Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Der umgewandelte Besucher – Vorschlag zu einem Rollentausch – Tragödie einer Löwenfamilie – Der ungeniessbare Wildeber – Eine durchgehende Herde Zebras und ein verrückt gewordener Gnubulle – Königlicher Besuch am Wasserloch – Ich fahre mit einem kranken Zahn nach Nairobi und kehre mit einer Malaria zurück – Eine Weihnachtsüberraschung

 

Mein Boy war draussen auf der Veranda mit Tischdecken beschäftigt, als die Stimme des Ankömmlings vor der Tür ertönte. »Hallo, Mister Heye, kann man 'reinkommen?« Auf mein »Sicher!« trat er, begleitet von einem Jungen mit einer Laterne, ein. Unter dem einen Arm trug er ein paar Konservenbüchsen, unter dem andern hatte er eine Flasche Black & White-Whisky und auf dem Gesicht das verlegene Grinsen eines vierzehnjährigen Knaben. Er stellte die Flasche vor meinem Bett ab, drückte mich mit einem »Um Gottes willen, machen Sie keine Geschichten und bleiben Sie liegen!« nieder und streckte mir dann mit den Worten: »Tut mir furchtbar leid, dass ich vorhin gerade einen Anfall von Amtskoller hatte« die Hand entgegen. »Man wird durch die ewige Chininfresserei und die nie aufhörenden Schikanen der gottverdammten Bürokraten in Nairobi allmählich ein solches Ekel, dass man sich manchmal vor sich selber grault. – Well, wollen es vergessen. Die Sache mit dem Eber ist allright; hab' mich überzeugt, dass er durch den Prankenschlag eines Simbas ins Jenseits befördert worden ist. Und Ihr Nyampara sagte mir, dass Sie die drei Schüsse nur in die Luft abgefeuert haben, um einen Geier zu verjagen. Womit auch das erledigt ist. Sie sehen verdammt abstrapaziert aus; wollen Sie, dass mein Hamiss hier Ihnen eine Massage angedeihen lässt? Er versteht das aus dem Effeff, und Sie fühlen sich danach wie neugeboren.«

Er hatte recht, die Massage tat meinen steifen Knochen so gut, dass ich dem Boy ein sagenhaftes Bakschisch versprach, wenn er seine Kunst meinen Tumbo lehren würde. Ich sass dann mit meinem Gast noch bis Mitternacht auf und schwatzte mit ihm von allen Dingen des Himmels und der Erde.

Auch bei ihm hatte sich der Fluss der Rede seit langer Zeit gestaut; der Unglückliche sass schon seit sechzehn Monaten auf dem weltverlassenen Posten Taveta, und auch sein vorheriger war nicht viel abwechslungsreicher gewesen. »Die gehirnverkalkten Federfuchser in Nairobi schicken mich natürlich aus reiner Niederträchtigkeit immer auf die trostlosesten Stationen, weil ich im Verkehr mit ihnen den gebührenden Respekt vermissen lasse und sie bei jeder Gelegenheit anulke. Wenn ich mir aber nicht dann und wann wenigstens diesen Spass leistete, wäre ich wahrscheinlich schon längst auf und davon gelaufen oder an Delirium tremens eingegangen. Seit einem Vierteljahr habe ich aus lauter Verzweiflung ein paar von meinen Kerlen in Fussballtraining genommen. Sie stellen sich dabei gar nicht so dumm an, und wenn sie erst halbwegs was können, wird mir das, wie ich hoffe, noch über ein weiteres Jahr weghelfen. Ich hätte zwar schon jetzt am fünfzehnten August Anspruch auf sechs Monate Heimaturlaub, aber ich muss unbedingt mein Bankguthaben noch ein bisschen auffüllen, ehe ich's wagen kann, allein heim- und zu zweien dann wieder hierher ins Affenland zurückzufahren. Bis dahin muss sich eben auch eine gewisse Miss Evelyn daheim in Old England weiter in Geduld und im Aufnehmen von Diktaten üben. – Auf Ihre Gesundheit!« »Nein, auf die der zukünftigen Mrs. Delafontaine«, lächelte ich.

»Sagen Sie, trinken Sie immer so wenig? – Well, ich im allgemeinen auch. Ich habe schon zu viele tüchtige Burschen hierzulande durch den Suff hops gehen sehen. Auch Old Burton hat bei den Ansprüchen, die diese Art von Sport an einen Menschen stellt, viel zu viel gebechert. Ich glaube nicht, dass er jemals wieder richtig auf die Beine kommen wird – verdammt schade um den Mann. Er hat Sie mir übrigens in einem Briefe, den er mir vor ein paar Monaten aus Nairobi schrieb, dringend ans Herz gelegt. – Well, entschuldigen Sie, dass ich dauernd von mir rede. Erzählen Sie nun mal was von Ihrem Tun und Treiben hier; Sie sollten Stoff genug haben!«

Was ich darauf von mir gab, war nur ein einziges Klagelied über die Magerkeit meiner bisherigen Erfolge. Er war darüber allerdings anderer Ansicht, und nachdem er meine photographische Ausrüstung und meine paar Dutzend Aufnahmen angesehen hatte, versicherte er mir, dass er im Gegenteil bass erstaunt darüber sei, was ich trotz alledem erzielt hatte. Von den Aufnahmen der kämpfenden Büffel war er geradezu begeistert, und er bat mich, ihm einen Satz Kopien davon anzuvertrauen. Er habe ein »gelehrtes Haupt« von Vetter drüben in den Staaten, einen Zoologieprofessor, der die Aufnahmen wahrscheinlich für gutes Geld unterbringen könne. – Er hat damit Wort gehalten, und ihm verdanke ich die schon erwähnte fette Dollareinnahme.

Er liess sein Feldbett zu mir hereinbringen, und als er dann am nächsten Morgen mein kleines Haus und seine Umgebung bei Tageslicht sah, war er so entzückt davon, dass er mich beim Frühstück mit melancholischem Lächeln fragte, ob wir nicht ein paar Monate tauschen wollten.

»Sie brauchten drüben bei mir nur pro Monat ungefähr drei Dutzend Berichte für die Gouvernementstrottel in Nairobi zu schreiben und zweimal in der Woche Urteile in den ewigen Eigentums- und Ehestreitigkeiten der schwarzen Untertanenschaft zu fällen; und zwar gilt bei beiden Tätigkeiten die Devise: ›Je blödsinniger, desto besser‹. Im übrigen hätten Sie natürlich aufzupassen, dass hier im Zoologischen Garten der Regierung keinem Hundsaffen auf den Schwanz getreten und keine Laus geknickt wird. Ich würde unterdessen mit Ihrem Ungetüm von Knipskasten und dem Feldgeschrei ›Bitte, recht freundlich!‹ den Büffeln und Simbas nachsausen und trotz aller Schinderei, einen Mordsspass daran haben. – Übrigens habe ich vorhin ein paar von meinen Kerlen mit Ihrem Nyampara fortgeschickt, den gestern in Ausübung seines Berufs Verunfallten hereinzuholen. Ihre Leute sind doch in der Hauptsache Wanyamwezi, nicht wahr? Beobachten Sie nachher mal, wie sie über das Fleisch des Simbas herfallen werden; sie bilden sich nämlich ein, dass es ihnen seinen Mut verleiht. – Der Askari, den Sie dort stehen sehen, passt auf, dass meine Bande sich nicht an den Eber heranmacht, denn den sollen Sie und Ihre Leute sich zu Gemüte führen. Wir kriegen daheim Fleisch genug, denn ich halte eine Herde Vieh auf meinem Posten. Wollen wir jetzt mal in die Dunkelkammer gehen und Ihre gestrigen Aufnahmen entwickeln? Ich bin selber mächtig gespannt darauf.«

»Ja, aber da fällt mir etwas ein. Mein Nyampara behauptet, dass die Verewigte da draussen eine ganz bestimmte Löwin sei, von der wir wissen, dass sie Junge hat, und wir wissen auch, wo sie sind. Was meinen Sie, sollten wir nicht ein paar Mann hinschicken, um den Versuch zu machen, die kleinen Biester zu greifen?«

»Selbstverständlich!« sagte er und stiess auf zwei Fingern einen schrillen Pfiff aus. »Wollen Sie einen haben, um ihn aufzuziehen? Sie müssen ihn natürlich später, wenn er gross genug ist, um den Transport zu überstehen, an die Regierung abliefern. Aber wann er gross genug ist, das entscheide ich!« fügte er, mit einem Auge blinzelnd, hinzu und gab dem Askari, der auf seinen Pfiff herbeigestürzt kam, die entsprechenden Befehle.

Als wir einige Stunden darauf aus der Dunkelkammer herauskamen, fragte ich meinen Gast mit trübem Lächeln, ob er jetzt immer noch so gern mit mir tauschen würde. Von den sechzehn Aufnahmen hatten sich vier, die auf dem Stativ gemacht worden waren, als vollständig verwackelt herausgestellt; zwei weitere waren hoffnungslos unterbelichtet und die fünf zuletzt erlangten völlig schwarz. Als Gesamtergebnis blieben also fünf gelungene Aufnahmen, und das waren gerade die nichtssagendsten. Wie ich dann herausfand, waren die Beine des Stativs so ausgetrocknet, dass die Klemmschrauben nicht mehr recht fassten, und an der Kamera funktionierte der Compurverschluss nicht mehr. Delafontaine setzte sich hin und mühte sich stundenlang vergeblich damit ab, ihn wieder in Ordnung zu bringen. So nahm er ihn, als er anderntags nach Simba aufbrach, mit, um ihn nach Nairobi zur Reparatur zu schicken. Zurück erhielt ich ihn nach neun Wochen, bis dahin musste ich mich mit dem schwierig zu handhabenden Schlitzverschluss meiner Kamera begnügen.

Die nach den Löwenbabies ausgeschickten Leute kamen am Nachmittag mit der Meldung zurück, dass sie eines der Kleinen tot und von Ameisen wimmelnd aufgefunden, von dem zweiten aber keine Spur entdeckt hätten. So musste ich betrübt die Hoffnung aufgeben, wieder einmal, wie vor langen Jahren in Amerika, kleine Raubtiere unter den Händen zu haben. – Der Kadaver ihrer Mutter wurde von meinen Leuten tatsächlich binnen drei Tagen weggeputzt, und lange Zeit hindurch noch hütete jeder als seinen grössten Schatz ein Klümpchen Löwenfett, dem nach Überzeugung der Schwarzen Heilkraft gegen vielerlei Schäden des Leibes und der Seele innewohnt. An der Lende des Ebers aber bissen mein Gast und ich uns beim Mittagessen beinahe die Zähne aus; eine gebratene Schuhsohle hätte auch nicht zäher sein können. Und mit meinen erträumten Vorräten von Schweineschmalz wurde es ebenfalls nichts, der Körper des alten Haudegens wies kein Gramm überflüssiges Fett auf; alles an ihm war Sehnen und Muskeln. » Well, wenn er nicht derartig in Form gewesen wäre, hätte er die Löwin nicht knockout schlagen können«, grinste Delafontaine und gab den hoffnungslosen Kampf mit dem Schweinebraten auf.

Am Spätnachmittag unternahm ich auf seinen Wunsch mit ihm zusammen noch einen kleinen Kamerabummel. Ich war nur mit halbem Herzen dabei, denn mich bedrückte das klägliche Resultat von gestern unsagbar. Und doch sollte mir auf diesem Spaziergang – denn als viel mehr betrachtete ich unser Unternehmen nicht – ein gänzlich unverhofftes Glück blühen.

Angesichts einer vielhundertköpfigen Herde von Zebras, die wir nach einer knappen Marschstunde in Sicht bekamen, die aber, was Sonnenstand und Windrichtung betraf, denkbar ungünstig stand, hatte mein Begleiter den gescheiten Gedanken, mir die Tiere zuzutreiben. Ich legte mich mangels jeder Deckung mit den beiden schussfertigen Kameras platt auf den Boden, und Delafontaine machte sich, glühend vor Eifer, an die Aufgabe, erst einmal ungefähr zweihundert Meter weit auf dem Bauche durch niederes Gras zu kriechen, um in Deckung einer Reihe kleiner Dornbüsche zu kommen. Ich grinste, als ich langausgestreckt im Grase lag, still vor mich hin – wer jemals in der Nachmittagshitze auf dem Bauche über einen Steppenboden, der wie ein Backofen glüht und in der Hauptsache aus mehr oder weniger frischen Dunghaufen, bissigen Ameisen und nadelspitzen Dornen besteht, gekrochen ist, der weiss, warum ich grinste.

Es kostete ihn eine gute Weile, wie ich an der Bewegung des Grases sah, bis er endlich die schützenden Sträucher erreicht, und dann noch eine weitere halbe Stunde geduckten Schleichens, ehe er den Halbkreis vollendet hatte. Ich hatte unterdessen beim blossen Stilliegen Hemd und Hose durchgeschwitzt und japste förmlich nach Luft. Doch die Sache gelang und sogar über alles Erwarten gut. Auf einmal entstand eine Bewegung in der gedrängten Masse der Tiere, und im nächsten Augenblick dröhnte der hartgebrannte Steppenboden unter Tausenden von galoppierenden Hufen. Mir wurde angesichts der schnurgerade auf mich zufegenden Lawine ein bisschen unheimlich zumute. Als sie noch etwa hundert Meter entfernt war, fuhr ich in die Höhe, zum Photographieren, aber notfalls auch zum unverzüglichen Auskratzen bereit, visierte mit hörbar klopfendem Herzen flüchtig an, drückte ab, machte nach blitzschnellem Umdrehen der Kassette noch eine zweite Aufnahme mit der grossen Kamera und griff dann nach dem Kodak.

Die heranbrausende Woge hatte sich bei meinem plötzlichen Erscheinen in zwei Ströme geteilt; in dreissig bis vierzig Schritt Entfernung brauste die Masse der flüchtenden Tiere staubaufwirbelnd, prustend und schnaufend an mir vorüber, und mit fliegenden Händen, aber nunmehr völlig ruhig und besonnen arbeitend, knipste ich den ganzen neueingesetzten Film herunter. Selten hatte ich eine derartige Masse der schönen Tigerpferde in vollem Galopp und aus solcher Nähe betrachten können, von photographieren ganz zu schweigen.

Hätte mir noch eine geladene Filmkamera zur Verfügung gestanden, so hätte ich doppelt so viele Aufnahmen machen können. Als der letzte Nachzüglertrupp an mir vorbeigefegt war, kniete ich mich am Boden hin, um die Kassette der grossen Kamera auszuwechseln, als mich ein fernes »Hallo!« Delafontaines aufschauen liess. Ganz allein und keine fünfzig Meter von mir entfernt kam ein Gnubulle mit neugierig ausgestrecktem Halse auf mich zugetrollt. Als ich, die gezückte Kamera in der Hand, dann plötzlich in die Höhe fuhr, blieben ihm vor Erstaunen zugleich Verstand und Gehwerk stehen; offenbar hatte er in seinem Leben noch nie ein Wesen erblickt, das urplötzlich noch einmal so gross werden konnte. – »Rsss!« ging der Schlitzverschluss; der Gnubulle spitzte die Ohren, kam, während ich die Kassette wendete, noch ein paar Schritte näher heran und wurde von mir zum zweiten Male verewigt. Als sich dann aber das sonderbare zweibeinige Wesen auf einmal wieder kleiner machte – es bückte sich nämlich nach dem Kasten, um eine andere Kassette herauszunehmen –, wurde dem alten Zottelbart die Sache denn doch zu unheimlich. Er machte ein paar verrückte Hopser steil in die Höhe, warf sich herum, feuerte mit beiden Hinterbeinen nach mir aus und wurde, als er noch einen abschliessenden Bockssprung ausführte, ehe er gesenkten Kopfes davonstob, ein drittes Mal konterfeit.

Mein Begleiter, der das Ganze von weitem beobachtet hatte, warf vor Freude seinen Hut in die Luft, rannte, über das ganze, vor Schweiss und Dreck fast unkenntlich gewordene Gesicht strahlend, herbei und fragte atemlos, ob ich vor allem den verdrehten alten Ziegenbock richtig erwischt hätte.

Ich nickte ebenso strahlend und war mit seinem Vorschlag ganz einverstanden, jetzt stracks nach Hause zu laufen, um mit der Ausbeute sofort in der Dunkelkammer zu verschwinden. Der kürzeste Heimweg führte über die obere Wasserstelle. Bis auf den hier ansässigen Marabu, der diesmal, weil ich nicht allein kam, mein Erscheinen mit missfälligem Schweigen beobachtete, rührte sich nichts Lebendiges um den von rotem Abendlicht überfluteten Tümpel herum. Ich zeigte Delafontaine meinen Ansitz und dann den darunterliegenden Holzblock der Nashornfalle, der mich damals um Haaresbreite in die ewigen Jagdgründe befördert hätte.

»Ja, hierzulande hat man hundert Gelegenheiten, auf ungeahnte Weise abzuschrammen, und Ihnen bieten sich hier sogar noch ein paar mehr«, sagte mein Begleiter tiefsinnig und liess sich seufzend auf dem Block nieder. Er bot mir eine Zigarette an und steckte sich selbst eine in den Mund. Um die Flamme des Streichholzes vor dem frischwehenden Abendwind zu schützen, hielt er es tief hinter den Block hinab und bog das Gesicht darauf nieder. Ohne dass er seine geduckte Stellung verändert hätte, hörte ich ihn plötzlich leise sagen: » I say – bend down, bend down here, Heye! But be very careful – Bücken Sie sich, aber seien Sie sehr vorsichtig!«

Geräuschlos kauerte ich mich neben ihm nieder, folgte dem Blick seiner Augen durch eine Lücke des Gezweigs und krampfte unwillkürlich meine aufgestützte Hand in seine Schulter – drüben, jenseits des Wassers, trat soeben ein prachtvoller Mähnenlöwe langsam aus dem Gestrüpp heraus. Er stand gerade vor der untergehenden Sonne. Nur der obere Rand ihrer rotflammenden Scheibe war noch über den flachen Hügeln sichtbar, wie eine Gloriole leuchtete die Mähne um den erhobenen mächtigen Kopf in ihren Strahlen.

»Schnell, schnappen Sie ihn!« flüsterte Delafontaine.

»Ja. Aber er ist in Bewegung, und das Licht ist ohnehin verdammt knapp«, raunte ich schweratmend, während ich hastig den Kodak bereitmachte.

» Allright, ich stoppe ihn. Sagen Sie, wenn Sie fertig sind!« flüsterte er zurück, die Augen unverwandt auf den Löwen gerichtet und zwei gespreizte Finger an die Lippen gedrückt.

Mir schlug das Herz bis zum Hals herauf, als ich den Löwen in den Sucher nahm. Wie aus dem glühenden Himmel herausgeschnitten stand seine gedrungene Gestalt einen Augenblick drüben auf dem Uferhang, dann setzte er sich wieder in Gang – in ein paar Sekunden musste er drunten und mit dem Hintergrund verschwommen sein! –»Jetzt!« flüsterte ich, im gleichen Augenblick stiess mein Begleiter einen gellenden Pfiff aus, der Simba warf den Kopf hoch und stand bewegungslos und »klick« ging der Verschluss.

Fast gleichzeitig schnellte Delafontaine sich von seinem Sitz auf, sprang hinaus und schwenkte unter besessenem Gebrüll seinen Hut hin und her. Ich hatte sogleich weitergedreht und neugespannt, aber als die zweite Aufnahme klickte, fuhr mir gerade Delafontaines Arm mit dem Hut ins Bild.

Nunmehr stürzte ich ebenfalls hervor, drehte schon unterwegs hastig weiter, doch in der Sekunde, da ich wiederum abdrückte, wusste ich, dass ich mir diese Aufnahme hätte sparen können – der Simba hatte sich mit drohendem Grollen niedergeduckt; nur der schlagende Schweif und ein Stück des Kopfes waren noch, schwach beleuchtet, sichtbar. Unablässig knurrend lag er in zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Entfernung uns gegenüber und stand nicht wieder auf.

»Scheint ein ungemütlicher alter Kater zu sein«, sagte Delafontaine und sah mich unsicher an. Wir waren beide unbewaffnet, und zudem wurde es rasch dunkel. So drückten wir uns, verfolgt von dem wütenden Grollen des Simbas, rückwärtsgehend wieder unter die Bäume und folgten dem Nashornwechsel bis auf die freie Steppe hinaus. Das letzte Stück des Heimwegs legten wir, von Ungeduld getrieben, im Laufschritt zurück.

Delafontaine war fast noch aufgeregter und begeisterter als ich selbst, als in der Entwicklungsschale die Konturen der Zebras und des Gnubullen mit seinen komischen Kapriolen erschienen, und auf sein Drängen hin entwickelte ich dann, unter Opferung des ungebrauchten halben Filmes, auch noch die Aufnahme von unserem unerwarteten Besucher am Wasserloch. Die erste, die ich von ihm gemacht hatte, war bis auf eine verschwommene Stelle im Vordergrund, wahrscheinlich ein ins Blickfeld hängender Zweig, sehr gut und eindrucksvoll, obwohl sie das Tier naturgemäss nur als Silhouette zeigte. Die zweite erwies sich durch den rudernden Arm meines Begleiters und die dritte durch das Niedersinken des Löwen als verdorben. Ganz hervorragend gelungen waren die Bilder des Gnus und, bis auf drei völlig unscharfe, auch die der Zebras. Bei diesen dreien hatte ich die Tiere nicht aufgenommen, während sie auf mich zukamen, sondern als sie seitlich an mir vorbeistürmten, und dazu war die Hundertstel-Sekunde, die mir mit dem Kodak zur Verfügung stand, noch zu lang gewesen.

Mein Gast war über den photographischen Erfolg dieses kurzen Spaziergangs schier ausser sich, und es tat seiner Begeisterung keinerlei Abbruch, dass ich immer wieder darauf hinwies, wie selten einem bei der Kamerajagd solch ein Glück und wie häufig einem unendliches Pech begegnet. Als er am nächsten Morgen mit seinem Tross von vierundzwanzig Leuten abmarschierte, schwor er, dass er alles daran setzen wollte, einmal vierzehn Tage von seinem Posten abzukommen, um sie hier mit diesem »grandiosen Sport« zu verbringen.

Mze und die vier Träger begleiteten ihn bis zur Station, um noch eine Anzahl Bretter und ein paar Säcke Proviant herüberzuholen. Nach vollen neun Tagen kehrten jedoch nur der Nyampara und die Träger Mlomu und Umbogo zurück. Die beiden andern hatten anscheinend genug von dem einsamen Leben in Ol Matun gehabt und waren, ohne sich um ihren rückständigen Lohn für diesen Monat zu kümmern, auf der Station spurlos verschwunden. Ich sollte allerdings früher, als ich dachte, Ersatz für die Entwichenen erhalten, denn ein paar Wochen nach dem Besuch des Distriktskommissars bekam ich Zahnweh. Da ich in diesen Wochen mit meinen beiden Ndorobbo fast dauernd unterwegs auf Bilderjagd und dadurch völlig in Anspruch genommen war, fiel es mir anfangs nicht besonders schwer, den kranken Beisser einfach zu ignorieren. Doch er brachte sich mit der Zeit immer nachdrücklicher in Erinnerung. Eine Weile noch verbiss ich den Schmerz; als mir aber zuletzt die Backe aufschwoll, so dass ich den Mund fast nicht mehr öffnen konnte, hielt ich es nicht länger aus. Ich bat meine beiden langbeinigen Weggefährten, während meiner Abwesenheit dann und wann einmal im Lager nach dem Rechten zu sehen, und brach eines Morgens mit allen meinen Leuten nach der Station auf. Nach dreitägigem, furchtbar heissem Marsche, auf dem ich mich in der Hauptsache von Aspirin ernährte und dennoch vor Schmerzen fast verrückt wurde, langte ich in Simba an und fuhr nach einer Nacht, die ich nicht gerne noch einmal erleben möchte, anderntags allein nach Nairobi weiter.

Es war eine Wurzelhautentzündung. Für ihre Behandlung und für ein paar andere kleine Reparaturen wurde mir eine so hohe Rechnung vorgelegt, dass mir vor Schreck die Luft wegblieb. Ich musste um Ratenzahlung bitten, und nach Bezahlung der nicht minder gepfefferten Hotelrechnung und nach einigen Einkäufen an Photomaterial und Medikamenten nahm ich an barem Gelde noch drei Rupien und dreissig Cents mit zurück nach Ol Matun. Ausserdem auch zwei neugeworbene Träger und fernerhin noch etwas, das erst nach mehr als zwei Wochen zum Ausbruch kam, nämlich eine neue Malariainfektion. Sie war nicht ganz so schwer wie meine erste; nach fünf Tagen konnte ich wieder aufstehen, und die Zeit der Genesung benutzte ich, um von früh bis abends Zeitungsartikel zu schreiben. Ich musste mir unbedingt Mehreinnahmen verschaffen, um die sündhafte Zahnarztrechnung bezahlen zu können. Es wäre mir wohl trotzdem kaum gelungen, sie zu begleichen, wenn nicht Delafontaine vier Monate später, am 22. Dezember, tatsächlich zu einem »Weihnachtsferienaufenthalt« in Ol Matun erschienen wäre und beim Abendessen in plötzlicher Erinnerung einen verschwitzten Briefumschlag aus der Hosentasche gezogen und mir grinsend zugeschoben hätte. Darin befanden sich sechs Zehndollarnoten, der Erlös für die in Amerika verkauften Büffelaufnahmen.


 << zurück weiter >>