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Dreizehntes Kapitel

»Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen ...« – Die fortschreitende »Vertierung« Ol Matuns – Leben und Ende zweier Frechlinge – Ich erwerbe für zwei Handvoll Schnupftabak einen Geparden – Meine erste gute Löwenaufnahme – Heimweg mit Hindernissen – Fieber – Ein Abschied für immer

 

Die folgenden Monate in Ol Matun verliefen mir wie rinnendes Wasser, und doch brachte jeder Tag im Grunde dasselbe: endlose Märsche und Strapazen, gelegentliche Abenteuer und Gefahren und nach stets wiederkehrenden zahlreichen Enttäuschungen und Fehlschlägen doch immer wieder einzelne, ermutigende Erfolge. Mit dem Glase der misslungenen Plattenaufnahmen hatte ich nach und nach den leeren Fensterrahmen in meinem Hause und die ganze Windseite meiner Veranda ausfüllen können, und der Vorrat von Filmstreifen zum Feueranzünden ging mir niemals aus. Dennoch musste ich in dem buntbemalten Eingeborenenblechkoffer, den ich einstmals auf dem Basar von Chartum erstanden hatte, allmählich mit dem Platz haushalten; neben den Photographien, die ich auf dem Wege vom Sudan bis hierher gemacht hatte, barg er jetzt bereits zweihundertundzwanzig Wildaufnahmen. Nachdem mir bei einem vierzehntägigen Aufenthalt in dem Sumpf- und Seengebiet von Nyiri auch eine Reihe guter Aufnahmen von Krokodilen und Flusspferden geglückt war, gab es nur noch zwei hervorragende Vertreter der unendlich reichen ostafrikanischen Tierwelt, deren Porträts nicht in meinem Koffer enthalten waren: Elefanten und Löwen.

Dass ich meiner Sammlung von Gestalten der Wildnis diese Aufnahmen nicht beifügen konnte, was immer ich bisher in dieser Hinsicht auch unternommen hatte, war mein einziger ernsthafter Kummer in dieser Zeit, die ich sonst als die glücklichste meines Lebens betrachte. Nicht zumindest auch deshalb als die glücklichste, weil ich nie zuvor und nie mehr nachher körperlich derartig in Form gewesen bin. Wenn ich heute daran zurückdenke, was ich mir damals bei kärgster Ernährung und in einem als ungesund verschrienen tropischen Klima zumuten konnte, so schüttle ich selbst den Kopf. Wie fast bei allem hat natürlich auch hierbei die blosse Gewöhnung eine grosse Rolle gespielt; mit der Zeit und unter dem Zwange der Notwendigkeit – auch wenn es nur eine innerliche, selbstauferlegte ist – kann der Mensch sich auch an ein Leben gewöhnen, das fast nur aus Mühsal und Entbehrung, ständiger Lebensgefahr und tiefster seelischer und geistiger Einsamkeit besteht.

Im Laufe der Zeit hatten in der Belegschaft meines Lagers einige Zu- und Abgänge stattgefunden, ihre Allgemeinrichtung schien von der menschlichen zur tierischen Seite zu zielen. Der erste Zuwachs waren zwei Leopardenjunge, die mir eines Tages Ndonje mit liebenswürdigem Lächeln auf dem Gesicht, aber mit zahlreichen, höchst verdächtigen Schrammen auf den Händen gebracht hatte. Tags darauf sahen meine eigenen Hände noch viel blutrünstiger aus, und später war es sogar auch bei meiner Nase der Fall. Die beiden äusserlich so reizenden Burschen erwiesen sich als geradezu unzähmbare Wildlinge; ausser einem schier unglaublichen Fressvermögen bestanden ihre Lebensäusserungen nur aus unaufhörlichem Fauchen; Knurren, Kratzen und Beissen. Mit gefletschten Zähnen und gespreizten Krallen fuhren sie auf alles los, was sich nur bewegte. Als sie das aber auch bei meinem Freunde versuchten, dem Marabu vom oberen Wasserloch, der sich seit einiger Zeit angewöhnt hatte, meinem Lager fast täglich einen Besuch abzustatten, kamen sie an den Unrechten. Der alte Glatzkopf betrachtete die beiden Frechlinge zuerst bedächtig mit dem einen, dann mit dem andern Auge und holte darauf zu einem Schnabelhieb von solcher Gewalt und Treffsicherheit aus, dass das eine der Kätzchen meterweit flog und mit zertrümmertem Schädel liegenblieb. Das andere war dem Marabu entschlossen an die Ständer gefahren, aber der Alte holte es gelassen mit dem Schnabel herauf und warf es in weitem Bogen in den Weiher hinein. Als das Tierchen, dem der unheimliche Schnabel des Kropfstorches den einen Hinterschenkel fast durchgebissen hatte, dann immer noch fauchend und knurrend zum Ufer geschwommen kam, wackelte der Alte hin und wollte es nicht landen lassen. Wenn Tumbo, der die ganze Sache vom Hause aus gesehen hatte, jetzt nicht auf dem Schauplatz erschienen wäre und den erbosten Marabu nicht verscheucht hätte, so wäre es wohl schon damals auch um den zweiten der kleinen Giftnickel geschehen gewesen.

Ich kurierte ihm mit vieler Mühe, während er mir unentwegt Bisse und Kratzer versetzte, die klaffende Wunde, aber auch dadurch erwarb ich mir nicht die geringste Zuneigung von seiner Seite. Ein paar Wochen vorher hatte ich eine verlassene und fast verdurstete junge Zwerggazelle mit einem ausgelaufenen Auge in der Steppe gefunden; ich hatte das Tierchen mit heimgenommen und aufgepäppelt. Als aber das zutrauliche Geschöpfchen eines Abends mit ein paar blutigen Rissen an der Brust auf die Veranda sprang, sich zitternd unter der Bank verkroch, und als ihm dann der getupfte Bandit mit mordlustigen Augen nachgesetzt kam, da geriet ich in eine solche Wut, dass ich ihn packte und ihm den Hals umdrehte.

Ich konnte auch »Missy«, die Gazelle, wieder zurechtdoktern, und kurz darauf erhielt ich noch einen vierbeinigen Haus- und Weggefährten, von mustergültiger Bravheit und Anhänglichkeit, einen etwa drei Monate alten Geparden. Auch er wurde mir von den beiden Ndorobbo gebracht. Wie sie sagten, war einer ihrer Verwandten vor einiger Zeit in den Besitz des Tieres gelangt; auf welche Weise das geschehen war, wurde mir jetzt, da der Dolmetscher Mze nicht mehr da war, nicht recht klar. Der Onkel, oder was er sonst war, wollte mir das Tier verkaufen, der Preis war eine Handvoll Schnupftabak. Ich liess ihm zwei überbringen, und die beiden Boten erhielten auch noch je eine. In jener Nacht fand ich vor lauter Freude kaum Schlaf. »Spot«, wie ich ihn taufte, folgte und gehorchte mir schon nach ein paar Tagen wie ein guter Hund, und er war auch ebenso harmlos. Die einzige Sorge, die mir das Tier je gemacht hat, solange ich in Ol Matun war, war die wegen seiner Ernährung. Und gerade infolge dieser Sorge sollte ich schliesslich zu meiner ersten Löwenaufnahme kommen.

Von meinen alten Trägern hatte ich nach dem Tode Mzes nur noch den Kavirondo Mlomu um mich, und von den letzthin aus Nairobi mitgebrachten war überhaupt keiner mehr in Ol Matun. Kurz nachdem Delafontaine den verwundeten Tura mit nach seinem Posten genommen hatte, war sein Kamerad zu mir gekommen und hatte »Daua gegen Bauchweh« verlangt. Nach eingehender Befragung stellte sich zu meinem Schrecken heraus, dass dieses Bauchweh die scheussliche Hakenwurmkrankheit war, die unter den Eingeborenen Afrikas fast ebenso verbreitet ist wie die Malaria. Da ich nicht genug von dem spezifischen Gegenmittel bei mir hatte, um den Mann zu kurieren, und somit die Gefahr bestand, dass er allmählich das ganze Lager verseuchte, musste ich ihn entlassen.

Mit ihm zusammen ging auch der Träger Pesambili auf immer davon. Dem jungen Burschen war anscheinend das faule Leben, das meine Leute im allgemeinen bei mir führten, nicht gut angeschlagen. Er hatte mir in letzter Zeit allerlei Ärger verursacht; im besonderen durch seine unverbesserliche Neigung, den Kavirondo zu hänseln und ihm niederträchtige Streiche zu spielen. Als ich ihn dann einmal dabei ertappte, wie er einen Topf Hirsebrei, der dem Kavirondo gehörte, mit einem Esslöffel Rizinusöl »schmälzte«, das er mir gestohlen hatte, zündete es bei mir, und ich liess ihm eine Abreibung angedeihen, wie er sicherlich noch keine erlebt hatte. Abgesehen von einem gelegentlichen – aber wirklich recht seltenen! – »Ausrutschen« meiner Hand bei besonders gröblichen Nachlässigkeiten war ich bis dahin mit meinen Leuten ohne die in Afrika für unbedingt notwendig erachteten Prügel zurechtgekommen. Am nächsten Morgen fiel der unbussfertige Sünder durch Abwesenheit auf, und so schickte ich Mlomu mit dem Auftrag aus, ihn aufzustöbern und zurückzubringen. Nötigenfalls mit Gewalt! Der Kavirondo verstand; er spuckte schon beim Aufbrechen in seine sagenhaften Pratzen und brachte den Entwichenen auch gegen Mittag an. Von jetzt ab war jedoch nichts mehr mit ihm anzufangen. Daher nahm ich ihn, als ich bald darauf nach Simba aufbrach, mit und gab ihm dort, zusammen mit dem Wurmkranken, den Abschied.

Da ich Tumbo zur Beaufsichtigung und Betreuung des Lagers und der Tiere hatte zurücklassen müssen, standen mir danach nur noch Mlomu und Mtoto zur Verfügung. Andererseits waren aber drei Proviantlasten nach Ol Matun zu transportieren, ein Ochse hinzutreiben und das sowohl für uns als auch für den Ochsen notwendige Wasser zu befördern. Zu meinem Pech war der gefällige Stationsvorsteher, der mir bestimmt aus der Verlegenheit geholfen hätte, gerade auf ein paar Tage nach Nairobi gefahren, und mit seinem Stellvertreter war nichts anzufangen.

Es blieb mir nichts übrig, als auf die Rückkehr des Goa zu warten und unterdessen zusammen mit meinen beiden letzten Trägern den Ochsen zu weiden. Da sich jetzt dicht an der Bahnlinie ein Massaikral befand, musste ich der Möglichkeit vorbeugen, dass sich mein Ochse den Herden der Massai zugesellte und sich darunter verlor; deshalb liess ich ihn allmorgendlich ein gutes Stück in die Steppe hinaustreiben. Am dritten Morgen waren wir, dem Korongo nach Norden zu folgend, wiederum mit dem Ochsen unterwegs; ich war wie immer vorausgegangen, dann aber stehengeblieben, um eine wahre Massenversammlung von Geiern zu photographieren, die sich mit irgend etwas beschäftigten, das am Boden lag. Beim Näherkommen sah ich dann mit Grausen, dass es eine menschliche Leiche war. Allem Anschein nach war der Tote hier begraben, die Grube aber nicht tief genug gemacht worden, so dass ihn wohl Hyänen über Nacht wieder ausgescharrt hatten.

Die Geieraufnahme war die letzte eines Filmstreifens gewesen; so hockte ich mich im Schatten des Galeriewalds am Korongo hin und setzte einen neuen Film ein. Meine beiden Getreuen waren währenddem mit dem Ochsen langsam an mir vorbeigezogen, etwa zwanzig Meter weiter zu einem Fleckchen grünen Grases, wo das Tier zu weiden begann. In der schwachen Hoffnung, dass die Aasjäger vielleicht zurückkommen und mir für eine Porträtaufnahme dienen würden, blieb ich, den schussfertigen Kodak in der Hand, die Augen nachdenklich auf jene traurigen Überreste eines menschlichen Wesens gerichtet, still sitzen, bis mich ein Laut – es war wie ein kurzer Ruf und gleichzeitig wie ein dumpfer Fall – den Kopf nach meinen Leuten wenden liess. Im ersten Augenblick glaubte ich eine Sinnestäuschung zu erleben – dort, wo ich vor ein paar Minuten noch den Ochsen gesehen hatte, lag jetzt ein Löwe!

Ich sprang auf die Füsse, der Simba tat mit einem Aufgrollen das gleiche; aus dem Augenwinkel sah ich, dass Mtoto mit affenartiger Behendigkeit an einem Baum emporkletterte und Mlomu ein Stück weiter hinten in die Steppe hinausrannte, und da wurde ich – warum es manchmal geht und manchmal nicht, weiss Gott allein – plötzlich vollständig kalt und ruhig, hob den Kodak unters Kinn und »Klick!« ging der Mechanismus. Die Augen auf das ständig grollende Raubtier gerichtet, drehte ich, ohne nach der Nummer zu schauen, auf gut Glück weiter, spannte und drückte wiederum ab. Mein Gegenüber brummte jetzt nur noch leise, sein Schweif ging langsamer hin und her, ich stand breitbeinig und bis auf die ruhig arbeitenden Hände völlig bewegungslos da, stellte vor der dritten Aufnahme die Blende noch etwas kleiner und machte nochmals »Klick!«

Jetzt hob der Simba die Tatze, schlug sie dem Ochsen unter ihm, der noch einmal zusammengezuckt war, mit dumpfem Krach ins Genick und liess sich darauf mit einem nochmaligen, sozusagen verwarnenden Aufgrollen zu mir hin auf dem Kadaver nieder. Dabei photographierte ich ihn zum vierten und auch letzten Male, denn nunmehr spürte ich das Nahen des inneren Rückschlags. Von dem unbeweglichen Blick des Löwen verfolgt, trat ich langsam rückwärts, Schritt um Schritt, und bei jeder Bewegung fühlte ich, wie meine Knie stärker zitterten. Ein jäher, eisiger Schreck durchzuckte mich, als sich mein Fuss dann in einer Baumwurzel verfing; ich stolperte rücklings, woraufhin jener da drüben blitzschnell und mit drohendem Grollen wieder aufstand.

Als dann herabhängendes Gezweig zwischen mir und ihm zusammenschlug, gaben meine Knie völlig nach; auf der Seite liegend liess ich mich langsam durch das Dorngestrüpp an der Wand des Korongos hinabgleiten, einzig nur darauf bedacht, dass der Kamera mit den Löwenaufnahmen – meinen ersten Löwenaufnahmen – nichts geschah.

Ich wusste, dass es unverantwortlich war, aber ich konnte einfach nicht anders – ich musste mich drunten erst ein paar Minuten setzen und einige nervös-hastige Züge rauchen, ehe ich mich mit schweren Beinen erhob, um nach Mtoto zu schauen. Er hing noch immer in dem Baume droben; auf mein leises Rufen und Zureden hin – keine fünfzig Meter von ihm entfernt sass ja der Löwe! – rutschte er endlich vorsichtig am Stamme herunter und kam dann, am ganzen Leibe mit Schweiss bedeckt, zitternd und aschgrau im Gesicht, zu mir heruntergesprungen. Es dauerte eine Weile, bis ich vor allem aus ihm herausbrachte, dass Mlomu weit draussen auf die Bahn zugelaufen war – der schluchzende kleine Kerl stotterte nur immer wieder Beteuerungen heraus, dass er am Verlust des Ochsen keine Schuld trage.

Auf der Station angekommen, bat ich den Stellvertreter, mich doch sofort die Dunkelkammer benutzen zu lassen, die sich der Goa in einer Ecke seines Schlafzimmers eingerichtet hatte, und mir unterdessen einen kräftigen Mokka zu brauen. Dann schloss ich die Läden, zog mein durchschwitztes Hemd aus und ging mit einem Herzen, das mir bis zum Halse herauf klopfte, an die Arbeit.

Ich glaube, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Mokka stehen gelassen habe, denn als er mir endlich gebracht wurde, waren die Aufnahmen fixiert, und bei der immer und immer wiederholten Betrachtung war die Welt um mich versunken ...

Alle Bilder erwiesen sich als glänzend gelungen, die allerschönste und schärfste Aufnahme war die letzte; sie zeigte den Simba, wie er dem Ochsen die Zähne ins Genick grub – etwas, das ich im Augenblick des Abdrückens gar nicht bemerkt hatte. Das Negativ war so scharf, dass es eine Vergrösserung auf achtzehn zu vierundzwanzig vertragen hat. Die gewaltigen Muskeln am Körper des Löwen – es war ein mähnenloses, männliches Tier – und sogar die Blutbäche, die unter den eingeschlagenen Zähnen und den Klauen der Hinterpranken aus dem Felle des Ochsen hervorrieselten, traten in dem seitlichen Morgensonnenlicht plastisch hervor. Leute, die etwas davon verstanden, sagten mir später oft, dass die schöpferische Hand eines Künstlers dieses Bild auch nicht eindrucksvoller hätte gestalten können. In den drei Monaten, die mir für meine über alles geliebte Arbeit noch verbleiben sollten, bin ich kurz nacheinander noch zu zwei weiteren Löwenaufnahmen gekommen, doch die vierte von jenen zuerst erlangten ist die beste geblieben, die ich je gemacht habe. Von dem, was mir die vier Bilder einbrachten, hätte ich mir an Stelle des darangegebenen Ochsen beinahe einen kleinen Bauernhof kaufen können, denn ich erhielt das Geld erst sieben Jahre später – in Deutschland, zur Zeit der Inflation ...

Mit acht Trägern, die mir der Goa zur Verfügung stellte, und zwei zweifelhaft aussehenden Kerlen, die seit einiger Zeit auf der Station herumlungerten und sich bereit erklärten, in meine Dienste zu treten, sowie einem neugekauften Ochsen trat ich ein paar Tage darauf den Rückmarsch nach Ol Matun an.

Auf diesem Marsch ging so ziemlich alles schief, was nur schiefgehen konnte. Der Ochse machte fortgesetzt »Matata«, die widerwillige Trägergesellschaft ebenfalls, und am zweiten Tage überraschte uns ein Steppenbrand, der uns erheblich ansengte und das unvernünftige Stück Vieh mit vier daranhängenden Kerlen – einer davon war ich selbst – einen halben Kilometer weit durchgehen liess. Dabei waren alle drei Gefässe mit Wasser umgeworfen oder möglicherweise hinter meinem Rücken auch ausgetrunken worden. Drei Mann mussten daraufhin zur Station zurückgehen, um neues Wasser zu holen, und nur noch zwei kamen anderntags zurück, und zwar mit nur halbvollen Kanistern. Beim vierten Nachtlager wurden wir von ein paar Löwen, die es natürlich auf meinen Ochsen abgesehen hatten, fast die ganze Nacht hindurch in Atem gehalten. Sie erfüllten die Luft mit einem Gebrüll, dass mir war, als ob die Bäume ringsum erbebten. Wir fachten die Feuer immer höher an, und als dann unversehens der Morgenwind einsetzte, begann auf einmal die trockene Dornenmauer der »Boma« lichterloh zu brennen. Wir wurden ein zweites Mal angeröstet, und neben zwei Säcken mit Reis und Bohnen wäre in dem allgemeinen Tumult beinahe meine Felltasche mit den unersetzbaren Löwenfilmen verbrannt. Ihre Rettung habe ich nur Mtoto zu verdanken. Immerhin wurden durch die turmhoch aufschlagenden Flammen endlich auch die unbehaglichen Simbas draussen vertrieben.

Am sechsten Tage – so lange waren wir unter diesen glückhaften Umständen unterwegs! – verknackste ich mir noch gehörig den Fussknöchel und kam erst in später Nacht, halbverhungert und dreiviertelverdurstet, daheim im Lager an.

Dennoch hielt ich es in der Einsamkeit von Ol Matun nur ein paar Tage aus, ich musste einfach meine Löwenaufnahmen einmal einem verständnisvollen Menschen zeigen, und so beschloss ich, mein Versprechen nunmehr einzulösen und Delafontaine einen Gegenbesuch in Taveta abzustatten. Unter Führung von Ndorobbo und in Begleitung der beiden neuangeworbenen Leute legte ich die überwiegend wasserlose Strecke von hundertundfünfzig Kilometer in der Rekordzeit von vier Tagen zurück.

Am Nachmittag des zweiten Marschtages machte mich Loldogo auf ein Wölkchen am östlichen Horizont aufmerksam und sagte dabei immer wieder ein mir unverständliches Wort. Das Wölkchen blieb unbeweglich an derselben Stelle; am andern Morgen war es immer noch vorhanden, schob sich im Laufe des Tages höher und höher am Himmel hinauf, und auf einmal wurde mir klar, dass dieses über einem zartsilbern schimmernden, fernen Bergzug schwebende Wölklein die Spitze des Kilimandscharos verhüllte. Bei Sonnenuntergang war die Wolke verdampft, und ich erlebte zum ersten Male den unbeschreiblichen Anblick des sechstausend Meter hohen vergletscherten Kibo-Gipfels in der Glut der Abendröte.

In tiefer Nacht und ziemlich erschöpft – aber nicht erschöpft genug, um nicht doch noch meinem überraschten Freund meine Löwenaufnahmen zu zeigen – kam ich in Taveta an. Es tat mir über die Maßen wohl, zu sehen, dass sich Delafontaine über meine Aufnahmen genau so unbändig freute wie ich selber, aber erst durch eine Bemerkung von ihm wurde mir der merkwürdige Zufall bewusst, dass jeder von uns seine Löwen an einem gerissenen Stück Vieh aufgenommen hatte.

Er drängte mich, mindestens eine Woche zu bleiben, aber ich wollte mich nicht darauf einlassen. Erstens stand die Regenzeit vor der Türe, und zweitens fühlte ich mich seit meiner Ankunft in Taveta körperlich nicht ganz auf der Höhe – die Anzeichen deuteten auf Malaria. Wahrscheinlich hatte ich mir in Simba eine neue Ansteckung geholt. So machte ich mich schon nach drei Tagen wieder auf den Heimweg. Für diesen brauchten wir jedoch eine volle Woche, denn bereits in der ersten Nacht ging unter einem furchtbaren Gewitter der erste Regen und an jedem der folgenden Tage ein neuer Wolkenbruch nieder. Waren wir auf dem Hinmarsch vor einer Woche fast verschmachtet, so versanken und ertranken wir auf dem Rückweg beinahe in Schlamm und Wasser, und wieder einmal erreichte ich Ol Matun gerade noch mit dem allerletzten Rest von Kraft und mit hohem Fieber.

Diesen Anfall sollte ich jedoch nicht so rasch und so leicht überwinden; die Fieberkurve verlief ganz anders als bei den vorhergegangenen Erkrankungen. Nachdem ich schon einige Tage wieder Normaltemperatur gehabt hatte, stieg sie plötzlich wieder auf vierzig und einundvierzig, und erst nach Wochen unentwegten Chininschluckens blieb ich endlich eine Zeitlang fieberfrei. Ich fühlte mich aber weiterhin dauernd schlapp und krank, und zwei Monate nach meiner Rückkehr von Taveta warf mich ein neuer heftiger Anfall wiederum auf die Nase. Allen Anzeichen nach handelte es sich um eine frische Ansteckung; demnach mussten jetzt auch die Moskitos in der Umgebung des Lagers mit den Keimen der tückischen Krankheit verseucht sein.

Trotz meinem jammervollen Zustand war ich an den fieberfreien Tagen weiterhin auf Kamerajagd gegangen, allerdings nicht auf die grossen und gefährlichen Bewohner der Wildnis und nur für kurze Strecken. Es war die gleicherweise reiche und wundersame kleine Welt, die der Vögel und Insekten, der Reptilien und Amphibien, die ich, teilweise im Lager selbst oder droben am oberen Wasserloch, aufs Korn genommen hatte. Das Ergebnis waren fast einhundert gute Aufnahmen.

Das waren die letzten, die ich in dieser Periode meines Lebens machte, denn als ich bei dem neuen Malariaanfall das Chininschlucken wieder von vorne begann, erklärte mein Magen den Generalstreik. Er verdaute einfach nichts mehr; ich magerte allmählich zu einem wahren Skelett ab, und dementsprechend verminderte sich meine körperliche Leistungsfähigkeit. Ich wusste zuletzt nicht mehr, was ich tun sollte, denn wenn dem Körper bei einer Malaria nicht genügend Chinin zugeführt wird, damit die Mikroben im Blut abgetötet werden, so tritt nicht nur in Bälde ein Rückfall, sondern auch die Gefahr von allerhand Komplikationen ein, zum Beispiel die des fast immer tödlich verlaufenden Schwarzwasserfiebers. Da fiel mir in meiner Verzweiflung ein, dass Delafontaine einmal etwas von Chinineinspritzungen erwähnt hatte, die er sich von dem Sanitätsfeldwebel auf seinem Posten hatte machen lassen, weil sein Magen auf Chinin mit Erbrechen reagierte. So entschloss ich mich kurzerhand, nach Taveta zu gehen. Natürlich hätte ich solche Injektionen auch in Nairobi bei einem Arzt oder im Spital haben können, aber mir stand augenblicklich kaum das Geld zur Verfügung, um dort den Aufenthalt im billigsten Hotel bestreiten zu können, und wenn die medizinische Wissenschaft daselbst sich auf das Rechnungschreiben ebenso gut verstand wie die Zahnheilkunde, so hätte ich in hoffnungsloser Weise Bankrott gemacht.

Am nächsten Tage brach ich auf. Von meinen Leuten nahm ich nur die beiden Neueingestellten und als dritten Begleiter Spot, den Geparden, mit. Tumbo, Mlomu und Mtoto und alle meine Sachen liess ich im Lager zurück. Für den Marsch genügten mir eine Decke und ein Moskitonetz, meine Waffen und der Kodak. Ich war schon zum Hause hinaus, als ich mich nachträglich entschloss, auch den Blechkasten mit meinen Aufnahmen mitzunehmen. Ich tat es in der Erwägung, dass ich wahrscheinlich ein paar Wochen in Taveta bleiben musste und die Zeit benutzen konnte, um einige Artikel zu schreiben und sie mit den passenden Bildern von dort zu befördern.

Ich verliess mein Lager beim Morgengrauen; in spätestens Monatsfrist hoffte ich zurück zu sein. Doch das Schicksal hat es anders gewollt – ich habe Ol Matun nie wiedergesehen.

Nachdem ich in Taveta eine Anzahl Injektionen erhalten hatte, riet mir Delafontaine, zu meiner Erholung noch ein paar Wochen auf den Kilimandscharo zu gehen, am besten hinauf in die Petershütte. Bei ihm hätte im vorigen Jahre, als er sich in ähnlicher Verfassung befunden hatte wie ich jetzt, ein dreiwöchiger Aufenthalt dort oben, in fünftausend Meter Höhe, geradezu Wunder gewirkt.

Der Vorschlag leuchtete mir ein; ich fühlte, dass ich wirklich eine Erholung nötig hatte. Mein Gastgeber lieh mir eine ganze Safari-Ausrüstung und acht Träger für den Transport. An der Spitze dieser zehn Mann, meinen kleinen Geparden zur Seite, überschritt ich tags darauf die Grenze zwischen Britisch- und Deutsch-Ostafrika. Es war am 27. Juli 1914.

 


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