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31.

Berlin, Mai 1900. Lieber Freund!

Im Bädeker von Italien und der Schweiz gibt es Hotelnamen, neben denen in Klammern steht »wird viel von Deutschen besucht«. Der erfahrene Reisende vermeidet solche Hotels. Von dem Buckingham, in dem wir hier wohnen, könnte man sagen, »wird von Diplomaten, Fürstlichkeiten und Amerikanern besucht«.

Das Hotel ist hier le dernier cri des Eleganten und gleichzeitig Bequemen; nur ein paar kleine deutsche Unbequemlichkeiten sind bei der Einrichtung noch mit untergelaufen; es fehlt an großen Kleiderschränken, dafür hat man in den Wohnzimmern wacklige Louis XVI. Etageren, auf denen zerbrechliche Nippes stehen. Das soll wahrscheinlich gemütlich aussehen. Aber im ganzen will alles möglichst amerikanisch sein.

»Sie spielen hier ja Waldorf-Astoria,« sagte ich zum Direktor Specht, als wir ankamen. Der faßte das als höchstes Kompliment auf, murmelte etwas von »Pionier der Kultur in Berlin« und ist seitdem voll herablassender Aufmerksamkeiten gegen mich, beinah als wäre ich ein Botschafter. Denn nichts auf der Welt geht Herrn Direktor Specht über einen Botschafter: aber auch für Diplomaten weniger erhabenen Ranges ist in seinem Herzen ein warmes Plätzchen; sie erscheinen ihm als Träger vieler Möglichkeiten, mit denen man sich rechtzeitig gut stellen muß. Im ersten Speisesaal, dem der Privilegierten, sind mehrere Tische reserviert, an denen immer Diplomaten sitzen. Wenn Herr Direktor Specht diese Herren an ihre Plätze geleitet, hat er etwas so Feierliches und so einen Frieden auf Erden-Ausdruck, als vollzöge er eine heilige Handlung. Neulich stürzte er einem unserer zukunftsreichsten jungen Diplomaten schmunzelnd und händereibend in der Halle entgegen. »Herr Graf, ich gratuliere zu der Ernennung nach X.« »Was, lieber Specht,« antwortet der andere und klopft ihn auf die Schulter, »das wissen Sie schon? ist ja eben erst raus.« Und Specht verschämt und wonneglänzend: »Herr Graf werden verstehen – habe doch auch so meine Attachen – man gehört allmählich ja selbst so'n bißchen zur Diplomatie.«

Aber auch sonst weiß Specht die schicklichen Rücksichten zu nehmen. So hat er neulich wegen einer kurzen Hoftrauer die übliche Tafelmusik acht Tage lang ausfallen lassen. Eine reisende Millionärin aus Denver, Mrs. Bluffer, gab während dieser Zeit ein Diner im Buckingham. Ich hörte die Dame den feierlich aussehenden Oberkellner erregt fragen, als schmälere man ihr ein mit guten Dollars erworbenes Recht: »Kellner, warum spielt die Bande nicht?«

»Es ist wegen der Hoftrauer, Madame. In diesem Hotel wohnen so viel Prinzen und hohe Herrschaften, daß wir natürlich deren Gefühle schonen müssen.«

Diese Antwort machte auf Miß Bluffer einen tiefen Eindruck und sie sprach zur Mutter: »Oh, mamma darling, ist das nicht herrlich? es ist doch fast ganz so, als ob wir bei Hofe wären!«

Mein Bruder ist gestern von seiner Reise aus der Kohlen- und Eisengegend zurückgekehrt. Als wir abends zusammen zum Essen in das Restaurant heruntergingen, sahen wir, daß es auffallend voll war. »Was ist denn los?« fragte mein Bruder, und Specht antwortete: »Das sind all die letzten diplomatischen Revirements, die jetzt bei mir durchkommen. Die Herrschaften werden übrigens einen Bekannten finden; Mr. Stone Stonehead aus Peking ist da, hat die Rückreise durch Sibirien gemacht, geht jetzt nach Rio – fürchte – schlechtes Avancement.«

Und Specht zuckte die Achseln über die wechselnden Chancen, die es auf der großen diplomatischen Wippe gibt.

Und richtig, da saß er, der große Stone Stonehead; selbstzufrieden und pomphaft wie immer, gar nicht, als habe er Strapazen durchgemacht, im Gegenteil, eine lebende Reklame für die transsibirische Bahn, so wohlgenährt und dick. Er saß zwischen einem Mediatisierten und einem eben ernannten Botschafter, muß also, wie ich ihn kenne, glücklich gewesen sein.

Mir fiel ein, wie ich ihn zuletzt gesehen habe. Im Seebad in Pei-ta-ho. Er trug dort beim Baden ein weites, rosarotes Flanellkostüm: das blähte sich im Wasser auf, so daß er darin wie eine rosige Riesenqualle aussah. Eine Familie mit mehreren schlanken Töchterchen pflegte stets zur gleichen Zeit wie er zu baden, und die schmächtigen, geschmeidigen Mißchen, in schwarzen Badekostümen, umschwammen und umspielten ihn. Wie eine Schar Kaulquäpplein sich drängt, wenn man ihnen ein großes Stück rosa Fleisch zuwirft. Aber keine von ihnen hat den dicken Stone Stonehead erwischt.

Nachdem der Mediatisierte und der Botschafter gegangen waren, setzte er sich, gönnerhaft wie immer, zu uns. Er erzählte von seiner Reise und erwähnte auch, daß er an einem Orte, dessen Name schrecklich weit fort und unbekannt klang, Leute getroffen habe, die von noch viel weiter weg kamen, und Sie dort irgendwo gesehen hatten – in solch einer Gegend, von der Geographen so tun, als kennten sie sie, über die sie allerhand Behauptungen aufzustellen lieben, da, für gewöhnlich, niemand da ist, der widersprechen könnte.

Solch ein paar dürftige Worte Nachricht: jemand hat jemand getroffen, der Sie gesehen hat – und davon muß man nun wieder lange zehren! – Wie die Ritterfrauen in den Burgen, denen ein vorüberziehender Sänger viele Monate alte Kunde von den fernen Kreuzfahrern brachte!

Natürlich fragten wir Stone Stonehead, was er von den beunruhigenden Nachrichten hielte, die Hofer aus China gebracht, und die in den letzten Tagen mehrmals in Zeitungen aufgetaucht sind. Er antwortete, die Missionare seien verwöhnt durch allzuviel Schutz, wollten sich wichtig machen und den Diplomaten ins Handwerk pfuschen.

»Ich glaube Missionaren nie,« sagte er, »außer wenn sie die Bibel vorlesen. Die übrigen Nachrichten sind sicher von den Russen lanciert, die lauern nur auf einen Vorwand, die Mandschurei zu kapern – bin nicht umsonst jetzt gerade dort überall herumgereist. – Aufregung? Aufstände? – ist ja alles künstlich gemacht – hoffe nur, man behält bei uns den Kopf kühl und läßt sich nicht in ein Abenteuer hineindrängen.«

Hoffentlich hat der große Stone Stonehead recht? Ich wünsche es ja so sehr.

Hier denkt niemand an Gefahr.


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