Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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Wie des Xerxes Macht bei Thermopylä sich brach

Als die Griechen bei Thermopylä hörten, daß der Perser nahe bei dem Eingange sei, gerieten sie in eine Furcht und beratschlagten sich wegen des Rückzuges. Die anderen Peloponneser hielten es für ratsam, in den Peloponnes zurückzugehen und den Isthmus zu bewahren. Weil aber die Phokeer und Lokrer dieser Meinung sehr zuwider waren, so ging des Leonides Gutachten dahin, standzuhalten und Boten in die Städte zu schicken und Hilfe von denselben zu verlangen, weil ihrer zu wenig wären, die persische Armee zurückzutreiben.

Unterdessen sie diese Beratschlagung hielten, schickte Xerxes einen Kundschafter zu Pferde aus, zu sehen, wieviel ihrer wären und was sie machten. Denn er hatte in Thessalien gehört, daß daselbst ein kleines Heer versammelt sei und daß die Anführer Lakedämonier und unter denselben Leonides, einer von den Nachkommen des Herkules, sei. Dieser Reiter ritt nach dem Lager zu und besah zwar dasselbe, konnte aber doch nicht alles Volk sehen; denn es war nicht möglich, die zu sehen, welche innerhalb der Mauer standen, die sie aufgeführt hatten und bewachten. Er beobachtete nur diejenigen, welche außerhalb der Mauer waren und daselbst ihre Waffen niedergelegt hatten. Es mußten aber eben zu dieser Zeit die Lakedämonier auswendig die Wache halten. Er sah, daß sich einige von ihnen im Kämpfen übten, andere ihre Haare kämmten. Er geriet bei diesem Anblick in Verwunderung und beobachtete ihre Anzahl, worauf er ohne Hinderung zurückritt; denn es verfolgte ihn niemand, und man bekümmerte sich gar nicht um ihn. Er kam zurück und erzählte dem Xerxes alles, was er gesehen hatte.

Der König konnte das gar nicht aus dieser Erzählung erraten, daß sie sich fertig machten, entweder zu sterben oder alles zu tun, andere niederzumachen; ihr Verhalten kam ihm lächerlich vor. Er ließ also den Demaratus, des Ariston Sohn, der im Lager war, rufen, fragte ihn nach allen Umständen und wollte wissen, was diese Aufführung der Lakedämonier zu bedeuten habe. Demaratus sagte: Ich habe dir schon vordem, als wir den Zug nach Griechenland antraten, von diesen Männern Nachricht gegeben. Allein du machtest mich zu einem Gelächter, als ich sagte, was diese Dinge für einen Ausgang haben würden. Denn es ist ein harter Kampf für mich, wenn ich die Wahrheit gegen dich, o König, behaupten soll. Doch höre mich auch diesmal. Diese Männer sind gekommen, sich wegen des Einganges uns mit Gewalt entgegenzusetzen und dazu machen sie sich fertig. Denn sie haben die Gewohnheit, wenn sie ihr Leben in Gefahr setzen wollen, erst ihren Kopf zu putzen. Das kannst du gewiß glauben. Wenn du diese und die, welche zu Sparta zurück sind, überwunden hast, so wird kein Volk auf der Welt sein, das sich unterstehen möchte, die Hand gegen dich, o König, aufzuheben. Denn jetzt ziehst du gegen das schönste Reich und gegen die schönste Stadt in Griechenland und gegen die tapfersten Männer. Dieser Vortrag war dem Xerxes ganz unglaublich, daher er zum anderen Male fragte, wie doch so wenig Leute, wenn sie auch so beschaffen wären, vermögend wären, gegen ihn zu fechten. Demaratus sagte darauf: Gehe mit mir als mit einem Lügner um, wenn die Sache nicht so gehen wird, wie ich sage.

Allein er konnte den Xerxes nicht überzeugen. Der König ließ vier Tage vorbeigehen und hoffte immer, sie würden sich auf die Flucht begeben. Weil sie aber nicht weggingen und er glaubte, sie blieben aus Unverschämtheit und Unbesonnenheit, so schickte er am fünften Tage aus Verdruß und Zorn die Meder und Kissier wider sie aus mit dem Befehl, sie lebendig zu fangen und vor ihn zu bringen. Die Meder gingen auf die Griechen mit Ungestüm los; viele aber blieben auf dem Platze; es rückten andere an, konnten aber die Feinde nicht zum Weichen bringen, ob sie gleich hart auf sie ansetzten. Sie entdeckten einem jeden und besonders dem Könige, daß sie zwar viel Leute, aber wenig Männer hätten. Dieses Gefecht geschah am Tage.

Weil die Meder übel zugerichtet waren, wichen sie zurück; und die Perser, welche der König die Unsterblichen nannte und die unter der Anführung des Hydarnes standen, kamen dagegen auf den Platz, als Leute, welche gar leicht mit den Feinden fertig würden. Sie ließen sich mit den Griechen in das Gefecht ein, konnten aber nicht weiter als das medische Volk fortrücken, weil sie in einem engen Raume fochten, kürzere Spieße als die Griechen hatten und die Menge nicht gebrauchen konnten. Die Lakedämonier fochten auf die rühmlichste Weise und zeigten denen, die es nicht wußten, wie wohl sie zu fechten wüßten, sowohl im Angriffe in der Gegenwehr selbst als auch, wenn sie dem Feinde den Rücken kehrten und sich auf der Flucht dicht zusammenhielten. Wenn sie die Feinde fliehen sahen, setzten sie denselben (den Spartanern) mit Geschrei und Lärmen nach; wurden aber die Spartaner eingeholt, so wandten sie sich um und boten den Feinden die Spitze und machten den Persern unsägliches Volk nieder. Von den Spartanern aber blieben damals wenige. Weil also die Perser den Eingang nicht gewinnen konnten, ob sie gleich alles versuchten und bald scharenweise, bald auf eine andere Art den Angriff machten, so zogen sie sich zurück.

Bei diesen Scharmützeln soll der König, welcher zusah, dreimal von seinem Thron gesprungen sein, weil er wegen der Armee in Furcht gewesen. Das war der erste Gang; den anderen Tag fochten die Feinde nicht glücklicher. Weil der Griechen wenige waren, hofften sie, dieselben würden so verwundet sein, daß sie nicht vermögend wären, die Hände gegen sie aufzuheben, und griffen sie also wieder an. Allein die Griechen waren ordentlich und nach ihren Völkern in Schlachtordnung gestellt und nahmen alle an dem Gefechte Anteil, ausgenommen die Phokeer, welche auf den Berg postiert waren, den Fußweg zu bedecken. Weil nun die Perser alles ebenso als an dem vorigen Tage fanden, wichen sie wieder zurück.

Da Xerxes gar nicht wußte, wie er sich in diesen Umständen raten und helfen sollte, kam Epialtes aus der Landschaft Melis, des Eurydemus Sohn, mit ihm zu sprechen, in der Hoffnung, eine große Belohnung von dem Könige davonzutragen. Er entdeckte den Fußsteig, welcher über den Berg nach Thermopylä ging und verursachte dadurch die Niederlage der Griechen, welche daselbst standen. Nachher fürchtete er sich vor den Lakedämoniern und floh nach Thessalien; auf den Kopf des Flüchtigen setzten die Amphiktyonen, welche auch Pylagorä heißen (eine Versammlung aus den Abgeordneten von zwölf griechischen Völkern) eine Summe Geld und ließen es öffentlich ausrufen. Eine Zeitlang darauf, als er nach Antikyra gekommen, wurde er von dem Anthenades, einem Trachinier, umgebracht.

Der Vorschlag, welchen Epialtes auszuführen versprach, gefiel dem Xerxes; er war darüber sehr erfreut und schickte unverzüglich den Hydarnes mit seinem Heere zu dieser Unternehmung ab, welcher denn mit dem Anfange der Nacht aus dem Lager auszog. Diesen Fußsteig hatten die Einwohner in Melis gefunden und durch denselben die Thessalier wider die Phokeer angeführt, als diese den engen Paß in ihr Land durch eine Mauer verwahrt hatten und dadurch wegen des Krieges gesichert waren. Allein diese Verschanzung half ihnen nach der Zeit nicht mehr, da die Melier den Weg entdeckt hatten.

Die Perser gingen über den Fluß Asopus und zogen auf diesem Wege die ganze Nacht fort; zur Rechten hatten sie die öteischen und zur Linken die trachinischen Berge. Bei Anbruch des Tages waren sie auf der Spitze des Berges. An diesem Berge standen, wie ich schon angezeigt habe, tausend bewaffnete Phokeer, sowohl ihr Land zu bedecken, als auch den Fußsteig zu bewahren. Denn der Eingang unten an dem Berge wurde von denen, welche ich schon angezeigt habe, besetzt gehalten. Die Verwahrung des Fußsteiges aber hatten die Phokeer freiwillig für den Leonides übernommen. Sie merkten die Perser erst, da sie schon den Berg erstiegen hatten, und hatten nicht wahrgenommen, daß sie hinaufstiegen, weil der Berg dick mit Eichen besetzt war. Indem es aber Windstille war und wegen der Blätter unter den Füßen ein großes Geräusch entstand, sprangen die Phokeer auf und legten ihre Waffen an; und sogleich waren auch die Feinde da. Als diese sahen, daß sie die Waffen anlegten, gerieten sie in Verwunderung. Denn während sie hofften, daß sich keiner würde sehen lassen, ihnen Widerstand zu tun, gerieten sie an Kriegsvölker. Hydarnes befürchtete, die Phokeer wären Lakedämonier, und fragte den Epialtes, was das für ein Volk wäre. Sobald er gewisse Nachricht hatte, stellte er die Perser in Schlachtordnung. Die Phokeer, welche mit vielen und häufigen Pfeilen beschossen wurden, flohen auf eine andere Höhe des Berges, in der sicheren Meinung, daß die Feinde auf sie losgehen würden; daher sie sich zu ihrem Untergange bereitmachten. Das waren ihre Gedanken. Allein die Perser bei dem Epialtes und Hydarnes bekümmerten sich nicht um sie, und jene stiegen geschwind den Berg hinunter.

Denen von den Griechen, welche bei Thermopylä waren, verkündigte erst bei Anbruch des Tages der Wahrsager Megistias, welcher die Opfer betrachtet hatte, den bevorstehenden Tod, nachdem ihnen denselben die Überläufer, welche von dem Anzuge der Perser durch den Umweg Nachricht brachten, schon in der Nacht angedeutet hatten. Drittens kamen die Wachen, welche des Tages ausgestellt werden, als es schon völlig Tag geworden war, von den Höhen heruntergelaufen. Nun hielten die Griechen Rat, ihre Meinungen aber waren geteilt. Denn einige wollten, daß man standhalten sollte; andere waren ihnen entgegen. Sie trennten sich darauf, indem einige abzogen, sich zerstreuten und nach ihren Städten wandten, andere aber sich gefaßt machten, bei dem Leonides zu bleiben.

Man sagt, Leonides habe sie selbst fortziehen lassen, weil er wegen ihres Unterganges in Sorge gestanden, ihm aber und seinen Spartanern habe es nicht angestanden, den Stand zu verlassen, welchen sie zu behaupten gekommen waren. Ich trete auch der Meinung am meisten bei, daß Leonides, als er gesehen, daß die Bundesgenossen nicht geneigt und willig wären, sich mit in die Gefahr zu begeben, ihnen befohlen habe, sich wegzubegeben, welches er aber für sich für unanständig gehalten.

Die Bundesgenossen zogen also nach dem Gutbefinden des Leonides fort. Die Thespier und Lakedämonier blieben allein bei den Spartanern, die Thebaner zwar wider ihren Willen; denn Leonides behielt sie als Geiseln zurück. Die Thespier aber blieben sehr willig und sagten, sie wollten den Leonides und sein Volk nicht verlassen; sie blieben auch und starben mit ihnen. Ihr Oberster war Demophilus, des Diadromes Sohn.

Bei dem Aufgange der Sonne opferte Xerxes und verzog darauf bis zu der Zeit, da der Markt von Leuten am meisten angefüllt ist; alsdann rückte er an. Denn so hatte es Epialtes verabredet. Von dem Berge herunter war der Weg viel kürzer als der Weg um den Berg und den Berg hinauf. Die Völker, welche bei dem Xerxes waren, rückten also an, und Leonides mit seinen Leuten, welche nun gewisser als anfangs in den Tod gingen, kamen an die weiteste Öffnung des engen Passes hervor. Die Mauer konnten sie zwar bedecken und schützen, allein, da sie die vorigen Tage nur etwas hervorgerückt waren und, wo es enger war, gefochten hatten, so griffen sie nun, wo es weiter war, einander an, und der Perser blieben wegen ihrer Menge sehr viel. Denn die Führer waren hinter ihren Leuten mit Peitschen und trieben sie mit Schlagen vorwärts. Viele von ihnen fielen in das Meer und ersoffen; viel mehr aber wurden lebendig voneinander zertreten; man achtete auf keinen, der sein Leben einbüßte. Die Lakedämonier wußten, daß sie den Tod von denen zu erwarten hätten, welche um den Berg herumgekommen waren; daher zeigten sie den Feinden die Größe ihrer Tapferkeit und gingen mit großer Verachtung auf sie los.

Den meisten waren die Spieße schon zerbrochen, und sie machten die Perser mit dem Degen nieder. In diesem schweren Gefechte blieb Leonides, der tapferste Mann, und mit ihm andere berühmte Lakedämonier, deren Namen verdienen, daß ich sie mir habe sagen lassen, wie ich denn auch die Namen aller Lakedämonier gehört habe. Von den Persern blieben auch viel angesehene Männer und unter denselben auch zwei Söhne des Darius, Abrokomes und Hyperanthes, welche des Atarnes Schwester, Phratagune, zur Mutter hatten. Atarnes war ein Bruder des Königs Darius, ein Sohn des Hystaspes, ein Enkel des Arsames; als dieser dem Darius seine Tochter gab, übergab er ihm zugleich sein ganzes Haus, indem diese Tochter sein einziges Kind war. Es blieben auch zwei Söhne des Xerxes, als sie mit um den toten Leonides fochten.

Xerxes ging durch die Toten herum; und weil er von dem Leonides gehört, daß er der König und Feldherr der Lakedämonier sei, so befahl er, ihm den Kopf ab und an einen Pfahl zu schlagen. Hieraus sehe ich vornehmlich, wie es denn auch aus anderen Kennzeichen erhellt, daß der König Xerxes gegen keinen Menschen mehr als gegen den Leonides in seinem Leben erbittert gewesen. Denn sonst hätte er gegen den Toten nicht so unbillig gehandelt; weil sonst die Perser tapfere Männer, wie ich weiß, mehr, als andere Völker es tun, in Ehren zu halten pflegen. Inzwischen ist der Befehl des Königs vollzogen worden.


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