Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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König Rampsinitus und seine Tochter

Dem Proteus soll Rampsinitus in der Regierung gefolgt sein, welcher die Vorhöfe des Tempels des Vulkan, so gegen Abend zu liegen, als ein Denkmal hinterlassen hat. Gegenüber diesen Vorhöfen hat er zwei Bildsäulen, fünfundzwanzig Ellen hoch, aufgerichtet. Wovon die Ägypter die, welche gegen Norden zu steht, den Sommer nennen, die aber gegen Süden zu den Winter. Die, welche sie den Sommer nennen, beten sie an und halten sie in Ehren; gegen die aber, welche der Winter heißt, beweisen sie das Gegenteil. Dieser König soll einen so großen Schatz an Silber gehabt haben, daß ihn keiner der folgenden Könige darin übertroffen oder ihm nahe gekommen sei; damit er aber sein Geld sicher verwahren könnte, baute er ein steinernes Haus, wovon die eine Mauer an den auswendigen Teil seiner Wohnung stieß. Der Mauermeister aber bediente sich dieser listigen Erfindung: er setzte einen Stein so ein, daß er leicht von zwei oder auch von einem Manne konnte herausgenommen werden. Als das Gebäude fertig war, brachte der König seine Schätze in dasselbe. Nach einiger Zeit, da der Baumeister seinem Ende nahe war, berief er seine Söhne, deren zwei gewesen sein sollen, und eröffnete ihnen, was er aus Fürsorge, daß sie in allem Überflusse leben möchten, bei Erbauung des königlichen Schatzhauses für ein Kunststück gebraucht habe. Er entdeckte ihnen, wie der Stein herauszunehmen sei, gab ihnen die Kennzeichen desselben und sagte ihnen, wenn sie dieselben wohl in acht nähmen, würden sie Herren von dem königlichen Schatze sein. Er beschloß sein Leben; seine Söhne aber schoben die Sache nicht lange auf. Sie kamen des Nachts zu dem königlichen Palaste, fanden den Stein an dem Gebäude, zogen ihn mit leichter Mühe heraus und brachten viel von dem Schatze weg. Als der König einmal in das Schatzhaus ging, sah er mit Verwunderung, daß in dem Kasten viel von dem Gelde fehlte, wußte aber nicht, wen er beschuldigen sollte, indem die Zeichen unverletzt und das Gebäude verschlossen war. Als er aber zum zweiten und dritten Male kam und allezeit fand, daß weniger Geld da war (denn die Diebe fuhren immer fort mit stehlen), ließ er Fallstricke machen und dieselben um die Kasten, worin die Schätze waren, legen. Wie die Diebe wiederkamen und der eine von ihnen hineingekrochen war, wurde er, sobald er an den Kasten kam, in der Schlinge gefangen. Da er sah, in was für Gefahr er sei, rief er gleich seinem Bruder zu, sagte ihm, wie es ihm gegangen, und befahl ihm, geschwind hineinzukriechen und ihm den Kopf abzuschneiden, damit er nicht erkannt würde und ihn zugleich mit in das Verderben stürzte. Dieser sah den Vorschlag als heilsam an und vollzog ihn. Er setzte darauf den Stein wieder ein, ging von dem Hause weg und nahm den Kopf seines Bruders mit. Bei Anbruch des Tages ging der König in das Gebäude und wurde bestürzt, da er den Leib des Diebes in dem Fallstricke ohne Kopf sah, obwohl das Haus unverletzt war und keinen Eingang noch Ausgang hatte. Nach vielem Zweifel und Bedenken stellte er die Sache so an: Er ließ den Leichnam des Diebes an der Mauer aufhängen und bestellte Wächter, denen er befahl, wenn sie jemand weinen und jammern sehen würden, denselben zu ergreifen und zu ihm zu bringen. Der Mutter ging es sehr nahe, daß der Leichnam da hängen mußte; sie unterredete sich deswegen mit dem anderen Sohne und befahl ihm, alles, was nur möglich wäre, zu versuchen, um den Körper seines Bruders wegzunehmen und zu ihr zu bringen; würde er das verabsäumen, so drohte sie ihm, daß sie zu dem Könige gehen und ihm anzeigen wollte, wer die Schätze habe. Als die Mutter dem Sohne hart zusetzte und ihn durch viele Vorstellungen anfänglich nicht bewegen konnte, hat er doch endlich die Sache auf folgende Weise unternommen: Er sattelte Esel, füllte Schläuche mit Wein, legte dieselben auf die Esel und trieb dieselben fort. Da er nun zu denjenigen kam, welche den Leichnam bewachten, zog er an zwei oder drei Schläuchen die Riemen, womit sie zugebunden waren, auf. Wie nun der Wein auslief, zerschlug er sich den Kopf, machte ein groß Geschrei und tat, als wenn er nicht wüßte, zu welchem Esel er sich zuerst wenden sollte. Die Wächter, welche den vielen Wein auslaufen sahen, kamen gelaufen, brachten Gefäße mit, machten sich die Gelegenheit zunutze und fingen den Wein auf. Jener stellte sich zornig und schalt sie heftig aus. Da ihm aber die Wächter zuredeten, stellte er sich nach und nach an, als wenn er sich zufriedengäbe und seinen Zorn besänftigte. Endlich trieb er die Esel vom Wege auf die Seite und machte sie wieder zurecht. Als sie sich miteinander weiter in das Gespräch einließen und einer gegen ihn scherzte und ihn zum Lachen bewegte, gab er ihnen noch einen von den Schläuchen dazu. Sie setzten sich miteinander nieder, gedachten an nichts als an das Trinken, nahmen ihn zu sich und ersuchten ihn, zu bleiben und mitzutrinken. Er ließ sich bereden und blieb da. Wie sie nun bei dem Trunke sich überaus freundlich gegen ihn bezeigten, gab er ihnen noch mehr Schläuche. Die Wächter soffen sich endlich toll und voll, fielen in einen tiefen Schlaf und blieben an der Stelle, wo sie getrunken hatten, schlafend liegen. Da es nun weit in die Nacht hinein war, nahm er den Leib seines Bruders herunter und schor noch dazu den Wächtern zum Schimpfe allen die rechte Backe ab. Den Leichnam legte er auf einen von den Eseln, trieb denselben nach Hause und hatte also den Befehl seiner Mutter vollzogen. Der König, welchem berichtet wurde, daß der Leichnam gestohlen sei, erbitterte sich gar sehr. Indem er aber durchaus erfahren wollte, wer diese listigen Streiche gespielt habe, mußte sich seine eigene Tochter in dem Hause preisgeben und auf seinen Befehl alle ohne Unterschied zulassen; vorher aber, ehe sie mit jemand sich genauer vereinigte, denselben nötigen, zu sagen, was die listigste und gottloseste Tat sei, die er in seinem Leben begangen habe; wer aber das, was mit dem Diebe vorgegangen, erzählen würde, den sollte sie ergreifen und nicht aus dem Hause lassen. Als nun die Tochter dem Befehle ihres Vaters nachkam und der Dieb hörte, warum das geschehe, wollte er der Verschlagenheit des Königs obsiegen und beging folgenden Streich: Er schnitt dem vorbesagten Toten die Hand an der Schulter ab, nahm dieselbe unter das Kleid und ging zu der Tochter des Königs. Wie er nun ebenso wie die anderen gefragt wurde, sagte er: Seine schändlichste Tat sei diese, daß er seinem Bruder, der in dem Fallstricke in dem Schatzhause des Königs gefangen worden, den Kopf abgeschnitten; die listige Tat aber, daß er die Wächter betrunken gemacht und den aufgehangenen Leib des Bruders abgenommen habe. Als sie dies hörte, griff sie zu; der Dieb aber reichte im Dunkeln die Hand des Toten hervor, welche sie ergriff, und meinte, sie hätte ihn bei seiner Hand angefaßt. Er aber ließ sie fahren und entfloh durch die Türen. Als auch dieses dem Könige berichtet wurde, erstaunte er sowohl über die Listigkeit als Verwegenheit des Menschen. Endlich schickte er in alle Städte aus und ließ ausrufen, daß der Täter nicht allein keine Strafe, sondern auch große Belohnungen sollte zu erwarten haben, wenn er sich selbst vor ihm stellte. Der Dieb traute und kam zu ihm. Rampsinitus bewunderte ihn sehr, und gab ihm, als dem klügsten unter allen Menschen, seine Tochter zur Ehe. Denn die Ägypter, sagte er, hätten an Witz den Vorzug vor allen anderen Völkern, dieser aber vor den Ägyptern.


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