Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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Gyges und Kandaules

Krösus war ein Lydier von Geburt und ein Sohn des Alyattes. Er herrschte über die Völker diesseits des Flusses Halys, welcher von Süden her durch die Grenze der Syrer und Paphlagoner geht und gegen Norden in das Schwarze Meer fällt. Dieser Krösus ist unter den Asiaten, soviel uns bekannt ist, der erste, welcher einige von den Griechen gezwungen, ihm Tribut zu geben, andere aber zu seinen Freunden gemacht hat. Er bezwang die Ionier, Äolier und Dorier, die in Asien wohnten; die Lakedämonier aber machte er zu seinen Freunden. Vor der Regierung des Krösus waren alle Griechen frei. Denn dies kimmerische Kriegsheer. welches älter war als Krösus, bezwang keine Städte, sondern zog nur raubend und plündernd herum.

Die Regierung, welche anfänglich die Herakliden hatten, kam folgendermaßen an die Mermnaden, aus welchen Krösus herstammte. Kandaules, welchen die Griechen Myrsilus nennen, hatte die Herrschaft zu Sardes und war ein Abkömmling des Alkäus, eines Sohnes des Herkules. Denn Argon, ein Sohn des Ninus, ein Enkel des Belus und Urenkel des Alkäus, war unter den Herakliden der erste König zu Sardes; Kandaules aber, des Myrsus Sohn, der letzte. Die hingegen, welche vor dem Argon zu Sardes regiert haben, sind Nachkommen des Lydus, eines Sohnes des Atys, gewesen; von demselben hat das ganze Volk, welches vordem Meoa hieß, den Namen der Lydier bekommen. Die Herakliden, welche von ihnen aufgezogen worden und die Regierung nach einem göttlichen Ausspruche erlangten, stammten von einer Magd, der Jardana, und dem Herkules ab. Sie regierten zweiundzwanzig Menschenalter hindurch fünfhundertundfünf Jahre, und der Sohn folgte allezeit dem Vater bis auf den Kandaules, den Sohn des Myrsus.

Dieser Kandaules war in seine Gemahlin sehr verliebt, und vor Liebe hielt er dieselbe für die allerschönste Person. Unter seinen Trabanten stand Gyges, ein Sohn des Daskylus, in besonderer Gnade bei ihm, und er trug ihm die wichtigsten Verrichtungen auf. Weil er nun von der Schönheit seiner Gemahlin über alle Maßen eingenommen war und dieselbe sehr rühmte, sagte er nicht lange nach seiner Vermählung (denn Kandaules sollte unglücklich werden) zu diesem Gyges: Gyges, du glaubst wohl nicht, was ich dir von der Schönheit meiner Gemahlin sage; denn die Ohren sind ungläubiger als die Augen; mache doch, daß du sie nackend zu sehen bekommst. Gyges erhob ein großes Geschrei und sagte: Herr, was ist das für eine tolle Rede, daß du mir befiehlst, meine Königin nackend zu sehen? Eine Frau zieht mit ihrem Unterrocke zugleich ihre Schamhaftigkeit aus. Was schön sei, haben die Alten schon erkannt, und von diesen müssen wir es lernen; darunter aber gehört auch diese Regel: ein jeder sehe auf das Seinige. Ich glaube gewiß, daß sie das schönste Weib ist, und bitte dich, nichts Unrechtmäßiges von mir zu verlangen.

So widersetzte sich Gyges dem Begehren des Königs, weil er befürchtete, es möchte deswegen unglücklich gehen. Allein er bekam diese Antwort: Gyges, sei unbesorgt und fürchte dich nicht vor mir, als wenn ich dich nur auf die Probe stellen wollte; auch nicht vor meiner Gemahlin, daß sie dir einiges Leid zufügen werde. Denn ich will die Sache so veranstalten, daß sie gar nicht erfahren soll, daß sie von dir gesehen worden. Ich will dich in dem Zimmer, in welchem wir schlafen, hinter die aufgemachte Tür stellen. Wenn ich drinnen bin, so wird auch meine Gemahlin in das Schlafzimmer kommen. Neben dem Eingange ist ein Stuhl, auf diesen wird sie die Kleider, welche sie auszieht, eins nach dem andern, legen und sich ganz ruhig von dir beschauen lassen. Wenn sie aber von dem Stuhle nach dem Bette geht und du hinter ihrem Rücken bist, so nimm dich ja wohl in acht, daß sie dich durch die Tür nicht weggehen sieht. Weil er nun keine Ausflucht mehr wußte, so ließ er sich die Sache gefallen. Kandaules führte den Gyges, als die Schlafzeit herbeikam, in das Zimmer; gleich darauf trat die Gemahlin auch hinein, welche denn Gyges, als sie sich ausgekleidet hatte, beschaute. Als sie ihm aber den Rücken zukehrte und nach dem Bette ging, schlich er sich hinaus. Allein sie sah ihn hinausgehen. Als sie nun merkte, was ihr Mann getan habe, erhob sie doch aus Schamhaftigkeit kein Geschrei und ließ auch nicht merken, daß sie etwas davon wisse, weil sie entschlossen war, sich an ihrem Gemahl zu rächen. Denn bei den Lydern und fast bei allen Asiaten ist es sogar für einen Mann schimpflich, sich nackend sehen zu lassen.

Sie entdeckte also damals nichts und hielt sich ganz stille; sobald es aber Tag geworden war, mußten sich diejenigen unter ihren Bedienten, welche sie für die treuesten ansah, bereithalten, und sie ließ den Gyges zu sich rufen. Er bildete sich nicht ein, daß sie etwas von dem, was geschehen sei, wüßte, und kam also nach ihrem Befehl. Denn er war auch sonst schon gewohnt gewesen zu kommen, wenn ihn die Königin forderte. Als Gyges ankam, sagte sie zu ihm: Nun gebe ich dir, Gyges, die Freiheit, unter zwei Wegen, die dir offen stehen, einen zu erwählen. Entweder nimm dem Kandaules das Leben und mich und das lydische Reich in Besitz, oder du mußt selbst alsobald sterben, damit du dem Kandaules nicht dergestalt gehorchst, auch künftig etwas zu sehen, welches dir nicht zukommt. Entweder der muß aus dem Wege geräumt werden, der dergleichen gewollt hat, oder du, der du mich nackend gesehen und ungeziemende Dinge getan hast. Gyges stand erst eine Zeitlang in Verwunderung über diese Worte; darauf bat er sie fußfällig, ihn nicht zu nötigen, eine solche Wahl zu treffen. Allein er richtete nichts damit aus und sah, daß es schlechterdings erfordert werde, entweder seinen Herrn hinzurichten oder sich selbst hinrichten zu lassen. Er erwählte also seine eigne Erhaltung und tat diese Frage an sie: Weil du mich nötigst, meinem Herrn das Leben zu nehmen und solches wider meinen Willen zu tun, so möchte ich wohl von dir hören, wie ich ihn überfallen soll. Sie versetzte darauf: An ebendem Orte sollst du ihn überfallen, wo er mich nackend gezeigt hat; und das kann geschehen, wenn er schläft.

Als sie die Anstalten gemacht hatten und es Nacht wurde, säumte Gyges nicht. Denn es war kein anderes Mittel übrig, als daß er selbst oder Kandaules sterben mußte. Er folgte also der Königin in das Schlafgemach. Sie gab ihm einen Dolch und versteckte ihn hinter ebender Türe. Sobald nun Kandaules eingeschlafen war, schlich er hinzu, brachte ihn um und bekam die Gemahlin und das Reich: welcher Sache auch der parische Archilochus in seinem sechsfüßigen jambischen Gedichte gedacht hat.

Er erlangte also das Reich und wurde darinnen durch einen göttlichen Ausspruch zu Delphi bestätigt. Denn da den Lydiern der Tod des Kandaules sehr wehe tat und sie deswegen die Waffen ergriffen, wurden die Soldaten des Gyges und die andern Lydier endlich so weit miteinander einig, daß er König sein sollte, wenn das Orakel den Ausspruch für ihn täte; widrigenfalls sollte er die Regierung den Herakliden wieder abtreten. Das Orakel aber tat für ihn den Ausspruch, und also wurde ihm das Reich überlassen. Es hatte aber die Pythia die Worte gebraucht: Bei dem fünften Abkömmlinge des Gyges werde die Rache wegen der Herakliden kommen. An diesen Ausspruch dachten die Lydier und ihre Könige nicht eher, bis er in Erfüllung ging.

Auf diese Art haben die Mermnaden durch Vertilgung der Herakliden die Herrschaft erlangt. Gyges hat in seiner Regierung nicht wenig Geschenke nach Delphi gesandt; die meisten silbernen Geschenke daselbst rühren von ihm her. Außer dem Silber schenkte er auch unsäglich viel Gold. Besonders aber sind die sechs goldenen großen Trinkgeschirre des Andenkens würdig; sie stehen bei dem Schatze der Korinther und wiegen dreißig Talente. Doch die Wahrheit zu sagen, gehört dieser Schatz nicht dem korinthischen Volke, sondern dem Kypselus, dem Sohne des Fetion. Dieser Gyges ist meines Wissens unter den Asiaten der erste nach dem Midas, des Gordius Sohne, dem Könige in Phrygien, welcher nach Delphi Geschenke in den Tempel geschickt hat. Denn Midas schickte den sehenswürdigen königlichen Stuhl, auf welchem er saß, wenn er Gericht hielt. Dieser Stuhl steht bei den Krateren des Gyges. Das Gold und Silber, welches Gyges geschenkt hat, wird von den Delphiern nach dem Namen des Gebers Gygadas genannt. Als er die Regierung angetreten hatte, bekriegte er die Städte Miletus und Smyrna und nahm Kolophon ein. Sonst aber hat er in seiner dreißigjährigen Regierung nichts Großes getan, und wir wollen also auch nichts weiter von ihm sagen.


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