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38.

New York, Mai 1900.

Seit ein paar Tagen bringen die Zeitungen beunruhigende Telegramme aus Peking, und es war mir eine Erleichterung, gestern zu lesen, daß die Gesandten Wachen requiriert haben und daß diese wohlbehalten in Peking eingetroffen sind, natürlich nach dem üblichen und obligatorischen Palaver des Tsungliyamens, aber ohne daß ein ernsthafter Versuch gemacht worden wäre, die Truppen am Einmarsch zu hindern. Es las sich wie eine genaue Wiederholung dessen, was wir selbst 1898 erlebt haben.

Wir sollten gestern aber noch mehr über China hören, als was die Zeitungen bringen.

Abends gingen mein Bruder und ich bei Sherry essen. Jetzt, wo sich die Stadt täglich mehr leert, herrscht dort nicht mehr das Gedränge wie im Winter, aber man sieht immer noch genügend glattrasierte, befrackte Herren, eine Gardenia im Knopfloch, und genügend elegante Frauen mit halbhohen Kleidern und riesigen malerischen Hüten, um glauben zu können, in ein lebendig gewordenes Bilderbuch von Gibbons versetzt zu sein.

Nachdem wir uns gerade gesetzt hatten, traten mehrere Herren an einen neben uns reservierten Tisch heran, und Sie können sich unser Erstaunen denken, als wir unter ihnen zwei Bekannte entdeckten, und zwar welche Gegensätze: den Rubinminen-Konzessionär Bartolo und jenen gescheiten Journalisten Dr. Silberstein, den Sie mir einmal als einen der wenigen bezeichnet haben, der seinen Aufenthalt in China zu einem ernsten Studium dieses Landes benutzte. Bartolo kam sofort auf uns zu, ließ unsere Tische aneinander rücken und erzählte uns strahlend, er käme gerade aus London, wo es ihm gelungen sei, ein Syndikat für die Rubinminen in der Provinz Kwangtung zustandezubringen. »Man reißt sich um die Aktien,« sagte er, »und unsere große Chance ist der Burenkrieg gewesen, denn all die großen Kapitalisten, denen ihre Goldminenaktien jetzt nichts tragen, haben sich mit Enthusiasmus an unserm Unternehmen beteiligt.«

»Ja, glauben die denn, daß die Rubinminen schon so bald einen Ertrag geben werden?« fragte ich und schämte mich meiner geschäftlichen Naivität, als Bartolo mir mit überlegenem Lächeln antwortete: »O nein, und darauf kommt es ja auch vorläufig noch nicht an. Wir verdienen ja bisher viel mehr an den Kursschwankungen. Unsere Rubinminen-Aktien sind jetzt das große Spekulationspapier! Noch kein Spatenstich gemacht und schon stehen unsere 1 Pfund-Aktien auf 140. Großartig!«

Dann erzählte er weiter: »Besonders auch bei der hohen englischen Aristokratie sind unsere Rubies, wie sie kurzweg genannt werden, sehr beliebt. So schrieb mir kurz vor meiner Abreise die Herzogin von X.: »Lieber Bartolo, die Rubies sollen gut sein, sagt man mir; möchte mich daran beteiligen, bitte um 10 Shares, sende einliegend eine 10 Pfund-Note.« Die alte Dame, die jede Quotierung wie ein Makler kennt, tat plötzlich ganz harmlos, als habe sie keine Ahnung, daß nach dem Tageskurs die 10 Aktien 1400 Pfund wert waren. Na, ich hab' mir die Sache überlegt und dann der Herzogin, einer politisch einflußreichen Frau, die man sich warmhalten muß, schließlich drei Aktien gesandt und 7 Pfund retourniert und dazu geschrieben, die Rubies seien so gesucht, daß ich nicht mehr hätte auftreiben können.«

In Schanghai, so teilte uns Bartolo mit, ist das schönste Haus am Bund für das Direktorium der Ruby Mines Co. Ltd. gemietet worden. »Ja,« fuhr er fort, »die Sache soll im großen Stil betrieben werden, darüber sind wir uns in London ganz einig. Ein großes Haus in Schanghai, eines in Peking und Reklame gemacht und Gesellschaften gegeben; vor allem wollen wir auch die Chinesen ranziehen, Feste und Diners, und dann so beim Kaffee und Likör die noch schwebenden Fragen glatt und rasch erledigt. Das ist so mein Prinzip. Meine jungen Mitarbeiter hier werden mir trefflich sekundieren.«

Dabei deutete er auf zwei Sprößlinge vornehmer Häuser, die ihn begleiteten und die er uns als Marchese del Monte Victorioso und Vicomte le Ruinard vorgestellt hatte. Der Marchese del Monte Victorioso, der diesen Titel seines Vaters leihweise und für überseeische Zwecke trägt, ist ein schöner junger Mensch, das glückliche Resultat italienischer und angelsächsischer Blutmischung. Ob die Rechnung für seinen Frack, dem es nicht gelang, diese herrliche Antinousgestalt zu verunzieren, wohl bezahlt ist? Chi lo sa. Aber manche der anwesenden Damen warfen ihm unter den großen malerischen Hüten recht vielversprechende Blicke zu; und ich sagte mir, daß Jugend, Schönheit und ein wenn auch nur geliehener Titel wohl Gewinn bringenderes Kapital als alle Rubin-Minen-Aktien sind. Ich kann mir Monte Victorioso schon als Hauptfigur beim Korso des Bubbling Well Road, den Rennen, dem Country Club und all den sonstigen sozialen Vereinigungen denken, mit denen man in Schanghai wie anderswo die Leere des Daseins zu verbergen sucht. Geschäftlich wird er wohl so wenig wie sein Begleiter dem guten Bartolo viel nützen, aber diesem scheinen diese betitelten Jünglinge an sich eine Freude zu sein, obgleich es nur schwarze oder zum mindesten graue Schafe sind, die er ihren betreffenden Familien für eine Weile freundlichst abnimmt. Le Ruinard wird von seinen Eltern verschickt, um ihn dem Einfluß einer kostspieligen Pariserin zu entziehen. Er saß ziemlich niedergeschlagen da, bis er erfuhr, daß wir lange in Peking gewesen. Da taute er auf und verlangte allerhand Auskünfte über das soziale Leben der chinesischen Hauptstadt. Ich hörte ihn meinem Bruder leise zuflüstern: »et les dames de la cour de Pékin? quelque chose a faire?«

Ich fürchte, es gibt die verschiedenartigsten Enttäuschungen für Leute, die nach Peking auswandern.

Die zwei brillanten Attachés der Ruby Mines Co. Ltd. empfahlen sich übrigens bald, denn sie reisen morgen mit Bartolo via San Francisco nach China, und sie wollten offenbar ihren letzten Abend in der vollen Zivilisation genießen.

Wir blieben zurück mit Bartolo und Dr. Silberstein, der, auf der Rückreise aus Asien, jetzt einige Zeit hier bleiben will, um eine englische Ausgabe seines Buches über China vorzubereiten. Ich fragte nach beider Meinung über die beunruhigenden Telegramme aus Peking.

Bartolo erklärte, das seien alles nur künstlich von einigen Spekulanten lancierte Nachrichten, um die Rubies zu drücken und sie billig kaufen zu können. Silberstein aber nahm die Nachrichten sehr ernst und sagte, sie seien der erste offene Ausdruck dessen, was man schon seit langem habe kommen sehen können. »Seit Monaten«, sagte er, »beginnt sich etwas tief in den Untergründen der dortigen Welt zu regen, als ob der Drache, der im Schoß der Erde ruht, sich mißmutig dehne und recke. In die innerste chinesische Volksmasse ist Leben gekommen. Lange haben die gelben Millionen nicht als Faktor gegolten, der bei Zukunftsrechnungen in Betracht kam. Jetzt scheint es, als wollten sie ihre lange Apathie abschütteln, und mir ist oft, als holten sie zu einem großen Schlage aus.«

»Aber bester Herr,« unterbrach ihn Bartolo, »die Chinesen sind doch ein zufriedenes, leicht zu regierendes Volk!«

»Ja, das sind sie,« meinte Silberstein, »aber die Unzufriedenheit ist diesem resigniertesten aller Völker künstlich beigebracht worden. Sie verlangten nur, das Leben mit all seinen Unvollkommenheiten ruhig weitergleiten zu lassen, wie es seit den Tagen der Klassiker geschehen, aber immer zahlreichere Leute sind gekommen, die ihnen von Fortschritt und Wechsel sprachen und die alle irgendeinen Artikel hatten, den sie ihnen als unentbehrlich aufdrängen wollten, Religionen, Kriegswaffen, Eisenbahnen und Dampfschiffe. Die fremden Maschinen haben Tausende um ihre kleinen Erwerbe zittern lassen, und nicht genug, daß sich die Lebenden bedroht fühlten, auch die Toten wurden in ihrer Ruhe gestört, denn bei den neuen Bauten auf den fremden Konzessionen und bei der Trace der Eisenbahnen konnte man nicht Rücksicht nehmen auf die durch das ganze Land zerstreuten Gräber. Dies erscheint allen Chinesen als höchster Frevel, Sie mußten auch sehen, wie die Konvertiten des neuen Glaubens durch ihre geistlichen Hirten in all ihren weltlichen Angelegenheiten starken Schutz fanden, zum Nachteil ihrer heidnischen Brüder. So wurden diese religiös indifferenten Menschen aus ganz irdischen Gründen allmählich fanatisch, und ihr politischer Haß erwachte, als sie immer mehr gewahr wurden, daß die Fremden China geringschätzig als eine Melone ansahen, die reif ist, in Stücke geteilt zu werden. – Seitdem sind Sekten entstanden zur Vertreibung der Fremden; zuerst ließen die Autoritäten sie nur gewähren, heute schützen sie sie schon offen.«

»Lieber Doktor,« sagte Bartolo, »Sie sind wie so mancher in der Melancholie eines prolongierten Aufenthalts in Peking zum Schwarzseher geworden. Ich bitte Sie, all unsere Nachrichten lauten doch ausgezeichnet, na, und sollten die chinesischen Autoritäten wirklich mal etwas Schwierigkeiten machen, mit der richtigen Mischung von Drohung und klingenden Gründen hat man sie noch immer überzeugt, und ernsthaft werden Sie doch nicht von Gefahr durch chinesische Aufständische reden wollen – ist ja elendes Pack; werfen Sie einem chinesischen Volkshaufen eine Hand voll Kupferkäsch hin, und sie werden alles vergessen, um sich darum zu raufen, und vor einem europäischen Soldaten laufen hundert chinesische davon.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Silberstein. »Das ist die Ansicht der modernen Schule über China. Ich teile sie nicht und glaube, daß wir vor großen Ereignissen stehen, die nichts mehr abwenden kann und die sich logisch aus unserm eigenen Verschulden aufbauen.«


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