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45.

New York, den 23. Juni 1900.

Wie ich die Antwort fand, will ich Ihnen heute schreiben!

Ihnen schreiben? und weiß doch nicht, wo Sie sind, ob dieser Brief je vor Ihnen liegen wird, ob es für uns noch eine Zukunft geben kann, oder ob das ganze weitere Leben nicht wehes Erinnern sein muß an vergangene Tage.

Und doch ist mir, als umgäben mich Ihre Gedanken, als lauschten Sie irgendwo in weiter Ferne, ob nicht ein Wort von mir zu Ihnen dringe.

Sie in der Weite zu suchen, sende ich diese kleine Geschichte aus; halb vergessen, nie wieder berührt, hat sie seitdem verborgen in mir geruht; wie sie nun wieder lebendig vor mir ersteht, fühle ich, daß mit ihr auch das nie ausgesprochene Hoffen in mir schlummerte, sie Ihnen doch noch einstmals am Abend eines schönen künftigen Sommertages ganz leise zuflüstern zu können!

Es war am Morgen nach dem Diner des alten Gesandten. Lautlos trat meine filzbesohlte Amah in das Zimmer. Ihr schwarzes Haar war glatt zurückgestrichen und am Hinterkopf künstlich zu einem Horn gedreht. Sie trug jahraus, jahrein lange indigoblaue Baumwollgewänder; Winters waren sie dick wattiert und mit zunehmendem Froste zog die Amah eines über das andere, bis daß sie wie eine Tonne aussah und ihre Arme wie riesige Würste von ihr abstanden. Sommers dagegen, wenn all die wattierten Mäntel in dem Pfandhaus ruhten, erschien sie ganz schlank. Die Amah war Christin und in der Klosterschule des Petang von den französischen Nonnen erzogen. Sie hatte dort einige Worte Französisch aufgeschnappt, was den Verkehr entschieden erleichterte, wenn man erst mit ihr übereingekommen war, was jedes Wort in ihrer Gebrauchsweise eigentlich bedeuten sollte.

An jenem Morgen sah sie strahlend aus und sagte mir: »Joli Monsieur hat ein Geschenk für Madame geschickt.« Wer Geschenke machte, war nach Amahs französischem Sprachgebrauch immer joli; sie urteilte offenbar nach dem Grundsatz »handsome is who handsome does«. In den schmalen, gelblichen Händen hielt sie eine grüne Nephrit-Schale, die mit rosa Magnolienblüten gefüllt war.

Zwischen den Blumen aber lag Ihre Karte.

Ich beugte mich über die Blüten, und wie ich ihren süßen Duft einsog, überkam mich ein seltsames Gefühl des Schonerlebten. Es war mir, als träume ich, als müsse ich nun handeln, wie es mir eine geheimnisvolle, unsichtbare Macht eingab. Mechanisch ergriff ich einen der braunen Zweige, an dem zwischen gelben, pelzigen Schutzblättchen zwei schöne rosa Knospen sich öffneten. Mechanisch trat ich vor den ziemlich blinden, zersprungenen Hotelspiegel und, wie fremdem Willen gehorchend, hob ich den Blütenzweig über mir in die Höhe, schlang eine Strähne meines Haares mehrmals zwischen den beiden Blumen durch und befestigte sie so auf meinem Kopfe.

Im Augenblick aber, als ich dies getan und mich vorbeugte, um besser in dem blinden Spiegel zu sehen, verschwanden plötzlich die Wände des kleinen Hotelzimmers und mit ihnen die Möbel, die Amah und alles, was noch vor einer Sekunde um mich gestanden hatte. Ich selbst war verschwunden und doch sah ich. Ich sah ein spiegelglattes Meer, über dem der wolkenlose Himmel in endlosen Höhen blaute. Manchmal hob sich die schimmernde Fläche, als seufze die See im Traume; dann kräuselte sich ein kleines Wellchen am goldig flimmernden Strand entlang und versank wieder in das lautlose ewige Blau. Am Ufer saßen zwei Menschen. Sie waren beide hoch und kräftig gewachsen und mit weichen Fellen unbekannter Tiere bekleidet; goldblondes Haar hing beiden über die Schultern herab und ihre Augen waren blau und klar und doch so unergründlich tief wie das weite Meer vor ihnen. Über beiden lag ein unendlicher Zauber von Jugend, von Frühmorgen, von Weltenbeginn. Der Mann beugte sich zum Meere und griff nach einer großen, offenen rosa Doppelmuschel, die von einer Welle leise herangespült wurde. Er reichte sie der Frau. Die nahm sie, hob sie über sich in die Höhe, schlang eine Strähne ihres Haares mehrmals zwischen den beiden rosa schimmernden Muschelhälften hindurch und befestigte sie so auf ihrem Kopfe. Dann wandte sie sich lächelnd zu dem Manne. – – Der aber hatte Ihre Züge angenommen, und das Bild der Frau, das sich in seinen Augen spiegelte – war mein eigenes!

Ich wollte mehr und tiefer schauen – doch die Vision entschwand – das blaue Meer ward grau und trübe – die beiden Gestalten versanken.

Ich befand mich wieder in dem dürftigen Pekinger Hotelzimmer; vor mir hing der kleine gesprungene Spiegel; die Amah stand neben mir, als sei nichts vorgefallen.

Aber meine Frage: »Wann? Wo?« war beantwortet.

In Uranfangszeiten haben wir beide zusammen an sonnigem Strande gesessen – vielleicht war ich einstmals das erste Wesen, das sich schmückte – einem anderen zu gefallen.

Die grüne Nephrit-Schale, die Sie mir mit den Magnolienblüten sandten, hat mich nie verlassen. Sie steht auch heute vor mir, und ich starre auf die seltsamen, fremden Schriftzeichen, die in den harten grünen Stein gemeißelt sind und die da bedeuten: was einmal auf dem ewigen Rade der Zeiten gewesen, muß stets von neuem wiederkehren.

Wirres Vergangenheitserinnern, banges Zukunftsahnen durchschauert mich. Im Dunkeln tasten wir umher, bis wir in völliger Nacht versinken – wissen nicht, woher wir kommen, noch wohin wir gehen.


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