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A. Vom Individuum selbst ausgehende Faktoren.


1. Kapitel.
Die Eminenz des Individuums.

Von den Faktoren, die einer Persönlichkeit – sei es schnell, sei es langsam – Ruhm verschaffen, ist die Eminenz, wie bereits mehrfach hervorgehoben wurde, in vielen Fällen der zeitlich erste. Wie diese Eminenz zu erklären ist und was an ihr – wahrscheinlich für immer – unerklärbar bleibt, hat das einleitende Kapitel zu zeigen versucht: die Richtung, die zwischen der extrem-individualistischen und der extrem-kollektivistischen vermittelt, führt an das Wunder der im höchsten Sinne eminenten Persönlichkeit so nahe heran, als heut irgend möglich ist. Nun ist uns aber jetzt völlig klar, daß bereits diese Eminenz immer nur in einer bestimmten Erscheinungsform vorliegt. Es kann sich deshalb hier nur darum handeln, die Erscheinungsformen der Eminenz darzustellen. Geht man also nicht vom betrachteten, sondern vom betrachtenden Individuum aus, so ergibt sich die Notwendigkeit einer wichtigen Unterscheidung in bezug auf die größere oder geringere Mitarbeit des Betrachters. Wir müssen danach zwei Gruppen von eminenten Individuen scheiden:

1. Die Tateminenz.

a) Die Tateminenz im engeren Sinne (die wissenschaftlichen Erfinder und Entdecker, die großen Kaufleute und Industriellen, die Ärzte usw.).

[28]

b) Die religiöse und politische Eminenz (die Religions- und Sektenstifter, die Herrscher, Feldherrn und Staatsmänner).

2. Die künstlerische Eminenz (Dichter, Maler, Musiker, Bildhauer, Architekten usw.).

Bei der Gruppe 1a ist die Mitarbeit des Betrachters am geringsten. Das Werk der Tateminenz im engeren Sinne liegt als reale Gegebenheit da, ohne zunächst die Einbildungskraft dessen, der es beschaut, auf den es also wirkt, wesentlich zu erregen. Das Kopernikanische Weltsystem und das GRIMMsche Lautgesetz, die KRUPPschen Eisenwerke und das BEHRINGsche Heilserum, sie alle sind Schöpfungen, die nur Dinge oder Zustände verändert haben, aber auf die menschliche Phantasie nicht wirken wollten. So kommt es auch, daß die Erscheinungsform ihrer Schöpfer, also des KOPERNIKUS, GRIMM, KRUPP, BEHRINGER, – zunächst, d. h. bevor die anderen, später zu nennenden Faktoren anfangen zu wirken – mit den Schöpfern selbst im wesentlichen übereinstimmt. Aber auch hier schon setzt in vielen Fällen eine Wirkung ein, die man »auf Imagination beruhend« nennen kann. Das BEHRINGsche Serum verändert zunächst einen Zustand: der Diphtheriebelag vergrößert sich nicht mehr, sondern lockert sich und wird schließlich abgestoßen. Aber zu gleicher Zeit fängt das Individuum BEHRING den Eltern des geretteten Kindes an zu »erscheinen«, indem es ihre Phantasie erregt. Das Bild des Individuums wird immer mehr vergrößert, der Ruhm beginnt seine Tatsachen verachtende und verzerrende Tätigkeit. Den Ausschlag gibt hier der Erfolg der Tat. Würde das Serum wenig oder gar nicht wirken, so würde den Eltern das Individuum BEHRING sofort in anderem Lichte erscheinen, obwohl ja doch dieser – mit dem Werke nicht unmittelbar zusammenhängende – Mißerfolg das Individuum an sich in nichts verändern würde.

Stärker ist die auf Imagination beruhende Wirkung, also die Mitarbeit des Betrachters, bei der religiösen und der politischen Eminenz. Auch ihre Tat zwar bringt zunächst nur eine Veränderung von Zuständen hervor: LUTHER ändert den Zustand der katholischen Kirche, NAPOLEON den Zustand der europäischen Machtverhältnisse, BISMARCK den Zustand der deutschen Einzelstaaterei. Aber diese Zustandsänderungen sind [29] häufiger und inniger mit den Schicksalen von Individuen verknüpft als die der reinen Tateminenzen und erregen daher die Einbildungskraft in weit höherem Maße. Wenn die Taten Friedrichs d. Gr. auf die deutsche Literatur befruchtend wirken, wenn durch BISMARCKs Lebenswerk das Selbstbewußtsein der Deutschen wächst, so handelt es sich hier um Wirkungen des eminenten Individuums, die allein auf Imagination beruhen, also nicht auf das Objekt, sondern auf das Subjekt zurückgehen. Der Betrachter kann seinen Standpunkt natürlich nicht willkürlich wählen, d. h. das Bild der eminenten Persönlichkeit nicht nach seinem Wunsche formen. Er ist, wie sich später noch zeigen wird, bei dieser Formung durch eine große Reihe von Faktoren bedingt, die meist auf ihn wirken, ohne daß er sich dessen bewußt wird. Die eminente Tat gibt diesen Faktoren nur die Richtung an.

Am stärksten endlich ist die auf Imagination beruhende Wirkung bei der künstlerischen Eminenz. Die reale Gegebenheit eines Werkes liegt auch hier vor: MICHELANGELOs »Moses«, BEETHOVENs IX. Symphonie, GOETHEs »Faust« sind Tatsachen, wie etwa BISMARCKs geeinigtes Deutschland oder BEHRINGs Serum Tatsachen sind. Der große, für unsere Zwecke besonders bedeutsame Unterschied besteht aber darin, daß das Kunstwerk an sich keine Zustandsänderungen verursacht, also etwas in diesem Sinne Neues nicht schafft. Es wäre hier höchstens daran zu denken, daß eminente Kunstleistungen zuweilen Änderungen in der künstlerischen Technik zur Folge haben. Aber diese Änderungen treten nur selten ein – jedenfalls nicht häufiger als beim minderwertigen Kunstwerke – und kommen gar nicht in Betracht gegenüber seiner Hauptwirkung: derjenigen, die auf der Imagination beruht. Nun besteht aber bereits eine prinzipielle Verschiedenheit zwischen der Imagination, die von einem Werke der Tateminenz, und der, die von einem Kunstwerke ausgeht. Beim letzteren beruht sie nämlich – zunächst; es wird auch hier von den anderen, später zu behandelnden Faktoren abgesehen – auf der Fähigkeit des Betrachters zu ästhetischem Urteilen und auf der Art dieses Urteilens selbst. Der Ästhetik ist es aber bisher nicht gelungen, allgemein gültige Normen aufzustellen. Schon deshalb werden Meinungsdifferenzen über [30] die größere oder geringere Eminenz eines Künstlers, wie man sie stets beobachtet hat, auch stets beobachtet werden. Ein Mensch, der zu Paradoxien neigt oder aus anderen Gründen sich von traditionellen Urteilen emanzipiert hat, braucht nur einen lange mißachteten Künstler auf den Schild zu erheben: er wird, wenn er nur einen guten Resonanzboden hat, d. h. wenn ihm einer der ruhmerweiternden Faktoren zu Hilfe kommt, alsbald Nachbeter finden und schließlich seine persönliche Meinung zu der der Allgemeinheit machen. Dies geht fort, bis von einem anderen ein anderer Götze auf den Thron gesetzt und der alte – eben noch junge – gestürzt wird. Eins ist dabei also immer im Auge zu behalten: all diese Streitereien haben mit dem eminenten Individuum selbst nur recht wenig zu tun. Es ist nur der Vorwand, an dem Verschiebungen ästhetischer Urteile des Subjekts, des Betrachters, demonstriert werden. Wenn NIETZSCHE JUNG-STILLINGs »Lebensgeschichte« für eins der besten deutschen Bücher, der Kunstschriftsteller MEIER-GRÄFE EL GRECO für einen der bedeutendsten spanischen Maler, EUGEN REICHEL GOTTSCHED für einen der größten deutschen Schriftsteller hält und diese drei Männer Anhänger finden, so sagt das nichts über die Objekte der Betrachtung, also die eminenten Individuen, aus, sondern nur etwas über NIETZSCHE, MEIER-GRÄFE, REICHEL und deren Anhänger. Solche Verschiebungen in der Beurteilung finden sich bei religiösen und politischen Eminenzen sehr viel seltener, bei Tateminenzen fast gar nicht. Das eminente Individuum an sich ist einer Betrachtung um so weniger zugänglich, je mehr seine Wirkung auf der Imagination beruht. Die Richtigkeit des Bildes gegenüber dem Original wächst in dem Maße, in dem die auf der Imagination beruhende Wirkung geringer, die auf der Realität beruhende größer wird.

Eine solche auf einer Realität beruhende Wirkung findet sich nun aber auch bei Kunstwerken. Die Literaturgeschichte belehrt uns etwa darüber, daß GOETHEs »Werther« eine Selbstmordmanie hervorruft, daß aus SCHILLERs Dichtungen die Jugend im Jahre 1813 einen großen Teil ihrer Kriegsbegeisterung schöpft, daß der Roman der BEECHER-STOWE, »Uncle Tom's Cabin« schließlich den Bürgerkrieg gegen die [31] südamerikanischen Sklavenhalter zur Folge hat. Eine Selbstmordmanie, eine Begeisterung, ein Krieg sind zweifellos Realitäten; die Kunstwerke sind hier also Ursachen von Zustandsänderungen. Auch sei hier zunächst die – zweifellos ungenaue – Annahme gemacht, daß die literarischen Werke allein, d. h. ohne irgendwelche anderen Umstände, jene Realitäten hervorgerufen haben: das ist nicht zu leugnen, daß die Wirkung, die schließlich eine Realität erzeugt, erst die Folge einer anderen ist, die auf Imagination beruht. Zunächst muß Werther oder Wilhelm Tell als Kunstwerk gewirkt haben, d. h. von der Phantasie aufgenommen und ästhetisch gewertet sein. Die Realität erzeugende Wirkung der künstlerischen Eminenz ist also von ganz anderer Art als die der Tateminenz. Sie ist auch nicht dem größeren oder geringeren Werte des Werkes proportioniert. Eher ließe sich das Gegenteil behaupten: das Tendenzwerk, das – man denke nur an »Uncle Tom's Cabin« – oft das weniger wertvolle ist, wird in den meisten Fällen schneller eine Realität erzeugen.

Halten wir an der Scheidung zwischen künstlerischer und Tateminenz fest, so kommen wir auch dem Problem des Erfolges um einiges näher. Es ist zweifellos ein großer Unterschied, ob ich sage: die Unternehmung eines Feldherrn, die Operation eines Arztes hat »Erfolg«, oder: ein Theaterstück, eine Symphonie hat »Erfolg«. Im ersten Falle bezeichnet »Erfolg« eine Zustandsänderung, an deren Zustandekommen das urteilende Subjekt gar keinen Anteil hat. Schon aus diesem Grunde sind bei der Tateminenz Erfolg und Ruhm, d. h. Gekanntheit, bei weitem nicht so häufig miteinander verknüpft, wie man annehmen sollte. Dazu kommt, daß bei ihr die Persönlichkeit sehr viel mehr hinter dem Werke zurücktritt als bei der künstlerischen Eminenz. Hierauf weist im einzelnen hin: PLATZHOFF-LEJEUNE, Werk und Persönlichkeit. Minden 1903. Es ist jedenfalls recht häufig zu beobachten, daß das Werk der Tateminenz »Erfolg« hat, die Persönlichkeit aber trotzdem unbekannt bleibt. Besonders klar wird das bei der Betrachtung des Erfinderruhmes, der uns auch später noch beschäftigen wird. Der Erfinder eines neuen Wortes z. B. bleibt fast stets unbekannt [32] und zwar auch dann, wenn er großen »Erfolg« hat, d. h., wenn sein Wort alsbald in die weitesten Kreise dringt. Die Erfinder so wichtiger Gegenstände wie des Leuchtgases, des Mikroskops, der Nähmaschine, der Stahlfeder, des Kompasses sind nur wenig, z. T. gar nicht gekannt. Man kann nicht einmal sagen, daß die Gekanntheit um so leichter eintritt, je bedeutender das Werk ist. Der Kompaß ist wahrscheinlich wichtiger als das Schießpulver. Trotzdem ist der Name BERTHOLD SCHWARZ – ob mit Recht oder Unrecht, interessiert hier noch nicht – bis in die Masse 3. Grades gedrungen, während ein Kompaßerfinder nicht einmal künstlich konstruiert worden ist. Der einzige Name, der mit dem Kompaß in Verbindung gebracht wird: Gioja, ist nur wenig gekannt. Die Irrationalität der Ruhmgenesis, die sich später immer wieder zeigen wird, wird also schon hier evident.

Ganz anders liegen die Verhältnisse im 2. oben erwähnten Falle, dem des Theaterstücks oder der Symphonie. Hier hängt der »Erfolg« allein von dem Urteil ab, das das Subjekt abgibt. Diese enge Verbindung zwischen Subjekt und Objekt auf der einen, das Hervortreten des Schöpfers vor seinem Werk auf der anderen Seite bewirken es, daß Erfolg auch fast stets vom Ruhme begleitet ist. Findet ein Kunstwerk bei der betrachtenden, urteilenden Masse Beifall und beeinflußt es das Schaffen anderer Künstler, so ist in den meisten Fällen das Interesse für den Urheber des Werkes so stark, daß er nicht lange unbekannt bleiben wird. Er wird es nur dann, wenn das Urteil der Subjekte ungünstig ist und demzufolge das Werk keinerlei – also nicht einmal einen latenten – Einfluß auf andere Werke ausübt. Nur wenn die historische Überlieferung besonders lückenhaft ist, wird beim Beifall findenden Werke das eintreten, was man – zum Unterschied vom Persönlichkeits- oder Namenruhm »Werkruhm« nennen kann (man denke an die bereits erwähnte Venus von Milo oder das Nibelungenlied). Doch ist das eine für die Historie nur wenig bedeutungsvolle Modifikation der Verhältnisse, da das Einflußproblem dadurch fast gar nicht berührt wird.

Es ist aber auch eine andere Möglichkeit vorhanden: daß Namenruhm ohne Werkruhm eintritt. Jedem, auch [33] dem Angehörigen der Masse ersten Grades, begegnet es, daß er im Gespräch oder beim Lesen auf einen Namen stößt, den er schon oft gehört hat, der ihm also völlig geläufig ist, den er aber gar nicht unterzubringen weiß. Ja er kann zuweilen nicht einmal sagen, auf welchem Tätigkeitsgebiete sich das fragliche Individuum ausgezeichnet hat. Etwas höher steht diejenige Form des Namenruhmes, bei der man zwar das Werk selbst ebenfalls nicht kennt, aber doch schon eine ungefähre Anschauung von der Art der Eminenz des Individuums hat. »HOMER war dem Mittelalter ein großer Dichter, weil er von je so geheißen hatte; eine direkte eigne Gewalt übte er nicht aus. Wenig mehr hatte von ihm diese ganze Generation als PETRARCA, der das Exemplar der Ilias, das er nicht lesen konnte, mit Tränen andächtiger Sehnsucht begrüßte.« WILAMOWITZ-MÖLLENDORF, Homerische Untersuchungen. Berlin 1884, 389. Hat es ein Individuum auch nur bis zu diesem Grade der Gekanntheit gebracht, so fängt es bereits an, ein für die historische Entwicklung bedeutungsvoller Faktor zu werden. PETRARCA hat nur noch den »Schein« von HOMER. Aber dieser Schein wirkt auf ihn, d. h. wird ihm zum Wesen.

Eine Scheidung zwischen Werk und Persönlichkeit ist für die Ruhmgenesis noch aus anderen Gründen von Bedeutung.

Es ist nämlich stets zu erwägen,

1. ob das erste Werk den Ruhm erzeugt, der dann durch die übrigen oder trotz der übrigen erhalten bleibt, oder

2. ob erst ein späteres ihn erzeugt und dadurch nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit ruhmverbreitend wirkt, oder

3. ob erst das gesamte Lebenswerk nachträglich die Schätzung hervorbringt.

Am wertvollsten ist für uns der erste Fall. Für ihn ist freilich zu bedenken, daß der Ruhm eines ersten Werkes auf die späteren nicht nur ruhmverstärkend sondern auch -vermindernd wirken kann. Denn es werden Erwartungen geweckt, deren Erfüllung um so schwerer ist, je höher sie sind. Aber dieses ruhmvermindernde Moment kommt gegenüber dem entgegengesetzten nur wenig in Betracht. Den besten Beweis [34] dafür liefern die häufigen Buchtitel, in denen neben dem Namen des Autors – zuweilen auch statt dieses Namens – die Bemerkung steht: »Vom Verfasser des ...« und nun ein früheres Werk genannt wird.

Von GOETHE hören wir: »Kaum hatte ihn im Götz das Vaterland kennen gelernt, und schon eroberte er mit dem Werther die Welt. Alles, was er noch leistete, konnte den Ruhmesglanz, den der Werther ihm ums Haupt legte, nicht mehr überstrahlen.« BIELSCHOWSKY, GOETHE, 5. Aufl. München 1904, I, 205f, Die Ruhmgenesis, die also hier bei den beiden ersten – in Betracht kommenden – Werken einsetzt, läßt sich nun in ihren Anfängen an der Hand des BRAUNschen Werkes verfolgen. »Goethe im Urteile seiner Zeitgenossen«. Berlin 1883. Bd. 1. Das Buch ist zwar zuverlässig, aber – wie kaum hervorgehoben zu worden braucht – nicht absolut vollständig. Es gibt von dem, natürlich nicht ganz übersehbaren, Material nur eine, freilich umfangreiche, Auswahl. Einer Sitte entsprechend, die in jener Zeit häufiger als jetzt geübt wird, erscheinen die ersten Auflagen des Götz anonym. Die erste nicht anonyme Ausgabe des Götz erschien erst 1787. (GOEDEKE, Grundr. d. Gesch. d. deutsch. Dichtg. 3. Aufl. IV. 3. Abt. 143.) Demzufolge wird auch der Name GOETHEs, wenn wir von einer ganz unbeträchtlichen Bemerkung in den »Halleschen Neuen Gelehrten Zeitungen« absehen, nicht genannt, obwohl das Werk alsbald das allergrößte Aufsehen erregt. Selbst in einem Aufsatz des »Teutschen Merkur« vom Mai und Dezember 1773 »Über den gegenwärtigen Zustand des Deutschen Parnasses« wird der Götz zwar sehr gepriesen, der Name seines Verfassers aber verschwiegen. Die Ankündigung einer Berliner Götzaufführung nennt das Stück »das soviel Aufsehen in Deutschland verursachte Schauspiel« (Voss. Zeitung, 16. April 1774). Aber erst Wochen später enthüllt dieselbe Zeitung ihren Lesern, daß der Verfasser »Herr D. GÖDE in Frankfurt a./Mayn« ist. Wir sehen also hier: zunächst Werkruhm ohne Namenruhm. Den endgültigen Sieg des Namens GOETHE bezeichnet, wenn wir uns an BRAUN halten, erst ein Aufsatz im »Teutschen Merkur« vom Nov. 1774. Dort heißt es bereits: »Unter allen Göttern und Götterkindern, welche in HERDERs Himmel über die Stämme teutscher Nation herrschen, wird keiner jetzt begieriger gelesen, und hat also [35] keiner mehr Einfluß auf den Modegeschmack unserer Tage als Herr GÖTHE« ( BRAUN I, 61). Von den folgenden Werken erscheint »Götter, Helden und Wieland« (1774) anonym, »Clavigo« (1774) sofort mit Namennennung und endlich »Werther« (1774) in den ersten beiden Auflagen wiederum anonym. Die ersten Werther-Kritiken bieten nun dasselbe Schauspiel wie die des Götz: ihre Verfasser, obwohl WIELAND und HEINSE darunter sind, nennen den Namen GOETHEs nicht. Höchst charakteristisch aber ist eine davon, in den »Frankfurter Gelehrten Anzeigen« vom 1. Nov. 1774. Sie sei in größerem Umfang zitiert, da sie ein gerade für unsere Zwecke nicht unwichtiges Dokument darstellt: »Wenn ein berühmter Schriftsteller, der als Meister seiner Kunst den Beyfall des Publikums schon eingeerndtet ohne sich zu nennen, in der Folge, bey einem anderen Geschenke, das er ihm macht, sich öffentlich zum Verfasser bekennt, so werde ich alle Zeit mißtrauisch gegen sein Werk; ich kan dem Gedanken nicht widerstehen, der Hr. Papa hat vermuthlich die Gebrechen und Mängel seiner Geburt selbst eingesehen, er hat gefühlt, sie möchte verkannt werden, und aus Vorsicht läßt er sie unter dem salven Kondukt seines Namens ihre große Reise antreten: lacht wohl hinterdrein noch selbst über die vielen Verbeugungen, Kratzfüße und Komplimenten, die dem halbgebackenen Ding aus Konsideration für den Hn. Papa von allen Seiten her gemacht werden.« Der Verfasser fährt nun fort, daß bei WIELANDs Schriften und beim Clavigo Namennennung nötig gewesen sei, beim Götz und Werther hingegen nicht (BRAUN 1, 53). Ganz allmählich also geht bei GOETHE, wie bei den meisten anderen eminenten Individuen, der Werkruhm in den Persönlichkeitsruhm über. Ist dieser einmal vorhanden, so dürfen die folgenden Werke auch weniger eminent sein. Denn es ergibt sich der für die Ruhmgenesis bedeutsame Satz: erst macht das Werk die Persönlichkeit berühmt, dann die Persönlichkeit das Werk. Kritisch ist für den Ruhm nur die Zeit, bevor sich der Name des Individuums durchgesetzt hat, und zwar nicht nur äußerlich: durch Nennung, sondern auch innerlich: durch Würdigung.

Der Weg, den der GOETHEsche Ruhm genommen hat, sollte der normale sein. Daß er es nicht ist, daß die zweite, [36] besonders aber die dritte Form, die häufigere ist, in der erst ein späteres oder gar erst das gesamte Lebenswerk durchdringt und zum Ruhme gelangt, bedarf keiner Hervorhebung. Gerade in neuester Zeit ist der Fall häufig beobachtet worden: ein Schriftsteller hat einen erfolgreichen, im Sinne dieses Kapitels also einen eminenten, Roman geschrieben; der findige Verleger weist auf die früheren, so lange unbeachteten Werke hin und erreicht es, daß auch sie sich allmählich durchsetzen.

Am betrübendsten für das Individuum liegt der Fall, wo der Ruhm erst am Ende der Tätigkeit oder gar erst nach dem Tode einsetzt. Verbitterung und Menschenhaß sind die Folge. Man denke an den ob seiner Verkanntheit stets scheltenden SCHOPENHAUER, an KLEIST, den ein erfolgloses und wegen dieser Erfolglosigkeit zerfetztes Leben in den Tod treibt, oder endlich an die vielen Maler – namentlich die des modernen französischen Impressionismus – die bei ihren Lebzeiten sich kaum satt essen konnten und deren Bilder jetzt mit Hunderttausenden von Mark bezahlt werden.

An der Eminenz der Werke und damit auch der Persönlichkeit ist in diesem Kapitel nicht gezweifelt worden. Es wurde zu zeigen versucht, auf welche Weise dort, wo eine Eminenz gegeben ist, sie sich allmählich durchsetzt und das nichtgekannte Individuum ein gekanntes oder gar berühmtes wird. Aber solche Fälle kommen in Wirklichkeit niemals vor. Sie wurden hier künstlich konstruiert, um die Verhältnisse zunächst in der denkbar einfachsten Gestalt zu zeigen. Im folgenden wird nun auf die Faktoren hinzuweisen sein, durch die die Eminenz da, wo sie überhaupt vorhanden ist, in ihrer ruhmbildenden Macht verstärkt wird. Dabei ist aber nie zu vergessen, daß diese Faktoren zuweilen auch allein mächtig genug sind, um den Glauben an eine große Eminenz selbst da zu erwecken, wo gar keine vorhanden ist.


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