Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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Krösus verliert seinen Sohn Atys

Nach der Abreise Solons ließen die Götter ihren Zorn den Krösus hart fühlen, wahrscheinlicherweise darum, weil er sich selbst für den glückseligsten Menschen erklärt hatte. Er hatte bald darauf einen Traum, welcher ihm die Wahrheit des Unglücks entdeckte, das seinem Sohne begegnen sollte. Krösus hatte zwei Söhne, davon der eine stumm war, der andre, welcher Atys hieß, übertraf die, so mit ihm gleichen Alters waren, in allen Dingen. Von diesem Atys träumte ihm, daß er von einer eisernen Spitze würde getroffen und um das Leben gebracht werden. Als er erwachte und die Sache bei sich überlegte, geriet er wegen des Traums in eine Furcht und gab seinem Sohn eine Gemahlin. Dieser hatte bisher die lydische Armee angeführt, nun aber ließ er ihn nicht mehr zu Felde gehen. Wurf- und andere Spieße und alle dergleichen Gewehre nahm er aus den Wohnzimmern der Männer weg und brachte sie zusammen in die Schlafkammer, damit nichts herunter auf seinen Sohn fiele.

Als er aber mit der Vermählung desselben beschäftigt ist, kommt ein unglücklicher Mensch nach Sardes, welcher seine Hände mit Blut befleckt hatte. Er war aus Phrygien von königlichem Geblüt und kam in das Haus des Krösus, welchen er bat, ihn nach landsüblichen Gebräuchen von der Befleckung zu reinigen. Krösus reinigte ihn. Diese Reinigung geschieht bei den Lydiern eben wie bei den Griechen. Nachdem Krösus, was gebräuchlich ist, verrichtet hatte, fragte er, woher und wer er sei, und sagte zu ihm: wer bist du und woher kommst du aus Phrygien zu mir als ein Gast? Welchen Menschen hast du getötet? Er antwortete darauf: O König! ich bin ein Sohn des Gordius, dessen Vater Midas war, und heiße Adrast. Ich habe meinen Bruder unversehens getötet und komme deswegen hierher, weil ich von meinem Vater vertrieben und aller Dinge beraubt bin. Darauf versetzte Krösus: Du stammst von guten Freunden ab und bist zu Freunden gekommen. Daher wird es dir an nichts fehlen, solange du bei uns bleibst. Je besser du dich aber bei dem Unglück fassen wirst, desto mehr wirst du dabei gewinnen. Er hatte also seine Wohnung bei dem Krösus.

Zu ebender Zeit ließ sich auf dem mysischen Berge Olymp ein großes Stück von einem wilden Schweine sehen, welches von demselben herunterkam und die Arbeit der Myser verwüstete. Die Myser gingen oft auf dasselbe los; aber ohne es zu beschädigen, wurden sie von ihm beschädigt.

Endlich kamen Abgeordnete von den Mysern zu dem Krösus und sagten: O König! das größte Stück von einem wilden Schweine hat sich bei uns sehen lassen und verwüstet unsre Arbeit. Wir haben es vergeblich zu fangen gesucht. Wir bitten dich also, deinen Sohn und auserlesene junge Leute und Hunde mit uns zu schicken, daß wir dasselbe aus unserm Lande los werden. Krösus aber, welcher sich des Traumes erinnerte, antwortete ihnen: An meinen Sohn gedenkt nicht mehr; den möchte ich wohl nicht mitschicken; denn er hat sich kaum vermählt, und damit hat er jetzt seine Geschäfte. Ich will euch aber die besten von den Lydiern und alles Jagdzeug mitschicken und denen, die mit euch gehen, befehlen, ihr möglichstes mit euch zu tun, die Bestie aus dem Lande zu schaffen. Mit dieser Antwort waren die Myser zufrieden. Allein des Krösus Sohn, welcher gehört hatte, was die Myser verlangten, kam eben dazu; und weil Krösus ihnen abgeschlagen hatte, seinen Sohn mitzuschicken, so sagte der Prinz zu ihm: Mein Vater! es war sonst meine schönste und edelste Beschäftigung, in den Krieg und auf die Jagd zu gehen und Ruhm zu erwerben; nun aber hältst du mich von beiden Verrichtungen ganz ab, da du doch keine Furchtsamkeit und Zaghaftigkeit bei mir wahrgenommen hast. Mit was für Augen müssen mich nun die Leute ansehen, wenn ich auf den Markt gehe und wieder von demselben weggehe? Was müssen die Bürger von mir denken? Was muß meine neue Gemahlin von mir halten? Wie wird es ihr gefallen, mit einem solchen Manne zu leben? Laß mich also entweder mit auf die Jagd gehen oder überzeuge mich durch Gründe, daß mir diese Lebensart besser anstehe. Krösus versetzte darauf: Mein Sohn! ich handle auf diese Weise mit dir, gar nicht als wenn ich Furchtsamkeit oder sonst etwas Mißfälliges an dir wahrgenommen hätte; sondern eine Erscheinung im Traume sagt mir, daß du nicht lange leben, sondern durch einen eisernen Spieß umkommen werdest. Um dieser Erscheinung willen habe ich deine Vermählung beschleunigt und schicke dich nicht zu gefährlichen Verrichtungen, weil ich alle Vorsicht gebrauche, dich, wo möglich, bei meinem Leben deinem Schicksal zu entziehen. Denn du bist mein einziger Sohn; was nämlich den andern betrifft, welchem das Gehör fehlt, so ist es ebensoviel, als wenn ich ihn nicht hätte.

Der Sohn antwortete: Ich kann dich nicht tadeln, daß du wegen des Traumes solche Vorsicht für mich trägst. Es ist aber billig, daß ich dir den Traum auslege, welchen du nicht recht verstehst. Du sagst, der Traum zeige dir an, daß ich durch einen Spieß umkommen würde. Was hat aber das Schwein für Hände? Was für einen eisernen Spieß, vor dem du dich fürchtest? Wenn dir geträumt hätte, ich sollte von einem Zahn oder von etwas demselben ähnlichen sterben, so müßtest du tun, was du tust. Es heißt aber von einem Spieße. Weil ich nun nicht gegen Männer zu fechten habe, so laß mich gehen.

Mein Sohn! antwortete Krösus, du überredest mich durch die Erklärung, welche du von dem Traume gibst. Von dir überredet, ändere ich meine Meinung und lasse dich auf die Jagd gehen.

Nach dieser Unterredung läßt Krösus den Adrastus, den Phrygier, kommen und sagt zu ihm: Mein Adrast, ich habe dich als einen unglücklichen Menschen, ohne dir etwas Unangenehmes vorzuwerfen, gereinigt und in meinem Hause aufgenommen und gebe dir alles, was du brauchst. Nun mußt du, was ich dir Gutes erwiesen, vergelten: Daher mache ich dich zu einem Aufseher und Beschützer meines Sohnes, da er Lust hat, auf die Jagd zu gehen; daß nicht etwa unterwegs boshaftige Räuber euch überfallen. Überdies ist es für dich vorteilhaft, an einen Ort zu gehen, wo du Gelegenheit findest, deine Tapferkeit sehen zu lassen. Denn das ist dir von deinem Vater angeerbt, und du hast noch Stärke genug.

Adrastus antwortete darauf: O König! ich bin sonst zu dergleichem Kampfe nicht gegangen; denn es schickt sich für einen Menschen, der ein solch Unglück gehabt hat, gar nicht, unter glückliche Personen gleichen Alters zu gehen, ich habe auch keine Lust dazu. Daher habe ich mich oftmals selbst zurückgehalten. Nun aber, da ich verpflichtet bin, mich für deine Güte dankbar zu erweisen und dir zu Gefallen zu leben, bin ich bereit, zu tun, was du von mir verlangst. Erwarte also deinen Sohn, den du mir anbefiehlst, soweit als ich dafür stehen und ihn schützen kann, ohne allen Schaden zurück.

Nach dieser Antwort gingen sie unter Begleitung ausgesuchter junger Männer und mit Hunden wohlversehen fort. Als sie an den Olymp kamen, spürten sie das Wild auf, stellten sich um dasselbe in einem Kreise herum und warfen Spieße auf dasselbe. Da warf denn auch Adrastus, eben der Gast, welcher von der Mordtat war gereinigt worden, einen Spieß auf dasselbe und traf den Sohn des Krösus. Dieser erfüllte also, indem er mit einem Spieß getötet wurde, das, was der Traum vorhergesagt hatte. Es lief gleich ein Bote fort nach Sardes und brachte dem Krösus Nachricht von dem Kampfe und dem Tode seines Sohnes.

Krösus wurde über den Tod seines Sohnes sehr bestürzt; es war ihm aber am allerempfindlichsten, daß ihn eben der des Lebens beraubt hatte, welchen er von der Mordtat gereinigt hatte. In der heftigsten Betrübnis über dieses Unglück rief er den reinigenden Jupiter über das, was er von dem Gastfreunde erlitten hatte, zum Zeugen an. Er rief ihn auch als den Gott der Gastfreiheit und der Freundschaft an; als den Gott der Freiheit, weil er den Fremden in seinem Hause aufgenommen und unwissend den Mörder seines Sohnes ernährt hatte; als den Gott der Freundschaft, weil er an dem, welchen er ihm zum Beschützer mitgegeben, den ärgsten Feind gefunden hatte.

Darauf kamen die Lydier, welche den Leichnam brachten, und hinter ihm folgte der Mörder, welcher sich vor den Toten stellte, sich selbst dem Krösus darbot, seine Hände gegen ihn ausstreckte und verlangte, ihn dem Toten als ein Opfer zu schlachten. Er gedachte an sein erstes Unglück und beklagte, daß er noch dazu den, welcher ihn gereinigt, in den größten Jammer gestürzt habe: er wolle nicht ferner leben. Als Krösus dieses hörte, hatte er mit dem Adrast, obwohl er selbst ein so schweres Leiden hatte, Mitleiden und sagte zu ihm: Ich habe von dir, mein Freund, alle Genugtuung, weil du dich selbst zum Tode verdammst. Du bist nicht schuld an diesem meinem Unglück, insofern du es wider deinen Willen veranlaßt hast, sondern irgendein Gott, welcher mir diesen Zufall schon vorher angedeutet hat. Krösus bestattete seinen Sohn gebührend zur Erde. Adrastus aber, der Sohn des Gordius und Enkel des Midas, der Mörder seines eignen Bruders und zugleich der Mörder des Sohnes dessen, der ihn gereinigt hatte, hielt sich für den allerunglückseligsten unter allen Menschen, die ihm bekannt waren, und nahm sich daher, als es von Leuten stille um das Grabmal geworden, selbst bei der Gruft das Leben.


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