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Siebentes Kapitel

Ein Hafermusdieb auf vier Beinen – Das gekränkte Nashorn – Begegnung mit einer Löwin – »Herr, sie hat mich, sie hat mich!« – Vom Honigvogel und von weiterem Pech – Folgen eines Nachmittagsschlummers – Eine Nacht im Hyänenbau – Durst!

 

Am nächsten Morgen wurde ich durch einen Sonnenstrahl geweckt, der mir gerade ins Gesicht fiel. Noch schlafumfangen begann ich mich darüber zu wundern, wieso mich denn hier in meiner Hütte ein Sonnenstrahl erreichen konnte, und stellte schliesslich verblüfft fest, dass er sogar aus meiner Dunkelkammer kam. Im Grasbelag des Daches war auf einmal ein Loch vorhanden, das augenscheinlich irgendein unverschämtes Biest über Nacht hineingerissen hatte.

Als ich mit einer Handvoll Gras die Öffnung wieder verstopfte, befiel mich eine tiefe Bitternis bei dem Gedanken, dass ich noch immer keine einzige Tieraufnahme erzielt hatte, dass hier in der Dunkelkammer noch immer nicht die erste Platte mit jener hochgespannten Erwartung entwickelt worden war, die ich mir so oft ausgemalt hatte. Von draussen scholl schmetternder Vogellärm herein, und als ich den Türvorhang beiseiteschob, lag ein solcher Sonnenglanz auf dem Weiher, dass es mir die Augen blendete. Im kühlen Morgenwind wiegten sich die Wedel der Raphiapalmen, mit zwitschernder Geschäftigkeit umflatterten die honiggelben Webervögel ihre kunstreichen Nestgebilde, und am tiefblauen Himmel segelten weisse Wolken eilig dahin – alles war so frisch und freudig an diesem Morgen, dass mich auf einmal das ebenso bestimmte wie unerklärliche Gefühl überkam: »Heute machst du dein erstes Tierbild!«

Unter dem auf vier Pfählen ruhenden Dache, das Tumbos Küche darstellte, sah ich die Kaffeekanne über dem leise rauchenden Feuer und daneben, auf einem an Schnüren von der Decke hängenden Kistendeckel, den Teller und den Napf mit meinem Frühstück, von dem Koch aber keine Spur. Wahrscheinlich hatte er gestern beim Brotbacken alles Holz verbraucht und hatte sich nun aufgemacht, neues zu suchen.

Ich wollte gerade zurücktreten, um mich anzukleiden – da ging jemand, und zwar auf allen vieren, in die Küche hinein, richtete sich auf zwei Beine auf und streckte einen haarigen Arm nach meinem Essnapf aus ... ein Hundsaffe!

Unmittelbar neben dem Eingang meiner Hütte stand eine Kiste, und darauf lag, aufgeklappt, die Kodakkamera. Behutsam langte ich danach, stellte ein, ohne dabei den ahnungslosen Dieb aus dem Auge zu lassen, visierte ihn an und drückte ab. Er hatte in vollem seitlichen Sonnenlicht gestanden, den Hafermusnapf in der Hand, das angstvoll gespannte, faltige Affengesicht meiner Hütte zugewandt – wahrscheinlich hatte er im letzten Augenblick doch noch etwas gehört oder gesehen. Beim Klicken der Kamera fiel der Emailnapf scheppernd auf die Herdsteine, mit einem erschrockenen Grunzer fuhr der Affe aus der Küche hinaus, mit ein paar tollen Sprüngen zum nächsten Baum hinüber und unter meinem indianerhaften Freudengeheul in panischem Entsetzen den Stamm hinauf.

Nie in meinem Leben noch hatte sich eine Ahnung so völlig und so prompt erfüllt wie an diesem Morgen – ich hatte soeben meine erste Tieraufnahme gemacht, und ich wusste einfach, dass sie gelungen und in ihrer Ungewöhnlichkeit wohl auch recht wertvoll war.

Doch mein Glück an diesem Tage hielt noch an – vorläufig wenigstens! –, denn kaum zwei Stunden darauf hatte ich ein zweites Tierbild im Sack, beziehungsweise auf einer Platte der grossen Kamera. Und sein Gegenstand war, wenn auch nicht so harmlos-komisch, so doch entschieden ansehnlicher als der des ersten, nämlich ein Nashorn. Ich hatte draussen in der östlichen Steppe, in einem Gebüsch versteckt, bereits eine gute halbe Stunde lang ein Rudel äsender und sich langsam nähernder Elenantilopen belauert; immer wieder waren sie durch einzelne Büsche verdeckt worden und mir zuletzt schon ziemlich nahe gekommen. Da der Wind aber recht stark war und sehr günstig stand, wagte ich noch ein wenig zuzuwarten, um wenigstens eines der stattlichen Tiere in voller Sicht auf das Bild zu bekommen. Ein junger Bulle war mir am nächsten; da er jedoch hartnäckig den gesenkten Kopf hinter einem kleinen Strauch hielt, schob ich schliesslich – behutsam und vorsichtig – die aufgebaute Kamera ein Stück seitwärts, wo eine andere Lücke in meinem Gebüsch Durchsicht zu dem Kopf des Tieres bot. Ganz zufällig warf ich dabei einen Seitenblick in die Steppe hinaus, duckte mich unwillkürlich zusammen, drehte dann mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen den Stativkopf ein wenig nach rechts und drückte nach einem letzten schnellen Blick in den Sucher ab.

Ich hätte aufschreien mögen vor Jubel, wenn mir nicht bange gewesen wäre, dass mich der doppeltgehörnte Koloss, der da draussen, ungefähr sechzig Meter von mir entfernt, vorbei trollte, hören würde. Eine halbe Minute lang war die Lage kritisch, denn der Elenbulle hatte das Klicken des Verschlusses vernommen; mit hochgeworfenem Kopf und lauschend spielenden Ohren stand er einen Augenblick da, dann ging er mit einem mächtigen Satz ab, und prompt blieb das Nashorn stehen, warf den wuchtigen Schädel herum und suchte sich zu vergewissern, was los war. In ziemlich geringer Entfernung brausten die flüchtenden Elen an ihm vorbei, eine Staubwolke stieg auf, und als wieder Sicht war, brach ich in ein schallendes Gelächter aus – weit draussen fegten die Antilopen dahin und in wütendem Galopp hinter ihnen her der Dickhäuter! Reizbar und ewig übelgelaunt, wie alle Nashörner sind, hatte er es ihnen krumm genommen, dass sie so dicht vor seiner Nase vorbeigeschossen waren.

Voller Glückseligkeit nahm ich die Kassette vorsichtig heraus, versorgte sie im Lederkasten und weihte mein Photo-Notizbüchlein mit der Bemerkung ein: »19.Mai, 10 vorm., Nashorn, 60 m, 1/50., Bl. 8.« Den Pavian vom Morgen hatte ich noch nicht notiert, denn mir waren nachträglich Bedenken gekommen, ob ich wirklich vorher den Rollfilm weitergedreht hatte.

Es zog mich jetzt wie an den Haaren, nun geradeswegs nach Hause zu laufen und unverzüglich die Nashornaufnahme zu entwickeln, aber andererseits schien der heutige Tag so glückhaft zu sein, dass es unverantwortlich gewesen wäre, wenn ich ihn nicht noch weiter ausgenützt hätte. So winkte ich Tumbo herbei, der mir gar nicht zu sagen brauchte, dass er beim ersten Erblicken des »Faru« prompt und leise auf einen Baum gestiegen war, hing ihm unter Androhung eines qualvollen Todes, falls der Aufnahme etwas zustiesse, den Lederkasten mit der Kassette um und hielt Ausschau nach neuem Glück.

Noch weiter östlich dehnten sich erfolgverheissende, lichte Steppenhaine aus, aber in diese Richtung war der erboste Dickhäuter gerannt, und es schien mir nicht ratsam, mich einer Begegnung mit ihm auszusetzen. So nahm ich Kurs auf die Berge zu und durchstöberte stundenlang einen steinigen, mit wüstem Dorngestrüpp bestandenen Hang. Ausser einer Hyäne und drei Kudus wurde hier jedoch so gut wie nichts lebendig. Sowohl den giftig knurrenden Aasfresser wie die Antilopen bekam ich nur für zwei oder drei Sekunden zu Gesicht; mit schlechthin unglaublichen Sprüngen schnellten sich die wundervollen Geschöpfe über die fast drei Meter hohen Büsche hinweg und verschwanden. Fast geröstet von der Mittagssonne, die mit voller Glut auf den Hang brannte, stieg ich enttäuscht in eine kleine Talmulde hinab. Hier boten einzelne mit Schlingpflanzen überwucherte Buschinseln etwas Schatten; zwischen ihnen lagen massig ausgedehnte, mit ziemlich hohem und dichtem Gras bestandene Flächen. Weiter unterhalb verengte sich das Tal zu einem flachen, mit Galeriewald und Gebüsch bestandenen Korongo, der in schräger Richtung auf den Korongo von Ol Matun zulief und sich wahrscheinlich irgendwo mit ihm vereinigte.

Auch hier war anfangs nichts zu entdecken, aber als wir beide nach einer kurzen Rast im Buschschatten aufstanden, zog mich Tumbo am Ärmel wieder nieder und deutete stumm durchs Gras. Drüben zwischen zwei Buschgruppen standen auf einmal mehrere Elenantilopen, und ich hätte schwören mögen, dass es die gleichen waren, die am Vormittag von dem Nashorn gejagt worden waren; den jungen Bullen glaubte ich mit Sicherheit wiederzuerkennen. Und ich glaubte natürlich ebenso bereitwillig, dass er mir an diesem Glückstag eigens nochmals in den Weg geführt worden war, damit ich ihn doch noch photographieren könnte. Aber wie mir allzu bereitwillige Gläubigkeit noch nie gut bekommen ist, so auch diesmal nicht.

Nach mehr als einer Stunde umschlich ich die Tiere immer noch; wohin ich auch, und zwar teilweise auf dem Bauche, kroch, stets waren sie von Buschwerk oder hohem Grase verdeckt. Zuletzt erspähte ich drüben am Einschnitt des Korongos ein besonders grosses dunkles Dickicht, von dem aus ich die Elen sicherlich in gute Sicht bekommen würde. Die Schwierigkeit lag nur darin, ungesehen dorthin zu gelangen. Ich winkte Tumbo zu, dass er es mir nachmachen solle, und huschte auf den Zehenspitzen, tiefgebückt, die Augen nicht von dem Rudel wendend, der Buschinsel zu. Die Tiere hatten mich nicht bemerkt; noch zwei, drei rasche Schritte, dann bog ich aufatmend um den Vorhang von Lianen herum – und erstarrte in eisigem Entsetzen. Unmittelbar vor mir lag eine Löwin im Grase, den Kopf auf den ausgestreckten Tatzen, und vor ihr kugelten quiekend und knurrend zwei gelb- und bräunlichgetupfte kleine Wollbündel herum. Sie hatte mich ebenso spät bemerkt wie ich sie, ihr Kopf fuhr hoch; im nächsten Augenblick stand sie auf den Beinen, und ihre flammenden gelben Augen bohrten sich in die meinen.

Was ich in jenen wie Ewigkeiten dahinrollenden Sekunden empfunden habe, weiss ich nicht mehr. Wenn ich später an das Erlebnis zurückdachte, erinnerte ich mich immer nur an eine einzige Empfindung: Unglauben ... Ich wollte es wohl nicht wahrhaben, dass das, was mir da auf zwei Schritte gegenüberstand, wirklich eine Löwin, dass dieser Augenblick wahrscheinlich der letzte meines Lebens war. Es war allzu überraschend gekommen ...

Vermutlich habe ich keinen Muskel gerührt; ich war wohl überhaupt nicht dazu fähig. Aber das leise Geräusch links hinter mir – Tumbos Tritte – vernahm ich in derselben Sekunde wie das Tier. Ein kurzes, tiefes, furchtbar drohendes Grollen erklang, der Blick der gelben Augen richtete sich auf die Bewegung im Grase, und das löste den Bann in mir. Mit einem Satz war ich wieder hinter dem Rankengewebe, schoss weiter, in das Gras hinein, sah den Boy dicht vor mir auftauchen, in entsetztem Erkennen der Lage Stativ und Kamerakasten wegwerfen und sich umdrehen, und im nächsten Augenblick prallte ich mit ihm zusammen. Ich war allzusehr in Schuss gewesen, um noch ausbiegen zu können. Wir purzelten übereinander, er stiess ein wahnsinniges Angstgeheul aus, und während ich noch nach meiner hinuntergefallenen Brille herumkrebste, verstand ich auch, was er schrie: » Bwana, amekamatwa ... amekamatwa! – Herr, sie hat mich, sie hat mich!« Er dachte, die Löwin hätte sich auf ihn gestürzt.

Auf diese tragikomische Weise endete ein Erlebnis, das ebensogut einen tragischen Abschluss hätte finden können. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich mich dann bitterlich schämte – dem Tier war es selbstverständlich gar nicht eingefallen, von seinen Jungen wegzulaufen und mir nachzuspringen.

Tumbo sass fassungslos im Grase und guckte mich mit einem geradezu saudummen Gesicht an; ich sagte kein Wort, wischte, über die Maßen froh, dass heute nicht auch noch meine Reservebrille entzweigegangen war, die schmutzigen Gläser ab, stellte durch vorsichtiges Schütteln fest, dass die kostbare Nashornplatte noch heil zu sein schien, hing mir dann selber den Kasten mit der Kassette um und zog gesenkten Kopfes heimwärts.

Am Abend dieses »Glückstages« erlebte ich noch die unbeschreibliche Freude, dass sich die Aufnahme nach dem Entwickeln als wirklich sehr gut gelungen erwies. Mit der bekannten Ungeduld des Anfängers hatte ich die Platte aber ein bisschen zu früh aus dem Wasser genommen; sie zeigte am nächsten Tage noch weissliche Flecken. Etwa vierzehn Tage später legte ich sie, zusammen mit vier weiteren Aufnahmen, nochmals in den Wässerungskasten – was mit den fünf Platten dann beim Trocknen geschah, wird noch zur Sprache kommen.

Am Tage nach dem Zusammenstoss mit der Löwin schlief ich bis tief in den Nachmittag hinein. Ich hatte bis zum Morgengrauen wach gelegen und mich dabei mit ziemlich trüben Gedanken geplagt. Besass ich wirklich genügend Mut, Geistesgegenwart und Nervenruhe, um hier jemals etwas zu erreichen? Die Art, wie ich bisher jeder schwierigen Lage begegnet war – besonders wenn es sich um Löwen handelte –, hatte mein Selbstvertrauen ganz erheblich ins Wanken gebracht ...

Am Spätnachmittag unternahm ich einen Bummel zum oberen Wasserloch und fand die heruntergesauste Falle noch in gleicher Weise vor, wie ich sie vorgestern verlassen hatte. Ich legte ein gutes Messer mit Scheide und ein paar Pfeilspitzen, die ich von Uganda mitgebracht hatte, in das Blatt einer wilden Banane eingewickelt, auf den Holzklotz nieder. Daneben ritzte ich die Zeichnung eines Pfeiles, der nach Ol Matun wies, in die Erde ein – wenn die Ndorobbo wollten, würden sie schon verstehen, was ich meinte.

Den Rückweg nahm ich auf der andern, mir noch unbekannten Seite des Korongos, und diese nur einen Kilometer lange Strecke benützte ich prompt dazu, in ein neues Missgeschick zu geraten oder, genauer gesagt, mich in eines hineinlocken zu lassen. Der »Lockvogel« war tatsächlich ein Vogel, und zwar ein »Honiganzeiger«, so genannt, weil er die merkwürdige Gepflogenheit hat, Menschen zu Bienenstöcken hinzuführen, in der Hoffnung, dass sie den Honig ausnehmen und dem Wegweiser aus Dankbarkeit etwas übriglassen. Was von den Negern auch in jedem Falle geschieht.

Der unscheinbare kleine Kerl sass auf einer Flötenakazie und begrüsste mein Erscheinen schon von weitem mit begeistertem Geschrei. Ich wunderte mich über seine Aufregung, und erst als er vor mir aufflog, sich, immerzu rufend und flügelschlagend, auf dem nächsten Baume niederliess und dieses Gebaren nochmals wiederholte, kam mir die Erinnerung an das, was ich über diesen Vogel gelesen hatte. Dem aufgeregten Piepmatz getreulich folgend, stand ich nach einigen Minuten tatsächlich vor einem Baume, an dem eine Honigtrommel hing. Sie war so voll, dass die goldgelbe Labe in grossen Tropfen an ihrer Unterseite herausquoll. Mit wässerigem Munde, aber ohne jede böse Absicht schaute ich hinauf; da hörte ich ein Summen, fühlte gleichzeitig einen Stich an meinem Ohr, dem zwei, drei weitere in das Kinn und die Nase folgten und binnen weniger Sekunden noch eine ganze Anzahl in Hals und Hände und – je einer unter beide Augenbrauen, wie abgemessen genau in der Mitte! Ich machte ein paar vollkommen nutzlose Sprünge, besann mich dann, warf mich hin, fuhr mit den Händen in die Taschen und mit dem Kopf ins Gras. Unglücklicherweise hatte ich keine Jacke an, die ich mir hätte über den Kopf decken können.

Sobald ich mich nicht mehr rührte, liessen die kleinen Teufel – die afrikanische Wildbiene ist viel kleiner als unsere einheimische Art – von mir ab, und ich machte mich, unbekümmert um das enttäuschte Geschrei des Vogels, in raschem Laufe davon. Ich wusste, warum ich rannte, denn beide Augen begannen zuzuschwellen, die Honigtrommel war immerhin ein Stückchen von meinem Wege abgelegen, und als ich sie entdeckt hatte, war die Sonne schon im Begriff gewesen, unterzugehen. Ob sie inzwischen wirklich schon verschwunden war, wusste ich nicht; jedenfalls wurde es immer düsterer vor meinen Augen, und zuletzt überfiel mich eine solch wilde Angst, ich könnte mich verirren und müsste die Nacht hier draussen zubringen, dass ich anfing, nach meinem Boy zu brüllen. Lange Zeit erfolgte keine Antwort; dann kam ich auf den gescheiten Gedanken, mich zum Rande des Korongos vorzutasten und da hinunterzurohren. Endlich hörte ich Tumbos antwortenden Ruf; er klang tröstlich nahe, und Tumbo langte auch schon – durch mein weiteres Gebrüll geleitet – nach zehn Minuten mit einem erschrockenen: » Lo, Bwana, umefanya nini? – Was hast du gemacht, Herr?« bei mir an. Ich hätte in meiner Hilflosigkeit die treue schwarze Seele beinahe umarmt. Er führte mich an der Hand nach Hause und verarztete mich den ganzen Abend hindurch mit feuchten Lehmumschlägen. Die Schwellung ging daraufhin zurück, ich schickte ihn schliesslich schlafen und gab ihm aus Dankbarkeit eine Schachtel Zigaretten mit. Er nahm sie grinsend entgegen, versank mit gerunzelter Stirn in anstrengendes Nachdenken, wobei er sich in seiner unbeeinflussbaren Natürlichkeit mit der Zigarettenschachtel heftig den Schenkel kratzte, und brachte schliesslich den Vorschlag heraus: »Sag, Bwana, willst du nicht morgen einmal im Lager bleiben? Es scheint jetzt eine schlechte Zeit für dich zu sein, denn jeder Tag hat dich in ein neues ›Matata‹ gebracht.«

Das schöne Wort »Matata« bedeutet Pech wie auch Streit, Aufsässigkeit und alle möglichen Schwierigkeiten, und damit war ich in den letzten Tagen wahrhaftig reich bedacht worden; mein Bedarf schien mir vorderhand mehr als gedeckt. Es war jedoch gefährlich, wenn ich bei meinen Verhältnissen derartigen Stimmungen nachgab; so beruhigte ich den wohlmeinenden Jungen mit dem Versprechen, dass ich künftighin bei all meinen Unternehmungen vorsichtiger sein würde, und schickte ihn weg. Gleich nachdem ich meine abendliche Chininpille geschluckt hatte – ich war überzeugt, dass dieses Teufelszeug mit seinem schlechten Einfluss auf Schlaf, Nerven und Verdauung auch ein gut Teil Schuld an all dem Missgeschick der letzten Zeit trug –, nahm ich noch ein Schlafmittel, ich glaube, zum erstenmal in meinem Leben. Daraufhin schlummerte ich in dieser Nacht auch bald ein und erwachte erst am späten Morgen, allerdings mit Kopfweh und einem nunmehr völlig streikenden Magen.

Dementsprechend streifte ich den ganzen Tag, der sich noch dazu durch völlige Windstille und unerträgliche Schwüle auszeichnete, ziemlich lustlos und ohne jedwelches Ergebnis in der Steppe herum. Wild war, wie immer, allerwärts vorhanden, aber ich hielt mit meinem brummenden Schädel weder das Anschleichen und Kriechen noch das schnelle Nachlaufen aus. Als wir gegen Mittag auf einer Felskuppe plötzlich zwei Nashörner auftauchen sahen, nahm ich erst gar keinen Anlauf zum Heldentum, sondern machte es wie Tumbo, stieg unverzüglich auf einen Baum und blieb droben, bis die beiden bedrohlichen Untiere ausser Sicht waren. Mit dem Boy war heute ebenfalls nicht viel los; bei ihm lag es allerdings daran, dass sich einige seiner Funza-Wunden an den Füssen entzündet hatten. So kam es, dass wir beide die schier unglaubliche Leistung vollbrachten, bei einer Rast am Spätnachmittag, zwei Marschstunden vom Lager entfernt, einzunicken und erst kurz vor Dunkelheit wieder aufzuwachen. Die Wolkendecke war zwar mit Sonnenuntergang zerrissen, und es gab ein wenig Sternenlicht, aber wir befanden uns in schwierigem Hügelgelände mit vielen tief eingeschnittenen Korongos, die alle quer zu unserer Marschrichtung liefen. Mir selbst hatte unser ausgedehntes Nickerchen zweifellos gut getan, ich fühlte mich, wenn auch ziemlich durstig, doch besser als den ganzen Tag über; dafür begann jedoch Tumbo zu meinem Schrecken immer jämmerlicher über seine Füsse zu stöhnen und immer mehr zurückzubleiben. Als dann neue Wolkenmassen das bisschen Sternenlicht verlöschten, hatte ich bald keine Ahnung mehr von unserer Richtung. Ringsum herrschte tiefe Schwärze, und durch die Schwärze rollte das Gebrüll der Löwen; vor uns, hinter uns, rechts und links von uns, überall dröhnten und röhrten ihre Stimmen.

Am Rande eines Korongos blieb ich zuletzt stehen und überlegte, was ich nun tun sollte: mich hier hinsetzen und warten, bis wieder ein paar Sterne sichtbar wurden, damit ich weitertappen konnte? Vielleicht wurden aber auch statt dessen die Augen eines Simbas sichtbar, der mich des Weitertappens entheben würde! Oder auf einen Baum steigen. Oder mich gleich daran aufhängen? – Ich hatte diese nicht abreissende Pechsträhne nunmehr satt, und der brennende Durst drückte meine Stimmung vollends nieder. Da rief Tumbo hinter mir aus der Finsternis, ich möchte zu ihm kommen, er könne nicht weiter, aber er habe soeben einen Lagerplatz, » mzuri kabisa«, gefunden.

Der Zufluchtsort erwies sich wirklich als »äusserst gut«: es war der hohle Stamm eines Affenbrotbaums. Der Zugang war eng und niedrig und liess sich durch einige Dornenäste leicht sichern, und nachdem wir beim Scheine meiner Taschenlampe ein paar Fledermäuse verjagt und einen Haufen von Knochen, Unrat und Ungeziefer herausgeräumt hatten, bot die Höhlung Raum genug, dass wir beide ausgestreckt darin liegen konnten. Nach Rosen roch es freilich nicht darin; anscheinend wurde das Loch tagsüber von Hyänen oder Schakalen bewohnt.

Es wurde eine endlose, durstgequälte Nacht mit wenig Schlaf; auch Tumbo träumte und phantasierte fortwährend von » Maji – Wasser«, und dazwischen stöhnte er vor Schmerzen über seine vereiterten Zehen. Sowie der erste graue Tagesschimmer durch das Dornengezweig hereindrang, kroch ich hinaus und leckte gierig die Tautropfen von den Grasrispen ab. Als ich aber einen Blick in den dämmerigen Korongo hinabwarf, sah ich etwas, das mich veranlasste, sogleich auf dem Hosenboden hinunterzurutschen: ein mattes Schimmern zwischen hohen Büschen. Tatsächlich war hier eine kleine, trübgrünliche, von Wild verschmutzte Wasserlache. Mit einem wahren Kannibalengebrüll nach dem Boy bückte ich mich zu der Brühe nieder, aber im letzten Augenblick gebot mir der Geruch noch Halt und veranlasste mich zu schier übermenschlicher Überwindung – ich wusste von Nordafrika her allzugut, was eine Dysenterie bedeutet.

In wilder Hast raffte ich einen Haufen dürrer Zweige zusammen, riss dem mühsam heranwankenden Tumbo das Kochgeschirr aus der Hand, schöpfte es halbvoll und stellte es aufs Feuer. Die zwanzig Minuten, die das Wasser kochen musste, um alle Keime zu töten, waren die schlimmsten seit dem vergangenen Abend ... Ruhelos wie ein hungriger Tiger umkreiste ich unentwegt den Topf und tauchte dazwischen immer wieder einmal Hände und Arme in den Tümpel – auch das hilft ja ein wenig bei grossem Durst.

Als ich endlich die ersten siedendheissen Schlucke dieses Frühstücksgetränks in den Mund nahm, schloss ich grauengeschüttelt die Augen, und am liebsten hätte ich mir auch noch die Nase zugehalten. Der Geschmack hielt vor, bis ich mir eine Stunde später im Lager etwas Besseres einflössen konnte.

Dann packte ich eine leichte Decke und etwas Essbares zusammen, füllte meine Feldflasche und ausserdem noch eine Kalebasse voll Kaffee, packte auf alle Fälle die unerlaubte Mauserpistole in den Rucksack und war marschfertig. Tumbo, der erst eine ganze Weile später angekommen war, sah nicht danach aus, als ob er noch zu einem weiteren Marsche fähig wäre; er bekam eine Sublimatlösung nebst Verbandstoff und den Auftrag, heute und morgen nichts anderes zu tun, als seine Funza-Zehen zu pflegen. Als ich ihn fragte, ob er sich etwa fürchte, über Nacht allein hier zu bleiben, drückte sein breites schwarzes Gesicht nur stumme Verwunderung aus. Angst schien dieser Phlegmatiker überhaupt nicht zu kennen, wahrscheinlich infolge völliger Phantasielosigkeit.

Dann ergriff ich meinen Somali-Speer und zog los, meiner Trägersafari und einigen ebenso ungeahnten wie freudigen Überraschungen und Erfolgen entgegen.


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