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XV.

Wir müssen jetzt von den geschilderten Ereignissen über einen Zeitraum von vierzehn Jahren zurückkehren.

Es war in den ersten Tagen in der Charwoche. Da trat des Abends eine junge schöne und vornehme Frau in die Jesuitenkirche von Sanct Niclas in der Prager Altstadt. Die zahlreichen, prächtig gekleideten Diener harrten am Eingange mit der schweren, reich verzierten Carrosse.

Die Edeldame kam, um ihre österliche Beichte abzulegen. Sie betrat vielleicht zum erstenmale die Hallen dieses Tempels, denn ihre Residenz war der Hradschin, und dort auch in der Domkirche oder bei Sanct Georg pflegte sie ihre Andacht zu verrichten. Aber eine Freundin hatte der bekümmerten, glaubensschwärmerischen Frau den Jesuitenpriester Pater Anselmus, einen zwar noch jungen, aber beredtsamen, gottbegeisterten und glaubensstrengen Mann, als Beichtiger und Seelenrath empfohlen. Bei ihm wollte sie nun Rath, Tröstung und Verzeihung ihrer Sünden finden.

Es war die Stunde, wo er im Beichtstuhl zu sitzen pflegte, die Kirche leer und düster, Altäre und Wände der Passionszeit wegen mit dunklen Tüchern verhängt. Matt schimmerte das Abendlicht durch die hohen Fenster; vom Hochaltare verbreitete nur eine Ampel hellen Schein und durchbrach die Finsterniß zwischen Wölbung und Säulen, gleichwie ein Hoffnungsstrahl manchmal die Nacht einer bekümmerten Seele durchzittert. Das Auge mußte sich erst an das Dunkel gewöhnen, um die Gegenstände rings zu erkennen.

Als die hohe, der heiligen Zeit wegen in dunkle Farben gekleidete Frau gesenkten Hauptes, Rosenkranz und Gebetbuch in der Hand, das Schiff der Kirche durchschritt und in die rechte Seitenhalle trat, wo der Beichtstuhl stand, fuhr eine seltsame Erschütterung durch die schwarze Gestalt des Priesters, er strich sich rasch die langen dunklen Locken über das Antlitz, daß sie es fast ganz verdeckten und nur den hohlen, schwarzen Augen einen seltenen Durchblick ließen, und murmelte schwer aufathmend für sich: »Sie ist es! Die Stunde der Rache, des Triumphes ist erschienen!« Er barg sein Haupt in der Hand und legte das Ohr an das Gitter.

Die Dame kniete nieder vor demselben und der Priester sprach mit veränderter Stimme den Segen. Diese Stimme durchdrang die Frau mit einem seltsamen Schauder, dessen sie sich im Augenblicke keine Rechenschaft zu geben wußte, sie faßte sich indessen, betete das Confiteor und legte dann das Geständniß ihrer Sünden mit leiser Stimme ab. Sie war so tief von ihrer Schuld und von der Heiligkeit des Sacramentes durchdrungen, daß sie es nicht bemerkte, wie der Priester bei Aufzählung der innersten Gedanken ihrer Seele, bei Offenbarung ihrer geheimsten Handlungen oftmals schwer aufathmete und nur gewaltsam einen Sturm bändigte, der in seiner Brust zu toben schien.

Nachdem sie geendet, fragte Pater Anselm in lauterer, aber tief herabgedrückter Stimme, die ihren natürlichen Klang verbarg: »So hast Du, frommes Beichtkind, drei Leibessprossen?«

»Zwei Knaben und eine Tochter!«

»Und ein vierter Ehesegen ruht unter Deinem Herzen?«

Sie nickte bejahend.

»Und sie werden doch Alle,« fragte der Priester weiter, »in unserer heiligen, alleinseligmachenden Religion erzogen?«

Die Beichtende zögerte – dann hauchte sie kaum hörbar: »Nein! Die Knaben nicht!«

»Und Du duldest diesen Greuel? Die Mutter sieht ruhig die Verdammniß ihres eigenen Fleisches,« rief der Priester lauter, daß es zwischen den Säulen hallte.

»Ich muß!«

»Im Glauben giebt es kein Muß, als den Tod! Warum entziehst Du Deine Knaben der Verheißung und weihest sie dem zeitlichen und ewigen Untergange?«

»Es ward so in den Ehepacten bestimmt; meine Brüder selbst fügten sich dem Vertrage.«

»Weh' solcher Ehe, die Söhne der Hölle erzeugt und schuldlose Kindlein früh für den Abgrund bestimmt!«

»Mein Gatte duldet freundlich meinen Glauben; über seine Knaben habe ich keine Macht!«

»Der Ketzer duldet? Wir dulden in unserer Langmuth; doch ist sie bald erschöpft. Mit Stumpf und Stiel soll das Unkraut des Ketzerthumes ausgerottet und dem Feuer überliefert werden! Hast Du schon alle Mittel der Ueberredung und der Klage, der Thränen und der Gunstverweigerung erschöpft, um ihn von seinem Irrglauben ab und unserer Lehre zuzuwenden? Hast Du, so er verstockt, nicht mit der ganzen mütterlichen Gewalt wenigstens gestrebt, die Seele Deiner Kinder zu erretten?«

»Ich habe es – doch vergebens! Fest ist sein Wille – der Vertrag schützt ihn.«

»So sterbe er!«

»Der Vater meiner Kinder?« stöhnte die geängstigte Frau und brach in lautes Weinen aus.

»Der Feind unseres Glaubens! Sein Leib gehe zugrunde im gewaltsamen Tode, damit vielleicht seine Seele errettet werde!«

»Ich liebe ihn – er ist so edel, so –«

»Du liebst ihn?« rief der Priester und seine Stimme bebte und seine Zähne drückten sich krampfhaft und blutig ab in den bleichen Lippen. »Du liebst den Nebukadnezar! Er sterbe von Deiner Hand, zu Deiner eigenen Sühne! Nur durch dies Opfer vermagst Du die große Blutschuld solch sündhafter Ehe abzuwaschen und wieder Gnade zu finden vor dem Allerbarmer!«

»Entsetzlich!« wimmerte das Weib und ihr marmorbleiches Antlitz glitt an die kalten Eisenstäbe des Gitters, so daß ihre gepreßten Athemzüge durch die Locken des Beichtigers wehten; »o seid barmherzig, ehrwürdiger Vater!«

»Der Glaube verlangt die Sühne! Abraham brachte ein schwereres Opfer.«

»Ich vermag es nicht!«

»Ich befehle Dir es kraft meines Amtes, hier vor dem Altare des Gekreuzigten, wo ich sitze an Gottes Statt!«

»Das kann der Himmel nicht verlangen,« wimmerte die Frau; »Gattenmord ist das Entsetzlichste! Erbarmt Euch des Kindes unter meinem Herzen!«

»Judith war des Holofernes Weib und tödtete ihn auf das Geheiß des Herrn für Israel. Konnte sie nicht auch eine Frucht tragen von seiner Umarmung? Und soll das Kind, das Du gebären wirst, wenn es ein Knabe, gleich den anderen verdammt sein?«

»Habt Mitleid mit mir armen Sünderin, hochwürdiger Vater, und begehrt nicht so Entsetzliches! Ich will mich jeder Buße unterwerfen, will Kirchen und Klöster reich beschenken, will Messen lesen lassen, will mich blutig knien, will in Strömen von Thränen bereuen, den Leib mir zergeißeln, fasten, aller Erdenlust entsagen: Nur dieses nicht! Ist doch mein ganzes Leben ein ewiger Kampf für den Glauben gegen den starren Sinn des Gatten, ein ewiges Zagen und Trauern um das Seelenheil der Kinder, ein Trauern und Bereuen, ein Aengstigen und Büßen!« Die gräßliche Seelenangst hatte sie beredt gemacht.

»Du mußt – ich befehle es Dir!«

»Ich kann es nicht,« stöhnte sie und warf sich nieder vor dem Beichtstuhl und preßte ihr bleiches Gesicht auf das kalte Gestein und wimmerte laut um Erbarmen.

»Dann spreche ich den Fluch des Himmels über Dich aus,« donnerte der Priester und seine Stimme erhob sich zu einer Furchtbarkeit, die in das Ohr der geängstigten Frau wie das Echo aus der Kluft einer furchtbaren Vergangenheit klang, »und verfluche Deine Kinder, die lebenden und noch nicht geborenen, ich verfluche, die Dich erzeugt und gesäugt, die Du geliebt, die Dich geliebt –«

»Haltet ein!« kreischte in namenloser Angst die Frau und umklammerte die Säulen des Beichtstuhles und wollte vergehen im krampfhaften Weinen.

»Also willst Du?« fragte der Priester – »besinne Dich – noch ist die Gnadenthür offen! Bald wär's zu spät. Was Dir eine Sünde dünkt, ist eine wohlgefällige That vor dem Herrn. Du rettest drei Seelen für den Himmel, die dereinst um Erbarmen flehen können für den Vater und ihn erlösen aus den Qualen des Fegefeuers. Hier – nimm!« Er zog unter seinem Habit einen Dolch hervor und drückte ihn in ihre zitternde Hand.

»Nachts, wenn er schläft,« fuhr der Pater mit entsetzlicher Ruhe fort, »trittst Du an sein Lager und senkst dieses Eisen im Namen der heiligen Dreieinigkeit in seine Brust. Dein Glaube wird Dir geholfen haben! Die That wird alle Schuld von Dir nehmen und leichter wirst Du Dich fühlen nach dem Opfer, so Du dem Herrn und seiner heiligen Kirche gebracht.«

Der Dolch entglitt der Hand der halbohnmächtigen Frau und fiel klirrend auf den Steinboden hinab. Sie flehte mit herzzerschneidenden Tönen: »Bedenkt: er ist Gatte und Vater – mein Gatte! O habt Erbarmen, wie es Gott dereinst mit uns Allen haben möge!«

Aber der Entsetzliche fühlte kein Erbarmen. »Zum letztenmale,« sprach er, »rede ich ermahnend zu Dir und warne Dich, rette Dein Heil! Willst Du um irdische kurze Lust hingeben die himmlische Seeligkeit und diese eintauschen für die entsetzliche Ewigkeit der Verdammniß?«

»Nehmt mein Leben – ich will sterben; doch kann ich nicht!«

»Wehe, wehe!« rief Anselmus und erhob sich – »die Langmuth ist erschöpft – ich verhülle mein Haupt, dort vom Altare reiße ich das Tuch, damit der Gekreuzigte des Fluches Zeuge sei, den ich in seinem Namen spreche. Die Absolution sei Dir verweigert vom heutigen Tage, das Brot des Herrn Dir entzogen jetzt und in der Stunde Deines Absterbens –«

»Haltet ein! Haltet ein!« stöhnte sie und brach in die Knie – »ich will – weil es Gott –.« Sie vollendete nicht, das Wort verhallte in ihrer Kehle, nur die Brust hob sich in gewaltigen Schlägen und Fieberfrost schüttelte die gebeugte Gestalt.

Anselm hob den Dolch vom Boden und nahm seinen Platz wieder ein. »Hier die Waffe, die ich geweiht. Gott und mein Segen wird Dir Kraft und Entschlossenheit geben. Hier schwöre auf das Crucifix!«

Sie küßte es willenlos fast.

»Jetzt schwöre!«

»Ich schwöre!«

»Gott und sein Priester haben Deinen Schwur gehört. Fasse Muth! Eine zweite Judith ziehst Du in den Kampf für den Herrn. Was Dir jetzt ein Opfer, eine Qual, ja eine Greuelthat scheint, wird Dir oben zur Glorie werden und schon auf dieser Erde Segen bringen. Alles, was irdisch an uns ist, befiehlt der Herr, sollen wir um ihn verlassen. Was Du thust, ist in seinen Augen keine Sünde, sondern ein Opfer, Deine Schuld zu büßen, ein Opfer, das Du seiner Kirche bringst!«

»Doch die weltliche Gerechtigkeit wird ihre Sühnung verlangen,« versetzte einen Ausweg suchend, die Frau, »ich unterwerfe mich ihr, ich büße gern durch den Tod meine entsetzliche That; er allein kann mir Frieden geben; aber was wird aus meinen Kindern, aus den Kindern einer Gattenmörderin? Schmach ist ihr Los – der Fluch, der Abscheu der Menschen, der mir gilt, trifft ihr unschuldig Haupt!«

»Darum zage nicht! Die weltliche Gerechtigkeit soll keine Macht haben über Dich. Die Gewalt des Ordens schützt Dich. Der Grund zur That und jeder Umstand soll ein Räthsel bleiben. Schuldlos sollst Du dastehen vor den Menschen – gereinigt vor der Kirche. Sie allein theilt Dein Geheimniß. Sorge nicht – was auch über Dich ergehen möge: der Orden breitet schützend seinen Mantel über Dich. Noch sind wir die Herren der Welt, wie auch das Lutherthum gegen uns rase und tobe und seine blutigen Zähne weise, und bald haben wir der Schlange den Kopf zertreten und beherrschen siegend den Erdkreis. Der Fels von Petri Kirche trotzt der Ewigkeit! Glaube, daß unsere Arme, unsere Augen überall sind. Je nachdem wir wollen, wird einer schuldig oder unschuldig befunden. Selbst vor Verdacht, vor bösem Leumund vermögen wir Dich zu schützen. Du bist in des Ordens Banne und tausend Arme, wenn auch Dir unsichtbar, kreuzen sich schützend über Deinem Haupte.«

Die unglückliche Frau aber kniete und schwieg und weinte leise.

»Und damit,« fuhr der Priester fort, »Dich im entscheidenden Augenblicke der That der Muth nicht verlasse, damit Du nicht eidbrüchig werdest, so wird unsichtbar Einer an Deiner Seite stehen, der Dich mahnt an Deinen Schwur und die Hand Dir leiten wird. – Knie dort an den Altar und hole Dir Beruhigung und Kraft im Gebete, Du gehst in einen schönen Kampf, schöner, weil er schwer ist! Die irdische Neigung wirfst Du hin, um der himmlischen Liebe theilhaftig zu werden. Du zerstörest ein unreines Gefäß, an dem Du bis jetzt Wohlgefallen gefunden und bewahrest Dich fernerhin vor Beschmutzung. Was Du thust mit widerstrebender Seele, mit Hintansetzung menschlicher Neigung, das lohnt Dir der Glaube mit der ewigen Palme. Durch Tod dringst Du zur Freiheit – indem Du das irdische Band zerreißest, welches die Sünde geknüpft, wirfst Du Dich, von allen Fesseln und Schranken befreit, der Kirche in die Arme!«

Die unglückliche, vernichtete Büßerin schwankte zum Altare, warf sich auf dessen Stufen nieder und betete lange. Doch es war kein Gebet, was sie dachte und sprach; es waren nur Wehschreie und Hilferufe ihrer gepeinigten Seele. Es war das Ringen nach Entschlüssen, nach Rettung aus dem Irrsal. Wohl hatten der armen Frau, deren Geist in finsterer Religionsschwärmerei befangen war, vorher andere Priester wegen ihrer unreinen Ehe, ihres Bundes mit dem Ketzerthume, harte Büßungen auferlegt und das bange Herz, statt es durch Trost zu erleichtern, mit Vorwürfen und Drohungen belastet; aber keiner hatte so Entsetzliches verlangt wie dieser starre Fanatiker, dieser entmenschte Zelot. Alle Abgründe der Verdammniß hatte er vor der geängstigten Seele aufgeschlossen, den Wahn, der nach einer Stütze sucht, zu einer schwindelnden Höhe gerissen, Willenskraft, Bewußtsein, Pflicht, Liebe betäubt und sie den Furien des religiösen Wahnwitzes preisgegeben. Ihr graute vor diesem Priester, ein innerer Ruf schien ihr zuzuflüstern, der finstere Mönch könne im Namen des barmherzigen Gottes nicht so Gräßliches verlangen, irgend ein Rachegefühl, eine menschliche Rücksicht, treibe ihn zu solcher Forderung – aber die Furcht vor der Rache des Himmels, vor der Verdammniß ihrer Kinder war größer, diese Drohung übertäubte alle Widersprüche ihres gebrochenen Herzens, ihres zerrütteten Geistes; sie sah nur zwei Abgründe vor sich: in einen derselben mußte und – wollte sie sich stürzen! – Ihre Hoffnung ging auf den Tod, diesen erflehte sie inbrünstig. Er konnte sie ereilen in den Stunden vor der That, er konnte sie erlösen von derselben, zu welcher selbst die Verzweiflung ihr nicht Kraft zu leihen schien.

Endlich erhob sie sich, erschöpft, kraftlos, willenlos. Sie hatte keine Seufzer, keine Thränen mehr, keine Gedanken, die zurück oder vorwärts schweiften, vor ihrer Seite war eine Leere, in welche der Geist starrte; nur in den Augen leuchtete es wie Wahnsinn.

Es war Nacht geworden in dem Gotteshause – nur die Ampel am Hochaltar schimmerte durch das Grauen; sie zuckte manchmal empor, als fasse auch sie ein Schauder vor dem Entsetzlichen, was hier, im Angesicht der Heiligen, ein Wahnsinniger oder Bösewicht heischte und einer Wahnbethörten zumuthete.

Mitten im Schiffe, schwarz aufragend aus der schwarzen Finsterniß, stand der Priester aufrecht, wie ein Gebilde der Unterwelt, eine Gestalt der Rache und Vernichtung – ein Phantom, das die Hölle gesandt, das Gotteshaus zu entheiligen, und harrte seines Opfers.

Die Büßerin wankte auf ihn zu – es flirrte vor ihren Blicken, es war, als ob sich vor ihr ein Abgrund öffne; er stützte die Bebende und sprach mit hohler Stimme:

»Sei stark! Nachts, wenn Du drei Schläge vernimmst an der Pforte unter Deinem Fenster, ist es Zeit zur That der Rache und der Entsühnung. Dann ermanne Dich und vollende! Denk' an Judith, denk' an die Märtyrer unseres heiligen Glaubens! – Dir unsichtbar wird Einer an Deiner Seite stehen und Dich schrecklich mahnen, wenn Du verzagst. – Solltest Du aber schwach sein, die That nicht vollbringen, zur Verrätherin werden an Deinem Gott und Herrn, dann bist Du und die Deinigen verloren, hier und dort; die, welche Du liebst, sündhaft liebst, sollen vor Deinen Augen zu Leichen werden und verdammt in den Abgrund sinken. – Doch ich habe Deinen Schwur, den Du vor Gott gesprochen! – Ich verweigere Dir jetzt noch die Absolution – komm' morgen, wenn Du das Bußopfer vollbracht. – Wenn Dein Rachewerk geschehen, so wird Jemand erscheinen, der alle Spuren tilgen wird, die den Verdacht auf Dich werfen könnten. Mit dem geweihten Crucifix hier aber binde ich Deine Zunge, daß sie von dem, was ich im Beichtstuhl Dir geboten, kein Wort verlautbare, sei es in Gewissensangst, in Fieberhitze, unter Drohungen oder Beängstigungen. Du magst eher sterben, als sprechen! Die himmlische Palme ist Dir gewiß. – Geh' nun, meine Tochter, und sei stark!«

Er geleitete sie nach diesen Worten an eine Seitenthür, welche er öffnete, und entließ sie. – Die Unglückliche hatte es nicht wahrgenommen, daß sogleich nach ihrem Eintritt in die Kirche sämmtliche Pforten verschlossen waren, so daß sie sich während des grauenvollen Auftrittes allein mit dem Priester in dem Tempel befand.

Sie schwankte zu ihrem Wagen, vor welchem die Läufer mit den Fackeln hielten. Ohnmächtig ward sie hineingehoben. »Die Herrin ist krank – der lange Aufenthalt in der kalten Kirche hat sie angegriffen,« sagten die Diener leise unter sich; »sie betet aber auch zu viel und hat's nicht Noth!« – Der Kutscher peitschte die Rosse zur Eile – die schwerfällige Carrosse rasselte über das rauhe Pflaster, die Brücke, auf den Hradschin.

Keiner ahnte, welch ein zerrissenes Herz, welche Saat von Unheil der von leuchtenden Läufern geführte, von goldbetreßten Dienern begleitete Wagen barg.

Am Rosenberg'schen Hause, dem jetzigen alten Palast der Fürsten Schwarzenberg, der die mittlere Seite des Hradschins, links vom Schloßportale, mit seinem riesigen altflorentinischen Untergeschoße krönt, angekommen, hob man die fast leblose Frau aus dem Wagen und brachte sie in ihr Gemach.

Ihre Dienerinnen mußten sich entfernen – sie verlangte allein zu sein – sie widersetzte sich jeder Hilfeleistung. Sie befahl, die Kinder zu Bett zu bringen und dem Gemahl, wenn er heimkehrte, zu sagen, sie habe sich schon zur Ruhe begeben.

Sie selbst, allein gelassen, nahm vom Betpult das silberne Crucifix, warf sich in einen Lehnstuhl am Fenster und preßte das Kreuz an ihre Brust. Dann versank sie in eine dumpfe Erschöpfung, nur ihre langsamen, schweren Athemzüge waren vernehmbar und das Knistern der Alabasterlampe am Pfeilertisch hinter ihr. Zwischen den halbgeöffneten grünen Vorhängen von schwerem Damast sah ein schwarzer Nachthimmel herein.

Drei Stunden später rasselte ein Wagen in den Vorhof. Der Gemahl kehrte nach Hause. Tritte und Rufe schallten durch die Gänge.

Ein erstickter Wehschrei bebte über die bleichen Lippen der schönen Frau – ein Fieberfrost durchschütterte gewaltig ihre Gestalt, dann sank sie wieder in die Kissen ihres Sessels zurück, drückte fester das Kreuz an die Brust, schloß die Augen und war ruhig wie eine Leiche.

Der wüthende Fanatiker aber, der Mordanstifter, der sich einen Priester des Herrn nannte, Pater Anselmus, trat, nachdem er die Unglückliche durch die Pforte entlassen, mitten unter die Wölbung der Kirche, breitete weit die Arme aus, schüttelte die Rabenlocken von der Stirne, erhob das Haupt zur Decke – vom Grauen der Nacht umwoben, von der Ampel nur matt beleuchtet, schien er ein Dämon der Hölle – und rief mit furchtbarer, triumphverkündigender Stimme: »Gott oder Teufel! Oder wie Du heißest, Du Macht, die dem Menschen die Gewalt der Liebe giebt und des Hasses, den Genuß und die Rache, das Erzeugen und Vernichten, habe Dank! – Sterben muß er, der Verhaßte, der von tausend Flüchen durch mich Beladene, sterben wird er – noch heute! Verzagt auch ihr Muth, erschlafft ihr Arm, so wird der Mord doch vollbracht durch meinen treuen Helfer, den ich mir durch die Hölle zugeschworen. Sie aber soll, ob gethan, ob nicht, die Schuld sich doch beimessen! – Ungeahnt von ihr dient mir ein treugeglaubter Diener ihres Hauses. Tief angelegt ist mein Plan – er mußte lange reifen, bis er zur Vollendung gediehen. – Alles ist bereit – ein Einbruch von der Straße nachgebildet – Blutspuren vor dem Fenster – ein verlornes Scapulier – man wird den Mord dem Glaubenswahn zurechnen und doch ließ ihn nur die Rache verüben. – Schweigen wird sie – wenn auch so alles zu ihren Gunsten sich kehrt, wenn der Verdacht weit hin ab von ihr schweift, schweigen, weil sie ein Weib ist, ein abergläubisch, ein schwärmerisch Weib! – – Also sie liebt ihn doch! Gehorsam erzeugt Liebe – die Zeit, die Gewohnheit auch – und Gehorsam, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Schuldbewußtsein soll für mich auch Liebe erzeugen! Aus Tod und Sünde hol' ich mir die Liebe! – Das aber ist's, was Scham, Stolz, Gewissen, selbst Abscheu mürbe macht; unschuldig scheinen wollen vor der Welt, vor mir sich schuldig wissen, zittern, fürchten. – Sie wird sich in meine Arme werfen, Beruhigung, Schweigen, Trost, Verzeihung vom Himmel verlangend – ich werde ihr alles gewähren können, Sicherheit und Ruhe auf Erden und eine verheißene Seligkeit im Jenseits! – Ich werde in der lang entbehrten, mir schmählich versagten, grausam geraubten Liebe schwelgen, in der jetzt widerstandslosen Liebe und in der Rache. Ein willenloses Werkzeug wird sie mir sein – ihre Hingebung setz' ich als Preis ihrer Vergebung, ihrer Entsündigung! Ihre Schüchternheit wird gehorchen, was sie Tugend nennt, ein Schattenbild sein, im Genusse wird sie Beruhigung, in der Sünde, in dem, was sie Sünde nannte, Freiheit finden. – Weil ich als Priester alles verzeihen, als Mensch alles vergessen kann! Was die Thoren den Glauben nennen, dient mir zum Werkzeug der Rache. – Dahin habt Ihr mich gebracht, die Geißel Euch selbst geflochten, den Feind Euch geschaffen, weil Ihr den Freund zertreten.«

»Und sie liebt ihn doch,« fuhr er nach einer Pause mit flammenden Blicken und zähneknirschend fort; »ich hätte es nicht gedacht; ich glaubte, sie hätte nur einmal geliebt, könne nur einmal lieben. Ihre Beichte lügt nicht! Das war's, was mich erbarmungslos stimmte und schonungslos macht. Sie liebt ihn, liebt zum zweitenmale, soll auch zum drittenmale lieben, lieben müssen und erkennte sie den Teufel in mir!«

»Du aber –« fügte er, sich unterbrechend, mit dem grellen Tone der Erbitterung hinzu, »arglistiger, räuberischer Feind, der mir alles: sie, den Himmel, meine Hoffnung und was ich in und mit ihr Tugend nannte, geraubt, der mir die ganze Erde gestohlen: mein Einziges, weil ich nicht an den Himmel glaube, der mich zertreten in dem Bewußtsein seiner Hoheit, weil ich ihm ein Findling, ein Niedriggeborener, ein Armer, darum Verworfener erschien, Du hast nicht geahnt, daß Dir durch die geliebteste Hand, die ich bewaffne, der Tod wird, und daß es noch über den Tod hinaus eine Rache giebt. Wenn Du moderst, schwelge ich in den Armen, in den Reizen Deines Weibes, fülle ihr Herz mit Haß gegen Dich, lege Verwünschungen gegen Dich in ihren Mund. Ein Grauen soll sie erfassen bei jedem Gedanken an das Beilager mit Dir, weil es sündhaft, weil es verflucht war. Ihre größte Scham und Reue soll ihr der Ehebund mit Dir sein! Selbst von ihren und Deinen Kindern will ich ihr Herz wenden, nur die Frucht der Sünde und den Gegenstand des Abscheues soll sie in ihnen erblicken. So, Elender, wenn es ein Jenseits giebt, noch darüber hinaus folgt Dir mein Haß, meine blutige Vergeltung!«

Er athmete tief auf in satanischer Lust, raffte sich empor, schritt zum Altar, verlöschte das Licht und entfernte sich durch die Sacristei. Nacht und Grauen herrschte in dem geschändeten Gotteshause.

Die Frau aber, welche mit dem Mordauftrag gegen ihren Gatten das Gotteshaus verlassen hatte, wo sie Beschwichtigung ihrer Glaubenszweifel, wo sie Trost und Vergebung gesucht, war die edle Elisabeth von Rosenberg!


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