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Als ich für eine ungewisse Zeit
      
 mich morgens plötzlich von Dir trennen sollte,
      
 tat jeder dunkle Augenblick mir leid,
      
 an dem ich je Dir töricht, grundlos grollte,
      
 wenn ich zuletzt das «Gute Nacht!» vergaß
      
 und die Gelegenheit zum Kuß versäumte,
      
 allein, entrückt bei einem Buche saß
      
 und neben Dir von etwas Fremdem träumte,
      
 auch lieber meine eignen Wege ging
      
 und hielt so oft mein Herz vor Dir verschlossen,
      
 verstockt undankbar Dein Geschenk empfing
      
 und zog Dir vor zufällige Zechgenossen:
      
 das alles lag auf meiner Seele schwer,
      
 als wir nun sollten von einander scheiden.
      
 Mein Leben würde lieblos, arm und leer,
      
 müßt' ich es jemals ohne Dich erleiden!
Denn mein Gemüt, das rasch im Schatten friert,
      
 viel Wärme nötig hat und milde Pflege,
      
 verliert die Heimat, wenn es Dich verliert,
      
 und liegt verkommen, hilflos, welk am Wege,
      
 der Bosheit, deren Menschen fähig sind,
      
 dann preisgegeben wie den wilden Wettern
      
 der Selbstanklagen, die im Sintflutwind
      
 die Ruhe des Gewissens mir zerschmettern.
      
 Ich hatte nie, was Dir Erleichterung brächte,
      
 auf mich war, wenn es ernst schien, kein Verlaß,
      
 und wenn Du wach lagst all die bangen Nächte
      
 und weintest neben mir Dein Kissen naß,
      
 barg sich mein Schlaf in schönen Traumverstecken,
      
 wo alles spielerisch gefällig blieb,
      
 und überließ Dich allen Zukunfts-Schrecken,
      
 durch die Dich Dein Kassandra-Spürsinn trieb.
 So wirst Du wohl – mit Recht – mißtrauisch sein,
      
 was immer ich Dir zärtlich heut gelobe.
      
 Doch kannst Du das Vergangene verzeihn
      
 und wagst mit mir noch einmal eine Probe,
      
 vermag im Schlimmsten, das noch kommen kann,
      
 vielleicht ein Wankender sich zu bewähren,
      
 wird schließlich aus dem Schwachen noch ein Mann,
      
 der standhaft ist und trocknet Deine Zähren
      
 und hält Dich bei der Hand, bis wir vereint
      
 aus dem verwunschnen Wald des Unheils treten
      
 in das Gefild, wo wieder friedlich scheint
      
 die Sonne über heimatlichen Beeten
      
 und von entstellendem Behang befreit
      
 geschwisterliche Seelen sich erkennen,
      
 daß wir uns dann für Zeit und Ewigkeit
      
 auf Erden und im Himmel nicht mehr trennen.