl es nichts Verschiedeneres gibt – stets ein geheimer oder offener Gegensatz gewaltet«. Daß die Masse als positiver und aktiver Faktor zu werten ist, braucht für uns nicht erst hervorgehoben zu werden. Man kann darüber streiten, ob dieser Einfluß der Masse wünschens- oder verdammenswert sei, kann sich auch der letzteren Ansicht zuneigen; aber gerade, wer eine »lebendige Geschichte der Geistesbewegungen« schreibt, wird an der Tatsache des Einflusses nie vorübergehen dürfen. Wie sehr ist z. B. Gundolf selbst in seinem Urteil über Shakespeare abhängig von der »Masse«, d. h. von dem vielfältigen und verworrenen Komplex von ruhmbildenden Faktoren, die die vorliegende Schrift aufzudecken versucht. Was zeitlich zuerst wirkt, ist hier – ebenso wie beim Verleger – die Erscheinungsform des Direktors, d. h. dem Dichter, dessen Drama von einem angesehenen Direktor angenommen wird, ist schon durch diese [198] Tatsache allein ein gewisses Ansehen gewährleistet. Aus der neuesten Theatergeschichte ist hier besonders Otto Brahm zu nennen, der auf die Erscheinungsform zweier jetzt in Deutschland besonders hoch geschätzter Dichter, Ibsens und Gerhart Hauptmanns, in der deutlichsten Weise eingewirkt hat. »Brahm, der seinen Ibsen, den Ibsen dieser Erde, durchgesetzt hat; der ihn aufgedrängt, aufgezwungen, eingefilzt hat, bis sie nachgaben; bis sie ihn großartig fanden; bis es ein Bedürfnis war, ihn zu verstehen; ihn für stark zu halten; sich mit ihm auseinanderzusetzen; bis sie mußten.« A. KERR im »Tag«, 6. Juni 1912. Das Theater ist in mancher Beziehung ein noch stärkerer Ruhmpropagator als das Buch: es vermittelt das Werk auf eine besonders angenehme Weise, indem es der Mühe des Lesens überhebt, und es hat einen sehr bedeutenden Einfluß auf zwei andere ruhmerweiternde Faktoren, die Presse und die Populärwissenschaft. Das »Entdecken« des Individuums, das, wie sich gezeigt hat, für den Verleger eine Haupttätigkeit ist, ist für den Theaterdirektor von nicht gar so großer Bedeutung; denn selbst der eminenteste Dramatiker wird nur geringe Beachtung finden, wenn sein Werk in unzulänglicher Ausstattung und von unzulänglichen Schauspielern vor die Masse gebracht wird.

Was für den Verleger die Sammelausgabe, ist für den Theater– oder Konzertdirektor das » Repertoire«. Aus der Masse der aufführbaren Werke haben sich im Laufe der Zeit einzelne herausgehoben, die immer wieder aufgeführt werden und eines gewissen Erfolges sicher sein können. Wie kommt nun ein solches Repertoire zustande? Seinen Grundstock bilden die Werke der »Klassiker«, also derjenigen Individuen, die im voraus über starke Ruhmformen verfügen. Daß auch das Theater oder die Oper an der Erhebung eines Individuums zum Klassiker mitwirken, kann nicht bezweifelt werden. Auf die Entwicklung z. B., die Shakespeares Erscheinungsform in Deutschland genommen hat, hat der Theaterdirektor und Schauspieler Ludwig Schröder einen nicht geringeren Einfluß gehabt als Lessing und Wieland. »Lessing, Wieland und Schröder gehören in der Shakespeare-Literatur aufs engste zusammen. Lessing fordert Shakespeare als Grundlage für die [199] nationale Bühne und die dramatische Kunst. Wieland schafft einen deutschen Shakespeare, und Schröder paßt diesen der Bühne und dem Publikum an.« OACHIMI-DEGE, Deutsche Shakesp.–Probleme, 71. Daß diese Anpassung z. T. in der elendesten Weise vollzogen wird, kommt hier nicht in Betracht. Ja die Massenwirkung – und auf sie kommt es an – wird dadurch nur um so größer. Jede Aufführung bedingt eine gewisse Veräußerlichung des Kunstwerkes, nicht nur bei Shakespeare im Verlauf des 19. Jahrhunderts, sondern auch bei Schiller, Kleist, Hebbel usw. Allmählich tritt das Individuum immer mehr zurück. Der Erfolg, den moderne Shakespeare- und sonstige Klassikeraufführungen haben, geht weniger auf die Klassiker als auf die Aufführung zurück; aber mittelbar gewinnt dadurch die Erscheinungsform des Dichters.

Indes setzt sich das Repertoire nicht nur aus Werken der Klassiker zusammen, deren Kanon immerhin noch auf Grund einer in gewissem Sinne rational zu nennenden Auslese zustande kommt. Sehr wichtig sind für seine Regelung die Kassenergebnisse, die wiederum, wie schon eine kurze Überlegung ergibt, mit der Eminenz des Werkes nichts zu tun haben. »Von einem Kristallisationsprozeß kann schon deswegen nicht gesprochen werden, weil das Publikum die Fülle des Vorhandenen, des lebensfähigen Alten wie des brauchbaren Neuen, überhaupt nicht kennen lernt. Was wir heute Opernrepertoire nennen, ist kein Ergebnis einer nach bestimmten Gesichtspunkten – seien diese auch rein materieller Art getroffenen Auswahl. Es ist ein Mischprodukt aus Zufall, Bequemlichkeit und Abwechslungsbedürfnis ... Das Repertoire einer Tagesbühne zerfällt in drei Gruppen: das Amüsier-, das Unterhaltungs- und das Kunstrepertoire ... Das letztere ist – wenige Ausnahmen abgerechnet – in erster Linie Repräsentationspflicht, der man sich mit dem unausgesprochenen Hintergedanken ›Zweck hat es doch nicht‹ unterzieht. Man sehe sich daraufhin in den Spielverzeichnissen die Verteilung unserer sogenannten klassischen Opern an (die Wagnerschen Werke kommen hier nicht in Frage, da sie vom Standpunkt des Direktors als Kassenopern gelten). Aber die übrigen: [200] Gluck, Mozart, Beethoven, Weber usw. Sie bekommen die ungünstigsten Spieltage, die billigste Ausstattung, die mangelhafteste Besetzung. Sie werden ohne zureichende Proben gegeben, meist nahezu aus dem Stegreif aufgeführt.« PAUL BEKKER, »Repertoire-Politik«, Frankf. Ztg. 4. Sept. 1912 Ein wenig anders als bei den Privatbühnen, von denen im obigen Aufsatz besonders die Rede ist, liegen die Verhältnisse bei denjenigen Anstalten, die vom Staate oder von sehr großen Städten unterstützt werden. Hier brauchen die Kassenergebnisse nicht in dem Maße berücksichtigt zu werden, und ein Stück, das aus äußerlichen Gründen, nicht um seiner selbst willen, beim Publikum Erfolg hat, wird nicht so leicht Eingang in das eigentliche Repertoire finden. Aber auch hier noch ist die mehr oder weniger häufige Wiederholung von einer Reihe von Faktoren abhängig, die mit dem Stücke selbst nichts zu tun haben.

 

Beim Kunsthandel tritt die bereits erwähnte Tatsache, daß die Erscheinungsform eines Individuums sich zahlenmäßig feststellen läßt, besonders deutlich hervor. Wenn z. B. von modernen deutschen Malern Menzel, Böcklin, Leibl, Liebermann und Lenbach im Preise am höchsten stehen Vgl. MEIER-GRÄFE, »Handel und Händler« in »Kunst und Künstler« XI (1912), 306ff., so liegt der Grund dafür darin, daß sie auch am höchsten geschätzt werden. Der Preis resultiert nicht aus der Ware – wie etwa bei Kohle oder Leinwand –, sondern aus der Erscheinungsform des Individuums. »Die Ware ... ist nicht das einzelne Gemälde; das Kunstwerk erhält vielmehr dadurch fungiblen Charakter, daß der Name des Meisters an Stelle der individuellen Schöpfung tritt ... Das Bestreben jedes Künstlers geht dahin, daß auch sein Name auf die Tabelle gesetzt wird. Denn, wird er im Kurszettel registriert, so ist er im allgemeinen wirtschaftlich geborgen.« DREY, Die wirtschaftlichen Grundlagen der Malkunst. Stuttgart 1910, 127. Aber nur bei den seit langer Zeit verstorbenen, also den »klassischen« Künstlern ist die Erscheinungsform das Primäre. Für den modernen Künstler liegen, da der Kunsthandel gerade im 19. Jahrhundert einen sehr bedeutenden Umfang angenommen hat‚ die Verhältnisse zu [201]weilen geradezu umgekehrt: der hohe Preis ist nicht die Folge des Ruhmes, sondern der Ruhm die Folge des hohen Preises. Wie aber kommt der hohe Preis zustande?

Sehen wir von den ziemlich seltenen Fällen ab, in denen ein Auftrag erteilt wird, der Käufer also im voraus gegeben ist oder in denen ein Atelierverkauf stattfindet, so ergibt sich für den Künstler stets die Notwendigkeit eines Vermittlers, d. h. eines Kaufmanns, der den Markt kennt und kapitalkräftig ist, oder einer Ausstellung, die den Ruf einer sorgfältigen Jury hat (vgl. Drey, a. a. O.). Es zeigt sich hier also die Übereinstimmung mit den vorher besprochenen Fällen: je angesehener der Kunsthändler oder die Ausstellung, desto angesehener der Künstler; die eine Erscheinungsform ist von der anderen abhängig. »Auf die Preisnotiz selbst wirkt dann in erster Linie die Haltung des Publikums unter Führung der Kritik ein« (Drey, 128). Daß die Kritik kein zuverlässiger Maßstab für die wirkliche Eminenz der Werke ist, daß sie im besten Falle unter der Macht von Zeittendenzen steht, ergibt sich aus unseren früheren Betrachtungen. Besonders klar wird das an den Fällen, in denen im Laufe der Zeit starke Preis– und damit Wertungsschwankungen eingetreten sind. Vgl. dazu DREY a. a. O. 1835 Anm. »Die galanten Bilder des franz. Rokoko wurden ihren Meistern gut bezahlt, verloren aber dann unter der Herrschaft Winckelmann-Davidscher Anschauungen jeden Wert, um mit dem Ende des 19. Jahrhunderts wieder mit riesigen Summen bezahlt zu werden.« Die Beispiele ließen sich leicht vermehren. Nirgends vielleicht zeigt sich die Macht der Mode, deren irrationaler Ursprung später noch zu erörtern sein wird, stärker als im Kunsthandel. Nicht nur bestimmte lebende Künstler und Künstlergruppen, auch abgeschlossene, historisch gewordene Kunstepochen werden durch irgendeine Verschiebung von Zeittendenzen plötzlich aus dem Zustande der Nichtgekanntheit herausgehoben und ihre Werke alsbald mit den höchsten Preisen bezahlt.

Aber in solchen Fällen ist der Kunsthandel stets noch sekundäres Moment: er ist nicht aktiv an der Transformation der Erscheinungsform beteiligt. Diese Aktivität erlangt er zunächst da, wo ein einflußreicher Kunsthändler sich für ein einzelnes Individuum oder für eine zusammengehörende Gruppe [202] einsetzt. Die Gründe dafür können sehr wohl idealer Art sein: er fördert die Künstler, zu denen er sich hingezogen fühlt, d. h. von deren Eminenz er überzeugt ist. Aber letzten Endes ist der Künstler für ihn doch in jedem Falle Spekulationsobjekt, mit dem ein Geldgewinn erzielt werden soll. Deshalb muß er, wo er die Bilder eines noch Ungekannten kauft, sofort bemüht sein, dessen Erscheinungsform bei der Umwelt in günstigem Sinne zu transformieren. Die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung wird klar, wenn man etwa an den Anteil denkt, den ein so idealer Kunsthändler wie Durand-Ruel an dem Ruhme der französischen Impressionisten gehabt hat. »Er hat am Schicksal vieler großer Künstler schmieden helfen, hat bestimmend eingegriffen in die Kulturentwicklung dreier Generationen. Seine Stimme wurde oft überschrien, doch am Ende immer gehört ... Da sind Maler, denen er das tägliche Dasein erleichtert und die Schaffensfreude zurückgegeben hat; Nikodemusse von Kritikern, die zu dem Borne des Heils kamen, von den Leiden der Tradition zu gesunden.« JULIUS ELIAS, »Durand-Ruel« in »Kunst u. Künstler«, X (1911), 105. So macht Durand-Ruel in der wirksamsten Form Propaganda für seine Schützlinge, die Manet, Degas, Claude Monet, Puvis usw., und es nimmt nicht wunder, wenn wir von einem anderen Kenner der Verhältnisse hören: »In der klingenden Anerkennung eines Daumier, in der großen Umwälzung, die den Impressionisten bis auf anscheinend so unzugängliche Meister wie Cézanne gelang, könnte man geradezu eine produktive Tätigkeit des Kunstmarktes erkennen.« MEIER-GRÄFE, a. a. O. 311.

Aber diese Produktivität des Handels geht auch auf Faktoren zurück, die noch weiter vom Individuum an sich abliegen. »Der Preis ist oft eine Folge rein akzidenteller Dinge, was ihn nicht hindert, sobald er einmal bezahlt ist, Suggestionen auszuüben« (MEIER-GRÄFE, 311). »Akzidentell« ist ein vorsichtiger Ausdruck, wenn man an die sehr unreellen Machenschaften denkt, durch die Preissteigerungen zuweilen erzielt werden. DREY spricht (a. a. O. 138) von »heimlichem billigem Ankauf mit nachfolgender künstlicher Preistreiberei oder außerordentlich teurem Ankauf eigener Bilder auf arrangierten Auktionen.« In den angesehensten Kunsthandlungen [203] wird mit solchen fiktiven Preisen gewirtschaftet. »Ein Strohmann treibt die Preise, die nachher der Besitzer in der Hoffnung, daß die anderen Preise ebenso hoch bleiben, selbst bezahlt« (MEIER-GRÄFE, 312). Ein Bericht über die Auktion wird in die Presse lanciert, das Publikum liest mit Staunen, welche Preise die Bilder eines Malers erzielt haben, der ihm bisher nur wenig bekannt war, und – infolge einer sehr natürlichen Regung – setzt sofort die Transformation der Erscheinungsform ein. Als typisch stehe hier ein derartiger Zeitungsbericht. »Den Höhepunkt der Versteigerung bildeten die Werke Degas. Vorgestern ging sein aus zahlreichen Reproduktionen bekanntes Bild ›Die Tanzstunde‹ für 150 000 Fr. weg, gestern wurden seine ›Tänzerinnen an der Stange‹, die auf 200 000 Fr. geschätzt wurden, zur Versteigerung gebracht. Nach lebhaftem Kampf wurde das Bild für 435 000 Fr. an O… weggegeben, der es, wie behauptet wird, im Auftrage einer amerikanischen Dame gekauft haben soll. Es ist zu bemerken, daß Degas noch lebt und solche ungeheuren Preise bisher nur für ältere Meister erreicht worden sind. Als man den Künstler von dem Glück seiner Werke unterrichtete, sagte er: ›Das ist merkwürdig, dies Bild habe ich einst für 500 Fr. verkauft.‹« (Berliner Tageblatt, 11. Dezember 1912 Nr. 361).

 

Sehr viel mehr noch als der eigentliche Kunsthändler wird der Kunstverleger bei seinen Unternehmungen von kapitalistischen Interessen geleitet. »Der Verleger steht dem Werke anders gegenüber als der Künstler. Ein Bild ist für ihn nicht sowohl wegen seiner künstlerischen Qualitäten als durch seine Absatzfähigkeit von Interesse, und eine Verbreitung in 1000 schlechten Exemplaren zieht er, wenn gewinnbringender, einer einmaligen formvollendeten Wiedergabe vor« (DREY, 166).

Die Möglichkeit zu solcher Verbreitung ist ihm durch die – bereits erwähnte – außerordentliche Vervollkommnung der Reproduktionsmittel gegeben.

Indes hängt, wie der Kunstverleger sehr wohl weiß, die starke Absatzfähigkeit eines Bildes nicht nur davon ab, daß es dem Geschmack der großen Masse entgegenkommt. Oft sprechen auch künstlerische Qualitäten mit, und zwar immer dann, wenn der Maler oder Bildhauer bereits vorher über ge [204]wisse Ruhmformen verfügt. Die zahllosen Reproduktionen von Bildern der Raffael, Tizian, Rembrandt, aber auch der Menzel, Böcklin usw. finden ihren Massenabsatz vor allem dadurch, daß ihre Schöpfer vorher »berühmt« sind und daß dieser Ruhm im Käufer auch nicht den geringsten Zweifel an ihrer Eminenz aufkommen läßt. Wieder einmal zeigt sich die Folge eines bestimmten Ruhmgrades als die Ursache eines höheren. Der niedere Grad veranlaßt ein rein kapitalistisches Unternehmen, sich der Werke eines Individuums zu bemächtigen, technische Errungenschaften ermöglichen es diesem Unternehmen, Reproduktionen in ungeheurer Anzahl und zu billigen Preisen herzustellen. Und aus allem resultiert eine weitere Transformierung der Erscheinungsform. Das Individuum an sich ist der kleine Stein, um den herum sich eine gewaltige – aus Schnee, also aus anderem Stoff bestehende – Lawine gebildet hat, welche ihre erste Ursache so sehr verdeckt und überragt, daß deren Größe und Gestalt nur noch mit äußerster Mühe zu erkennen sind.



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