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Zwölftes Kapitel

Die schwierigen Leuen – Wettlauf zwischen Nashorn und Ndorobbo – Der photographierte Tünchpinsel – »Den Seinen schenkt's der Herr im Schlaf ...« – Zwei kostbare Dokumente – Schlachtfest, Weihnachtsfeier und ein Begräbnis in Ol Matun – Die Sänger des Urwalds – Ein Totschlag und seine Vorgeschichte – Das Schweigen der Wildnis – Ein Halsabschneider aus Hindostan

 

Bis zu diesem Zeitpunkt belief sich meine photographische Ausbeute auf rund hundertundvierzig brauchbare Aufnahmen, von denen etwa fünfzig schon veröffentlicht oder auf dem Wege zur Veröffentlichung waren. Der Prozentsatz meiner Fehlaufnahmen hatte sich zwar in letzter Zeit allmählich vermindert, war aber immer noch viel zu hoch. Und das Bedrückendste dabei war, dass ein guter Teil davon nicht etwa durch widrige Umstände und Zufälle, sondern durch eigene Fehler bei der Arbeit mit der Kamera oder in der Dunkelkammer verschuldet war. Besonders in den sechs Wochen nach meiner letzten Malaria hatte ich mir unter dem unheilvollen Einfluss des täglich eingenommenen Chinins eine ganze Reihe schier unglaublicher Dummheiten geleistet und mir viele Aufnahmen verdorben, die ich nur unter schweren Strapazen oder durch selten günstige Zufälle erlangt hatte.

Die allermeisten Bilder zeigten natürlich die mannigfaltigen Antilopen- und Gazellenarten, die neben den Alltagserscheinungen der Gnus und Zebras die Steppen Ostafrikas bevölkern.

Von meinem Ansitz am Wasserloch aus hatte ich auch eine Anzahl recht guter Aufnahmen von allerlei Sumpfvögeln und ein halbes Dutzend ganz vorzüglicher Bilder des Marabus erzielt, mit dem ich mich nach und nach dadurch angefreundet hatte, dass ich ihm bei jedem Besuch am Wasserloch einen Brocken Corned beef mitbrachte. Auch waren mir nach stundenlangen Geduldsproben auf meiner Kanzel verschiedene Bilder von Affen und von den überall vorhandenen, aber sehr scheuen und heimlichen kleineren Raubkatzenarten gelungen und eines besonders glückhaften Tages auch drei von einem tränkenden und sich suhlenden Nashornbullen. Allerdings nahm das alte Rauhbein auf dem Heimweg plötzlich Anstoss an meiner herabhängenden Strickleiter, fuhr darauf los, so dass mein ganzer Baum wackelte, riss die Leiter schliesslich herunter und stampfte sie in den Morast hinein. Ich konnte droben nichts andres tun als das Untier mit morschen Holzstücken und den grässlichsten Flüchen und Verwünschungen aus sieben Sprachen bombardieren.

Mit den Ndorobbo war ich noch zweimal in die Berg-Urwälder hinaufgegangen, um Elefantenherden tagelang durch dick und dünn zu verfolgen. Doch bei den drei Aufnahmen, die ich schliesslich mit Ach und Krach erlangt hatte, war es schade um die Platten gewesen; im Dämmerlicht dieser Urwälder liessen sich angesichts der geringen Lichtstärke und Lichtempfindlichkeit der damaligen Objektive und Platten keine guten Aufnahmen erzielen. Und bei der einzigen Gelegenheit, da ein Trupp der Dickhäuter von meinen Führern in der Steppe gesichtet worden war, legte ich mit ihnen zusammen hinter den grauen Riesen her einen der wahnsinnigsten Märsche meines ganzen Lebens zurück, um am dritten Tage schliesslich doch unverrichteterdinge auf der Steppe liegenzubleiben. Mein einziger Trost dabei war, dass auch meine beiden menschlichen Rennmaschinen liegenblieben.

Wir waren in einer solchen Verfassung, dass unser Anblick sogar das Herz der grausamen afrikanischen Götter gerührt haben muss, denn auf dem Heimweg am andern Tage kam ich gänzlich unerwarteterweise zu der besten und eigenartigsten, aber auch gefährlichsten Nashornaufnahme, die ich jemals gemacht habe. Das Tier – es war ein weibliches, von einem halberwachsenen Jungen begleitetes Stück, – kam plötzlich aus einem Sansiverengestrüpp heraus – und auf meine beiden an einem Feuerchen sitzenden Gefährten zugeschossen. Ich stand, die Kamera auf dem Stativ, zwölf Meter von ihnen entfernt und wollte die beiden gerade aufnehmen!

Ich bin heute noch stolz darauf, dass ich die Nerven besessen habe, schnell abzudrücken, ehe ich, natürlich unter Zurücklassung der Kamera, abbrauste. Und zwar wohlweislich in andrer Richtung als meine behenden Genossen; es gab dort herum nämlich keinen Baum, den man ersteigen konnte.

Das giftige alte Ungetüm beachtete mich jedoch gar nicht, und das Nashorn, das einen fliehenden Ndorobbo erwischt, muss wahrscheinlich erst noch geboren werden. Die beiden schlugen Haken, wie sie kein Hase fertiggebracht hätte, und gewannen mit jedem Kurswechsel einen kleinen Vorsprung. Als sie schliesslich noch in entgegengesetzter Richtung auseinanderstoben, brauchte das dumpfe Gehirn ihres Verfolgers so lange Zeit zur Überlegung, wem es nun nachrennen sollte, dass die zwei bereits hinter ein paar Dornbüschen ausser Sicht waren, als es endlich zu einem Entschluss gekommen war. Ich hatte unterdessen ebenfalls einen Haken zurück zu meiner Kamera geschlagen, und als ich sie mir samt dem Stativ über die Schulter schwang, schlug dem Kalb, das glotzend in der Nähe stand, ein solcher Schrecken ins Gemüt, dass es plötzlich polternd die Flucht ergriff. Worauf seine Mutter prompt von den Ndorobbo abliess und sich ihm zuwendete. Am Abend des nächsten Tages betrachtete ich daheim in meiner Dunkelkammer strahlenden Antlitzes die Aufnahme eines in voller Fahrt auf den Beschauer zukommenden Nashorns und eines gerade aus dem Vordergrund des Bildes herausspringenden, baumlangen Ndorobbos. Es wurde im nächsten Frühjahr in der englischen Zeitschrift »Wild Life« veröffentlicht und brachte mir zehn gewichtige Sovereigns ein.

Was mir aber seit jenem scherenschnitthaften Bild am Wasserloch nie mehr hatte glücken wollen, das waren Löwenaufnahmen. Gewiss sind diese Raubtiere überwiegend nachts unterwegs, dennoch aber hatte ich bei meinen Pirschgängen mit der Kamera schon mehrfach auch am Tage Löwen zu Gesicht bekommen. Meistens hatte es sich dabei um einzelne oder um ein Ehepaar gehandelt, einmal war es aber auch ein Rudel von fünf und ein andermal sogar eines von sieben Tieren gewesen. Stets war aber entweder die Entfernung zu gross, oder das Licht war, da diese Zusammentreffen meistens früh am Morgen oder abends gegen Sonnenuntergang stattfanden, ungenügend. Manchmal hatten sich die Simbas auch verdrückt, ehe ich mit der Kamera bereit war, und in zwei Fällen, als die Sache allzu bedrohlich aussah, war ich selber es gewesen, der sich verdrückt hatte.

Bei der Begegnung mit den sieben hatte ich allerdings eine Aufnahme, oder richtiger gesagt, eine Teilaufnahme von einem Löwen erzielt. Wir waren – meine beiden Führer, drei Träger und ich – zwecks Verfolgung einer Büffelfährte in einer Talmulde mit sehr hohem Grase unterwegs, als der vorausgegangene Ndonje hastig zurückgelaufen kam, um mir zu melden, dass er soeben gesehen habe, wie am jenseitigen Hange, etwas links von uns, eine ganze Anzahl Simbas ins Tal heruntergekommen seien. Wenn die Ndorobbo so etwas meldeten, konnte ich sicher sein, dass es stimmte; aber mit einer ganzen Anzahl von Löwen hier in diesem unübersichtlichen Gelände zusammenzutreffen, verspürte ich wenig Lust. So blieben wir, die Ohren gespitzt, die Umgebung nicht aus den Augen lassend, stehen, wo wir waren, und verhielten uns mäuschenstill. Und da wollte es der Zufall, dass alle sieben Simbas dicht vor und hinter uns unseren Pfad kreuzten. Ich selbst habe nur vier deutlich gesehen, mehrere meiner Leute aber sahen das ganze Rudel. Der vierte tauchte, etwa acht Schritt vor uns, links aus dem Grase, blieb verhoffend und in voller Sicht ein paar Sekunden auf dem breitausgetretenen Büffelpfad stehen und blickte uns an. Es war ein etwas ruppig aussehender, alter, mähnenloser Bursche; die meisten ostafrikanischen Löwen weisen aus unbekannten Gründen keine Mähnenzier auf.

Ich hatte auf alle Fälle den schussbereiten Kodak zur Hand genommen. Als aber der mächtige alte Kerl mir da gegenüberstand und mich mit einem Ausdruck unverkennbarer Geringschätzung betrachtete, fingen meine Hände an zu zittern; ich musste noch einmal absetzen, und als ich schliesslich doch abdrückte, war der Simba schon im Begriff, rechts im Grase zu verschwinden. Ich war der Meinung, wenigstens noch die hintere Hälfte von ihm erwischt zu haben, aber als ich das Bild dann entwickelte, zeigte es zu meinem Ärger lediglich einen Wald von hohen Grashalmen und an der Seite einen waagrechten Strich mit einem Klecks am Ende. Das Ding sah aus wie ein Tünchpinsel – es war der Schweif des Löwen.

Diese dauernden Misserfolge, gerade mit Löwen, beschäftigten mein Denken unablässig, denn bei all meiner Angst vor ihnen fühlte ich mich in unerklärlicher Weise zu den grossen gelben Katzen hingezogen. Deshalb richtete sich mein Ehrgeiz um so verbissener darauf, endlich einmal ein paar gute Aufnahmen von ihnen zu erzielen. Es gab ja so viele in dieser Gegend. Nacht für Nacht hörte ich sie draussen in der Steppe brüllen, immer wieder fanden wir auch frühmorgens Fährten von ihnen mitten in unserm Lager; in einer stockfinsteren Nacht während der Regenzeit war ich sogar einmal mit zweien zum Tränken herabkommenden dicht vor meiner Veranda fast zusammengeprallt; alltäglich kreuzte ich auf meinen Streifzügen Dutzende ihrer Fährten, und dennoch kam ich nie zu einer Aufnahme. Meine mit vieler Mühe und Geduld unternommenen Versuche, nächtliche Blitzlichtaufnahmen von Löwen am oberen Wasserloch und auch am Weiher von Ol Matun zu erzielen, hatte ich als hoffnungslos aufgeben müssen. Mir standen nicht die Geldmittel und wohl auch nicht die technische Geschicklichkeit zur Verfügung, um die dazu notwendige komplizierte Apparatur anzuschaffen und aufzubauen. Und alle an die beiden Ndorobbo gerichteten Bitten, doch einmal eine Löwenhöhle ausfindig zu machen, wo ich mich auf die Lauer legen könnte, waren vergeblich geblieben. Sie zuckten stets mit verlegenem Lächeln die Achseln, und ich gewann allmählich den Eindruck, dass sie aus irgendwelchen Gründen mit Löwen einfach nichts zu tun haben wollten.

Bei diesem Stande meiner Löwenangelegenheiten brauche ich mich wohl nicht über die Gefühle zu verbreiten, die mich überkamen, als mir Delafontaine nach seinem Eintreffen gleich als erstes vier prächtige Löwenbilder zeigte, die er selbst aufgenommen hatte. Sie zeigten drei Simbas, von denen einer eine sehr stattliche dunkle Mähne aufwies, beim Frühstück. Es bestand aus einem Ochsen, den Delafontaine von den Massai zum Schlachten erworben und über Nacht in der Nähe seines Hauses untergebracht hatte. Kurz vor Morgengrauen hatte er draussen einen sonderbar klingenden Schrei gehört, da aber gleich darauf wieder Ruhe eingetreten war, hatte er sich nicht erhoben, um nach dem Ursprung zu forschen. Bei Sonnenaufgang war er dann von seinem Boy mit der Nachricht aufgeweckt worden, dass draussen drei Simbas sässen und den Schlachtochsen verspeisten, und unter dem Baume, wo er genächtigt hatte, läge der Massai, der das Tier herübergebracht hatte, und wäre anscheinend tot. Worauf Delafontaine nach seinem Gewehr gelangt, aber in plötzlichem Besinnen erst den Kodak ergriffen und zum Fenster hinaus vier Aufnahmen von den Löwen gemacht hatte. Bei der vierten hatte es schon aus der Askarihütte heraus geknallt. Das aus dreissig Meter Entfernung aufgenommene Bild, das für ihn in Nairobi vergrössert worden war, zeigte die Tiere mit hochaufgerichteten Köpfen und in gespannter Haltung an ihrem Frasse stehen; es war eine der schönsten Löwenaufnahmen, die ich je gesehen hatte.

»Die Saukerle von Askari haben mir doch tatsächlich den alten Kater mit der Mähne glatt vor der Nase weggeschossen. Ich habe mit zwei Schüssen nur noch eine Löwin am Fleck erwischt, und der dritte Simba wurde anderntags von den Massai verendet in der Steppe gefunden. Meine Löwin hatte einen frischen Speerstich in der Schulter, und der Mann, der den Ochsen gebracht hatte, war wirklich tot. Sie hatte ihm mit der Tatze die Schädeldecke eingeschlagen und ihm auch noch die Gurgel durchbissen. Well, es gehört schon einiger Schneid dazu, mit dem Speer auf drei Simbas loszugehen, alle Achtung vor diesen Kerlen!« schloss mein Gast seinen Bericht und nahm nachdenklich einen Schluck. Dann fuhr er mit einem Grinsen fort: »Ich bin übrigens gespannt wie ein alter Regenschirm, was die wohlweisen Herren in Nairobi zu meinem Bericht über drei im Reservat abgeschossene Löwen von sich geben werden. Wie unsagbar blöd diese Brüder sind, können Sie sich gar nicht vorstellen, Heye! – Da, lesen Sie das mal! Es ist ein Briefwechsel, den ich eigens für Sie abgetippt habe. Das hier ist ein Ukas, den ich von der Administration der Wildreservate erhalten habe, nachdem ich ihr, samt einem entsprechenden Bericht, die Hörner eines Rhinos eingeschickt hatte, von dem ich mit meiner Safari damals auf dem Rückmarsch von hier angegriffen worden war. Ich hatte den alten Satan, als er nicht abliess, zwischen meinen Leuten herumzutoben, schliesslich abknallen müssen. Als ich diesen Brief gelesen hatte, wusste ich nicht, ob ich lachen oder heulen sollte. Dann habe ich mich hingesetzt, auf die Rückseite diese Erwiderung hier hingehauen und den Wisch mit Extraboten sofort zurückgeschickt.«

Als ich die Abschrift der beiden kostbaren Dokumente gelesen hatte, verschluckte ich mich geradezu vor Lachen. In dem einen bestätigte die Behörde den Empfang des Berichts und der mitgeschickten beiden Hörner, gab aber ihrer Überzeugung Ausdruck, dass sich bei pflichtgemässer Achtsamkeit derartige Zwischenfälle sicherlich vermeiden liessen. Sie erwarte jedenfalls, dass so etwas nicht wieder vorkomme! Und die Erwiderung des Distriktskommissars auf der Rückseite lautete, wörtlich übersetzt: »Das hängt ganz von den Nashörnern ab. Wenn die Genannten versprechen, mich nicht wieder anzugreifen, will ich sie meinerseits gern in Frieden lassen. Ich bitte also die löbliche Behörde, sich in dieser Angelegenheit an die Nashörner wenden zu wollen.«

»Und was ist daraufhin geschehen?« fragte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen.

» Well, ich habe niemals wieder etwas von der Sache gehört«, sagte mein Gast und sog mit stillem Grinsen an seiner Pfeife.

Wir feierten miteinander einen schönen und in Anbetracht eines riesigen Kalbsbratens auch einen sehr üppigen Weihnachtsabend – mein Besucher hatte es fertiggebracht, eine Kuh mit ihrem Kalb lebendig und wohlbehalten hundertfünfzig Kilometer weit durch tiefste Wildnis von Taveta bis nach Ol Matun zu bringen; einen Tag nach ihm waren zwei Massai und vier Askari mit den Tieren in meinem Lager angelangt.

Wir alle mussten dieses festliche Mahl allerdings mit einer fast schlaflosen Nacht bezahlen, die dazu einem unserer Leute noch zum Abschluss das Leben kostete. Die Düfte des an vielen Feuern schmorenden Rind- und Kalbfleisches schienen das Raubzeug der ganzen Umgegend herbeigelockt zu haben; denn zweimal drangen im Verlauf der Nacht Löwen geradeswegs in das Lager ein und mussten durch Lärm und Schüsse vertrieben werden. Einige weitere röhrten, grunzten und stöhnten im Chor mit ganzen Rudeln von Hyänen und Schakalen fortwährend in nächster Nähe. Und am andern Morgen gegen sieben Uhr, also bei vollem Tageslicht, brachte es ein frecher Leopard noch fertig, ein ganzes Rinderviertel, das Mlomu soeben zum Aufschneiden in den Schatten der Bäume niedergelegt hatte, zu packen und ins Dickicht zu schleppen. Das Gebrüll, das mein von dieser Tat ins Herz getroffene Kavirondo ausstiess, als plötzlich die Rindskeule verschwunden war, brachte sämtliche anwesenden vierundzwanzig Menschen in Bewegung; alles stürzte blindlings dem Räuber nach. Mze und ich waren die ersten, die zwar nicht ihn selbst, dafür aber das gestohlene Gut, zwischen die Stämme zweier Bäume eingeklemmt, entdeckten. Wir riefen die anderen herbei, und während wir noch, in der Hoffnung das Raubtier zu erspähen, in das Dunkel der Baumkronen hinaufstarrten, hörten wir aus einer Gruppe wilder Bananen hinter den beiden Bäumen einen erschrockenen Ruf hervordringen. Wir liefen hin und sahen einen der Askari Delafontaines dort stehen; mit weitaufgerissenen Augen zeigte er auf einen blutüberströmten Menschenkörper unter den Riesenblättern der Stauden. Es war der Ombascha, der Unteroffizier der Askari, der da lag. Wie es zugegangen war, dass das Schicksal ihn ereilt hatte, wusste niemand zu sagen als nur er selbst, und er konnte es uns nicht mehr mitteilen. Dem Unglücklichen waren durch Bisse und Prankenhiebe Gesicht, Hals und Brust ganz fürchterlich zerfleischt worden; er starb, noch ehe wir ihn aufheben konnten.

Der tragische Vorfall hatte uns die Weihnachtsfreude gründlich verdorben. Wir begruben den armen Burschen gegen Mittag etwas oberhalb des Lagers, am Fusse einer herrlichen Raphiapalme.

Am Morgen des zweiten Weihnachtstages brachen mein Gast und ich in Begleitung der beiden Massai und der Askari zu einem längeren Streifzug in die Berge auf. Loldogo und sein Sohn, die ich gern mitgenommen hätte, hatten sich, seitdem Fremde im Lager waren, nicht mehr blicken lassen. Die photographischen Ergebnisse des dreitägigen Marsches waren nicht überwältigend. Ausser einigen schönen Landschaftsaufnahmen brachte ich nur ein paar Gazellen- und Straussenbilder mit heim, sowie zwei Aufnahmen von Colobusaffen, die etwas unterbelichtet, aber noch verwendbar waren. Bei einer Mittagsrast am Urwaldrand hatten wir in einer einzelstehenden Baumgruppe eine Horde der herrlichen tiefschwarzen Gesellen mit den langwallenden schneeweissen Haarbüscheln an Schwanz und Schultern entdeckt und einige der über die Massen scheuen Tiere nach stundenlangem geduldigem Belauern photographieren können. Sie sind die schönsten Vertreter des Affengeschlechtes auf der Welt und mit ihrem ruhigen, ernsten, ganz und gar nicht affenartigen Wesen und den summenden schwermütigen Chorgesängen, die sie allabendlich in den Tiefen ihrer Wälder anstimmen, wohl auch die seltsamsten.

Am Nachmittag des dritten Tages, als wir auf dem Heimmarsch begriffen waren, kamen uns etwa eine Wegstunde vor Ol Matun zwei Menschen im Trabe entgegengelaufen, die sich als mein Tumbo und der Nyampara Delafontaines herausstellten. Sie überbrachten eine erschütternde Nachricht: einer der Träger des Distriktskommissars hatte am Mittag im Streit meinen alten Mze erschlagen und – als die anderen ihn daraufhin hatten ergreifen wollen – einen meiner beiden neuen Träger am Arm schwer verletzt!

»Wir konnten ihn nicht halten, Bwana«, sagte Tumbo und zeigte auf eine Beule an seiner Stirn, »er war wie verrückt. Die anderen sind ihm nachgesprungen, wir beide aber sind bei Mze geblieben, bis er nach einer Stunde gestorben ist.«

»Ja, wie ist denn das gekommen? Weshalb haben sie miteinander gestritten?« fragte ich entsetzt.

»Ah, Matata, Bwana. Wegen einer Nashorn-Daua«, antwortete Tumbo in seiner mundfaulen Art und zuckte die Achseln. Nach und nach erfuhren wir von dem Nyampara und später dann im Lager auch von andern Näheres. Mze und der Träger, ein Mweru-Mann aus dem deutschen Gebiet, hatten einander schon vor Jahren in Nairobi kennengelernt, und als der Mann später in die Dienste Delafontaines getreten war, hatte ihm der Alte gegen schweres Geld ein Zaubermittel verkauft, das angeblich vor Angriffen von Nashörnern schützte. Der Träger war aber gerade einer jener beiden Männer gewesen, die vor vier Monaten auf dem Rückmarsch von Ol Matun von dem in die Safari einbrechenden Nashorn verletzt worden war. Er hatte bei dem Vorfall zwei Rippen gebrochen und danach lange Zeit krank gelegen. Auf seine ausdrückliche Bitte hin hatte ihn sein Herr jetzt wiederum mit nach Ol Matun genommen, und seit seinem Eintreffen hatte der Mann schon dauernd mit Mze herumkrakeelt, ihm vorgeworfen, dass er ihn betrogen hätte, und sein Geld zurückverlangt. Wie ich selber sehr wohl wusste, konnte man allerdings von dem Alten alles verlangen, nur kein Geld! Heute mittag hatte dann der Geschädigte bei einer neuen Auseinandersetzung den Nyampara an der Kehle gepackt und war von Tumbo, der mit dem Alten sehr befreundet war, zurückgerissen worden. Daraufhin war der Mann in solch rasende Wut geraten, dass er ein Buschmesser aufgerafft, dem Alten einen furchtbaren Hieb über den Schädel versetzt und auch nach dem abermals eingreifenden Tumbo ausgeholt hatte. Glücklicherweise hatte der Boy ihm den Arm beiseiteschlagen können, so dass er nur von der flachen Klinge an der Stirn getroffen worden war, dem herbeispringenden Tura aber hatte der Rasende den Oberarm bis auf den Knochen durchschnitten.

Der Mörder war noch nicht ergriffen worden; Delafontaine und ich schickten sofort alle verfügbaren Leute zu seiner Verfolgung aus, und ich ging traurigen Herzens daran, den toten Mze zu begraben. Ich hatte den alten Mann sehr gern gehabt. Er fand seine Ruhestätte neben dem von dem Leoparden getöteten Ombascha.

Die nach seinem Mörder ausgesandten Leute kamen nach und nach zurück, manche erst in später Nacht. Sie hatten keine Spur von dem Flüchtigen gefunden und entdeckten trotz eifrigem Suchen auch in den nächsten Tagen keine. Auf der Station war der Mann, wie ich später erfuhr, ebenfalls nicht gesehen worden, und so hat ihn wohl niemand mehr erblickt; er ist in der grossen Wildnis verschwunden, und die Wildnis versteht zu schweigen.

Die Wunde am Oberarm des Trägers Tura sah so gefährlich aus, dass mein Gast, der drei Tage darauf wieder nach Taveta zurückkehren musste, ihn mitnahm, um ihn auf dem Posten der sachverständigen Behandlung eines schwarzen Sanitätsfeldwebels zu übergeben. Der Mann ist dort auch ausgeheilt worden; als ich vier Monate später Delafontaine meinerseits einen Besuch abstattete, konnte ich Tura wieder mit nach Ol Matun zurücknehmen.

Vor seinem Abmarsch hatte der Distriktskommissar ein Protokoll des Vorfalls für die Polizeibehörde in Nairobi aufgesetzt, das auch von mir unterschrieben wurde. Etwa acht Wochen darauf brachten meine nach Station Simba geschickten Leute einen an mich gerichteten Brief eines indischen Händlers in Nairobi mit, in dem ich in kuriosem Englisch aufgefordert wurde, an den Absender einhundertundzwanzig Rupien einzuschicken. Der verstorbene Nanyakundoloma, wie mein alter Aufseher eigentlich geheissen hatte, habe bei ihm ein Darlehen von dreihundert Rupien – einschliesslich Zinsen! – aufgenommen und davon erst hundertundachtzig Rupien zurückbezahlt. Nach dem, was ich von diesen indischen Wucherern wusste, war anzunehmen, dass der Alte höchstens hundert Rupien in bar erhalten hatte. Das übrige waren »Zinsen« ... Ich habe dem Halsabschneider natürlich nie geantwortet.


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