Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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Krösus und Solon

Nach dem Tode des Alyattes trat sein Sohn Krösus in einem Alter von fünfunddreißig Jahren die Regierung an. Unter den Griechen waren die Epheser die ersten, welche er mit Krieg überzog. Damals widmeten und übergaben die Epheser, als sie von ihm belagert wurden, ihre Stadt der Diana, indem sie aus dem Tempel bis an die Stadtmauer einen Strick zogen. Es sind aber zwischen der alten Stadt, welche damals belagert wurde, und zwischen dem Tempel sieben Stadien. Sie waren also die ersten, die Krösus überfiel. Nachher kam die Reihe auch an die andern Ionier und Äolier, gegen welche er mancherlei Beschuldigungen vorwandte, wie er sie ausfinden konnte, teils wichtige und große, teils geringe und nichtswürdige.

Nachdem er nun die Griechen in Asien sich unterwürfig und zinsbar gemacht, ging er mit den Gedanken um, Schiffe zu bauen und die Eiländer anzugreifen. Als aber zu dem Schiffbau alles veranstaltet war, soll, wie einige sagen, Bias aus Prienne, wie andere vorgeben, Pittakus aus Mitylene nach Sardes gekommen sein. Da nun Krösus fragte, was das Neueste in Griechenland sei, soll er ihn mit folgenden Worten zur Unterlassung des Schiffbaus bewogen haben: O König, die Eiländer kaufen zehntausend Pferde zusammen und haben den Vorsatz, Sardes und dich damit zu bekriegen. Krösus hielt dieses für eine wahre Erzählung und sagte: Möchten doch die Götter dieses den Eiländern in die Gedanken kommen lassen, gegen die Lydier mit einer Reiterei heranzuziehen. Darauf versetzte jener: Du scheinst mir, o König, begierig zu wünschen, daß du die Eiländer zu Pferde finden möchtest, und versprichst dir davon gewisse Vorteile. Was wünschen aber die Eiländer, sobald sie gehört haben, daß du Schiffe gegen sie bauen wolltest, mehr, als die Lydier auf der See anzutreffen, damit sie wegen der Griechen auf dem festen Lande, welche du zu Knechten gemacht hast, Rache ausüben können? Diese Antwort soll dem Könige so geschickt vorgekommen sein und ihm dergestalt gefallen haben, daß er den Schiffbau einstellte und mit den Ionern, welche die Inseln bewohnten, ein Freundschaftsbündnis aufrichtete.

Krösus hatte nach und nach fast alle Einwohner diesseits des Halys, die Zilizier und Lykier ausgenommen, bezwungen und unter seine Botmäßigkeit gebracht. Denn es standen unter ihm die Lydier, Phrygier, Mysier, Maryandyner, die Chalyber, Paphlagonen, Thraker, Thyner und Bithyner, die Karier, Ionier, Dorier, Äolier, Pamphylier. Nachdem er nun das lydische Reich dergestalt erweitert hat, kommen nach Sardes, welche Stadt bei großem Reichtum in einem blühenden Stande war, fast alle Gelehrten, die zu der Zeit in Griechenland lebten, doch ein jeder für sich; unter andern aber auch Solon, welcher den Athenern auf ihr Verlangen Gesetze gemacht hatte und zehn Jahre herumreiste unter dem Vorwande, die Welt zu besehen, in der Tat aber, damit er nicht gezwungen würde, eines von den Gesetzen, welche er gegeben hatte, aufzuheben. Denn das konnten die Athener nicht tun, weil sie sich durch die stärksten Eide verpflichtet hatten, sich zehn Jahre nach den Gesetzen, welche Solon gemacht hatte, zu richten.

Aus dieser Ursache und auch um der Wissenschaft willen reiste Solon und kam nach Ägypten zu dem Amasis und nach Sardes zu dem Krösus. Er wurde von demselben in dem königlichen Schlosse als ein Gast aufgenommen. Den dritten oder vierten Tag nach seiner Ankunft führten ihn, auf Befehl des Krösus, die Bedienten in den Schatzkammern herum und zeigten ihm alles, was groß und herrlich war. Nachdem er alles besehen und, solange es ihm gelegen war, betrachtet hatte, tat Krösus diese Frage an ihn: Werter Athener, es ist bei uns viel von dir gesprochen worden sowohl wegen deiner Weisheit als auch wegen deiner Reisen, daß du als ein Weltweiser, und vieles zu sehen und zu erfahren, auch zu uns gekommen bist. Nun ist mir die Lust angekommen, dich zu fragen, ob du jemand weißt, der der Glückseligste unter allen Menschen ist. Er tat aber diese Frage, weil er sich einbildete, der Glückseligste zu sein. Solon heuchelte nicht, sondern antwortete nach der Wahrheit: O König, das ist Tellus, ein Athener! Krösus verwunderte sich über diese Antwort und fragte weiter: Weswegen hältst du den Tellus für den Glückseligsten? Dieser Tellus, war die Antwort, hatte bei einem glücklichen Zustande der Stadt schöne und tugendhafte Söhne, und von ihnen insgesamt sah er wieder Kinder, die alle am Leben blieben. Als er nun sein Leben, so weit, als es bei uns möglich ist, in guten Wohlstand gebracht hatte, erlangte er das rühmlichste Ende des Lebens. Denn da die Athener mit ihren Nachbarn bei Eleusis ein Treffen hielten, kam er ihnen zu Hilfe, brachte die Feinde in die Flucht und starb alsdann auf die schönste Weise. Die Athener begruben ihn an dem Orte, wo er geblieben war, auf gemeinsame Kosten und erwiesen ihm große Ehre.

Als nun Solon von dem Tellus und seiner Glückseligkeit viel gesagt und dadurch den Krösus noch mehr gereizt hatte, fragte ihn dieser: wen er nach jenem für den Glücklichsten hielt, und glaubte gewiß, daß er die nächste Stelle bekommen werde. Solon aber nannte den Kleobis und Biton. Diese beiden Männer waren von Argos, hatten genugsam zu leben und dabei eine solche Stärke des Leibes, daß sie beide in den Kampfspielen den Preis davontrugen. Man erzählt auch folgendes von ihnen: Als die Argier ein Fest der Juno feierten, mußte ihre Mutter von ein paar Ochsen in den Tempel gefahren werden. Die Ochsen kamen aber nicht zu rechter Zeit vom Felde. Weil nun die Sache keinen Aufschub litt, spannten sich die Jünglinge selbst vor und zogen den Wagen, auf welchem ihre Mutter fuhr, und zwar fünfundvierzig Stadien weit, bis in den Tempel. Als sie dieses vor den Augen der ganzen Versammlung getan, erlangten sie das schönste Ende des Lebens, und Gott zeigte damit an, es sei dem Menschen besser zu sterben als zu leben. Denn die Männer von Argos standen um sie herum und priesen ihre Gesinnung glücklich; die Weiber aber die Mutter, daß sie solche Kinder hätte. Die Mutter hingegen stand voller Freuden über diese Handlung und über das Lob derselben vor dem Bilde der Göttin und wünschte, daß die Göttin dem Kleobis und Biton, ihren Kindern, die sie auf eine so sonderbare Weise geehrt, das geben möchte, was dem Menschen am besten sei. Nach diesem Gebet und nach dem Opfer und der Mahlzeit schliefen die Jünglinge in dem Tempel ein und wachten auch nicht wieder auf, sondern endigten daselbst ihr Leben. Die Argier ließen ihre Bildnisse machen und schenkten dieselben als die Bildnisse der tugendhaften Männer nach Delphi in den Tempel.

Diesen gab Solon den zweiten Platz in der Glückseligkeit. Krösus aber sagte ganz unwillig: Werter Athener, siehst du denn meine Glückseligkeit so gar verächtlich an, daß du mich nicht einmal mit Privatpersonen in Vergleichung ziehst? O Krösus, antwortete Solon, mich, der ich wohl weiß, daß alle Gottheiten mißgünstig und unruhig sind, fragst du wegen des menschlichen Glücks? In einer langen Zeit muß einer viel sehen, das er nicht will, und vieles leiden. Ich setze das Ziel des menschlichen Lebens auf siebzig Jahr. Diese siebzig Jahre machen fünfundzwanzigtausendundzweihundert Tage, den Schaltmonat nicht mitgerechnet. Wenn aber ein Jahr um das andre um einen Monat länger werden soll, damit die Jahreszeiten ordentlich wiederkommen, so haben wir in siebzig Jahren fünfunddreißig Schaltmonate, und aus diesen Monaten tausendundfünfzig Tage. Unter allen diesen Tagen, deren in siebzig Jahren sechsundzwanzigtausendzweihundertundfünfzig sind, ist keiner dem andern in den Umständen ganz ähnlich. So ist denn also ein jeder Mensch dem Unglück unterworfen. Ich weiß, daß du reich und ein König vieler Menschen bist. Was du mich aber fragst, das sage ich nicht eher, bis ich höre, daß du deine Lebenszeit wohl beschlossen hast. Denn wer sehr reich ist, ist nicht glücklicher als der, welcher auf einen Tag seinen Unterhalt hat, wenn er nicht das Glück hat, in dem Besitz der Güter das Leben zu beschließen. Denn viele sehr reiche Menschen sind unglückselig; viele aber, die ein mäßiges Vermögen haben, glücklich. Wer sehr reich, aber unglückselig ist, der übertrifft den Glücklichen allein in zwei Stücken; dieser aber den Reichen und Unglückseligen in vielen Stücken. Dieser letztere ist besser imstande, seine Begierden zu befriedigen und einen großen Verlust und Schaden zu ertragen. Jener aber übertrifft ihn in diesen Stücken, daß er zwar einen Verlust nicht so leicht ertragen und seine Begierden nicht ebenso stillen kann; aber dagegen wendet auch das Glück dergleichen von ihm ab: er wird nicht mit Schaden klug, ist ohne Krankheiten und ohne Verdruß, hat gute Kinder und sieht wohl aus. Wenn er nun über dieses sein Leben wohl beschließt, so ist er würdig, der glückselige Mensch, den du suchst, genannt zu werden. Ehe er aber stirbt, muß man davon nicht urteilen und ihn nicht glückselig, sondern nur glücklich nennen. Es ist dabei unmöglich, daß ein Mensch dieses alles erlangen sollte; eben wie kein Land sich alles selbst hervorbringen kann, sondern eine Sache hat und der andern bedarf. Das aber das meiste trägt, ist das beste. Es hat auch keines Menschen Leib alle Gaben der Natur: eine besitzt er, die andre fehlt ihm. Wer das meiste Gute beständig hat und endlich das Leben auf eine angenehme Art beschließt, der verdient bei mir, o König! diesen Namen zu führen. Man muß bei einem jeden Dinge auf das Ende und den Ausgang sehen. Denn viele, denen Gott die Glückseligkeit gezeigt, hat er mit der Wurzel ausgerissen und umgekehrt.

Mit dieser Vorstellung machte sich Solon bei dem Krösus nicht beliebt, und weil er ihm keinen Vorzug einräumte, wurde er fortgeschickt. Man hielt ihn für einen sehr unwissenden Mann, weil er die gegenwärtigen Güter nicht achtete und auf das Ende aller Dinge zu sehen befahl.


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