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Der Tag legt langsam ab die Nebelhüllen
      
 und zeigt dem See die schimmernde Gestalt,
      
 die reife: herbstlich bunt die Hügel füllen
      
 mit Rebengärten wieder sich und Wald.
Die Felsgebirge stellen ihre Narben
      
 mit grausig greisenhaftem Stolz zur Schau.
      
 Das Tal entfaltet alle seine Farben
      
 und prunkt im Sonnenscheine wie ein Pfau.
Und manche Höhe hält als fromme Spende
      
 ein Kirchlein näher an des Himmels Rand,
      
 und manche malt als goldene Legende
      
 ihr Wallfahrtskloster an die Schroffenwand.
Im Rund der Bucht läßt sich die Stadt bestrahlen,
      
 die malerisch sich an die Hänge schmiegt,
      
 bis daß der Mittag in den Marmorschalen
      
 der grellen Plätze schwer und schwerer wiegt. 
      
Am Rock noch den Geruch von all dem Feuchten
      
 des Regentags am treibhauswarmen See,
      
 trab' mitternachts ich heim im Wetterleuchten,
      
 das noch gespenstert überm Monte Bré.
Der steht als Bühnenkönig mit der Krone
      
 künstlicher Kerzen in der dunklen Bucht,
      
 am Gürtel Alpenveilchen und Limone,
      
 den ganzen Reichtum herbstlich reifer Frucht.
Jetzt aber hat das Schauspiel ihn vergessen;
      
 die Flut, die an den letzten Tränen schluckt,
      
 ist nicht mehr vom Gewitterwahn besessen,
      
 der nun endgültig fern im Dunst verzuckt.
Die Rampenlichter flimmern nur noch spärlich
      
 am Ufer, das der Nebelvorhang schließt,
      
 und kein Verschwörer ist dem Schlaf gefährlich,
      
 darin der Traum der Nacht gen Süden fließt. 
      
Es fiedeln vor den Schänken die Kapellen,
      
 Musik tanzt durch die hallenden Arkaden
      
 in das Gebalz der Uferpromenaden
      
 und auf des Sees vom Wind bewegte Wellen.
      
 Die schwingen sich sogleich im selben Takte,
      
 geführt von der Musik der Schiffsverdecke,
      
 und fiedelnd von der nächsten Felsenecke
      
 begrüßt der Gartenschank sie, der beflaggte.
      
 Am Abend ist der Rathausplatz ein Klingen,
      
 das echot im Gewirr der alten Gassen,
      
 wenn auf den luftigen Caféterrassen
      
 Tenöre schmelzend von der Liebe singen
      
 und von den Fenstern rings kunstlose Stimmen
      
 wetteifernd in den Höhenflug sich wagen,
      
 bis alle Uhren mitternächtlich schlagen.
      
 Die letzten Walzer auf den Wassern schwimmen
      
 im Lichterschiff, das heimkehrt. Es umkreisen
      
 den Narrn, der mit verklärtem Angesichte
      
 spricht in die Stille tönende Gedichte,
      
 gedämpft der Nacht-Bar tänzerische Weisen. 
      
Der schmale Bergpfad wird zum Gassenpaß,
      
 der eng, halsbrecherisch das Dorf durchklettert,
      
 wo überall aus felsigem Gelaß
      
 gefühlvoll südlich eine Arie schmettert.
Ein Durchlaß übersteigt den andern steil,
      
 daß man um Dächer streift wie eine Katze.
      
 Der Maler hält sein Werk im Freien feil
      
 am treppenhaften, krausen Kirchenplatze.
Der Pfarrer flattert schwarz von Nest zu Nest,
      
 wo das Geheimnis nistet, Tod und Leben.
      
 Die Schänken rüsten sich zum Winzerfest,
      
 aus dunklen Kellern duften Rauch und Reben.
Wir kehren in der stillsten Wirtschaft ein
      
 und trinken auf der luftigen Terrasse.
      
 Auf See und Höhen spielt noch Sonnenschein,
      
 doch uns holt nachtwärts schon die schmale Gasse. 
      
Zuhöchst ringsum auf jedem Hügelrücken
      
 liegt eine Ortschaft, die das Los erhob,
      
 sie allem Talgebundnem zu entrücken,
      
 und die es in das Geisterwesen wob,
      
 wo sie im Sonnenglanz ihr Dasein feiert,
      
 unnahbar als ein weißes Wunder glimmt,
      
 an Regentagen magisch sich umschleiert
      
 und unbewegt die Feuchtigkeit durchschwimmt.
      
 Wir fuhren oft hinauf die Serpentinen
      
 (der Schwager blies) mit rosseloser Post
      
 und ließen uns im Gartenschank bedienen
      
 mit herbem Wein und ländlich derber Kost,
      
 besahn das Kugelspiel geraume Weile
      
 und machten mit den Katzen uns vertraut.
      
 Die Zeit stand still, wir hatten keine Eile
      
 und hörten im Herumgehn keinen Laut
      
 als unsern eignen Schritt bedächtig hallen
      
 in den Arkaden alter Häuserpracht,
      
 die nun in Armut, ungepflegt, verfallen,
      
 kaum eine Ahnung war vergangner Macht.
      
 Und in den reichbestallten Kathedralen
      
 hing bei den Wunderwerken an der Wand,
      
 wie sie die zeitlos großen Meister malen,
      
 des Warenhauses billig bunter Tand.
      
 Doch draußen sah man von der Kirchhofmauer
      
 in das Unendliche von Berg und Tal,
      
 das Blau des Himmels wurde immer blauer
      
 und traf den See mit goldnem Sonnenstrahl.
      
 Da wünschte ich, niemehr von hier zu scheiden,
      
 ein Teil zu sein in diesem weiten Bild,
      
 mich in des frühen Herbstes Schmuck zu kleiden,
      
 gleich ihm friedfertig und von Herzen mild.
      
 Trotzdem, mich in das Menschliche zu schicken,
      
 fand ich mich schließlich auf dem Weg hinab,
      
 und macht' ich oft auch Halt, zurückzublicken,
      
 so kam ich immer wieder leicht in Trab,
      
 beschwingt vom Frohsinn solcher Farbigkeiten,
      
 die mit dem Prunk der Blüte und der Frucht
      
 sich eilten, ihre Schätze auszubreiten
      
 an Wiesenhängen, in der Felsenschlucht,
      
 Kastanienwaldungen und Rebengärten
      
 und oft ein Dickicht, wo man Beeren pflückt,
      
 den Falter hat zum flüchtigen Gefährten,
      
 sich zärtlich zum Johanniskäfer bückt.
      
 Dann hörten wir die Stimme, die vertraulich
      
 uns aus der Stadt am See entgegenkam,
      
 bis uns der volle Glockenchor erbaulich
      
 in ihre fromme Abendstimmung nahm. 
      
Wenn wir es wollen, sind wir hoch im Norden:
      
 Schutthalden fallen von dem kahlen Hang
      
 und enden in den einsam düstren Fjorden.
      
 Doch wenn wir wollen, ist der Ueberschwang
      
 des Tropischen an unsern Tag verschwendet
      
 mit Farbenfreudigkeit, Musik und Duft;
      
 die eben noch so karge Landschaft wendet
      
 sich jäh in südlich lebensfrohe Luft
      
 und schmückt sich mit Agaven und mit Palmen
      
 und hängt Oliven in das Laubgerank.
      
 Da singt dem Pan mit heidenhaften Psalmen
      
 für Nord und Süd der Föhn den Erntedank. 
      
Vom See führt es hinauf zum Himmelsblau
      
 durch bunte Gassen, wo die Kinder lärmen,
      
 und ist noch Leben, schwatzt von Mann zu Frau
      
 in muntren, neugierfrohen Reiseschwärmen.
      
 Auch als es Treppen steil zu steigen gilt,
      
 bleibt man, schweratmend, gutgelaunt noch stehen,
      
 wie im Museum ein berühmtes Bild,
      
 den See und das Gelände zu besehen,
      
 und hält nach kleiner Pause wieder aus
      
 und schleppt sich ächzend höher in die Lüfte
      
 und schreitet schließlich durch das Gotteshaus
      
 zum Totenacker, ins Gebirg der Grüfte.
      
 Da liegt, was einmal unsersgleichen war,
      
 verschlossen allen Erdenherrlichkeiten,
      
 so nah, so fern, dem See, der Menschenschar,
      
 des Dorfes Enge und des Himmels Weiten.
      
 Da liegen sie, die Toten, eingesperrt,
      
 der Eitelkeit der Erben preisgegeben,
      
 die abgeschmackt zur Prahlerei verzerrt
      
 das Angedenken an ein schlichtes Leben.
      
 Da liegt der Mime und der Musikant,
      
 gelandet hier nach Ruhm und Abenteuer,
      
 jetzt wesentlich, ein Stück der Bergeswand,
      
 vertraut dem Sternenglanz und Sonnenfeuer,
      
 so hoch gebettet, daß ihr Geisterblick
      
 fern über See und Berg den Süden findet,
      
 daß unser kleines irdisches Geschick
      
 tief unten im Alltäglichen entschwindet,
      
 in der Geschäftigkeit, wo jeder strebt
      
 des Totenreiches Mahnung zu vergessen,
      
 wo man aufatmend wieder lärmt und lebt
      
 und irdisch wohlig trinken wird und essen. 
      
Es ist von überall im Tal zu sehen,
      
 das Hieronymus-Gehäus, das helle,
      
 des fernen Bildners hohe Arbeitszelle,
      
 in der die stillen Dichtungen entstehen.
      
 Da bleibt er über das Getrieb erhoben,
      
 entrückt der eignen Weise hingegeben,
      
 und überblickt in Einsamkeit von oben
      
 der ganzen Landschaft wandelbares Leben.
      
 Vielfältig liegt sie vor ihm ausgebreitet,
      
 und läßt von seinen Sinnen sich durchstreifen
      
 und wird zur grenzenlosen Welt geweitet,
      
 in der die Märchen unvergänglich reifen.
      
 Da schien auch ich entrückt der Erdenfehde,
      
 als ich zugast war in dem Heiligtume.
      
 Das Diesseits blühte in des Dichters Rede,
      
 in seinem Blick der Sehnsucht blaue Blume.
      
 Es grüßten rings die Bücher von den Wänden,
      
 vor die des Gartens Huldigung sich legte,
      
 in dem der Dichter mit den guten Händen
      
 das Feld bestellte und die Pflanzen pflegte.
      
 Da wies er mir die Früchte seiner Mühen,
      
 die Trauben und die schwellenden Tomaten,
      
 der Blumenbeete farbenreiches Blühen,
      
 und war ein Landmann, stolz auf seine Saaten,
      
 im Einklang mit dem irdischen Geschehen,
      
 auf seiner Scholle würdig im Bewahren
      
 und in den Werken der Natur erfahren,
      
 vor denen seine Dichtungen bestehen.
      
 Ein Brunnen quellte ihm auf eignem Grunde,
      
 nah an der Straße, blieb sein Reich versponnen.
      
 Es schenkte diese sonntägliche Stunde
      
 mir still Verehrendem kostbare Wonnen.
      
 Von ihm, dem Magier und Lebensmeister,
      
 der sich aus dem Gewühl zu halten wußte
      
 und in der großen Bruderschaft der Geister
      
 nur immer strahlender entfalten mußte,
      
 ward ich bestärkt in meinem eignen Wege,
      
 der mich zunächst zurück zum Talpfad brachte.
      
 Der Dichter führte mich abseitig Stege,
      
 wo man vor Grotten becherte und lachte,
      
 Kastanien reif vor unsre Füße fielen,
      
 bis wir am Kreuzweg herzlich Abschied nahmen.
      
 Der Hügelwall mit seinen Schattenspielen
      
 gab meinem letzten Abstieg dann den Rahmen,
      
 der dunkel Dunkles faßte. Noch im Gehen
      
 verspürte ich den Zauber dieser Zelle,
      
 in der die stillen Dichtungen entstehen,
      
 die tröstlich sichtbar blieb von jeder Stelle. 
      
Der letzte Abend hatte soviel Farben,
      
 man müßte Maler sein, (das Wort ist arm!)
      
 zu zeigen, welche bunten Flammengarben
      
 aufsprühten in phantastischem Alarm,
      
 wie purpurn sich des Himmels Fläche füllte,
      
 im See sich spiegelnd als ein Weltenbrand,
      
 des Südens Glut sich unbeherrscht enthüllte
      
 im Widerschein an roter Bergeswand
      
 und üppiger die Feuersbrunst entfachte,
      
 daß sie wildlodernd in den Wald sich fraß,
      
 bis doch die Welt sich golden überdachte
      
 im Abendfrieden, der den Kampf vergaß. 
      
Es regnete, den Abschiedsschmerz zu mildern,
      
 als wir den liebgewordnen Ort verließen,
      
 als müßte er mit all den bunten Bildern
      
 nun in das Grau der Dauerflut zerfließen.
      
 Daß dies noch gestern Süden war, schien Lüge,
      
 die Farbigkeit des Sees war Schmutz geworden,
      
 verschwunden waren rings die Hügelzüge,
      
 und übrig blieb ein gnadenloser Norden,
      
 wo Palmen, fehl am Platz wie Fremde, froren
      
 und feuchte Schauer um die Rosen sprühten,
      
 die Sommerlieder sich beschämt verloren,
      
 Eidechsen nicht mehr an den Mauern glühten.
      
 Noch einmal sah ich von der Bahnterrasse
      
 (wir mußten lang auf unsre Abfahrt warten)
      
 seltsam gestimmt vergebens in das Nasse
      
 und suchte nach dem Paradiesesgarten,
      
 der uns in wundersamen Ferienwochen
      
 mit Glück erfüllte über alle Maßen,
      
 und habe ihm die Wiederkehr versprochen.
      
 Als wir endgültig dann im Zuge saßen,
      
 schiffbrüchig durch die Nebelwogen schwankten,
      
 die über den versunknen Schätzen brauten,
      
 geschah es, daß wir unserm Schicksal dankten
      
 und willig uns der Heimfahrt anvertrauten,
      
 weil sie befrachtet war im Angedenken
      
 mit all den Düften und den bunten Bildern,
      
 verführerischer Zauberwelt Geschenken,
      
 den märchenlosen Winter mir zu mildern.