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VII.

Es war eine milde, sternenhelle Nacht. Schweigsam und sinnend wandelten die Freunde Arm in Arm durch die finsteren, ausgestorbenen Gassen. Da gelangten sie auf die Brücke, Kaiser Karl's IV. Riesenwerk. Unten schäumte die Moldau brausend durch die Bogen, matter Silberglanz spiegelte sich in ihren Wellen. Drüben erhob sich in blassem Nebelschimmer der erhabene Hradschin mit seinem stolzen Schlosse, seinem ehrwürdigen Dom, seinen Palästen, seinen Kirchen und Klosterzinnen. Von Sanct Georg tönte ein Silberglöcklein und verkündete die erste Morgenstunde und den Horaruf der Nonnen. Weich floß der Ton durch die ruhige Luft; auch von anderen Klosterthürmen der Alt- und Neustadt erhob sich nun ein gleicher Klang.

In der Mitte der Brücke blieb jetzt Albrecht stehen und lehnte sich an die Brüstung. Sein Freund that ein Gleiches.

»Siehst Du, Otto,« sprach Waldstein, indem er über den Hradschin emporblickte, »dort rechts vom Schloßthurm, gerade über dem Knauf, steht ein Stern von rothem Licht, von seltsam dunklem Feuer: das ist der Mars, mein Stern, der meiner Geburt geleuchtet, der mir günstig ist, vollführe ich etwas unter seinem Regiment. Er ist's, der mich durchs Leben führen wird, der mich, paart sich Wissen und Kraft mit meinem Willen, erhöhen soll auf dieser Erde über Viele! Meiden muß ich besonnen zur rechten Zeit jedes Unternehmen, wenn ein anderes feindseliges Gestirn seine Bahn durchkreuzt und seine Macht schwächt. Selbst die Sterne untereinander müssen der höheren Natur gehorchen und weichen muß der Eine, wenn der Andere seine Siegesbahn geht. – Ja – ich muß sie ganz erforschen, diese wunderbare, gewaltige Wissenschaft und hab' ich sie erst ganz erfaßt, so lenke ich die Welt, wie wir das Erdentreiben nennen. Darum brenne ich vor Begierde, den erhabenen Keppler meinen Lehrer zu nennen, ihn, den Schüler und mächtigen Genossen Tycho de Brahe's. Ein Brief von Argoli an ihn soll mir ihn befreunden.«

»Wohl kann ich mir es denken,« entgegnete Otto, »daß Dein fester Glaube an Sternenlauf und Sternenschickung Deinen Muth und Deine Kraft stählt und Dich treibt zu That und Wagniß. War's doch der Glaube an das Kreuz, der Tausende im Orient verbluten ließ, der Eifer für den Kelch, der unsere Väter freudig in Schlacht und Tod trieb; nicht zu gedenken der frommen Märtyrer, die oft um einer Vision willen auch eine Art Heldentod, unter Pein und Qualen starben. – Ich, mein Albrecht, habe den Glauben, den gewaltigen Drang nicht. Nicht für den Ruhm, nicht für den eigenen Ehrgeiz, was Ihr so oft die Ehre nennt, könnt ich Großes unternehmen, doch wohl für Andere, für ein geliebtes Wesen, für ein Weib, das den ganzen Himmel in meine Seele zaubert. Da allein würde es mich treiben und kräftigen, Ruhmeskränze zu erringen, um mit ihnen der Geliebten Haupt und Brust zu schmücken, um ihr schwer errungene Schätze zu Füßen zu legen. So möchte ich ein fernes Land entdecken, ein neues Eldorado, es erkämpfen mit dem Schwerte und sie dort als Königin einführen. In meiner Größe, meinem Ruhm, meinem blutigen Ringen, meiner Todesverachtung sollte sie nur die Liebe sehen, nichts als die Liebe!«

»Du Schwärmer,« versetzte Waldstein, »den noch die Liebe lockt, weil er sie noch nicht erkannt. Ich habe sie gekostet in hundertfältiger Gestalt, im Flug errungen, mich in ihr berauscht und – mich entnüchtert. Mich bewältigt sie nicht mehr. Des Jünglings Herz vermag sie wohl auf kurze Zeit mit süßer Träumerei, mit reizender Gestaltung zu erfüllen; dem Manne genügt sie nicht – sein Herz ist weiter, größer, tiefer, nur Riesengestalten vermögen seinen Raum auszufüllen. – Doch Du sprachst von Visionen eben; was mich betrifft: ich denke nicht gering von Träumen und Gesichten. Sie sind eine eigene Welt, die wundersam, geheimnißvoll eingreift in die unserige. – Hör' von einem Traum, der mich in einem halbwachen Zustand zu Padua beschlich, mich gewaltsam erregte und noch heute in seiner ganzen Größe und Klarheit vor meiner Seele steht und mir die Brust schwellen, die Adern beben macht. – Ich stand in einem weiten, unabsehbaren Schneegefild, das, eine endlose Ebene, sich an den mattblauen Horizont erstreckte! Nirgends Hügel, noch Baum, nur fernab auf einem eisbedeckten niederen Felsen sah ich ein Geschmeide funkeln, es war eine Krone, kenntlich im Glanz der untergehenden Sonne. Dahin lenkte ich die Schritte, denn seltsam lockte mich der goldene Reif als einziger Augenpunkt in der trostlosen Oede. Allein der Weg war weit, das Auge getäuscht über die Entfernung. Ich schritt rastlos vorwärts. Mein Schatten lag riesengroß vor mir und reichte bis an den Fuß des Felsens. Da aber, je mehr ich die Wanderung beschleunigte, schoß die Sonne, obgleich nahe am Untergehen, glühende Pfeile auf die Erde und schmolz im Momente den tiefen Schnee, daß er zur Fluth wurde, die mir bald an die Knie, an die Brust, an die Schultern reichte, und höher und höher schwoll. – Ich, ein muthiger Schwimmer, vertraute mich den Wellen und mit rüstigen Armen steuerte ich dem Felseneiland zu, das noch aufragte aus den Wassern und wo die Krone in immer wunderbarer Pracht glänzte. Nach schwerem Ringen erreichte ich den Fels; halb klomm ich hinan, halb hoben mich die Wellen; doch zu selber Zeit schien auch der Fels zu wachsen und sich riesig empor zu thürmen und trug die Krone höher, immer höher. In gleichem Maße stieg die Fluth und trug mich aufwärts; nahe war mir das Kleinod – doch so oft ich mit der Hand es zu erreichen glaubte, immer rückte es empor und immer gleich blieb die Entfernung. Da, bis zum Tode erschöpft, faßte ich ein Felsenriff und klammerte mich an, um zu rasten, um Kraft zu sammeln: plötzlich erkrachte ein furchtbarer Donner, eine glühende Lohe von tausend Feuergarben leuchtete hinter mir auf, es war als sei die Sonne entzweigeborsten und all ihr Licht mit einemmale über dem Horizont ausgeströmt! Und als mein geblendetes Auge seine Sehkraft wieder erlangt, da waren die Wasser alle verlaufen unter mir, ich hing mit krampfhaft geschlossener Hand am Felsenriff, vor mir aber stieg der Fels, ein zackiger Berg himmelan, so daß sein Gipfel in der schwarzen Bläue des Himmels, nach den Sternen, verschwand; doch vom Gipfel selbst schimmerte kenntlich im zauberischen Lichte noch die Krone!

Nun klomm ich, Fuß und Hand gebrauchend, aufwärts; zackiges Gestein, spitze Krystalle, scharfkantige Korallen zerrissen mir die Hände, während ich mich auf schmaler, schwindeliger, fast senkrechter Bahn emporwand, einer Eidechse gleich und kühner als eine Gemse. Aber meine Kraft erlahmte – ich wollte den Leib zwischen zwei Riffe klemmen und rasten. Doch da schmetterte es unter mir wie von tausend Kriegsdrommeten, jubelnd und ermuthigend, und drang empor durch die dünne Luft in ungeschwächter Tonfülle. Und neue Kraft durchwallte meinen Leib, muthgeschwellt hob sich meine Brust, ich schwang mich aufwärts, immer höher, trotz Widerstand und Schmerz, und freudig gewahrte ich, daß ich dem Gipfel, dem sternengleich schimmernden Diadem immer näher dringe. Da verhallten plötzlich die Kriegshörner unter mir und Schaaren von Geiern stiegen auf, als hätte sie der Abgrund unter mir im Nu geboren, und umkreischten und umflatterten mich, und zeigten mir ihre Fänge und stierten mich an mit blutgeränderten Augen und reckten die breiten Zungen aus den Schnäbeln, als lechzten sie nach meinem Blute. – In qualvoller Todesangst kreischte ich ihnen einen Fluch entgegen und siehe da: – sie zerstoben, sie flatterten nieder, wie schwarze Schneeflocken, aber aus der Tiefe erhob sich ein markdurchschneidendes Geheul wie von tausend Verdammten und nachdem ich die wirre Sehkraft wieder gesammelt, erblickte ich unter mir einen feurigen Abgrund, aus dem sich schwarzer Rauch in riesigen Säulen und Flammenzungen meilenlang emporreckten und zu mir zu dringen drohten. Und als ich das erstarrte, stiere Auge rechts ab nach dem Himmelsraume wandte, war dieser breit und tief ein einziges Auge geworden – als wie das Gottesauge: ein Auge die ganze Welt! Es war ein entsetzlicher Anblick, ein Anblick zum Zermalmen: dieses unendliche Auge, das die ganze Welt vor mir in sich zu fassen schien! Und stärker erhob sich unter mir das Geheul und ich fühlte vom Herzen aus einen starren Frost durch meinen Leib ziehen, die Brust empor in Auge und Gehirn und ich meinte, daß sich der Wahnsinn meiner bemächtige; denn es war, als ziehe die starre Kälte mein Gehirn zusammen und der Schädel krache in Splitter, wie dünnes Eis über dem hohlen Raum des gesunkenen Gewässers. Ein glühendes Gebet stöhnte ich aus angstbeklommener Seele, das wie ein Wehschrei meine Brust durchklang und in mir ein schauriges Echo fand. Nur ein Gedanke tauchte instinctmäßig in mir auf, ich mußte höher, immer höher dringen, denn unter mir wuchs der flammende Abgrund empor und leckte meine Sohlen mit seinen feurigen Schlangenzungen. Da war ich mit dem Aufgebote aller meiner Kraft – einer Kraft, die im Bewußtsein keiner Menschennatur lebt – endlich dem Gipfel nahe gerückt, ich streckte den Arm nach der Krone, meine Finger schlossen sich krampfhaft, um sie zu erfassen, da – – zerborst unter mir Fels und Gestein, tausend Donner erschallten, die Erde erbebte, es dröhnte wie ein Weltenuntergang und ich stürzte hinab, meilentief im rasenden Fluge, der den Athem preßte, die Sehkraft blendete – in den feurigen Abgrund, in das aufjauchzende Geheul, in das entsetzliche Chaos der Tiefe!«

Athemlos hielt hier Waldstein in seiner Schilderung ein, Schweiß bedeckte seine Stirne, Blässe seine Wangen. Das Heraufbeschwören des schauervollen Traumerlebnisses in seiner Phantasie hatte ihn tief erschüttert und fieberhaft aufgeregt.

»Ein entsetzliches Gesicht,« sagte mit bebender Stimme Otto, der athemlos der Erzählung gelauscht, »welch furchtbarer Traum! – Und der – sagst Du – konnte Dich erheben?«

»Ja,« versetzte Waldstein, fast freudig aufathmend, und sein Auge leuchtete, »ich träumte, daß ich erwachte; ich lag zerschmettert auf dem Boden – – aber die Krone hielt ich in meiner Hand!«

»Den Preis des Erringens um den Preis der Vernichtung,« sagte nach einer Pause Otto mit tiefer Stimme.

»Die Krone aber,« wiederholte Waldstein, »hielt ich in meiner Hand! Was bedenkt, wer nach dem Erfolge ringt, den Untergang? Wer in der Schlacht nur den Sieg vor Augen hat, denkt nicht an den Tod, ob dieser auch rings um ihn her gestreut wird. Ich kenne einen Spruch: Wenn Menschen weinen, lächeln Götter; aber Menschenherzen müssen brechen, damit sie Götter werden! – Als ich endlich matt, kraftlos, bis zum Tode erschöpft, erwachte, in der Wirklichkeit, nicht im Traumbild bloß, da fiel mein Blick durch das offene Fenster. Die Sonne leuchtete und hoch im blauen Himmel schimmerte die goldene Thurmeskrone von Santa Maria maggiore. – Ich erhob mich vom Lager, noch zitternd und mit schwankenden Knien, und eilte zu Doctor Argali und erzählte ihm den Traum. – Der Meister versank in tiefes Nachdenken, dann sagte er, indem er bedeutungsvoll meine Hand preßte und die Augen mit einem Ausdruck, wie er nur dem Seher eigen, lange auf mir ruhen ließ: Dir steht eine gewaltige Zukunft bevor. Wohl wirst Du ringen müssen gegen die Gewalt feindseliger Gestirne, aber der Sieg wird größer sein als der Kampf! – Und darauf baue ich!«

Nach diesen mit Bestimmtheit ausgesprochenen Worten faßte Albrecht Otto's Arm und wandelte schweigend an seiner Seite über die Brücke, durch den finsteren Brückenthurm in die Kleinseite. – Unten aber brauste die Moldau fort durch die Pfeiler und über die Wehren in schwarzen Wogen und bleichem Schaum, und oben, über dem majestätischen Thurm des Domes, stieg der rothglühende Mars langsam, doch immer höher und höher im Himmelsraume empor.


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