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I.

Das Volk drängte sich an der Ecke der Brückengasse in einen Haufen. Es war keine Zusammenrottung, sondern Walperga sang zur Mandoline, wie sie es so oft auf den Straßen von Prag that, Walperga, das räthselhafte Mädchen von siebzehn Jahren; beneidet ob ihrer Schönheit im groben Gewande von den ersten Damen Prags und geliebt vom edelsten Junker der Männerwelt wie vom Burschen aus dem Pöbel, der Walperga ebenso gerne sah, als singen hörte.

Und Walperga war ein reizendes Geschöpf! Welche Anmuth hatte das Geschick, welchen Liebreiz in Form und Geberde, welchen Wohllaut der Stimme, welche keusche und doch bezaubernde Glut hatte es in das zwar malerische, aber dürftige Gewand einer Straßensängerin gehüllt! Sie, die dem Pöbel diente, hatte die Natur so verschwenderisch ausgestattet, so verführerisch, und doch ohne Absicht zu verlocken, so sinnverwirrend, und doch nicht sinnlich. Sie sang so schmelzend, so glockenrein, so herzbestrickend, und auf ihren Lippen, in ihren Augen las man doch das Bewußtsein, daß ihr Lied zu edelgeboren, um der Menge anzugehören, sah man den bitteren Hohn über ein Geschick, das sie zwang, den Barbaren Himmelsmelodien zu verkündigen, die in ihrer rohen Natur kein Echo dafür besaßen.

Neben ihr, am Eckstein, lehnte die Mutter und schlug das Tamburin. Sie war braun wie eine Zigeunerin, doch wollte sie für keine gelten, auch widersprach die blendend weiße Farbe Walperga's einer Abstammung von den »braunen Leuten«. Man nannte Mutter und Tochter die Brabanterinnen; denn aus den Niederlanden waren sie gekommen. Von der Alten ließen sich die Abergläubischen wahrsagen, auch Heiltränke bereiten, Einige gaben ihr sogar Zauberei schuld; aber der Tochter, die man als schweigsam und sittig, ernst und milde kannte, flogen alle Herzen zu. Nie – und sie sang meist mitten im Gewühle des gemeinen Haufens – wagte sich roher Scherz oder brutale Zudringlichkeit an sie. Das Mädchen strahlte einen Abglanz aus, der jede Frechheit zurückscheuchte. Hundert Arme waren bereit ihr zu dienen, sie zu schützen; man huldigte ihr, war auch die Art der Huldigung nicht edel in der Form. Walperga war gefeiert, doch blieb sie Allen fremd. Niemand wagte es, ihr in das finstere Straßengewirre des Aujezd, wo sie wohnte, zu folgen; denn sie hatte es verboten, und die weniger Bescheidenen hielt Furcht vor der Hexengewalt der alten Marga, ihrer Mutter, von jeder neugierigen Belästigung zurück. Denn wie man Walperga allgemein als einen Engel verehrte, hielt man ihre Mutter für ein Stück Teufel und konnte nicht begreifen, wie dies verhaßte und greuliche Weib zu einer solchen Tochter gekommen. Die Scharfsinnigsten halfen sich mit der Vermuthung, Walperga sei nicht Marga's Kind, diese habe es in zarter Jugend nach Zigeunerart gestohlen.

Aber wenden wir uns wieder zurück zu der holden Sängerin, die in ihrer Schönheit und Anmuth wie eine Rose leuchtete unter gemeinem Gestrüpp. Nachtschwarze Flechten fielen zu beiden Seiten von ihrer Stirne herab; das braune Auge, meist gesenkt und von langen Wimpern geschlossen, leuchtete in feuchter Glut, wenn sie es während des Gesanges begeistert aufschlug; um die Lippen zitterte ein Lächeln, das – selbst wenn es Bitterkeit oder Unmuth hervorgelockt, doch bezaubernd war; der Mund, eine purpurne Knospe, wie von blendenden Perlen gesprengt, die sich verrätherisch hervordrängten, und eine Gestalt, jugendlichschlank, hoch, gazellenartig, und doch der Fülle nicht entbehrend, die Ebenmaß und strenge Regelmäßigkeit gewährt. Schneeweiß quoll es hervor an den Schultern und unter der achtfachen Granatenkette des Halses, an die sich das schwarze Mieder drängte – blendend wie Elfenbein waren die runden Arme, von denen die weiten weißen Aermel, wenn sie die Mandoline hielt, zurückfielen. Ein rother Rock, der in schmalen Falten bis auf die Fußspitzen reichte und vierfach mit einer silbernen Borte umsäumt war, vollendete den Anzug des Mädchens. Vom Hinterhaupte, wo der übrige Theil des Haares in einen Knoten gewunden und von einem silbernen Netz zusammengehalten war, flatterten lange weiße Bänder über Rücken und Schultern herab. Der Stoff der ganzen Kleidung war grob, schon abgenutzt und entfärbt, die Halskette und den Silberflitter ausgenommen kein Schmuck an dem Mädchen, und doch gewährte die Tracht im Ganzen ein malerisches Bild.

Die Mutter war in ein grobes braunes Gewand gehüllt, fast einer Mönchskutte gleich und nur am Gürtel zusammengehalten, den Kopf bedeckte eine Art von Turban aus blau- und weißgestreiftem schmutzigen Zeuge, daß von ihrem Haupthaare nichts zu sehen war, und schwere Bastschuhe mit Riemen befestigt vollendeten den ärmlichen Anzug. Ihr Gesicht, tiefbraun und gefurcht, war in der That abschreckend; eine scharf gebogene Adlernase, schwarze, kleine, stechende Augen und ein aufgeworfener, nach den Winkeln zu herabgezogener Mund gaben ihr in der That ein zigeunerhaftes Aussehen und contrastirten schreiend gegen den Liebreiz aller Gesichtslinien der Tochter. Betrachtete man die Alte im Gegensatz zu ihr, so mochte man dem Volke beistimmen, das sie für eine Hexe oder gar einen bösen Dämon hielt, der dem Engel entweder als drohender Wächter oder als Abgesandter der Unterwelt, um ihn zu verderben, beigegeben war.

Eben hatte Walperga ein böhmisches Lied begonnen, mit fremdem Accent zwar, aber zum größten Entzücken der Zuhörerschaft, die sich geschmeichelt fühlte, aus so holdem Munde und von so süßer Stimme ihre vaterländischen Klänge zu vernehmen; da drängte sich ein Ritter in den Kreis, der stets händelsüchtige und trunkene Janko von Scherbic, ein noch junger, hochgewachsener Mann, mit geröthetem, aufgedunsenem Antlitz, wirres schwarzes Haar um den dicken Kopf, die Augen grau, verschmitzt und boshaft, roh in seinem Gebaren und in seinen Reden, ein gefürchteter Raufbold und Mädchenjäger. Das Volk kannte, fürchtete und haßte ihn; aber er war reich und adelig und dies hieß in jener Zeit auch mächtig. Seine gelbe spanische Tracht war reich und fein, aber verwahrlost und unordentlich. Sein gellendes Lachen kündigte seine Annäherung an.

»Platz da, ihr Taugenichtse!« rief er und stieß den Nächststehenden mit seinem Degenknopf in den Rücken, indessen seine rechte Faust die Schädel der Uebrigen unsanft klopfte. »Gebt Raum, wenn ein Herr kommt!«

Man machte ihm gezwungen, doch murrend Platz; denn eine Strophe des Lieblingsliedes ging mittlerweile den Zuhörern verloren.

So stand Janko schwankend und den rothen Schnurrbart streichend dicht vor der Sängerin, als diese eben ihr Lied geendigt hatte und Anstalt machte, sich zu entfernen.

Janko verschlang das reizende Mädchen mit den Augen. »Du bleibst noch,« sagte er gebieterisch und warf ihrer Mutter einen blanken Joachimsthaler zu, »und singst mir ein Lied, das heißt ein Lied allein für mich. Geht zum Teufel, Gesindel, oder ich schlag' d'rein! Noch besser aber, kleine Hexe, Du giebst mir einen Kuß; denn ich bin heute vergnügt und Du bist teufelmäßig hübsch.«

Er machte Miene, sich zu dem Mädchen herabzubeugen; dieses aber sah ihn schweigend mit einem Blicke tiefer Verachtung an, dann senkte sie das Auge und wich seiner Bewegung aus.

Die Alte aber sagte mit kreischender Stimme: »Was fällt Euch ein, gnädiger Herr! Mein Kind hat noch keinen Mann geküßt, als den Christus am Kreuze.«

»Halt das Maul, alte Zigeunerin!« schrie der Ritter; »nach Dir gelüstet es mich nicht – ich will von der Dirne einen Kuß haben.«

»Was – ich eine Zigeunerin!?« rief Marga und ihre Augen funkelten; »ich bin christlicher Leute Kind – Sonne und Sturm haben mich gebräunt, aber mein Gewissen ist schneeweiß. Ihr seid adeliger Leute Kind und seht auch nicht darnach aus. Und ob Ihr ehrlicher seid als wir armes Volk, ist auch noch die Frage. Die Geld haben und Geld geben, sind nicht immer die Besten. Ich habe Manchen gekannt, der Euch glich, und weil er nichts hatte, war er ein Schnapphahn. Ich bin keine Zigeunerin – die Pest Euch in den Leib, weil Ihr das sagt.«

»Mutter!« flehte Walperga zitternd und erbleichend, und faßte die Hand der Alten und suchte sie um die Ecke außerhalb des Menschenknäuels zu drängen, denn als dieser laute Wortwechsel sich erhob, war noch mehr Volkes herbeigelaufen; »Mutter – kommt, kommt!«

»Hundeseele!« rief der Ritter und erhob die Faust gegen das Weib, besann sich aber im Ausholen eines Anderen und faßte nach dem Arme der Jungfrau; da drängte sich aber plötzlich zwischen ihn und das bebende Mädchen ein alter, großer, stämmiger Mann, dem Aussehen nach ein verwitterter Kriegsknecht, im einfachen Pelzrock, ein kurzes Schwert an der Seite, und indem er schützend die mächtigen Arme über Walperga ausbreitete, sagte er wohlwollend zu ihr: »Geh', Kind – geh' mit der Mutter – die guten Leute werden Dir Platz machen!«

Walperga stürzte sich, die Mutter vordrängend, gegen den Eckstein, der Ritter ergrimmt über das Dazwischentreten des Kriegsknechtes, riß seinen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn mehrmal wüthend in den Nacken des Alten, während er kreischte: »Verdammte Seele, was hast Du mir in den Weg zu treten!«

Der Alte deckte unbeweglich mit seinem Leibe die sich fortdrängenden Weiber und zuckte kaum bei den Stößen des Wütherichs. »Ich geh' nur vor Euch her, Herr,« sagte er entschieden und demüthig – »vor uns ist Gedränge – ich sperr' Euch nicht den Weg.«

»Du willst den Weibern behilflich sein, Hund!« fluchte der Ritter und stach wieder auf den Rücken des Beschützers los, daß das Blut aus seinem dicken Wams drang. – Das Volk schrie laut auf – in diesem Augenblicke aber waren die beiden Weiber um die Ecke gelangt, man hatte ihnen Platz gemacht, während hinter ihnen der Menschenknäuel sich wieder zusammenballte und den Ritter so an ihrer Verfolgung hinderte. Sie flohen in die enge Seitengasse, die heutige Badgasse, wo damals ein Thor war, das den Aujezd von der eigentlichen Stadt trennte, und waren bald, umgeben und beschützt von einem zahlreichen Haufen, außerhalb desselben verschwunden.

Während dessen hielt der Alte noch immer Stand oder wich vielmehr, unbekümmert um die Stiche des Angreifers, nur je einen Schritt weiter. Er schien wie aus Eisen geformt. Als er die Geflüchteten aber in Sicherheit glaubte, wandte er sich rasch, ergriff mit nerviger Faust den Arm des Ritters und ein gefurchtes, aber wie aus Stein gehauenes Antlitz blickte diesem wild drohend entgegen.

»Herr!« sagte er mit einer Donnerstimme, »Ihr zerfleischt mich da und habt kein Recht dazu. Herr! dürfte ich mich nur meiner Kraft bedienen. Herr! – das kann Euch schlimm bekommen; denn noch giebt es Gerechtigkeit für den gemeinen Mann. Herr! Noch haben wir einen König!«

»Hund, Du!« geiferte Janko und suchte seinen Arm vergebens los zu machen – aber das Volk stieß ein wildes Gebrüll aus und Steine flogen bereits gegen die Wand.

Da erscholl plötzlich eine kräftige und wohllautende Stimme durch den Tumult und eine jugendliche, hohe Gestalt machte sich Platz durch das Gedränge, und ein männlich schönes, ernstes Antlitz wurde sichtbar unter einem schwarzen Federhut: »Ich bitt' Euch, Leute, gebt mir Raum! Was soll der Auftritt? Ein Ritter im Handgemenge mit einem Greise!«

Die Umstehenden gaben dem Frager in kurzen Worten Aufklärung über den Auftritt, er drängte sich nun mit nervigen Armen vor bis zu Janko, der mit dem alten Krieger in eine förmliche Balgerei gerathen war, faßte jenen an der Schulter und riß ihn gewaltsam zurück. »Wer seid Ihr?« rief er gebieterisch, »der Recht und Waffe schändet und mit dem Volke handgemein wird?«

Janko starrte ihn überrascht, aber frech genug an und kreischte mit heiserer Stimme, in der noch die unterdrückte Wuth bebte, »und wer seid denn Ihr, der da fragt im Tone eines Königs, und wie mit dem Rechte eines Königs?«

»Albrecht von Waldstein, Wallenstein wurde auch gewöhnlich so genannt. Baron des Reiches,« versetzte der Fremde entschieden und fast stolz; »in meiner Frage liegt schon mein Recht, und auch in diesem Auftritt. Mein Stand gebietet mir, den Mißhandelten zu schützen; indem Ihr den Armen mißhandelt, entehrt Ihr Euch.«

Janko riß die gerötheten Augen weit auf und sagte höhnisch: »Also ein Armenritter! Ich bin der Janko von Scherbic, ein Ritter vom Schwerte, Prag kennt es – und Ihr sollt es auch kennen lernen, wenn Euere Hoftracht nicht davor erschrickt.«

»Elender Prahlhans!« versetzte verächtlich Waldstein, »während Du Deinen Muth prüfst gegen das arme Volk, das sich nicht wehren darf, und Deine Siege unter dem Straßenpöbel erkämpfst, habe ich meine Waffen mit den Türken gemessen. Der Feldhauptmann Waldstein wird Dir Rede stehen. Morgen um sechs Uhr, am Weingarten unter dem Ziskaberge! Jetzt geh'!« herrschte er, und Janko, zwar einen drohenden Blick zurückwerfend, gehorchte unwillkürlich. – Aber der Janhagel, besonders die leichtfüßige Straßenjugend folgte dem Wüstling pfeifend und zischend, lachend und höhnend die Gasse hinauf über den Ring bis an die Schloßstiege, und ob er gleich sein Schwert blank gezogen und wüthend um sich herumschlug, so zerstob der tolle Haufen nur auf Augenblicke, um sich gleich darauf wieder hinter ihm zu sammeln.

»Und wer bist Du,« sagte jetzt Waldstein zu dem Alten, der trotz seiner Wunden fest und aufrecht vor ihm stand.

»Matusch heiß ich, gnädiger Herr, ein alter Kriegsknecht, der schon vor dreißig Jahren unter Wilhelm von Oranien gegen die Spanier gefochten. Ein Böhme von Geburt, Utraquist, und im Leben viel erfahren.«

»Ein alter Krieger,« versetzte Albrecht streng; »es verlohnte sich nicht, um einer Straßensängerin willen Händel mit einem Betrunkenen anzuknüpfen und sein Blut zu verspritzen. Bist Du gefährlich verwundet?«

»Ich nahm ihren Part, gnädiger Herr! wie Ihr den meinen nahmt. Es ist immer so, der Stärkere schützt den Schwächeren. Die Stiche gingen nur bis auf die Knochen – etwas durchs Fleisch – die meisten blieben im Pelz. Und die Walperga, die Sängerin, Herr! ist schön, gut und tugendsam. Das arme Volk hat auch seine Lieblinge. Wenn ich meinen Rücken nicht hergab, mißhandelte sie der tolle Junker. Das hättet Ihr nicht gewünscht, Herr!«

»Du bist ein ehrlich böhmisch Herz,« versetzte der Hauptmann – »komm' morgen auf den Hradschin in das Waldstein'sche Haus, und frag' nach mir.« – Er nickte herablassend bei diesen Worten und schritt stolz nach der Brücke zu. Der alte Matusch setzte die Pelzmütze, die er bei der Anrede des Herrn demüthig in die Hand genommen, wieder auf das graue Haupt und ging in die Baderei am Eingange der Lauben (Arkaden), um sich ein Pflaster auf den blutenden Rücken legen zu lassen.


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