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39.

New York, 5. Juni 1900.

Der große Bartolo und seine beiden eleganten Adjutanten sind abgereist. Vorher sandten sie mir noch einen riesigen Korb voll tief purpurroter Rosen, der sehr passend mit rubinfarbenen Bandschleifen verziert war. Ihre Karten lagen dabei in einem Kuvert, auf dem das Motto prangte: »Rubi gagne.«

Ich hatte mich heute morgen gerade hingesetzt, um Ihnen dies zu beschreiben, als ich die Zeitung aufnahm und die erstaunlichen Nachrichten fand, daß die Huangtsung-Station an der Peking-Bahn von Boxern verbrannt worden ist, und daß französische und belgische Ingenieure von der Luhan-Bahn vor den Rebellen nach Tientsin geflüchtet sind, wo sie nach großen Leiden eintrafen. Missionare sind an verschiedenen Orten mit Konnivenz der Mandarine ermordet worden. In Tientsin selbst wird ein Angriff der Boxer erwartet, und in Peking soll sich die Lage sehr verschlimmert haben.

Während der letzten Tage waren die Telegramme gerade ganz beruhigend gewesen; es hieß, daß seit der Ankunft der Gesandtschaftswachen völlige Ruhe in Peking herrsche. So hatte ich denn Boxer und alle anderen Realitäten vergessen und hatte weiter Märchen geträumt.

Und nun kam das Erwachen, und mir ist, als sei ich unsanft aufgerüttelt worden.

Wie ich gerade alle die Nachrichten gelesen hatte, kam Miß Tatiana de Gribojedoff ganz aufgeregt zu mir gestürzt und sagte, sie habe gehört, daß wir wieder in New York eingetroffen seien, und wir wären gerade diejenigen Menschen, mit denen sie alles besprechen müsse. Dabei zog sie gleich eine Zeitung aus ihrem Beutel und las mir die Telegramme mit bebender Stimme vor. Sie ist entrüstet, daß nichts vorgesehen und geschehen sei, um alledem vorzubeugen. In allen chinesischen Begebenheiten sieht sie nur das Ergebnis russischer Aufwiegeleien, die zu konterkarrieren die Angelsachsen von Gott berufen sind, und im Tone von jemand, der persönlich Rechenschaft verlangen kann, fragte sie: »I wonder what Salisbury is about?« Darauf konnte ich ihr keine befriedigende Antwort geben, aber statt dessen mußte ich ihr über alle chinesischen Lokalitäten Auskunft erteilen. Der Beutel enthielt auch noch eine zusammenlegbare Karte Chinas. Die wurde ausgebreitet und ich mußte Miß Tatiana alle Punkte zeigen und auf tausend Fragen antworten. Mir war recht bang zumute, aber lachen mußte ich doch, wie Miß Tatiana die Stirn kraus in die Höhe zog und all meinen Ausführungen auf der Karte mit einem Ernste folgte, als laste auf ihr die Verantwortung für die Disposition eines Feldzuges. Sie setzte mir auseinander, Amerika habe in China eine große Mission, es müsse die Ruhe herstellen, die offenbar nur durch russische Umtriebe gestört sei, und darüber wachen, daß diese Begebenheiten nicht zum Vorwand für Länderräubereien benutzt würden. Zum Schluß kündigte sie mir an, sie werde, bis die Lage sich geklärt habe, in New York bleiben und häufig zu uns kommen, um mit uns zu konferieren.

Wir Menschen kämen ohne Sorgen offenbar vor Langeweile um, und Miß Tatiana, die keine einzige wirkliche hat, schafft sich daher selbsterwählte auf politischem Gebiet.


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