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2. Kapitel.
Der Beruf.

Nicht jeder Beruf wirkt ruhmbildend: dem Arbeiter, dem Bauern, dem Handwerker, aber auch dem Kaufmann und dem Beamten kommt der Beruf für die Durchsetzung des Namens und damit für das Bild, das sich Mit- und Nachwelt [37] von ihm machen, nicht zu Hilfe. Wollen sie durchdringen, so muß die in ihnen liegende Eminenz bereits recht bedeutend sein. Die Notwendigkeit der Eminenz ist um so größer, je niedriger der Beruf in der sozialen Ordnung steht.

Schon diese Feststellung zwingt zu dem Oppositionschluß: das Individuum erlangt um so leichter Ruhm, d. h. es braucht um so weniger eminent zu sein, je höher es in der Gesellschaft steht oder aber je mehr andere – alsbald zu erwähnende – Umstände seinen Beruf der allgemeinen Beachtung aussetzen. Der Einwand, daß die Höhe der gesellschaftlichen Stellung zum großen Teil von der Eminenz des Individuums abhängt, wäre wenig stichhaltig; denn in sehr viele und zwar gerade in die prominenten Berufe kommt der einzelne entweder durch reguläres Erbrecht oder durch das ungeschriebene, das ihm die soziale Stellung seines Vaters verschafft.

Am stärksten ruhmbildend wirkt der Herrscherberuf. Wer – außer den Fachgelehrten – würde von den Kaisern Commodus oder Honorius, von Karl dem Dicken oder Ludwig dem Kind etwas wissen, wenn sie nicht Herrscher gewesen wären? So aber sind ihre Erscheinungsformen auch in die Masse 3. Grades eingedrungen. Jeder Schüler kennt nicht nur ihren Namen, sondern weiß auch ungefähr, wann sie gelebt und was sie getan haben. Es liegt bei ihnen – wenn man etwa von Commodus absieht – nicht einmal die Form der Gekanntheit vor, deren Träger man im allgemeinen »berüchtigt« nennt: das Individuum ist durchaus sekundäres Moment; sein Name erhält sich nur als Symbol für den mächtigen Faktor, der im Hintergrunde steht, den Herrscherberuf. Die ziemlich wichtigen Ereignisse, die sich in den 70er und 80er Jahren des 9. Jahrhunderts abspielen, werden um Karl den Dicken als den Mittelpunkt gruppiert, nicht weil er bestimmte Eigenschaften besaß, sondern weil er einen bestimmten Beruf hatte. Von solchen und ähnlichen Fällen sagt SIMMEL einmal, daß »der König König nicht mehr als Person ist, sondern umgekehrt: seine Person ist nur der an sich irrelevante Träger des abstrakten Königtums, das ebenso unvergänglich ist wie die Gruppe selbst, deren Spitze es bildet«. »Die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe« (Jahrb. für Gesetzgebung, Verwaltung u. Volkswirtschaft, 22. Jahrg., 1898, 599).

[38] Kommt nun zum Herrscherberufe noch eine wirkliche Eminenz hinzu, so wächst der Ruhm schnell ins Riesenhafte. Mag es sich um so hervorragende Herrscher wie Cäsar oder Otto I. oder Friedrich den Großen handeln: bei dem Bilde, das die Nachwelt sich von ihnen geformt hat, ist nie zu vergessen, daß die Eminenz wiederum nur einer von mehreren Faktoren ist, unter denen in diesen Fällen eben der Herrscherberuf obenan steht. Durch die Bedeutung dieses Berufes wird dem Wertenden selbst das Zufällige verdeckt, das in allem Erbrecht liegt. Fällt auch dieses Zufällige – wie bei allen Wahlherrschern und Usurpatoren – fort, so entwickelt sich die Erscheinungsform noch ungehemmter.

Nächst dem Herrscher erzwingt sich die politische Persönlichkeit, besonders der Staatsmann, durch den Beruf am leichtesten Beachtung. In gewisser Beziehung spricht auch bei der Berufswahl des Staatsmannes das Erbrecht mit; denn in vielen Staaten ist die diplomatische Laufbahn – mehr oder weniger – dem Adel vorbehalten. Die Exponiertheit der Stellung verschafft auch dem Staatsmann eine Resonanz, die seine eigentliche Eminenz weit übertrifft.

Und der Ruhm der RICHELIEU und MAZARIN, der METTERNICH und CRISPI steht dem ihrer Herren kaum nach. In einem gewissen Verhältnis zu dieser Popularität des Staatsmannes von Beruf steht die des Parlamentariers. Da er zu seinem Amte stets durch Auswahl, also durch eine von der Masse, und zwar auch der Masse 3. Grades geübte Prüfung der Eminenz gelangt, ist bei ihm der erste ruhmbildende Faktor regelmäßig gegeben. Die Popularität des Parlamentariers ist naturgemäß in den Ländern am größten, in denen das parlamentarische System durch keinen Monarchismus gebändigt ist. Daher kommt es, daß etwa der französische Député in seinem Wahlkreise eine sehr viel bedeutendere Erscheinungsform besitzt als der deutsche in dem seinen.

In der primitiven Gesellschaftsform sind Herrscher und Priester in einer Person vereinigt. Wo die Personalunion nicht mehr besteht, kommt – kurz nach der Trennung – der Ruhm des Priesters dem des Herrschers, der ja nebenher oft noch der summus episcopus bleibt, beinahe gleich. Da der Priester durch die in ihm vermuteten geheimnisvollen [39] Kräfte die primitive Phantasie aufs höchste erregt, wird der Abstand zwischen dem Individuum an sich und seinen Erscheinungsformen bei ihm alsbald besonders groß. Ob der Stand der Priester sich aus dem der Medizinmänner und Schamanen oder umgekehrt dieser aus jenem sich entwickelt habe, ist eine offene Frage der Ethnologie: sicher aber ist, daß die Masse beiden Ständen nahe Beziehungen zu guten, noch mehr zu bösen Geistern, sowie intime Kenntnis der Naturkräfte zutraut. Der Glaube, daß der Priester und Schamane Krankheiten heilen, aber auch – was wichtiger, weil gefährlicher ist – Krankheiten hervorrufen kann, läßt ihn als fast übermenschliches Wesen erscheinen und steigert seinen Ruhm zu einer Höhe, die nur dadurch etwas beschränkt wird, daß der primitiven Masse die Mittel zur Ruhmpropagierung fast gänzlich fehlen. Überreste dieser Stellung des Priesters sind auch in entwickelteren Gesellschaftsformen noch zu finden und fehlen selbst in der modernen Kultur nicht. Es sei nur an die Erscheinungsform erinnert, die etwa der Papst in der katholischen Christenheit hat. Daß im übrigen zugleich mit dem Sinken der Bedeutung des Priesterstandes sich auch seine ruhmbildende Macht verringert, ist selbstverständlich.

Wir übergehen den Beruf des Kriegers und des Arztes, die an sich zwar ebenfalls in starkem Maße ruhmerweiternd wirken, aber neue Normen für die Betrachtung nicht ergeben würden. Für uns wertvoller sind die Möglichkeiten der Ruhmerzeugung und Ruhmerweiterung, die im Künstlerberufe liegen. Freilich gehört zum Künstlertum in stärkerem Maße als zu den anderen Berufen die Eminenz, die das Individuum an sich besitzen muß; aber schon eine kurze Erwägung zeigt, daß auch der Beruf selbst einen starken Resonanzboden für die Persönlichkeit abgibt und daß ferner diese Stärke für die verschiedenen Arten des Künstlertums verschieden ist.

Dem Dichter steht für die Verbreitung seiner Werke und damit seines Namens das mächtigste Hilfsmittel zu Gebote: der Buchdruck. Das Original des Werkes, die Handschrift, hat gerade in seinem Berufe nur den Wert einer Kuriosität oder Reliquie. Nach dem ersten zuverlässigen Abdruck kann es ruhig vernichtet werden: die Möglichkeiten zum Indiemassedringen sind dem Kunstwerke nun doch gegeben. Die Form, [40] in die der Dichter seinen Stoff bringt. ist die der Masse geläufigste: die Sprache. Es gehört – jedenfalls im Vergleich zu anderen Kunstformen – weder ein besonders hohes Maß von Bildung, noch gehören vor allem spezielle technische Kenntnisse dazu, um einen Roman, ein Drama, ein lyrisches Gedicht in sich aufzunehmen. So ist dem Dichter – als solchem – die leichteste Möglichkeit gegeben, zur Beachtung und schließlich zum Ruhme zu gelangen. Aber diese ruhmerweiternde Macht des Berufes zeigt sich nur innerhalb des Volkes, dem der Dichter angehört. Zum internationalen Ruhm dringt er deshalb schwerer durch, weil die Sprache ein stetes Hindernis bietet. Die kleinen Kreise, in denen fremde Sprachen völlig beherrscht werden, kommen für die höchsten Ruhmformen kaum in Betracht. Die Übersetzung bietet hier zwar ein Hilfsmittel, aber ein umständliches, auch nicht ganz im Sinne des Kunstwerkes wirkendes. Eine gewisse Kompensation für die Enge der Grenzen, die dem Dichter durch seine Sprache gezogen sind, gewährt ihm nur die Zugehörigkeit zu einer der großen Kulturnationen: ein deutscher, französischer, englischer Dichter kommt leichter in den Ruf der Bedeutung oder gar der Genialität als etwa ein finnischer oder serbischer. Die Erscheinungsform des Individuums ist also hier durch einen – selbstverständlich zufälligen – Faktor bedingt. Der Einwand, daß ein Land wie Serbien einen Dichter – natürlich nicht von der Art, sondern von der Eminenz SHAKESPEARES niemals hervorbringen könne, würde bereits auf die Urteilsverwirrung zurückgehen, die durch die bisherige Nichtbeachtung des Ruhmproblems entstanden ist.

Für den Musiker liegen in mancher Hinsicht konträre Verhältnisse vor. Die Form, in der er schafft, ist zunächst nur dem zugänglich, der selbst in ihr eine gewisse technische Ausbildung erfahren hat. Da die Musik kein Lebensbedürfnis wie die Sprache ist, wird diese Ausbildung nur einer bestimmten und ziemlich beschränkten Anzahl von Gliedern der Masse 1. und 2. Grades zuteil. Nur einige musikalische Gebilde dringen bis in die Masse 3. Grades vor: das Volkslied und der Gassenhauer. Aber derselbe Umstand, der in einer Hinsicht ruhmvermindernd wirkt, ist in der anderen im höchsten Maße ruhmverstärkend: da die Musik nicht nur in dem Volke [41] verständlich ist, in dem der Künstler zufälligerweise geboren ist, hat sie fast stets die Möglichkeit einer internationalen Wirkung. Namen wie CHOPIN, SMETANA, DVORAK sind in Kreisen bekannt, in denen man von polnischer oder böhmischer Literatur nichts weiß, und fragt man im Auslande nach dem größten Manne, den Deutschland je hervorgebracht hat, so kann man sicher sein, den Namen BEETHOVEN und nicht GOETHE zu hören.

Die Ruhmesmöglichkeiten des Malers und Bildhauers sind dadurch etwas beschränkt, daß die Hauptwirkungen vom Original des Kunstwerkes ausgehen und daß dieses Original oft an verborgener, zuweilen sogar an einer Stelle steht, die der Masse völlig unzugänglich ist. Aber dieser kleine Mangel wird wieder gut gemacht durch die Internationalität des Ausdrucksmittels und durch die verwirrende Menge von Vervielfältigungsarten, die die moderne Technik gerade dem Maler und dem Bildhauer bietet: Kupferstich, Radierung, Stahlstich, Heliogravüre, Holzschnitt, Autotypie, Lithographie, Lichtdruck und als wichtigstes die Photographie. Freilich würde RAFFAEL wohl erstaunte Augen machen, wenn er seine Sixtinische Madonna in einem Jahrmarkts-Buntdruck wiedersähe. Für seine Ruhmesgeschichte bildet diese Transformierung seines Werkes aber wieder nur eine notwendige Etappe: sie ist der Preis, der dafür gezahlt werden muß, daß der Name in die Massen eindringt.

Auf kompliziertere Verhältnisse stößt man, wenn man den Beruf des Schauspielers als ruhmbildenden Faktor betrachtet. Es wurde freilich ein Jahrhundert lang nachgesprochen: »Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze«. Aber daß diese Kränze nicht nur geflochten werden, daß sie umfangreich und unverwelklich sind, wird klar, wenn man an Namen wie EKHOF, SCHRÖDER, DEVRIENT denkt. Sie finden sich nicht nur in der gelehrten, sondern auch in jeder populären Literaturgeschichte und sind tief bis in die Masse 2. Grades eingedrungen. Zu erklären ist dies nur dadurch, daß der Schauspieler als Interpret literarischer Kunstwerke für den Betrachter, ohne daß sich dieser dessen bewußt wird, in die nächste Nähe des Künstlers selbst rückt. Völlig evident wird das bei einem Manne wie IFFLAND, bei dem die Grenze zwischen Schauspieler- [42] und Dichtertum fast ganz verwischt ist. – Daß die Mitwelt dem Mimen keine Kränze flechte, hat auch SCHILLER nicht behauptet. Hier ist die ruhmbildende Macht des Berufes so groß, daß selbst die Fremdheit der Nation und Sprache nicht hemmend wirkt. Der Ruhm eines SONNENTHAL, MATKOWSKI, KAINZ will nichts besagen gegenüber der Tatsache, daß auch Namen wie COQUELIN, SARAH BERNHARDT, ELEONORE DUSE in Deutschland erstaunlich tief eingedrungen sind. Der wichtigste Grund hierfür liegt darin, daß das ständige Exponieren der Person, zu dem der Schauspieler durch seinen Beruf gezwungen wird, ihn fast als wichtiger erscheinen läßt als den Dichter selbst. Dazu kommt die Mitwirkung der Presse. Da später noch zu erörtern sein wird, warum die Presse allen reproduktiven Künstlern einen besonders großen Raum widmet –einen größeren fast als den produktiven – und warum unter den reproduktiven wiederum der Schauspieler mit an erster Stelle steht, sind hier weitere Ausführungen darüber nicht nötig. Gegenüber den genannten beiden Gründen: Exponieren der Person und Mitwirkung der Presse – kommt ein letzter nur als akzidenteller in Betracht: der Schauspieler ist für die Masse nicht nur der notwendige Interpret des dramatischen Kunstwerks – als solcher ist er ja selbst dem Höchststehenden unentbehrlich –, sondern auch derjenige, der sie der Mühe des Lesens überhebt und ihr zum bequemen Kunstgenuß verhilft.


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