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XX.

Wallenstein hatte sofort am folgenden Tage nach seinem Besuch bei Walperga einen Absagebrief an Scherbic gerichtet, worin er diesem erklärte, daß er die Brabanterinnen unter seinen Schutz genommen, daß er jede Gewaltthat gegen dieselben als gegen sich gerichtet betrachten und demgemäß verfahren werde. Matusch übernahm die Bestellung dieses Briefes. Er ward auch übergeben, aber nur an einen Diener Janko's. Dieser befand sich nicht in seiner gewöhnlichen Wohnung in der Karpfengasse. Der zurückgelassene Knecht beschied Matusch, sein Herr sei schon am vorigen Tage mit der übrigen Dienerschaft über Land gezogen, wohin, wisse er nicht; auch habe er nicht gesagt, wann er wieder zurückkehren werde. Scherbic blieb auch längere Zeit verschwunden, doch hörten dessen ungeachtet – wie wir sehen werden – die heimlichen und offenen Angriffe auf die Ruhe und Sicherheit Walperga's und ihrer Mutter nicht auf.

Waldstein war in Keppler's Wohnung, die sich im zweiten Geschosse der Schloßburg nach der Staubbrücke zu und in Ferdinand's I. Lusthause im Schloßgarten befand. Der große Mathematiker und Astronom, welcher den Weltkörpern neue Bahnen vorgezeichnet und ihren Lauf nach Zeit und Raum bis zur Evidenz festgestellt hat, trat aus seinem Cabinet.

Er war damals ein Mann von etwa achtunddreißig Jahren, doch bedeutend gealtert, klein von Gestalt, bleich und hager, aber voll Milde in den sanftblauen Augen, welche nur mit Sternen verkehrten, und voll Würde auf der hohen gedankenthronenden Stirn. Seine spanische Kleidung war, die breiten weißen Hals- und Handkrausen ausgenommen, durchaus schwarz. Auf seiner Brust hing an dünner Kette eine große goldene Ehrenmünze, ein Geschenk des Kaisers, nachdem er in Gemeinschaft mit Tycho de Brahe die sogenannten Rudolfinischen Tafeln vollendet.

»Mein eifriger Schüler,« sagte er freundlich lächelnd zu Albrecht, »holt sich Bescheid, sein Glaube hängt noch fest an der neuen oder vielmehr uralten und jetzt wieder neubelebten Wissenschaft, die jedoch nach meinem Dafürachten noch immer nicht auf festen Säulen ruht.«

»Ja, fest ist mein Glaube, fest meine Ueberzeugung von der Wahrheit dieser Himmelswissenschaft, dieser erhabensten Offenbarung des Weltengeistes. Wie an Gott, wie an das Licht meines Auges glaub' ich an den Einfluß, an die Verkündigung der Sterne! – Noch nie haben sie mir gelogen, was alles mir der weise Argoli verkündet, es hat seine siegreiche Bestätigung gefunden.«

»Ich muß gestehen,« entgegnete Keppler, »daß meine Observationen mir manche auffallende Problemata gelöst, daß ich den festen Glauben unserer Zeit, den Ihr, Herr von Waldstein, mit so viel aufgeklärten und gelehrten Männern theilt, begreife und vielleicht schon tiefer eingedrungen wäre in den mysteriösen Theil der Sterndeuterei, wenn ich nicht auf der Basis der Wissenschaft, der Sternkunde, sicher und darum langsam in ihr vorzudringen beschlossen hätte. Viel dank' ich in der That Eurem ersten Lehrer, dem weisen Andrea Argoli, dem ruhmgekrönten Ritter von San Marco, und hab' aus seinen gelehrten Schriften manche Erkenntniß gezogen.«

Er entfaltete ein Blatt, blickte aufmerksam in dasselbe und fuhr fort: »Ihr verlangtet die Lösung mehrerer Fragen, die ich Euch aus der Constellation geben soll. Von den Zwillingen aus, die Ihr Camilla genannt, droht Euch Gefahr, am Leben sogar, doch werdet Ihr durch sie den Tod nicht leiden; die Jungfrau aber, Walperga bezeichnet, bringt Euch Heil – doch werdet Ihr erst eine Dritte freien und eine Vierte; die beiden Letzten werden Euch groß und mächtig machen. Das Uebrige blieb mir verborgen!«

»So dacht' ich mir's,« versetzte Waldstein, »das leidenschaftglühende Weib in dem Saturn verwandt – allein Walperga's Stern ist auch mir günstig. Das Weitere mag die Zukunft bergen; ist doch der Raum vor mir erhellt und ich kann handeln.«

»Bauet nicht zu fest auf meine Rechnung,« entgegnete Keppler, »es kann auch ein Irrthum walten; denn ich bin noch nicht Meister in der Wissenschaft und Vieles mag trügerisch sein. Erst der Erfolg ist's immer, der Eure Weisheit stempelt. Ist sie wahr und unfehlbar, die Wissenschaft, wie ich nicht zweifeln mag, so habt von Camilla Ihr Gefahr zu besorgen, der Ihr, beschützt von Eurem Stern, wohl entgehen werdet und d'rum mit Vorsicht auch begegnen könnt!«

»O, meine Ahnung sagt mir dasselbe und Argoli sprach es schon früher aus. Doch da vergingen Jahre und ich glaubte, die Constellation habe declinirt, der Zauber sei gewichen. Doch nein! Der Weise hat einen hellen Blick in die Zukunft. Habt Dank, mein edler Meister, und erlaubt, daß ich bald wieder kommen darf, nicht um die Wissenschaft über mein Schicksal zu befragen, sondern um ihrer selbst willen, als Lernender!«

Er legte eine Börse auf den Tisch, drückte dem Lehrer die Hand und entfernte sich.

Keppler zählte lächelnd das Gold; denn es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sein heller Geist, der die erhabensten Probleme der Mathematik gelöst, die Irrthümer, Hirngespinnste und Trugschlüsse der kabbalistischen Astrologie durchschaute und sie größtenteils geringschätzte; aber er trieb sie, denn sie war eine Mode der Zeit; gelehrte und aufgeklärte Männer, ja die Mächtigsten der Erde, selbst Richelieu, hingen ihr damals an und das Gold nahm Keppler, weil sein Gehalt, das er vom Kaiser bezog, an und für sich gering, ihm sehr unregelmäßig ausgezahlt, zuletzt jahrelang ganz hinterhalten wurde, wie er denn auch 1630 zu Regensburg in bitterer Armuth starb, in dem Augenblicke, als ihm ein Ruf als Professor der Mathematik nach Rostok zutheil wurde und ihm und seiner Gattin ein besseres Los verhieß.

Historisch erwiesen ist, daß Keppler später Wallenstein's mächtige Verwendung in Anspruch nahm, um zwölftausend Gulden kaiserliche Besoldungsrückstände zu erhalten, und da dieses nichts fruchtete, 1630 selbst auf den Reichstag nach Regensburg ging, um bei dem Kaiser in Person zu bitten. Er hatte nicht nur Rudolf, sondern auch Mathias und Ferdinand II. als Mathematicus und Hofastrolog gedient. Da ihm seine medicinische Praxis nichts einbrachte, so suchte er durch die gedachte Wissenschaft Geld zu erwerben und sich, wie er in seinen Briefen selbst eingestand, vor Hunger und Dürftigkeit zu schützen. Er selbst stellte sich jedoch, im Widerspruch damit, die Nativität, als er sich 1613 mit einem schönen achtzehnjährigen Mädchen vermählte, und sagte in seinem Kalender von 1618 durch das Prognostikon des siebenfachen M ( Magnus Monarcha Mundi Matthias Mense Martio Morietur) den in diesem Jahre zu erfolgenden Tod des Kaisers Mathias voraus!

Kaiser Rudolf hielt Wort und schrieb den neuen Landtag aus, auf welchem die Religionssachen der Protestanten geordnet werden sollten. So groß war die Anzahl der versammelten böhmischen Herren, Ritter und Abgeordneten der Städte noch auf keinem Landtage gewesen; bei der protestantischen Partei handelte es sich nämlich um eine Lebensfrage, um die längst erstrebte, unumgänglich nothwendige Parität; die katholische Partei ihrerseits lief Gefahr – da die Anhänger des Protestantismus viel zahlreicher waren – das Uebergewicht und die Herrschaft zu verlieren, wenigstens letztere für die Zukunft theilen zu müssen.

Auf die Proposition der kaiserlichen obersten Räthe Popel Lobkovic, Jaroslav Martinic und Wilhelm Slavata, in der ersten Sitzung sollten vorerst die übrigen Reichsangelegenheiten verhandelt und zum Beschlusse die Religionssachen vorgenommen werden. Sie gedachten so den Eifer und die Theilnahme der protestantischen Partei zu ermüden und sie zu spalten. Aber die protestantischen Stände erklärten, sie würden nicht eher zu den Staatsangelegenheiten schreiten, bis nicht die verlangte und in Aussicht gestellte Religionsfreiheit festgesetzt sei.

Stürmisch verließen sie den Saal und die Sitzung war hiermit aufgehoben. In der zweiten Versammlung erklärte Herr von Slavata, der Kaiser würde von den alten Gesetzen des Königreiches nicht abgehen und diese duldeten keine Religion im Lande, als die katholische und die utraquistische, so wie dies durch die Compactaten bestimmt sei. Die unter Kaiser Maximilian mehr durch Gebrauch und stillschweigende Toleranz, als durch Gesetze bestandene Religionsfreiheit sei nicht mehr giltig, sondern unnütz und todt.

Dieser Ausspruch traf die unter der protestantischen Partei befindlichen Lutheraner und böhmischen Brüder aufs empfindlichste. Er trennte sie von den Utraquisten, den gesetzlich anerkannten Nachfolgern der Hussiten, isolirte sie und schloß sie von dem vollen Gebrauch ihrer standesherrlichen und bürgerlichen Rechte aus. Der Streich war gut geführt! Aber die Zahl der Bedrohten war groß und ihr Einfluß mächtig. Sofort stellten sich Thurn, Schlik und Budova an ihre Spitze und erhoben Einspruch. Vor allen Dingen zogen sie die Utraquisten zu sich hinüber und machten ihre Sache zur Sache derselben. »Wenn man mit uns fertig ist,« sagten sie, »werdet Ihr daran kommen!« Nachdem so der Bund geschlossen war, setzten sie eine zweite Bittschrift an den Kaiser auf, worin sie eine Religionsfreiheit ohne alle Einschränkung verlangten und das Vertrauen hervorhoben, welches sie an jenem stürmischen Tage in die Zusage des Königs gesetzt.

Die drei oben genannten katholischen Räthe aber bestimmten den Kaiser, auf seiner Weigerung zu verharren. Die Sitzung, in welcher diese Weigerung ausgesprochen wurde, war eine der stürmischesten und drohendsten, welche dem ruhigen Beobachter die darauf folgenden Ereignisse leicht voraus verkündigt haben würde.

Wenzel von Budova erhob sich und donnerte den königlichen Commissarien die Frage entgegen: »Sind wir nicht auch des Reiches Stände, gilt unser Vorrecht nicht, wie das der katholischen? Wie? Sollen wir, weil wir Protestanten, unseren Standesrechten entsagen oder, wenn wir diese wahren wollen, unseren Glauben abschwören?«

Der Oberstburggraf Adam von Sternberg, ein sonst milder und beliebter, aber in Religionssachen hartnäckiger und dem König unbedingt ergebener Mann, sagte – da die übrigen Räthe schwiegen, etwas außer Fassung gebracht und den Sinn seiner Worte nicht erwägend: »Darüber, meine Herren, möget Ihr Seine königliche Majestät selbst befragen!«

»Gut!« rief Mathias Thurn mit großer Heftigkeit, »so wollen wir mit der Majestät noch einmal und etwas lauter reden als das letztemal. Die Folgen kommen über Euer Haupt, Ihr Räthe des Monarchen, Ihr böhmischen Männer, die Ihr Euer Vaterland, Eure Stammesbrüder verrathet und verkauft!«

Der Tumult wuchs, drohende Stimmen wurden laut, Sternberg erbleichte, Martinic blickte rathlos vor sich nieder, Slavata allein behauptete eine scheinbar gleichmäßige Ruhe, doch schwieg er; da stillte Schlik's Besonnenheit den entstehenden Aufruhr und vertagte Gewaltthätigkeiten, die nahe daran waren auszubrechen.

»Im Namen der utraquistischen und protestantischen Stände,« rief er, »erkläre ich demnach, da der Hauptpunkt unserer Versammlung durch einen Machtspruch beseitigt worden und unsere fernere Wirksamkeit unter diesen Umständen unnütz sein würde, den Landtag für geschlossen. Jede Protestation feierlich vorbehalten! Die protestantischen Herren, Ritter und Abgeordneten und die, so unserer Gesinnung sind, aber lade ich zu einer Versammlung auf morgen in die Neustadt ein, wo wir in Ruhe und Frieden über das Weitere Rath pflegen wollen.«

Der allgemeine Zuruf der Parteigenossen erklärte sich damit einverstanden und lärmend traten sie aus der Versammlung; lärmend, die Waffen auf das Pflaster stoßend, laut scheltend und fluchend, daß das Getümmel bis in die Gemächer des Königs dringen mußte, zogen sie durch die Schloßhöfe und Thore und verließen die Hradschiner Burg.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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