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Fünftes Kapitel

Meine erste Malaria – »Schwarze« Sorgen – Die Raubtiertränke Ol Matun – Ich gerate in den Verdacht der Zauberei – Mze wird Aufseher – Hausbau – Ein behagliches, aber ungemütliches Heim – Affentragödie – Ein unheimlicher nächtlicher Stammgast

 

Wenige Minuten darauf war es freilich mit der entrückten Einsamkeit von Ol Matun zu Ende. Das Baden, Plantschen und Jauchzen meiner beiden getreuen Weggenossen und dann der nach und nach eintreffenden Träger wollte nicht aufhören. Mit zwei Lasten auf dem Quadratschädel, von Schweiss überströmt, einen Geruch verbreitend, dass mir gleich wieder schlecht wurde, und dennoch aus vollem Halse grölend, polterte der kavirondische Goliath heran. Er führte, immer noch das Zentnergewicht auf dem Kopfe, am Ufer erst einen prahlerischen Tanz auf, ehe er sich, brüllend wie ein alter Nilpferdbulle, ins Wasser stürzte. Der allerletzte war wie gewöhnlich Mze. Als er an mir vorbeischlurfte, sah ich, dass seine stöckrigen alten Beine zitterten; doch seine Last hatte er bis zum Ziele selber geschleppt. Und er war auch der erste, der wieder aus dem Bade stieg, um dürre Äste für die Feuer abzubrechen.

Eine halbe Stunde später lag ich, in alle meine Decken gehüllt, auf meinem Feldbett und steckte mir, von kalten Schauern geschüttelt, das Fieberthermometer unter die Zunge. Ich musste es bald wieder herausnehmen, um die Temperatur in der Achselhöhle zu messen, denn ich fürchtete, mit meinen klappernden Zähnen das Glasröhrchen zu zerbeissen. Die Ablesung ergab 39,2. Tumbo bereitete mir einen grossen Topf voll Tee, ich trank ihn aus – und gleich darauf noch einen zweiten. Dann hörte endlich das furchtbare Frieren auf, und nach dem ersten Schweissausbruch nahm ich eine Dosis Chinin. Von allem Weiteren, was in der Nacht, den ganzen nächsten Tag und in der darauffolgenden Nacht um mich herum vorging, hat mein Gehirn nichts wahrgenommen. Als ich am zweiten Morgen zur Wirklichkeit erwachte und wieder die Temperatur mass, zeigte das Thermometer nur noch 37,4; die Gewalt des Fiebers war gebrochen. Da ich in der Zwischenzeit kein weiteres Chinin mehr genommen hatte, musste das der Wirkung eines Kräuteraufgusses zuzuschreiben sein, den Mze gemacht und mir eingeflösst hatte, wie ich von Tumbo erfuhr. Der Boy strahlte ob meiner Besserung über sein ganzes rundes Mohrengesicht, und seine erste Frage war: » Bwana, nataka kahawa moja – Willst du einen Kaffee, Herr?«

Den mochte ich zwar an jenem Morgen und auch am nächsten noch nicht; als mich aber am drittfolgenden Tage schliesslich doch das Verlangen nach einem Tässchen des edlen schwarzen Trankes und einer Zigarette überkam, da wusste ich, dass ich nunmehr über den Berg war. Da ich die übliche Chininkur mit peinlicher Genauigkeit durchführte, wurde ich mit dieser ersten Malaria-Infektion bald fertig. – Solange ich in Ol Matun blieb, habe ich mir auch keine weitere zugezogen; Anophelesmücken gab es zwar genügend, aber sie schienen in dieser menschenleeren Gegend nicht infiziert zu sein. Jenes erste Fieber musste ich mir schon in Uganda oder Nairobi geholt haben, und von dort brachte ich auch prompt ein zweites mit, als ich lange Zeit darauf einmal in die Stadt fahren musste. Das dritte, das von verhängnisvoller Bedeutung für mich werden sollte, bezog ich gleichfalls nicht aus der Wildnis, in der ich lebte, sondern aus einer von Menschen bewohnten Gegend.

Die Träger hatten in den Tagen meiner Krankheit natürlich herzlich wenig geschafft, und wenn Papa Mze nicht gewesen wäre, hätten sie wahrscheinlich gar nichts getan. So war unter der Anleitung des Alten, der trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit bei den andern unverkennbare Achtung genoss, immerhin das Notwendigste zur Sicherung des Lagers geschehen, und über meinem Bett und den ringsum aufgestapelten Kisten, sowie über dem Schlafplatz der Leute je ein provisorisches Schutzdach errichtet worden. Im Grunde war es mir sehr recht, dass sie noch keine Hüttenbauten begonnen und, vor allem, keine Bäume geschlagen hatten, denn ich gedachte die Ursprünglichkeit meiner Umgebung möglichst zu erhalten. Ausserdem gönnte ich den Leuten nach der Schinderei der ersten Tage diese Ruhe- und Eingewöhnungspause. Ich war mir ohnehin bewusst, dass es meine Negerlein hier mitten im »Pori«, der unbewohnten und von mancherlei Gefahren bedrohten Wildnis ohne Fleischnahrung, ohne gelegentliche Tanz- und Trinkbelustigungen, die dem Negerherzen teuer sind, und vor allem ohne Weiblichkeit, die ihm noch teurer ist, kaum längere Zeit aushalten würden. Um wenigstens dem ersten Übelstand einigermassen abzuhelfen, hatte ich mich in den vielen nachdenklichen Stunden meiner Wiedergenesung entschlossen, den Stationsvorsteher in Simba um Besorgung einer kleinen Ziegenherde für mich zu bitten.

Wie ich allerdings mit meinen paar Mannen die Geissen von der Bahn bis hierher kriegen und – was noch viel schwieriger war – sie hier auch wirklich für die Mägen meiner Mohren und nicht für die der Löwen und Leoparden erhalten sollte, war mir vorläufig noch schleierhaft. Von diesen beiden Grosskatzenarten gab es um uns herum so viele, dass sich mir in mancher Nacht die Haare sträuben wollten, von den noch viel zahlreicheren kleinen, den Zibet-, Serval- und Ginsterkatzen, den Hyänen und den zeitweilig auftretenden Geparden und Meuten von Wildhunden ganz zu schweigen. Der gesamte Raubtierbestand der Umgegend schien von alters her gewohnt zu sein, seinen Durst nirgends anders als am Wasser von Ol Matun zu löschen, und besonders die grossen Raubkatzen machten in den ersten Nächten ihrer Entrüstung über unser Dasein mit voller Stimmkraft Luft.

Als ich in Mzes Begleitung meinen ersten wackligen Rundgang unternahm, fiel auch mir Neuling sogleich auf, dass sich hier, abgesehen von einigen alten Nashornfährten, keinerlei Wildspuren fanden; alle vorhandenen Fährten rührten ausschliesslich von Raubzeug her.

Auf meine Frage nach dem Grunde dieser Erscheinung blinzelte mich der Alte anerkennend an; dann wies seine grauschwarze Hand erklärend in die Runde. »Sieh, Bwana, dieser Korongo ist oberhalb und zu beiden Seiten des Wassers zwar nicht besonders tief, aber seine Wände sind sehr steil. Ein Stück Wild kann nicht von hier unten hinaufgelangen, um zu flüchten, wenn ihm Gefahr droht. Wohl aber kann ein grosses Raubtier von droben auf das Wild herunterspringen. Und dort, an der unteren Seite, windet sich der einzige gangbare Pfad um viele hohe Felsblöcke herum. Jeder dieser Blöcke ist ein ausgezeichnetes Versteck für einen lauernden Simba, und jeder dieser tiefbeschatteten, dicken Baumäste, die weit über das Wasser ragen, ist eines für einen Leoparden. Da sich jedoch nur eine Viertelstunde weiter oberhalb eine andere, flache und übersichtliche Wasserstelle befindet, geht das Wild dorthin zum Trinken. Die Raubtiere aber kommen hierher, um dort oben nicht unnötigerweise Fährten und Gerüche zu hinterlassen, die ihre Beute warnen und verscheuchen könnten.«

Diese Erklärung war sehr einleuchtend, aber gleichzeitig war sie – besonders was die Absprungmöglichkeiten von oben herab betraf – auch sehr unbehaglich. Ich beschloss, unsere Quartiere derart anzulegen, dass uns nicht nächtlicherweile plötzlich ein Simba aufs Hausdach oder gerade ins Genick springen konnte – ich wusste damals noch nicht, dass hier im Wildparadies für den Menschen die Gefahr, von Löwen angegriffen zu werden, sehr gering war.

Als ich mit dem Alten die Anlage einer kleinen, festen Hütte für mich und einer grösseren für die Leute besprach, rückte er nach längerem Drucksen mit dem Anliegen heraus, ich möge ihn doch zu meinem » Nyampara«, das ist Aufseher, ernennen. Er kenne das Leben hier im Pori, kenne alle Tiere und ihre Gewohnheiten; von seiner Mutter her beherrsche er die Sprache der Massai und wisse auch genügend vom Dialekt der Ndorobbo, um bei Angehörigen dieser Stämme, die sicherlich eines Tages hier auftauchen würden, Dolmetscherdienste zu leisten. Auf meine Entgegnung, dass ich einen so tüchtigen Nyampara wie ihn wohl sehr gut gebrauchen, aber leider nicht bezahlen könne, antwortete er mit dem sonderbaren Vorschlag, ich solle ihm statt höheren Lohnes nur ein wenig von meiner » Daua ya safari« geben.

Ich schaute den alten Knaben, der ob seines eigenen Vorschlags so verlegen war, dass er gleich drei Prisen hintereinander nahm, ziemlich verblüfft an. » Daua« bedeutet Arznei, aber auch Zaubermittel, und » Daua ya safari«, lässt sich mit »Reise-Zaubermittel« übersetzen. Auf meine Frage, was in aller Welt er damit meine, erklärte er augenzwinkernd, ich müsse doch ein solches Mittel besitzen, denn er habe noch keinen Menschen gesehen, der so wenig ässe wie ich und dabei derartig schnell und ausdauernd marschieren könne.

Nun ist es richtig, dass ich immer ein ungewöhnlich mässiger Esser gewesen bin; freilich war ich nicht ganz so genügsam, wie der alte Mze annahm, denn da ich stets vorausmarschierte, konnte er nicht wissen, dass ich unterwegs immer wieder einmal ein Stück Schokolade in den Mund schob. Und meine Marschfähigkeit hatte ich mir auf jahrelangen, rastlosen Wanderungen kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten erworben. Wenn ich hier in Afrika offenbar ein besserer Fussgänger war als die andern Europäer, die der Alte kennengelernt hatte, so hing das nach meiner Überzeugung damit zusammen, dass ich im Verlauf eines ganzen Jahres sicherlich weniger Alkohol zu mir nahm, als die meisten Weissen hierzulande an einem einzigen Tage in sich hineinschütteten.

Aus dem Geschäft mit der » Daua ya safari« wurde also nichts, aber ich setzte mich hin und erläuterte Papa Mze, dass ich hergekommen sei, um Bilder von Tieren zu machen und damit Geld zu verdienen. Wenn er mit seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten mir in jeder Hinsicht dabei helfen würde, so könnte ich wahrscheinlich genug verdienen, um ihm einen rechten Aufseherlohn und ihnen allen gutes und reichliches Essen, bessere Schlafdecken, etwas Kleidung und sonstige Dinge zu geben, die das einsame Leben erträglicher machen würden.

Er hörte aufmerksam und verständnisvoll zu und versprach zum Schlusse, mir wirklich mit allen Kräften zur Hand zu gehen. Wie er sagte, hatte er schon aus meiner Bekanntschaft mit » Bwana Picha«, dem Herrn Bild, wie Burton genannt wurde, geschlossen, welchem Zwecke unsere Reise hierher galt. Aber er legte Wert darauf, dass ich den andern seine Rangerhebung zum Nyampara in aller Form kundtat und ihm eine auf Kisuaheli verfasste Bestätigung ausstellte, derzufolge ich ihm den Aufseherlohn vom heutigen Tage an nachzahlen würde, wenn sich mein Einkommen verbesserte. Der alte Herr war mit ausgesprochenem Erwerbssinn und bemerkenswerter Geschäftstüchtigkeit begabt.

Er erhielt sein Dokument; auf einen Philologen würde mein Kisuaheli – da sich diese Sprache einer ganz verzwickten Grammatik erfreut – wahrscheinlich haarsträubend gewirkt haben, für einen Juristen aber war die Erklärung sicherlich vollgültig. Hierauf stellte ich den fünf Trägern meinen neuen Nyampara und Vertreter vor und hielt ihnen eine Einführungsrede, die in einem Hinweis auf das üppige Leben gipfelte, das sie in Zukunft bei mir haben sollten. Danach gingen wir ernsthaft an die Arbeit.

Als erstes bezeichnete ich genau die wenigen Bäume, die zu fällen waren; an anderen sollten nur bestimmte Äste weggeschlagen werden. Ebenso sorgfältig wählte ich eine Anzahl Akazien in der Steppe draussen aus, deren Stämme als Bauholz in Frage kamen. Dies war insofern eine notwendige Massnahme, als kein Neger imstande ist, einen halbwegs geraden Stamm von einem andern zu unterscheiden, der aussieht wie das Standbild eines Drehwurms. Ansonst erwiesen sich die Leute als geschickte und flinke Bauarbeiter; schon am ersten Abend stand das Balkengerüst meines Hauses samt der kleinen, dem Wasser zugewendeten Veranda da. Am folgenden Tage wurde das Dach mit dicken Lagen von dürrem Steppengras gedeckt und zwischen den Hauspfählen ein Rutengeflecht angebracht. Als nächstes folgte das Abtragen und Zerklopfen eines Termitenhügels, der sehr handlich droben am Rand des Korongos stand. Das war eine ziemlich anstrengende Arbeit, denn der von den Insekten zu einer Art von Mörtel verarbeitete rote Lehm wird im Laufe der Zeit unter der Glut der Sonne so hart wie Ziegelstein. Drunten wurde das zerkleinerte Material dann in Wasser eingeweicht, mit kurzgehacktem Gras und in der Steppe eingesammeltem Wilddung vermischt, gehörig durchgeknetet, in das Rutengeflecht zwischen den Hauspfählen hineingeklatscht und hier verstrichen. Eine derart hergestellte Wand aus »Odongo« ist so fest und gleichzeitig so elastisch, dass ein dagegen anrennendes Nashorn kaum imstande wäre, sie zu durchbrechen.

Beim Bau meines Heimes wäre es mir beinahe ergangen wie weiland den Schildbürgern – kurz bevor der Odongo hart wurde, fiel mir ein, dass ich das Fenster völlig vergessen hatte! Seine Öffnung wurde, ebenso wie der Türausschnitt, mit dünnem Stoff verhängt; später kam ich – leider – zu einem richtiggehenden Glasfenster. Ich sage »leider«, weil die Fensterscheibe aus lauter verdorbenen photographischen Platten – misslungenen Aufnahmen – zusammengesetzt wurde. Im nächsten Jahre konnte ich auf dieselbe Weise auch noch die Windseite meiner Veranda verglasen! – Als letztes liess ich den Hintergrund des Raumes durch eine leichte Scheidewand abteilen, wodurch eine schmale Dunkelkammer entstand, die für meine Zwecke vollauf genügte. Zu dem ganzen Bauwerk war kein einziger Nagel verwendet worden; alles war lediglich mit Schlingpflanzen und Palmbast verbunden, und als Werkzeug hatten uns nur sechs Buschmesser und eine Fuchsschwanzsäge zur Verfügung gestanden.

Nachdem der Boden geebnet und mit einer Schicht Odongo bedeckt war, der festgestampft wurde und dann trocknete, räumte ich meine »Möbel« ein. Sie bestanden aus dem Feldbett, zwei Tropenkoffern und vier »Safari-Kisten«. Unter diesem Namen sind in Afrika die Holzkästen bekannt, die, je zwei Kanister Petroleum oder Benzin enthaltend, täglich zu Tausenden eingeführt werden.

Im Laufe der Zeit wurde meine Wohnungseinrichtung jedoch immer reichhaltiger und heimeliger. Nachdem einige weitere Werkzeuge und zwei Lasten leichter Bretter, die ich noch auf der Station liegen hatte, herbeigeschafft worden waren, benützte ich jede freie Stunde zum Zimmern und Schreinern. Die Ergebnisse waren ein grosser und ein kleiner Tisch, Bank und Schemel sowie verschiedene Wandschränke, Gestelle und Bücherborde. Als dann später draussen vor der Veranda Feuerlilien blühten, als bunte Windenglocken Pfähle und Vordach übersponnen hatten und die frischen Zweige der ringsum stehenden Bäume das Ganze in grüngoldnes Dämmerlicht hüllten, war mein kleines Haus zu einem wirklich behaglichen Heim geworden. Was mir aber die Hauptsache war: seine Gesamterscheinung störte in keiner Weise die wilde, einsame Schönheit von Ol Matun, des einzigen Platzes, den ich je als »Heimat« betrachtet habe.

Als behaglich konnte ich das Haus wohl bezeichnen; dass es aber nie im landläufigen Sinn »gemütlich« sein würde, sollte mir gleich am Nachmittag meines Einzugs vor Augen geführt werden. Meine Leute waren nach der Mittagspause alle miteinander hinaus in die Steppe gezogen, um Bauholz für ihre eigene Hütte zu schlagen; ich war ganz allein zu Hause. Da ich nach dem Fieber noch nicht wieder völlig zu Kräften gekommen war, hatte ich mich nach dem Einräumen für eine Stunde niedergelegt. Ein Weilchen hatte ich über die silbernfunkelnde Fläche des Weihers hinweg in die tiefen, von einzelnen Sonnenstrahlen durchzitterten Schatten der Bäume geblickt, mich über einen Klaffschnabel belustigt, der immer wieder eine Reihe unbeweglich nebeneinander sitzender, seidenschimmernder Eisvögel anschrie, ohne dass sein Geschrei auch nur mit einem Augenzucken beantwortet worden wäre, und schliesslich war ich unter dem eintönig dröhnenden Gesumm der Insektenwelt eingenickt.

Nach ungefähr einer Stunde fuhr ich hoch, aufgeschreckt durch ein schrilles Gekreisch, ein aufgeregtes Gekecker und Geschnalze. In der Krone eines mächtigen Mwule-Baumes am rechtsseitigen Ufer rauschte es wie ein Sturmwind, Zweige schnellten und brachen, und drunten am Ufer sausten, in den höchsten Tönen fiepend, zwei, drei kleine Tiergestalten dahin und wie der Blitz an einer niederhängenden Lianenranke hinauf. Für einen Augenblick wurden dabei weissumrandete, dunkle Gesichter, olivengrün schimmernde Rücken sichtbar ... Meerkatzen!

Derartig gebärden sie sich nur, wenn einer der beiden Todfeinde ihrer Gattung in der Nähe ist, eine Baumschlange oder ein Leopard. Mit einem Satz war ich vom Bett herunter, ergriff – so tief verwurzelt ist der Jagdtrieb im Menschen! – die Schrotflinte statt der Kamera und stürzte hinaus.

Überall in den dunklen Blättermassen tauchten Affengesichter auf und verschwanden wieder. Mit weitaufgerissenen Augen und Mündern, einander durch schrille Schreie warnend und sich trotz oder eben wegen der Erregtheit hier und da ungestüm kratzend, spähten sie unverwandt in die dunkle Kuppel des Nachbarbaumes hinüber. Mein Erscheinen wurde von den sonst so scheuen Tieren gar nicht beachtet.

Hastig drang ich durch Stauden- und Schlinggewächse bis unter den Baum vor, starrte angestrengt in die tiefgrüne Wölbung über mir, spähte, den Stamm umkreisend, in jede der dunklen Höhlungen zwischen den Astansätzen hinein, prüfte jeden der schenkeldicken Äste bis zur Spitze – nichts war zu entdecken.

Auf einmal ertönte ein mächtiges Rauschen, ein Kratzen, als ob sich scharfe Krallen in Holz grüben, ein gellendes, nervenzerreissendes Aufkreischen unter der Affengesellschaft, ein prasselndes Auseinanderfahren, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag im Geäst, und da erst wurde, für den Bruchteil einer Sekunde nur, ein buntgetupfter, geschmeidiger Rücken und eine hin und her fegende Schwanzspitze sichtbar.

Losgerissene Blätter wirbelten auf mich herab, das Prasseln und Rauschen der fliehenden Tiere verlor sich in der Ferne, noch ein leises, leises Knacken, eine leichte wellenförmige Bewegung in der Krone des nächsten Baumes, dann war alles still. Von einem unsichtbaren Wipfel flog mit schwerem Flügelschlag und heiserem Gekrächz ein Geier auf und begann rastlos zu kreisen; immer wieder huschte sein Schatten über das glitzernde Wasser. Das geschäftige, von stetigem Murmeln begleitete Treiben der Baumschliefer, das hallende Hämmern der Spechte, das unablässige Gurren der Wildtauben waren verstummt; der streitsüchtige Klaffschnabel hatte sich erschreckt davongemacht, nur die blauschimmernde Reihe der Eisvögel sass, unbeteiligt und bewegungslos wie zuvor, auf dem gestürzten Stamm und starrte in die grünbeschattete Flut unter den Uferbäumen.

Kopfschüttelnd ging ich zurück ins Haus; der Leopard hatte in dem Baume, unter dem ich stand, auf der Lauer gelegen, und ich hatte ihn nicht entdecken können – wie war das möglich? Es hat noch lange gedauert, bis ich durch Erfahrung lernte, dass gerade die scheinbar am lebhaftesten gezeichneten Tiere in freier Wildbahn am schwersten auszumachen sind. Ich musste erst erleben, dass ich eine ganze Herde Zebras, die reglos im lichten Schatten eines Mimosenhains verharrte, nicht eher bemerkte, als bis eines der Tiere aufwieherte. Ein anderes Mal beobachtete ich eine halbe Stunde lang hinter einem Termitenbau hervor durchs Glas ein Rudel äsender Gazellen, ohne zu sehen, dass zwischen mir und ihnen in einer Gruppe von Schirmakazien vier Giraffen standen.

Einige Tage nach dem Zwischenfall mit dem Leoparden wurde mir aufs neue, und diesmal noch wirkungsvoller, verdeutlicht, in welcher Gegend ich mein Heim aufgeschlagen hatte. Wie schon immer, seitdem ich regelmässig Chinin einnahm, hatte ich in der zweiten Hälfte der Nacht kaum geschlafen. Unter meinem Moskitonetz war es warm und stickig; schliesslich gab ich den Kampf mit der Schlaflosigkeit auf und schlüpfte hinaus. Von draussen, von der Schlafhütte der Leute her, drangen ein paar gurgelnde Schnarchlaute durch den brausenden Massenchor der Zikaden. Er ertönt in der Wildnis so pausenlos, dass ihn das Ohr kaum noch vernimmt. Das Schnarchen brach plötzlich ab, und die tiefe Stille der letzten Nachtstunde sank wieder herab. Leise trat ich hinaus vor die Veranda. Über den dunklen Wölbungen der Baumkronen strahlte, als letztes der nächtlichen Gestirne, rein und weiss der Morgenstern. So hell war sein Licht, dass es als schimmernder Streifen über die dunkle Fläche des Weihers glitt.

Vom Chinin beeinflusst, sauste mir das Blut in den Ohren; ich tat ein paar tiefe Atemzüge, und danach war mir auf einmal, als ob ich einen schwachen, ungewohnten Laut vom Wasser her vernahm. Es klang wie ein leises, regelmässiges Platschen oder Schlappen, und es schien von der freigeschlagenen Stelle am Ufer her zu kommen, wo wir unseren täglichen Wasserbedarf schöpften. Einer der hohen Felsblöcke versperrte mir den Blick; so trat ich behutsam zur Seite und spähte hinunter. Doch das leise Geräusch meiner Schritte hatte jenen Ohren drunten am Wasser genügt ... ein hellschimmernder Tierleib erhob sich aus liegender Stellung, ein dunkles Haupt wuchs empor und wandte sich langsam mir zu, zwei grosse, leuchtende Augen schauten mich an.

Ich zuckte zusammen und tat etwas sehr Unkluges ... ich sprang wieder hinter den Felsen und mit zwei, drei langen Sätzen ins Haus hinein! Die Schrotflinte in der Hand, mit rasend hämmerndem Herzen, schwer keuchend und gegen ein plötzliches Schwindelgefühl ankämpfend, stand ich vornübergebeugt, lauschte, ob der Löwe herankam, und verfluchte dabei innerlich das entnervende Chinin.

Aber er kam mir nicht nach! Leise, fünf Schritte von meinem Hause und keine zwei von dem der Leute entfernt, war er denselben Weg zurückgegangen, den er gekommen war. Das zeigten die Fährten, die wir beim ersten Tagesschimmer unter allgemeinem vielsagendem Schweigen betrachteten. Auch ich sagte nichts dazu, ich war mit dem Gedanken beschäftigt, dass in der Nacht, während ich bei offener Tür ahnungslos in meinem Bette lag, ein Löwe an dieser Tür vorbeigegangen war ... der Gedanke war keineswegs beruhigend.

Mze, der ein kurzes Stäbchen in der Hand hielt, trat vor mich hin, winkte mit den Augen warnend zu den Trägern hinüber und fragte halblaut: »Sag, Bwana, hast du erkennen können, ob der Simba, den du beim Trinken gesehen hast, eine Mähne hatte?«

Ich dachte nach und erinnerte mich, dass die Umrisse seines Kopfes gegen den Nachthimmel rund und scharf gewesen waren. »Nein, ich glaube, er hatte keine Mähne. Warum fragst du?«

»Weil es dann wohl dieselbe Löwin gewesen ist, die auch ich schon einmal gesehen habe. Es war in der zweiten Nacht nach unserer Ankunft hier, kurz vor Tagesgrauen. Du warst sehr krank, Bwana, und ich war aufgestanden, um das Feuer zu schüren. Als ich aufschaute, sah ich die Löwin dort stehen, wo jetzt unser Haus ist. Ich sah sie sehr gut, es war noch ein wenig Mondlicht. Sie hatte den Kopf erhoben und schaute mich immerzu an. Ich bekam Angst; da ich aber die Träger nicht beunruhigen wollte, ergriff ich einen brennenden Ast und warf damit nach ihr. Sie knurrte und wackelte mit dem Schwanz; ich duckte mich, um einen zweiten brennenden Ast zu ergreifen, und als ich mich aufrichtete, war sie weg. Sie ist seitdem noch manche Nacht hierher zum Wasser gekommen, denn ich habe an jenem Morgen ihre Fährte genau gemessen, und immer wieder die gleiche Fährte hier in der Umgebung gefunden. Auch die von heute nacht hat dieselbe Grösse – sieh her, Bwana

Er legte sein Stäbchen auf einen der scharfen Eindrücke im feuchten Erdreich des Ufers – die Grösse stimmte genau.

»Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«

»Wozu, Bwana?« fragte er und sah mich mit seinen klugen, von zahllosen Fältchen umgebenen Greisenaugen blinzelnd an. »Du hättest dann vielleicht in all diesen Nächten noch schlechter geschlafen. Ausserdem ist es eine harmlose Löwin, denn wenn sie böse wäre, hätte sie längst einen von uns oder dich selbst aus dem Bett holen können.« Er nickte bedächtig und schlurfte mit seinem Stäbchen wieder der Schlafhütte zu.


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