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28.

Berlin, Mai 1900.

Die Zeit meines Bruders ist kurz bemessen. In einer Woche muß er nach New York zurück. Jetzt ist er auf ein paar Tage zu seinem Chef gereist. Ich warte hier in Berlin auf ihn, und dann werden wir uns zusammen einschiffen, denn natürlich gehe ich wieder mit ihm – wir gehören ja seit soviel Jahren nun schon zusammen und sind uns gegenseitig ein Stück Heimat. Sie, lieber Freund, werden das gewiß verstehen. Hier sagen mir freilich viele Bekannte, ich solle doch nun in Berlin bleiben und mir ein Heim gründen – als ob dazu nur gehörte, eine Wohnung zu mieten und Dienstboten zu engagieren. Manch einer näselt dann auch wohl: »Wäre gerade, was in Berlin fehlt, Haus einer unabhängigen Frau, geistiges Milieu, neutraler Grund, könnte politisch von Bedeutung werden.«

Welch einsames, kleines Heim würde das sein, und wie gleichgültig läßt mich das »geistiges Milieu«! Für wen? Für wen? – Mir ist es ganz einerlei, ob mal bei meinem Begräbnis ein paar »politisch bedeutende« Leute sagen: »Wieder ein angenehmes Haus weniger – gab doch famose Diners, die Frau« und dann auf die Uhr schauen und woanders essen gehen!

Ja, wenn man jung wäre und die Schwungkraft besäße, die der Glaube an die Wichtigkeit der Dinge stets verleiht! Aber ich bin müde – nur immer müde.

Und soziale Ambitionen! – ach, du lieber Gott!

Wäre mein Bruder nicht bei mir, ich käme mir ganz verloren vor, denn in Berlin fühle ich mich so fremd – fremder beinahe als in Amerika oder China!

Ich hatte mir immer den Glauben bewahrt, daß es, wenn ich mal wieder nach Deutschland käme, gar nicht anders sein könnte, als daß mich gleich ein wonniges Heimatsgefühl umfange – und nun ist alles so ganz anders, als ich es mir in der Ferne dachte. Es ist ja immer alles im Leben anders, als man es sich dachte! – aber nie schöner!

Seit ich in Deutschland bin, warte ich beständig auf das Erwachen meines Heimatsgefühls – aber es bleibt immer noch aus. Ich hatte viel Hoffnungen auf den Anblick des Brandenburger Tores gesetzt. Aber vergeblich. Daß die Allee mit den Kurfürsten und sonstigen großen Männern es nicht weckte, ist nicht zu verwundern, denn die war mir gänzlich neu. Hat mir nur bewiesen, daß mich als Kind ein richtiger Instinkt leitete, wenn ich mich gegen Geschichtsunterricht wehrte – die Ansichten und Urteile sind ja offenbar noch immer gar nicht feststehend.

Hier im Hotel Buckingham, Unter den Linden, wo wir wohnen, weil es Amerikaner meinem Bruder empfohlen haben, werde ich sicher auch nicht zum Bewußtsein einer Heimat gelangen.

Mit meinem fortwährenden Suchen nach Heimatsgefühl komme ich mir halb rührend, halb komisch vor, etwa so, wie der im heiligen Lande nach seinem verlorenen Glauben suchende Pierre Loti. Aber fürchten Sie nichts, lieber Freund, ich will Ihnen nicht wie er ein ganzes Buch darüber schreiben! Ich bin nämlich viel schneller als Loti zu einer Erklärung der Vergeblichkeit unseres Suchens gekommen. Ich fürchte, er wie ich sind zu lange fortgeblieben, er von den Stätten des Glaubens, ich von denen der Jugend – für Glauben und für Heimat gibt es vielleicht auch ein »zu spät«. Ist man ihnen erst einmal völlig fremd geworden, so versteht man sie nicht mehr und sie lassen sich nicht wiederfinden.

Aber die Sehnsucht nach der einstmaligen Heimat ist doch so stark in mir, daß ich die Erinnerungen daran wenigstens auffrischen will, um sie mit mir zu nehmen, wenn ich wieder hinaussegle. Hier in Berlin ist alles so neu, fremd und groß geworden, daß ich mich vergeblich darin nach meiner kleinen Vergangenheit umschaue. Ich will sie suchen draußen auf dem Lande. Morgen früh will ich nach dem Gute fahren, das einst das Elternhaus meiner Mutter war, und in dem ich dann später bei Verwandten als Waise lebte, bis der unerwartete Glücksfall eintrat, daß sich für mich unbemitteltes Mädchen ein wohlhabender Mann fand!

Als arme Verwandte habe ich dort manch bittere Stunde erlebt und habe den Bruder beneidet, den ich damals selten sah, von dem ich aber wußte, daß er sich zu einem nützlichen, ihn unabhängig machenden Beruf ausbildete. Wie gern hätte auch ich das getan! Aber meine Verwandten hielten es für ihre Pflicht, mich wie die eigenen Töchter zu erziehen, d. h. mich moderne Sprachen, Handarbeiten und etwas Zeichnen und Malen lernen zu lassen und mir die Sorge der Herrichtung der Fremdenzimmer zu übertragen, wenn Besuche kamen. Es war möglichst unpraktisch, aber ganz standesgemäß. Ich beneidete die Gutsmamsell, die sich ehrlich ihr Brot verdiente, und ich suchte von ihr zu lernen. Die Verwandten lachten mich aus und sagten, ich würde sicher noch mal eine gute Partie machen. Na, sie haben ja in ihrer Art recht behalten – aber die Mamsell habe ich später erst recht beneidet!

Trotz aller bittern Stunden ist mir Garzin doch immer in der Erinnerung geblieben als das eine Fleckchen Erde, an das ich ein Recht habe, das Recht, das man durch Liebhaben erwirbt. In meinen Gedanken habe ich es unbewußt immer »zu Hause« genannt, obschon die Verwandten, denen es damals gehörte, längst tot sind und es jetzt, durch allerhand unverständliche Lehnsgesetze, Eigentum eines ganz fremden, alten Herrn geworden ist, der nie hinkommt, und sein bißchen kränkliches Leben von einem Badeort zum anderen schleppt.

Dorthin will ich also morgen früh fahren, und bei dem Gedanken dieses Wiedersehens klopft mir das Herz – ich denke mir, so muß einem zumute sein, wenn man zu einem Stelldichein geht. Und es ist ja auch ein Stelldichein – mit der Vergangenheit!

Ich trete immer wieder ans Fenster, von dem man auf den inneren, zu einem Miniaturgärtchen verwandelten Hotelhof blickt, und schaue an den hohen Wänden hinauf zu dem schmalen Streifen Himmel über mir, und jede graue Wolke, die daran vorüberzieht, beängstigt mich, denn ich möchte mein liebes, altes Garzin nicht im Regen wiedersehen, sondern in seinem hellsten, sonnenbeschienenen Frühlingsgewand. Das stand ihm immer am besten!


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