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Neuntes Kapitel

Von unrechtmässigem Honig und unverschämten Drückebergern – Ein ganzer Film voll Büffelaufnahmen – Wilde Gäste in Ol Matun – »Mtoto« erweist sich als brauchbar – Meine vorletzte Geiss wird gestohlen – Ein dornenvolles Unternehmen – Unterschiedliche Freuden auf einem Ansitz – Pavianschlacht – Der Leopard – Wie es meinen fünf besten Aufnahmen erging

 

Von dem Tagesmarsch nach Ol Matun ist nur zweierlei zu berichten. Anlässlich der ersten Rast bemerkte ich einen allgemeinen Reichtum an Honig bei den Trägern, und ich fand meinen Verdacht bald bestätigt, dass die Burschen jene Honigtrommeln geplündert hatten, die uns schon vor vierzehn Tagen aufgefallen waren. Wie Mze erklärte, hatte er die Leute nicht von ihrem Vorhaben abbringen können, und auch die beiden kräftigen Maulschellen, die ich dem Rädelsführer verabreichte, konnten die Schandtat nicht mehr ungeschehen machen. Für den Fall, dass die rechtmässigen Eigentümer etwa bei mir vorstellig wurden, beschlagnahmte ich immerhin sogleich alle Kalebassen, die Restbestände des gestohlenen Gutes enthielten. Natürlich mit dem selbstsüchtigen Hintergedanken, andernfalls die süsse Labe meinem eigenen Magen einzuverleiben.

Das zweite bemerkenswerte Ergebnis dieses Marsches war ein ganzer Film voll Büffelaufnahmen, zu dem ich kurz nach dem Aufbruch von unserer Mittagsrast kam. Offenkundig handelte es sich um dieselbe Herde, die ich schon am Tage vorher gesichtet hatte. Als besonders gut erwiesen sich die Bilder allerdings nicht, denn die anscheinend beunruhigten Tiere hatten sich eilig gen Osten zu in Bewegung gesetzt, und dann war auch das Mittagslicht nicht günstig gewesen. Zudem zeigte der ganze Film auf einer Seite merkwürdige schwarze Streifen und Flecke, und erst nach langem Suchen entdeckte ich, dass der Balg der Kamera einen feinen Riss aufwies, der wahrscheinlich durch den gestrigen Fall vom Baum verursacht worden war. Ich besserte die Stelle aus; da ich aber keinen geeigneten Klebstoff besass, wurde sie immer wieder undicht, und sie hat mir im Laufe der Zeit noch manche Aufnahme verdorben.

Bei dem Halt hatte ich mir auch Mzes »Mtoto« ein bisschen näher besehen und gefunden, dass das erbärmlich magere Bürschlein ein sympathisches, weiches Kindergesicht besass und wenn auch über die Maßen scheu, doch offenen Verstandes und voll guten Willens war. So hing ich ihm mit der Weisung, mir immer auf den Fersen zu bleiben, Schrotflinte und Rucksack über und fragte dann die Leute, wer von ihnen die leichte Last des Kleinen – sie bestand aus einem Säckchen Reis für die Träger – mit übernehmen wollte. Da sich keiner meldete, untersuchte ich die Lasten und entdeckte dabei, dass zwei von Burtons Leuten, und zwar gerade die grössten und stärksten Kerle, mit je einem leeren Blechkanister auf dem Kopfe marschierten. Die Gefässe hatten in den ersten zwei Marschtagen Trinkwasser enthalten. Worauf ich mir die Mühe nicht verdriessen liess, alle vorhandenen Lasten auf ihr Gewicht zu prüfen und den beiden unverschämten Lümmeln dann die zwei allerschwersten und dazu einen ankurbelnden Tritt zu verabreichen.

Mtoto, wie ich das Bürschchen von da an ständig nannte, erwies sich als ein aufmerksamer Begleiter, der bald begriff, worauf es ankam. Dass er bei den Büffelaufnahmen eine Mordsangst hatte, konnte ich ihm nicht übelnehmen, denn ich selber hatte genügend – die schwarzen Riesenviecher erweckten den Eindruck geradezu ungeheuerlicher Kraft und Wildheit. Und trotz seiner armseligen Leibesverfassung war der Junge auch ein tüchtiger Fussgänger, denn nach den Aufnahmen liess mich meine Ungeduld das gemächliche Tempo der Safari nicht länger ertragen; ich lief mit Siebenmeilenschritten los gen Ol Matun, legte die restlichen zwanzig Kilometer bis dorthin ohne eine einzige Ruhepause zurück, und hinterdrein hastete mit hängendem Kopfe und vor Anstrengung aschgrau im Gesicht, aber unverdrossen und beharrlich, mein Mtoto.

Ich war selbst halbtot, als wir gegen fünf Uhr anlangten. Zu meinem Erstaunen kam mir Tumbo mit der Nachricht entgegen, dass gestern mittag plötzlich zwei Ndorobbo vor seiner Küche erschienen wären, von denen der eine in sehr gebrochenem Kisuaheli nach mir gefragt und etwas von gestohlenem Honig gesagt hätte. Sie wollten heute abend wiederkommen und mit mir reden. Demnach mussten die Nomaden vorgestern aus dem Hintergrund die Plünderung ihres Honigstocks beobachtet und dann die Strecke bis Ol Matun in einem Trabe zurückgelegt haben, um schon einen Tag früher mit der Beschwerde hier angekommen zu sein.

Als ich bei einbrechender Nacht aus meiner Dunkelkammer herauskam, die gewässerten Filme in der Hand, überfiel mich eine Sehnsucht sonderbarer Art – Sehnsucht nach einem Menschen, der sich über meine Aufnahmen mitfreute. Mir war es schon oft vorgekommen, als ob das Alleinsein in glücklichen Augenblicken weit schwerer zu ertragen sei als in schlimmen.

Inzwischen war die ganze Bande eingetroffen, spritzte und plantschte im Wasser herum, hatte bereits zwei gewaltige Feuer angezündet und erfüllte zu meinem Missfallen den Frieden von Ol Matun mit unziemlichem Lärm. Als letzter kam gerade Mze mit einer brennenden Laterne zwischen den Steinblöcken herab, und hinter ihm schritten zwei dunkle, fremdartige Gestalten her, die vor meinem Hause zögernd stehenblieben.

» Bwana, hier sind zwei Ndorobbo, die mit dir sprechen wollen«, meldete der Alte. »Sie können kein Kisuaheli, und sie wollen nicht ins Lager hereinkommen.« Es waren zwei hochaufgeschossene, magere Männer, die auf mein » Jambo!« und meine ausgestreckte Hand nur mit einem scheuen Zurückweichen und einem unsicheren Lächeln auf den scharfgeschnittenen, dünnlippigen Gesichtern antworteten. Ihre langen, mit einer Mischung von roter Erde und Fett eingeriebenen Haarschöpfe, die im Scheine meiner emporgehaltenen Laterne wie Kupferhelme glänzten, waren in zwei Zöpfe geflochten, die ihnen vorn über die Schultern herabhingen. Ausser einem Felltäschchen und einer Kalebasse trug der eine an einem Stirnband ein gefülltes Bastnetz auf dem Rücken. Als Bekleidung hing ihnen eine weichgegerbte Tierhaut, die am Halse festgehalten wurde, vorne und hinten bis auf die Oberschenkel herab. Jeder trug an einem Schulterriemen einen ledernen, mit einer Kappe verschlossenen Pfeilköcher, in der Linken einen etwa anderthalb Meter langen Bogen und in der Rechten einen kurzen Speer. Mit ihren langen, schlanken Händen und Füssen, den feinen Gelenken und den schmalen Köpfen hätten die beiden europäische Aristokraten sein können; Neger waren diese Menschen trotz ihrer dunklen Hautfarbe jedenfalls ebensowenig wie ich selbst. Auf meinen einladenden Wink nach dem Hause hin schüttelten sie verlegen die Köpfe, doch der eine nahm das Bastnetz vom Rücken, wickelte ein in Blätter eingehülltes Stück Fleisch aus und legte es mit ein paar halblauten, an den Alten gerichteten Worten vor meine Füsse nieder.

»Er sagt, dass es Thompson-Gazelle ist, Bwana«, übersetzte Mze. »Du kannst es unbedenklich essen, sie erlegen zwar das Wild mit vergifteten Pfeilen, doch sie schneiden die Wunde immer sogleich aus.«

Daraufhin ergriff ich fast mit Gewalt ihre beiden Hände, schüttelte sie kräftig, drückte sie dann an den Schultern zum Sitzen nieder und sagte dem Alten, er solle ihnen vor allem begreiflich machen, dass ich wirklich nicht bisse und nichts Übles gegen sie im Schilde führte. Ich liesse für das Fleisch danken; von der Sache mit dem Honig wäre ich unterrichtet und willens, ihn zu bezahlen. Sie sollten sich überlegen, was sie dafür haben wollten, ich würde jetzt gehen, um ein Geschenk für sie zu holen, und würde gleich zurückkommen. Sie sollten keinesfalls etwa davonlaufen, denn ich hätte noch mit ihnen zu reden und möchte sie gern zu Freunden und Helfern haben.

Bei meinem verzweifelten Nachdenken, womit in aller Welt man solche Gäste bewirten könne – denn dass sie auf Kaffee, Kakao oder Schokolade sauer reagieren würden, schien mir sicher –, war ich auf den Gedanken gekommen, ihnen einen Topf voll Honigwasser machen zu lassen. Ich gab Tumbo den entsprechenden Auftrag, ging dann ins Haus, kramte zwei Scheidenmesser, ein paar Schachteln Zündhölzer und eine kleine Büchse mit Näh- und Sicherheitsnadeln hervor und drückte diese Gegenstände den beiden Wildlingen in die Hände. Alles, das Honigwasser inbegriffen, fand ihren Beifall, den grössten allerdings eine Prise Schnupftabak, die ihnen dann der Alte anbot.

Damit war endlich das dickste Eis gebrochen, der Weg zum Herzen der Ndorobbo schien also durch die Nase und nicht durch den Magen zu führen, und ich beschloss, mir einen Vorrat von Schnupftabak zu bestellen. Nach und nach erfuhr ich, dass meine beiden wilden Gäste Vater und Sohn waren, dass ihre Sippe, die aus neun Köpfen bestand, schon immer die hiesige Gegend durchstreift hatte, und dass von ihnen auch jene heimtückische Falle am oberen Wasserloch errichtet worden war, und zwar für Nashörner. Sie seien abends schon öfters in der Nähe meines Lagers gewesen und hätten hereingeschaut, sagte der Ältere, der sich Loldogo nannte, und sein Sohn Ndonje hier habe vorgestern auch beobachtet, wie ich vom Baum herab die kämpfenden Büffel photographierte. Ob ich übrigens ein Bruder von Bwana Picha sei, der vor zwei Jahren hier gewesen war? Ein inzwischen verstorbener Bruder des Alten habe Bwana Picha damals als Führer gedient.

Bei dieser Bemerkung hakte ich ein und liess ihn fragen, ob er oder sein Sohn oder auch alle beide in meine Dienste treten wollten. Sie brauchten mir nicht ständig zur Verfügung zu stehen, es genüge mir schon, wenn sie mich dann und wann ein paar Tage lang begleiten würden. Vor allem liege mir daran, dass sie mir Nachricht brächten, wenn Elefanten in der Gegend auftauchten, und mich hinführten, so dass ich Bilder von ihnen machen könnte. Und vielleicht auch zu einem Platz, wo Löwen wohnten. Ich wollte sie dort belauern und sie photographieren, wenn sie herauskämen. Die beiden sollten sich meinen Vorschlag überlegen und mir an einem der nächsten Tage Bescheid geben.

Sie versprachen es und erhoben sich dann. Den Rest ihres Honigs, den ich ihnen anbot, lehnten sie ab, nahmen aber einen Laib von Tumbos missratenem Brot, nachdem sie ihn beschnüffelt hatten, mit dankbarem Lächeln entgegen. Dann verschwanden sie lautlosen Schrittes in der Nacht. Mze beantwortete meine Frage, ob er meine, dass sie wirklich wiederkämen, mit einem Achselzucken und einem philosophischen »Vielleicht, Bwana, vielleicht auch nicht.« Der Sinn dieser Wilden ändert sich so oft wie der Wind um Mittag.

Am zweitfolgenden Tage verteilte ich das übliche Bakschisch an die krakeelfreudige Trägerbande und schickte sie nach Simba zurück. John nahm noch verschiedene Postsachen und unter anderem eine Bestellung auf ein Kilo Schnupftabak mit. Als der letzte Laut ihres grölenden Marschgesangs verklungen war, sank wieder die Stille der Wildnis über Ol Matun herab.

Die nächsten Tage waren für mich mit Arbeiten in der Dunkelkammer und am Schreibtisch und mit Entdeckungsfahrten durch Burtons Geschenklasten ausgefüllt. Dabei kamen noch immer neue Überraschungen zum Vorschein, wie eine aufblasbare Matratze und zwei Kissen aus Gummistoff, ein ausgezeichneter kleiner Kompass, eine sehr lichtstarke elektrische Scheinwerferlampe, ein Paket Leuchtpatronen für die Schrotflinte und anderes mehr.

Mtoto erwies sich beim Umpacken, Einräumen und andern kleinen Hausarbeiten als sehr anstellig. Besonderes Interesse und, soweit das zu erwarten war, auch Verständnis zeigte er für alles, was mit Photographieren zusammenhing. Obgleich der Junge, der ein Mtaita war, nur wenig Kisuaheli verstand und noch weniger sprach, brachte ich ihn bald so weit, dass er meine Tageslichtkopien nach dem Fixieren selbständig wässerte, trocknete, presste und meine Apparate putzte und sauber hielt. Wenn er nichts zu tun hatte, so ass oder schlief er, und beidem konnte er sich so ausgiebig und so lange hingeben, dass er schon nach einer Woche mit einem schwarzglänzenden, feisten Bäuchlein herumlief. Sobald allerdings nach Sonnenuntergang draussen in der Steppe ein Löwe oder auch nur eine Hyäne hörbar wurde, fuhr er in die dunkelste Ecke der Trägerhütte hinein, zog sich eine alte Decke, die ich ihm geschenkt hatte, über die Ohren und war nicht mehr herauszubringen.

Als sich eines Nachts plötzlich ein furchtbarer Lärm im Lager erhob, die Leute mit Fackeln und Laternen aufgeregt durcheinanderstürzten und aus ihrem Gebrüll immer wieder die beiden Worte » Simba« und » Mbuzi« herausklangen, erlitt der kleine Kerl vor Angst einen epileptischen Anfall. Der Anblick war so schrecklich, dass er mich viel mehr bewegte als das Schicksal meiner vorletzten Ziege. Sie war aus einem gut zwei Meter hohen Kral, den die Leute erbaut hatten, herausgeholt worden, und zwar hatte, wie Mze behauptete, jene Löwin, deren Schuhnummer er gemessen hatte, die Palisaden übersprungen. Bis ich aus dem Bett heraus war und mit der Flinte am Tatort erschien, war sie natürlich mit meiner Geiss längst über alle Berge.

Mze aber nahm zusammen mit Tumbo und Mlomu, ohne dass ich davon wusste, am andern Morgen die Verfolgung der Fährten auf. Nach ihrer Rückkehr berichteten sie, dass das Tier, immer noch mit der Ziege im Rachen, in ein wildverwachsenes Dorngebüsch oberhalb der andern Wasserstelle hineingegangen wäre, und aus dem Gebüsch heraus hätten sie deutlich das Mauzen mehrerer Löwenbabies und das weiche Purren der Alten gehört. – » Bwana, es ist sicherlich dieselbe Löwin gewesen, auf die du damals zusammen mit Tumbo gestossen bist, denn jene Stelle ist gar nicht weit von ihrem jetzigen Lagerplatz entfernt. Sie hat dir an jenem Tage nur darum nichts getan, weil sie dich von ihrem Tränkplatz her kannte«, tat mir der Alte mit weisem Kopfnicken kund.

Ich schüttelte den meinen ob dieser sonderbaren Ansicht, beschloss aber, »unserer« Löwin sofort einen Gegenbesuch abzustatten, die Sache mit meiner Ziege zur Sprache zu bringen und die Löwin, wenn möglich, dabei vor das Objektiv zu bekommen. Das heisst, wenn mich im entscheidenden Augenblick nicht wieder der Mumm verliess!

Eine halbe Stunde darauf brachen wir auf, doch ich hätte mir die höllenheisse, schweiss- und bluttreibende Kriecherei auf der Sohle des Korongos entlang sparen können. Hier drunten war nicht einmal Platz für eine Aufnahme, geschweige denn Licht; das Ganze bestand aus einem wüsten Gewirr von Felsblöcken, zerschmetterten Baumstämmen und wildverfilzten Dornenranken, und je näher wir der » Njumba ya Bibi Simba – dem Hause der Löwin« kamen, desto undurchdringlicher wurde das Gewirr. Und als sich zuletzt noch einen Meter vor meiner tiefgebückten Nase plötzlich eine Puffotter zischend aufrichtete, schoss ich vor Schreck gleich mit solcher Wucht rückwärts, dass sich mir ein paar halbfingerlange Dornen in den Körperteil einbohrten, der beim gebückten Zurückprallen eben am stärksten gefährdet ist. Damit hatte ich genug und hinkte zerschunden und zerstochen wieder heim – ich hätte mir schon vorher überlegen sollen, dass eine Löwin mit Jungen natürlich den unzugänglichsten Schlupfwinkel wählt, den sie nur finden kann.

Die Angelegenheit hatte aber noch recht unangenehme Folgen für mich, denn eine der Wunden begann zu eitern und machte mir, bis sie nach fast zwei Wochen endlich ausgeheilt war, jeden Schritt zur Qual. Um die Zeit irgendwie auszunutzen, liess ich deshalb am oberen Wasserloch meinen geplanten Ansitz errichten. Er befand sich genau über der Nashornfalle, deren Block immer noch unberührt drunten lag; die Ndorobbo hatten sich bis jetzt hier ebensowenig wieder sehen lassen wie in meinem Lager. Mit der Fertigstellung des Bauwerks kam mir endlich auch die Erleuchtung, wozu Burtons Strickleiter bestimmt war; er hatte seinerzeit in Somaliland einmal erwähnt, dass er öfters von Ansitzen Gebrauch gemacht hatte, und dass ihm dabei die leicht transportable Leiter von grossem Nutzen gewesen war. Und nachdem ich zum ersten Male zwei lange Frühmorgenstunden hindurch droben auf meiner luftigen Kanzel unbeweglich gehockt und vergeblich auf etwas Photographierbares geharrt hatte, segnete ich auch, aus naheliegenden Gründen, seinen Einfall, mir die Luftkissen mitzuschicken.

Mit diesen bewaffnet humpelte ich am Spätnachmittag wiederum hinaus und sass nunmehr zwar besser, aber gleicherweise erfolglos droben, und dasselbe wiederholte sich noch eine ganze Reihe weiterer Tage. Wild war zwar fast ständig vorhanden, aber immer wieder trat ein anderer Umstand ein, der mich verhinderte, es auf die Platte zu bekommen. Vor allem machte mir die dichte Belaubung der umstehenden Bäume zu schaffen. Beim geringsten Lufthauch gerieten Zweige oder einzelne Blätter vor meine Ausgucklöcher, oder ein Vogel setzte sich ins Blickfeld, eine Wolke verdeckte im entscheidenden Augenblick das Sonnenlicht, die Tiere standen ungünstig oder waren zu weit entfernt, oder sie kamen plötzlich allzu nahe an meinen Standort heran, oder eine dicke Fliege setzte sich wie gezielt mitten auf das Objektiv, oder ich vergass, wenn es wirklich einmal so weit war, in der Aufregung, den Kassettenschieber herauszuziehen oder überhaupt die Kassette zu wechseln, und brachte dadurch zwei Bilder, nämlich die wunderschöne Szene einer tränkenden Wildsau mit fünf Jungen und die an sich gut gelungene Aufnahme einer Gruppe vorsichtig zum Wasser kommender Giraffen, auf dieselbe Platte. Einmal fiel mir auch, als ich mit unendlicher Sorgfalt und Vorsicht auf ein badendes Nashorn eingestellt hatte, plötzlich eine mitgenommene Kalebasse hinunter und rollte zu dem Tümpel hinab. Worauf das Ungetüm drunten, wie vom Teufel gebissen, aus dem Wasser heraus- und auf ein paar trinkende Zebras losfuhr, die gar nichts dafür konnten.

In den Nachmittagsstunden musste ich öfter die Sitzung wegen der peinigenden Moskitoschwärme vorzeitig abbrechen, und einmal wurde ich droben von einer Heeressäule » Siafu«, der schrecklichen Treiberameise Afrikas, überfallen. Obwohl ich sofort in wilder Flucht die Leiter hinunterfuhr, hatte ich bereits eine ganze Anzahl wie Feuer brennender Bisse abbekommen, und ein gutes Dutzend dieser Biester sass mir bereits in der Haut. Unten angelangt, hatte ich dann die Aufgabe, sie loszulösen, ohne dass der Kopf mit den Zangen im Fleisch hängen blieb, der andernfalls schwärende Wunden hervorrief. Und wie abgepasst trat, als ich hinter einem Busch noch still und eifrig mit dem Absuchen der Teufelsviecher beschäftigt war, drüben jenseits des Wassers, wundervoll von der Abendsonne beschienen, ein prächtiger Rappantilopenbulle aus dem Gebüsch und verharrte lange genug regungslos, dass ich eine ganze Serie von Aufnahmen hätte machen können – aber meine Kamera stand droben inmitten eines Gewimmels von vielen tausend bissigen Siafu!

Diese Pechsträhne hielt wieder fast eine Woche an; wie ich's auch anstellte, ich kam zu keiner Aufnahme und wollte schier verzweifeln. An den darauffolgenden Tagen glückten mir dann immerhin ein paar Bilder von Sumpfvögeln, von verschiedenen Antilopen und dann eine sehr schöne von einer Baumschlange, die sich, mit einem Vogelei im Rachen, plötzlich drei Meter vor der Kamera von einem Ast herabliess und eine volle Minute lang wie gebannt in die Linse starrte. Und eines Sonntagmorgens erzielte ich binnen zwei Stunden drei ganz ungewöhnliche Naturdokumente hintereinander. Die ersten zwei stellten Szenen aus einer Schlacht zwischen zwei Pavianhorden dar, die sich, kaum hundert Meter vom Lager entfernt, auf dem Grunde des Korongos abspielte. Die Kämpen hatten sich mit solcher Wut ineinander verbissen, dass sie gar nichts von meiner Annäherung merkten und das Warnungsgeschrei ihrer am Kampfe unbeteiligten Weiblichkeit überhörten. Als ich die Kassette zu einer dritten Aufnahme einsetzte, prallte ein Flüchtender, den ein anderer hinten am Schwanz gepackt hatte, buchstäblich gegen mich an, und erst dann stob die ganze Bande in panischem Schrecken davon.

Einer allerdings blieb zurück, ich fand ihn mit glatt durchbissener Kehle und einer zermalmten Pfote unter einem Baume liegend; er tat gerade die letzten röchelnden Atemzüge, als ich herantrat. Durch das Kampfgetöse herbeigelockt, kamen ein paar Träger vom Lager herüber. Ich gab ihnen Auftrag, das Tier heimzuschaffen und abzuhäuten, und ging dann allein weiter zu meinem Ansitz. Den Kadaver des Pavians assen Mlomu und Mtoto einträchtig miteinander auf – es sah aus wie eine Kannibalenmahlzeit.

Abgesehen von ein paar Reihern und Flamingos und dem fast ständig anwesenden Marabu, der mein Erscheinen mit hallendem Schnabelklappen begrüsste, lag diesmal das Wasserloch wie ausgestorben da. Nachdem ich schon eine reichliche Stunde unbeweglich droben gesessen hatte, rührte sich ausser dem rastlosen Grunzen und Wühlen eines Erdferkels im Unterholz noch immer nichts, und schon gedachte ich mir eine Zigarette anzuzünden und dann nach Hause zu gehen, als ich in den Laubmassen hinter mir ein leises, leises Geräusch vernahm. Ohne mir über den Zweck recht klar zu sein, drehte ich, während ich mich vorsichtig umwendete, auch den Kopf des nur einen Meter lang ausgezogenen Stativs mit herum und horchte und lugte dann lange Zeit reglos in die dunkle Baumkrone gegenüber hinein. Nichts rührte sich mehr darin. Ich wollte mich gerade wieder umdrehen, da rauschte es noch einmal und diesmal näher. Auf alle Fälle schraubte ich nunmehr den Auszug bis auf vier Meter vor und öffnete die Blende völlig – da traten drüben in einer Lücke des Geästes der tiefgeduckte Kopf und die flach vorwärtsgreifende Pranke eines Leoparden aus dem Halbdunkel.

Ich hatte vor einigen Tagen die Entfernung vom Ansitz bis zu den meistbenutzten zwei Tränkstellen genau ausgemessen, um die Mattscheibe weglassen und dadurch schneller arbeiten zu können, der Kassettenschieber war ebenfalls schon ausgezogen – der Herzschlag hatte mir beim Anblick dieses unsagbar wilden und tückischen Raubtierkopfes ausgesetzt, aber mit zusammengebissenen Zähnen drückte ich ab. Obgleich ich den Blick unverwandt auf ihn gerichtet hielt, hätte ich nicht sagen können, wie und wohin der Leopard im nächsten Augenblick verschwunden war; ich habe eine derartig unfassbare Schnelligkeit der Bewegung bei einem Tier nie wieder gesehen.

Eine ganze Weile noch stand ich wie erstarrt und vermochte es kaum zu fassen, dass auf jenem Ast dort soeben ein Leopard gewesen war, und dass ich wirklich die Ruhe aufgebracht hatte, ihn zu photographieren. Ich wusste, dass ich damit eine einzigartige Aufnahme erzielt hatte – wenn das Licht in dem tiefen, nur von einzelnen Sonnenstrahlen erhellten Baumschatten genügend gewesen war!

So schnell wie danach – wenn auch mit den Grimassen eines alten Schimpansen, denn die Wunde an meinem Oberschenkel tat noch immer niederträchtig weh – habe ich den Weg vom oberen Wasserloch zum Lager nie wieder zurückgelegt. Eine halbe Stunde nach meiner Ankunft hielt ich die entwickelte Platte, ängstlich spähend, bereits unter das rote Dunkelkammerlicht. Viel war und blieb allerdings nicht darauf zu sehen, denn die Aufnahme war erheblich unterbelichtet. Mit einer guten Retusche hätte sich aber sicherlich noch etwas Brauchbares herausholen lassen, wenn – ja wenn ...!

Als ich beim Mittagessen auf der Veranda einmal den Blick hob, erstarrte ich fast vor Entsetzen – der Bock mit den Platten, den ich zum Trocknen in den Hausschatten gestellt hatte, stand auf einmal mitten in der prallen Sonne! Ich wagte kaum hinzusehen, und ich glaube, mein Gesicht ist käseweiss geworden, als ich bemerkte, dass langsam eine schwarze Schmiere von den fünf Platten hinuntertropfte. Es war alles, was von den Bildern des Leoparden, der kämpfenden Paviane, der Flamingos und des damals bei den Elenantilopen aufgenommenen Nashorns übrig geblieben war. Mtoto hatte die Platten, weil sie doch auf diese Art viel rascher trockneten, vor einer Stunde in die Sonne gestellt ...


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