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XVI.

Nur nothgedrungen hatte Scherbic dem alten Matusch überhaupt einen Auftrag und namentlich den zweiten, die ernste Werbung um Walperga's Hand betreffend, gegeben. Nur loslügen wollte er sich aus der Hand des riesenkräftigen Mannes, der seine Schmach und Wunden so ausgiebig und doch edel vergalt. Es war seine Absicht nicht, die schöne Sängerin als Weib sich zu erobern; das war nach seinem Dafürachten ein leichtes Spiel; denn er war ein Ritter, sie eine Straßendirne. Was sollte auch die Ehe einem so wüsten Gesellen. Er wollte sie auf kurze Zeit besitzen, für seine Lust und Eitelkeit – um Geld oder durch Gewalt. Seine rohe Sinnlichkeit schwelgte in dem Gedanken, die Gunstbezeigungen des Mädchens zu erzwingen, ihr Sträuben als Würze mitzugenießen. Die freiwillig sich Ergebende schien ihm nicht sehr behaglich, darum wünschte er fast eine Verneinung auf seinen ersten Antrag. Wie die Antwort auch ausfiel, so näherte er sich dem Mädchen entweder auf friedlichem Wege und dann mußten List und Betrug ihre Verführung vollenden oder er beschwichtigte und beseitigte den gefährlichen Matusch und konnte seine Gewaltmaßregeln walten lassen. Blendete sein Geld, wie er hoffte, so war Mutter und Tochter leicht zu bethören; waren beide in der That spröde, was man tugendhaft nennt, oder war ihm schon ein anderer Bewerber zuvorgekommen – seine Vermuthung fiel auf Waldstein – so galt es, diesem die Beute zu entreißen. Den offenen Kampf hinterher um den Besitz fürchtete und scheute er nicht. Es war dies sein erstes Liebesabenteuer – dies reizte ihn zumal; es schien ihm leicht, denn nach seinem Dafürhalten hatte er viel gefährlichere Händel ausgefochten. Der Plan war rasch gefaßt, als ihm des Matusch persönliche Ueberlegenheit fühlbar geworden war. Er wollte Zeit gewinnen und bedurfte seines Helfers, eines verwegenen, verworfenen, gewissenlosen Burschen, eines kräftigen Raufers, den er Matusch entgegenstellen konnte, eines Menschen, der seinem Befehl und Gelde blindlings gehorchte. Dieser war schon früher gefunden, und nur nicht heute bei der Hand gewesen. Der Ritter Sadsky hatte seinen Vorschlag zur Mithilfe an seinem Plan, der nichts anderes bezweckte, als das Mädchen zu rauben, entschieden zurückgewiesen. Obgleich arm und herabgekommen und vielfach genöthigt, an Janko's wüstem Treiben theilzunehmen, besaß er doch äußere Ehre genug, etwas nicht zu unternehmen, was seinen Namen und sein Wappen beschimpfen konnte. Nur Trägheit und Unlust am Kriege, an dem einzigen Erwerb, der ihm offen stand, hatte ihn in Noth und Entbehrung gebracht – ihm genügte es, als Scherbic's Genosse von dem einen Tag in den anderen zu leben und einen plötzlichen Glücksfall abzuwarten. Auch war Sadsky in der That nicht Janko's Mann, nicht listig und verwegen, nicht tollkühn und gewissenlos genug.

Als Scherbic zuerst den Plan gefaßt, Walperga zu rauben, besann er sich auf Vojta, einen Knecht, der früher in seinen Diensten gestanden, einen nichtswürdigen Schurken, einen Dieb und Schläger, Lügner und Horcher, einen Trunkenbold und Strauchdieb, aber zugleich einen Menschen von der größten Verwegenheit, der, in Feindschaft mit Ordnung, Gesetz und Besitzthum, sein Leben ebenso leicht in die Schanze schlug, als er das fremde angriff. Der Bursche war selbst dem Janko zu schlecht, darum hatte er ihn nach kurzer Dienstzeit fortgejagt.

Jetzt saß Vojta im Thurm des Neustädter Rathhauses gefangen und wegen eines in einer Schenke auf dem sogenannten Zdaras verübten Todtschlages zum Galgen verurtheilt. Wenn der Bursche, dachte Janko, auch des Holzes und das Holz des Burschen würdig war, so konnte ihm doch bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge keiner besser dienen. Verläßlich war zudem Vojta, so lang er Geld erhielt und seiner Trunksucht und anderen niederen Leidenschaften fröhnen konnte. Befreite ihn jetzt Scherbic vom Galgen, so war der Verbrecher durch Dankbarkeit – inwieweit er derselben fähig sein mochte – gebunden, ja in allem ihm ganz preisgegeben; denn auf seinen Befreier allein kam es dann doch an, ihn später oder früher dem Galgen zu überliefern. Seine Dienstbarkeit war demnach nichts als eine hinausgeschobene Galgenfrist. Dies ein Grund, der auch Schurken zur Treue zwingen kann.

Scherbic bestach den Gefangenwärter des Neustädter Verließes und dieser ließ den Galgencandidaten in einer finsteren Nacht entwischen. An der Ecke der zweiten Fleischhauergasse empfing ihn Scherbic, kündigte sich ihm als Befreier an, warf ihm einen Mantel um und verbarg ihn in seiner geheimen Wohnung, die er in einem Hause der Mühlgasse, nahe beim Poricerthor hatte. Dies alles verrichtete er selbst, denn er konnte und mochte keinen von seinen Dienern zum Vertrauten und Helfer wählen. Vojta mußte dem Ritter einen furchtbaren Eid des unbedingten Gehorsams schwören und verkroch sich, nachdem er das rothe Haar glatt geschoren und den Rest schwarz gefärbt, in einer der Höhlen des Aujezd, wo damals nur Bettler und Gauner hausten. Muthiger gemacht, da Nachforschungen unterblieben und er sich zudem durch ein schwarzes Pflaster über dem linken Auge zum Einäugigen gestempelt und so unkenntlich geworden, wagte er es öfter, in die oben geschilderte Schenke nächst der Dominikanerkirche zu gehen, wo ihn sein Gebieter am Eingange durch das verabredete Zeichen abrief, ihm Aufträge ertheilte und Erkundigungen einzog.

Schon geraume Zeit vor Janko's Zusammentreffen mit Matusch, das für Jenen so unvortheilhaft ausfiel, war Vojta der Vertraute und Helfer seines Anschlages, der Begleiter auf seinen Wanderungen geworden. Allnächtlich hatten sie seitdem, wie Schakale, das verfallene Klosterhaus umspürt und durch und über dem Gemäuer einen Eingang versucht. Vergebens, die Weiber verließen ihr Castell nicht zur Nachtzeit, und bei Tage war wegen der Nähe der Anwohnerschaft, die den Brabanterinnen theils aus Liebe zur Tochter, theils aus Furcht vor der Mutter wohlwollte, und wegen des Flusses, dessen Ufer stets mit Schiffern und Holzflößern bedeckt war, nichts anzufangen.

An demselben Abend, wo wir das Zusammentreffen mit Matusch geschildert, war Janko allein auf Kundschaft ausgezogen. Seinen Todtschläger ließ er in der Schenke zurück. Ein paar Abende war Matusch nämlich nicht in der Nähe der Ruinen erschienen; sein Dienst bei der Frau von Rosenberg hatte ihn abgehalten. So oft Scherbic und sein Knecht bei ihren nächtlichen Wanderungen früher des Matusch ansichtig wurden, verbargen sie sich in dem Gemäuer oder am steilen Flußufer; denn noch gedachten sie ihren Plan durch List auszuführen und hatten es, konnten sie die Weiber bei Nacht und in dieser abgelegenen Gegend überfallen oder zu ihnen in das Gebäude dringen, nur mit diesen allein zu thun. Bis dahin lag es natürlich auch in ihrer Absicht. Jetzt aber, wo Scherbic die Faust des alten Kriegsknechtes gespürt, wo dieser sein Nachtwächteramt nicht aufgegeben hatte, wo er schwur, es allen Ernstes fortzusetzen, und offenkundig als Beschützer der Frauen auftrat, mußte er gewaltsam entfernt werden, vorausgesetzt, daß Marga und Walperga sich seinen lockenden Anträgen nicht günstig zeigten, für welchen Fall Matusch natürlich beseitigt und zum Frieden verwiesen war.

»Ein Todtschlag mehr,« dachte Janko, »das beschwert die Seele meines Vojta nicht; der alte Bär, der Fleischerhund, der sich an einem Ritter zu vergreifen erkühnte und wie ein Drache vor meinem Venustempel Wache hält, hat lange genug gelebt!«

Es war daher beschlossen, daß Vojta den Matusch auf sich nehmen solle und so ward dieser ihm auch, als Beide in der finsteren Ecke ihre Unterredung hielten, genauer bezeichnet.

Janko hatte, als er an jenem Abend allein auf Kundschaft ging, nicht ohne Scharfsinn vermuthet, die Weiber dürften in ihrem weiten Gemäuer Oeffnungen haben, aus welchen sie alles außen zu sehen vermöchten, ohne selbst gesehen zu werden. Das Erscheinen von zwei unbekannten Gestalten konnte sie stutzig machen und sie lehren, auf ihrer Hut zu sein. Darum, dachte er, verließen sie auch von der Abenddämmerung an bis zum lichten Morgen, wie dies nun schon oft vorgekommen war, ihr Nest nicht. Darum ließ er diesmal den Vojta zurück, hüllte sich in einen grauen Mantel, wie diesen bei seinen nächtlichen Wanderungen Matusch zu tragen pflegte, entfernte Feder und Schnalle von seinem Hute und hoffte so, für den alten Kriegsknecht gehalten, den Eingang zu erforschen, wohl gar eingelassen zu werden. Er schlich deshalb auch an beiden Seiten des Gebäudes, wo das Gemäuer Zugang gewährte, mehrmal auf und nieder und rief mit halblauter Stimme den Namen Matusch. Aber die Weiber öffneten nicht, entweder hörten sie nicht oder ahnten die List.

Als er aber dann doch mit Matusch zusammentraf, bereute er zu spät, seinen Todtschläger diesmal nicht mitgenommen zu haben. – –

Es war des Abends um neun Uhr, der Nebel wogte durch die Straßen und ließ nur in unbestimmten Umrissen die Häuser und hier und dort einen schimmernden Strahl aus den Fenstern erkennen. Waldstein, in einen dunklen Mantel gehüllt, einen niedrigen Hut ohne Abzeichen auf dem Haupte und nur mit einem kurzen Stoßdegen bewaffnet, schritt durch die heutige Karmeliterstraße der Dominikanerkirche zu.

In dem Winkel, welchen der Pfeilervorsprung der Dominikanerkirche bildet, harrte Marga sein; sie rief ihn leise an.

»Folgt mir, gnädiger Herr,« sagte sie, »in der Schenke links ist's nicht geheuer, da lebt wüstes Gesindel. Freilich verirrt sich der Fuß keines vornehmen Herrn dahin, wo die Armuth wohnt. Bald sind wir vorüber.«

»Einladend ist die Gegend der Höhle nicht, in der Du hausest, Alte,« versetzte Albrecht, »und ich bin, das muß ich gestehen, solcher Abenteuer entwöhnt. Doch hilft es nichts, Deine Botschaft muß ich hören und zu den Zauberinnen, deren Eine zu sein Du Dich rühmst, ist der Eingang stets mysteriös oder gefährlich. Bin nur auf Dein versprochenes Wunder begierig!«

»Schweigt jetzt, gnädiger Herr,« sagte sie und faßte nach seinem Mantel, um ihn so über lose Pflastersteine und durch Pfützen in der dichten Finsterniß sicher vorwärts zu geleiten; »wir sind jetzt vor der Schenke, es haust freches, räuberisches Volk darin – mit dem ist nicht gut anzubinden, da nützt weder Muth noch vornehmer Stand; der letztere reizt vielmehr zu Raub und Todtschlag.«

»Ein schöner Palast mag's sein, den Du bewohnst in dieser Nachbarschaft,« sagte spöttisch Waldstein.

Sie befanden sich jetzt an dem Engpaß, der sich zwischen dem Aufgang auf die heutige Hasenburg und der Artilleriekaserne befindet, und bogen um die Ecke, die verfallene Straße hinab. Hier war es menschenleer, nur einige herrenlose Hunde flüchteten scheu durch das Gemäuer und wagten es nicht einmal zu bellen, denn sie mochten es hier fühlen, daß sie herren- und obdachlos; nirgends schimmerte ein Licht aus den leeren Fensterhöhlen. Nur der Nachtwind strich wie ein schwerer Athemzug durch die Oede und die Tritte hallten bald lauter, bald dumpfer durch die Einsamkeit. Immer näher rauschte die Strömung der Moldau, die sich an den gegenüberliegenden Inseln bricht.

»Bald sind wir am Ziele,« keuchte Marga und wandte sich nunmehr gegen das Flußufer, wo durch den Nebel das Gebäude gleich einem schwarzen Hügel aufragte.

Jetzt ergriff Marga Waldstein's Arm und geleitete ihn an das Gemäuer, sie kletterte voran, öffnete die Pforte, warf die Strickleiter hinab und erwartete ihn oben. Dann verschloß sie die Thür wieder. Er folgte ihr durch den finsteren Gang und die Halle bis in das Gemach, welches glänzend erleuchtet war, wie an dem ersten Abend, wo sie ihre Tochter schmückte. Albrecht's Augen wurden durch den Glanz fast geblendet, denn nebst den Armleuchtern schmückten buntfarbige Seidenteppiche die Wände und zierliche Geräthschaften füllten das Zimmer. Der große Spiegel war der Seitenthür gegenüber aufgestellt. Waldstein mußte in einem prächtigen Armsessel platznehmen, so daß er unwillkürlich durch den Spiegel die Thür zum Nebengemache im Auge hatte. Marga kauerte sich zu seinen Füßen nieder.

»Du wohnst bester, als ich gedacht,« sagte Albrecht, indem er überrascht um sich blickte; »das ist so Hexenbrauch – auch von den Schlangen sagt man, daß sie Gold und Glanz in ihren Höhlen häufen. Das soll wohl Dein versprochenes Wunder sein.«

Das Weib verzog ihr Gesicht zu einem grinsenden Lachen und sagte schlau: »Nein, nein, gnädiger Herr, das kommt noch nach!«

»Welche Nachricht bringst Du von der Gräfin?« fragte Waldstein.

»Wie Ihr sie aufnehmt, Herr, ist sie gut oder schlimm. Sie ist gekommen, Euch ihre Hand zu bieten; sie glaubt, das müßt' Euch freuen. Der Tod hat sie frei gemacht und wie ihre Liebe treu und unwandelbar geblieben, so glaubt sie's von der Eueren auch.«

»Thorheit! Du hast ihr doch gesagt –«

»Freilich – und da hat sie sich wie eine Rasende geberdet, wollte sterben, sich, Euch tödten, sie suchte nach einem Dolch, dann verlangte sie Gift von mir. Ich suchte sie, wie es aufs Aeußerste kam, zu beruhigen, indem ich meinte, es sei bis jetzt nur ein Gerücht von Euerer Vermählung, etwas Bestimmtes wüßt' ich nicht, am wenigsten von Euch und sie könne darum doch noch Hoffnung schöpfen. Da faßte sie ebenso rasch Muth und verfiel gleich schnell in freudige Bewegung. Vor allem entzückte sie aber die Nachricht, daß Ihr kommen wollt. Hab' ich ihn erst an meiner Brust, rief sie, dann soll ihn mir keine Macht der Erde rauben! – Und sie ist in der That noch schön, verführerisch schön. Wenn sie Euch sieht, vermögt Ihr alles über sie.«

»Der Mensch lebt stets für die künftige Liebe mit Leidenschaft, selten für die vergangene. Er will ein Räthsel lösen, das gelöste hat keinen Reiz mehr für ihn. Doch, das verstehst Du nicht, Mossoun –!«

»Vielleicht doch, gnädiger Herr, die Armen haben ja auch eine Seele, und wenn die Mächtigen das wüßten, dann würden sie daran glauben müssen. Wir sind Würmer, die Ihr zertreten könnt, aber wir haben Ausflüchte, wo Ihr uns nicht erreichen könnt.«

»Ich kenne Dein Geschwätz von Brüssel her, Mossoun; es ist ein Korn Wahrheit manchmal d'rin, aber sonst Lüge und Träumerei. Unsere Sache – hier hast Du Geld – muß abgemacht werden; ich besuche die Gräfin, ich wende alle Mittel an, die Dankbarkeit und frühere Liebe zuläßt, Du aber entfernst sie! Ersinn' eine Lüge, auf Vorwürfe und Drohungen bin ich gefaßt.«

»Ihr liebt also die Gräfin nicht!?«

»Thörichtes Weib!« versetzte Albrecht ärgerlich und erhob sich aus seinem Stuhle, »als wenn man ewig lieben müßte, was man einmal in Leidenschaft an seine Brust gedrückt. So etwas können nur die Weiber glauben, die bloß zwei Thätigkeiten haben, Liebe oder Haß! – Was sagt die Gräfin weiter? – Ich muß fort! Da sie beruhigt ist, brauch' ich vielleicht Deine Dienste nicht mehr. Sie hat Dir Geld gegeben und Du sprichst zu ihren Gunsten. Wisse nur das Eine: Ich kann sie weder ehelichen – noch weiter lieben, lieben, wie sie es wünscht. Und so hast Du mir einen nur erbärmlichen Dienst geleistet – Mossoun! Du mußtest sie mir entfernen. Du konntest sagen – das war freilich nicht mein Auftrag – ich sei in einem Zweikampf ermordet worden oder dergleichen. Jeder gewaltsame Tod erscheint den Leuten wahrscheinlicher als der natürliche; denn an das Unglaubliche glauben sie lieber als an das Glaubliche. Gut! ich will sie sehen, weil es so sein muß. Daß sie mein böser Engel, haben mir die Sterne schon gesagt. Ich sage »Engel«, um nicht ein anderes Wort zu gebrauchen, denn Du sagst, sie sei noch immer schön; als wenn die Liebe den Anbeginn und das Schwinden der Schönheit ermessen könnte. Sie soll ein Gedächtniß haben – doch das verstehst Du wieder nicht, Mossoun! Hier hast Du Geld! Leb' wohl, ich gehe morgen zur Gräfin und schaffe mir sie vom Hals.«

»Wenn Ihr der Gräfin zürnt, so müßt Ihr mir nicht zürnen, gnädiger Herr, ich bin ja schuldlos an ihrem Erscheinen. Ich diene Euch, nicht ihr, also gegen sie. Wie waret Ihr doch so freundlich in Brüssel! Freilich, die Jugend schwindet, es sind sechs Jahre! Ihr seid so schmuck wie damals – aber männlicher, besonnener und strenger. Ihr liebtet damals, Herr, und überlegtet nicht; jetzt überlegt Ihr und – ich weiß nicht, ob Ihr liebt!«

»Ja, ja! Ich weiß, Du bist klug und verschmitzt, Mossoun; aber jetzt lass' mich gehen. Ich werde Deiner Hilfe schon noch bedürfen bei der Gräfin. Erst muß ich selbst zu ihr. Ich wollte, Du hättest sie entfernt, da Du Dich rühmst, Wunder verrichten zu können. Das sind Wahrsagereien aus der Hand für das dumme Volk – die mich nicht bethören.«

»O gnädiger Herr!« rief Marga, »geduldet Euch nur eine kurze Frist in meinem schlechten Hause, ich halte Wort – ich bin die Hexe wirklich, die das Volk mich nennt. Trinkt erst von diesem Wein« – sie füllte einen Pokal mit rothem Melniker – »er ist nicht schlecht, Herr! Indessen will ich das Wunder vollbringen; ich will mich verwandeln – ich bin eine Hexe, verzaubert, verwandelt und nur in seltener Frist ist mir's gestattet, jung und schön zu erscheinen, und so meine ursprüngliche Gestalt anzunehmen. Ja, das bin ich – und Ihr, Herr, habt Recht und werdet Euch schämen: Liebe denkt nicht an die Vergangenheit zurück! Sonst hättet Ihr auch mein gedacht!«

»Nun, Du hast wohl einen Zaubertrank, der Dich verjüngt! Ich glaube an nichts Unmögliches, ich glaube an das Möglichste, an das Wahrscheinlichste: Du hast die Gräfin hier verborgen, sie hat mich behorcht – sie weiß! – – Nun, das ist kein Wunder – ein gemeiner Gaunerstreich, wie er Euch Weibern eigen! Indessen gut! Ich will sie sprechen, was ich gesagt und was sie behorcht, das will ich wiederholen. Ich kann nicht anders, als ich will! Sie mag es hören!«

»Das wär' doch schlecht,« versetzte Marga und Ingrimm malte sich auf ihren Zügen, »das wäre falsch; falsch darf auch nicht die Armuth sein. – Ach, die Niedrigen lügen nicht, Herr! – je höher hinauf, desto reicher die Lüge! Ich hab' Euch nicht, die Gräfin nicht belogen. Ob Ihr sie mit Euerer Liebe belogen, weiß ich nicht – ob sie lügt – auch nicht; das könnt Ihr selbst sagen und ermessen. – Ich meinte nur mit Euch: Liebe denkt nicht an die Vergangenheit und will – wie Ihr gesteht – von der Gegenwart nichts wissen; nur von der Zukunft hofft, wünscht und begehrt sie alles. Ja Herr, die befriedigte Liebe ist nie dankbar – das weiß ich selbst! Hätt' ich weniger Liebe gegeben, sie wäre reicher vergolten worden – Mossoun ist nicht falsch, nicht dumm, nicht schlecht. – Geduldet Euch einen Augenblick hier, Herr von Waldstein, und seht, ob ich Euch nicht besser erscheinen kann, als ich scheine.«

Sie entfernte sich durch die Seitenthür, die geräuschlos in ihren Angeln ging. – Albrecht langte mechanisch nach dem Becher, den sie ihm vorgesetzt, und leerte ihn. Der Wein war vortrefflich und eines Ehrengastes, für welchen er sich in dieser Umgebung hielt, würdig. – Das Treiben der Alten war ihm in Brüssel bekannt, was wollte aber und machte sie in Prag? War sie mit der Gräfin und in deren Auftrag und Bündniß gekommen? – Sie leugnete es. Böhmen war ihre Heimat – das war sicher; denn sie redete die Sprache wie nur ein Eingeborener. Im Ausland hatte sie ihm als Botin und Vermittlerin in Liebesabenteuern genutzt, hier hatte er bis jetzt keines! War die Gräfin übrigens sein böser Stern, so war im Grunde das Weib zur Vermittelung besser als jeder Andere; denn klug war sie und treu hatte sie sich ihm auch bis jetzt erwiesen. Der Aberglauben, der ihn mehr als manchen Zeitgenossen befangen hielt, weil Voraussagung und Prophezeiung sich an ihm oft so wunderbar bewiesen, zwang ihm, dieser Alten gegenüber, einige Achtung für ihr Wissen und Wirken ab. Hatte sie ihm doch mehrmals aus der Hand über das Nächste wahrgesagt und was sie gesagt, war – so weit er es verfolgt, eingetroffen. Warum konnten die Sterne, die Einfluß übten auf des Menschen Wollen und Thun, und auf dessen Gelingen, nicht auch auf Marga wirken, als ein Glied der Kette, das ihn mittelbar verband und vielleicht zunächst mit dem Kreise der Menschheit, in welchen sein Wirken gefallen war!?

Es ward ihm wirr bei diesem Denken und unheimlich in seiner Einsamkeit; er wollte gehen, er bedurfte der Ruhe – morgen stand ihm der Besuch und ein Leidenschaftskampf mit der Gräfin bevor. Er bedauerte es fast, daß er die Mossoun nicht in seine Wohnung bestellt und die Vermuthungen über einen solchen Besuch nicht ruhig hatte über sich kommen lassen. – Der Becher war leer, bei der Rastlosigkeit seiner Gedanken und beim Mangel einer äußeren Anregung hätte er sonst einen zweiten getrunken.

Ungeduldig erhob er sich, drückte den Hut auf seine Stirne und rief: »Mossoun! ich gehe – bleib' mir mit Deinem Wunder!«

Er vollendete nicht – sein Blick fiel in den Spiegel, Marga's Stimme antwortete: »Hier bin ich ja!« und aus der Seitenthür trat Walperga, verführerisch geschmückt, wie wir sie an jenem Abend gesehen, aber nicht stolz und eigenwillig in Haltung und Mienen, sondern mild und demuthvoll – die Laute in der Hand, leise auftretend, wie eine Geistererscheinung, den Raum erfüllend mit Duft und Glanz. Ihr Schritt näherte sie dem Spiegel, sie schien aus seiner Fläche hervorzutreten – ihr Mund öffnete sich – doch kam kein Ton über die schönen Lippen.

»Mossoun!« sagte Waldstein und wandte sich, um sich zu überzeugen, daß kein Phantom ihm auf des Spiegels Fläche erscheine, daß ein Wesen wirklich sein Abbild – »das ist Deine Ueberraschung – Du äffst mich; mein Gott! ja – ja – das Kind aus Brüssel – es ist's – Hexe! Das kannst Du nicht, das muß Deine Tochter sein – die Brabanter Sängerin, nicht wahr? – Otto – der alte Matusch – Scherbic! – Ei, beim wunderbaren Gott! sie ist, Du bist die schöne Sängerin Walperga, von der die Edlen schwärmen und das Volk sich beinahe Wundermärchen erzählt. Und Mossoun – Du bist Marga! Wie konnte ich auch so gedankenlos sein, so erinnerungsschwach! Du sprachst doch davon, daß ich Dich und sie geschützt – ich überhörte es!«

Er trat einen Schritt zurück nach diesen Worten – das Mädchen war ihm so nahe und schwankte, daß sie fast in seine Umarmung gesunken wäre, doch brach sie in die Knie, ihre Laute schlug klingend auf den Boden, sie neigte das Haupt vor ihm und sagte: »Erlaubt, gnädiger Herr, daß Euch die niedere Magd den Dank –«

»Ich bin,« rief Albrecht und faßte ihre Hand und hob sie zu sich empor, »nicht daran gewöhnt, daß mir Königinnen zu Füßen liegen; denn geschmückt bist Du wie eine Königin und schöner als kaum Eine. – Du bist es, Walperga – und kein Gaukelspiel! – komm', alte Mossoun, damit ich glaube – ja, Du bist es, die reizende Brabanterin, von der die Welt, ganz Prag mit Begeisterung spricht und für die nur ich kein Gedächtniß hatte, das Kind, dem ich in Brüssel so oft die Wange gestreichelt und böhmische Worte abgehört! – Wie kann man so vergeßlich sein? Walperga heißest Du – ja, ich weiß es! Schmäle nicht, schönes Mädchen – ich komme von dem Todtenbette eines Greises, eines Freundes, vom untergehenden Leben her, es ist erklärlich, daß ich nicht gefaßt bin Dir gegenüber, die Du das knospende Leben bist, ein Stern im Werden, Aufgehen, so glanzvoll, daß mir jeder Sinn geblendet ist! Die – Deine Mutter hat mir ein Wunder versprochen; sie hat mir eine Wirklichkeit gezeigt, die ich nicht im Bereich der Wunder gesucht hätte! – Ja, Du bist Walperga, das schöne Mädchen und die herzbestrickende Sängerin, für die die Jugend schwärmt, mein Freund Otto und ein alter Knecht sogar sein Blut vergießt, der doch im Krieg gegen die Türken nicht blind geworden ist. – Sieh, Mädchen,« – rief er und hatte ihre Hand an seine Lippen gezogen und hätte sie geküßt, wenn sie in demüthigem Bewußtsein ihm dieselbe nicht entwunden – ich hab' Dir ja schon gedient und uneigennützig – bei Gott! – ich hatte Dich nicht gesehen und befreite Dich vom Ritter Janko.«

»Mein edler Herr,« versetzte Walperga mit zitternder Stimme, »darum erlaubt, daß ich diese wohlwollende Hand küssen darf und daß ich –«

»Nein – diese Lippen sind zu schön; meine Hand würde sie entheiligen. Sie küssen zu dürfen, muß der höchste Lohn sein, doch dienen, danken, was Du nennst, dürfen sie nicht; nicht zahlen, nur schenken!«

Und er erfaßte das in ihrer Demuth und Schüchternheit willenlose Mädchen und preßte die wundervolle Gestalt an sich und einen Kuß auf ihren Mund.

Sie war wie von einer geisterhaften Gewalt durchschüttert, es war der erste Kuß von Männerlippen, der sie berührte. Ihr Auge senkte sich, sie hätte in seinen Armen halb ohnmächtig gelegen, wenn er sie nicht in den Lehnstuhl gesenkt und im Anschauen des Zauberbildes schwelgend ruhig und beruhigend vor ihr gestanden hätte. Er warf den Hut auf den Boden, Mantel und Degen in die Ecke der Stube und als er bei dieser Bewegung unwillkürlich in den Spiegel sah, erblickte er wieder im Sessel die schöne, zusammengebeugte demüthige Gestalt, die ihm wie die Erscheinung aus einem Feenmärchen dünken mochte.

»Ich bin ein Freund von Wundern,« sagte Waldstein und trat, die Arme verschränkt, betrachtend vor das Mädchen – »warum sollte ich an Dich nicht glauben und jetzt an die Wirklichkeit, die mir ein halbes Wunder scheint. Du bist also das Mädchen, dessen Locken ich oft gedankenlos gestreichelt, das mir ein hübsches Kind erschien, nichts als ein Kind und bald meinem Gedächtniß entschwand!«

»Und ich bin,« versetzte Walperga und glitt von ihrem Sitze hinab zu seinen Füßen, »jetzt hier, um Euch den schuldigen Dank abzutragen, edler Herr! Das Wort hat lange auf meiner Brust gelastet, das Bedürfniß war drängend. Ihr habt den Degen geführt für die arme Sängerin – für die Straßenbettlerin; Ihr habt nicht einmal ein Wort vernommen aus dem Munde, der Euch jetzt erst dankt.«

Indem er sie emporheben wollte, zog sie ihn sachte in den Sessel und kniete jetzt auf einem Kissen, das herabgeglitten war, zu seinen Füßen.

»Damit Dir,« entgegnete er und hielt die Finger ihrer Hand zwischen den seinigen, »die Schuld nicht gar zu groß erscheine, will ich sagen, daß ich mich nur für die Mutter oder des alten Matusch wegen mit dem Scherbic geschlagen. – Ich wollte, ich wäre Dir sonst auch angenehm, wenn Du auch nichts von mir erfahren. – Nicht wahr? Du bist kein Zauberbild – es wäre schade, wenn Du ein Traum! Du bist es nicht.«

»Wie kann ich vor Euch bestehen,« entgegnete sie, »Ihr so hoch und stolz, und ich! –«

»So stolz, meinst Du – diesen Augen gegenüber!? Ich bin nur stolz darauf, daß ich nichts Gemeines begehren kann. – Ja, Du hast Recht, mir zu danken; ich hätte beinahe für Dich geblutet und wußte nicht, wie schön Du bist. Ei, wußte ich's – dann war es keine Kunst. Sieh' – so lohnt sich manche That herrlich, die man nicht um des Lohnes willen unternommen. – Und noch, Walperga, kenne ich Dich nicht ganz – was ich kenne, genügt schon, um zu bezaubern; – die Welt spricht von Deinem Gesang, mit dem Du Aller Geist und Herz berückst. – Doch Du zitterst! Fürchtest Du mich? Ich möchte Dir so mild erscheinen, wie Du mir!«

In diesem Augenblicke trat geräuschlos Marga ein und sagte: »Ja, gnädiger Herr! sie singt noch schöner, als sie vielleicht ist. Und die schönsten Lieder hat sie für so hohen Besuch aufgespart. Hier die Laute ist ganz neu – als wär' sie gerade für Euch bestellt. Sie hat sie noch nicht berührt. – Walperga – singe – Marinka!«

Das Mädchen warf der Mutter einen schüchternen und fast finsteren Blick zu und wollte sich erheben; Waldstein drückte ihr die Laute, welche vor ihr lag, in die Hand und sah ihr sanft und begütigend in die Augen. Purpur überflog ihr Angesicht – sie nahm das Saitenspiel, doch entfiel es schnell ihrem Arm und sie versetzte mit einem Tone rührender Wahrheit: »Ich kann vor Euch nicht singen, edler Herr, lass't mich schweigen!«

»Gut,« entgegnete er, »wenn Du nicht singen kannst, nicht magst – so blick' mich nur ruhig, nur vertrauensvoll an, in Deinen Augen liegt Gesang, ich sehe ihn – hört' ich ihn – er wäre noch berückender! Von dem schönen Frauenauge geht eine Sage. Man sagt, es sei ein tiefer, klarer und doch unergründlicher See, in dessen Grund eine Sirene wohnt, die klagt und ruft und lockt, daß man nicht widerstehen kann und sich hinab will senken, um das wundersame Lied zu hören. Man sinkt, vernimmt das Lied – doch hat man's nicht behalten, das Gefühl der Seligkeit bleibt, ist man erwacht, doch die Erinnerung an die Worte nicht! Ja – ich nannt' es einen Traum und etwas anderes – sieh'! ich bin zerstreut – Du hast mich nicht verstanden, Du konntest es auch nicht, was ich sagen wollte, sagte ich mir selbst!«

»Ich lernte noch als Kind ein Lied – es behandelt eine Sage, eine Geschichte aus dem Kreuzzug; die Worte habe ich vergessen, doch den Sinn noch aufbewahrt: Ein Ritter liebt eine arme Magd, die nichts hatte als ihr Herz und ihr treues Angesicht, und ihretwegen ging er in Kampf und Sieg. Das währte aber jahrelang und er ward gar ein berühmter Mann, gefeiert ob seines Muthes, seiner Arme Kraft; sie nannten ihn den Fels im Meer. Und nachdem er alles überwunden und erstritten, wollte er heimwärts kehren; denn sein höchster Preis war doch die arme Dirne, der sein Herz treu geblieben. Die aber fand er nicht mehr, nur einen Hügel, unter welchem sie schlief, den ewigen Schlaf. – Da brach ihm auch sein Herz und er bettete sich zu seiner Magd in den Tod. Die Anderen, die das sahen und wußten, sagten staunend: Ist die kleine Liebe doch ein so gewaltiges Ding, daß es eines solchen Mannes großes Herz brechen kann. Er hatte, so lange er lebte, geschwiegen, nur sein Tod sprach von seiner Liebe und seinem Schmerz.«

»Wenn Liebe im Tod so selig macht, wie selig muß Lieb' im Leben sein! Das ist die Lehre aus Deiner Geschichte, Walperga! Mein Kind, jetzt weiß ich es genau, ich habe von Dir in den Sternen, die mein ganzes Schicksal mir verkünden, gelesen: noch räthselhaft zwar ist mir die Schrift; doch Keppler soll sie mir deuten. Du magst vor mir nicht singen? Bin ich Dir so furchtbar – so unwerth; doch tadeln will ich Dich deshalb nicht, genügt mir ja Dein Anblick. Doch magst Du fortan auch nicht dem Volke auf den Straßen singen, darum bitte ich Dich und bedinge es mir als Lohn, wenn ich solchen verdient.«

Sie nickte ihm lächelnd Beifall; er wandte sich zur Alten, die nun geräuschlos ab und zu ging und absichtlich die Traulichkeit der Unterredung beider zu begünstigen schien: »Marga – so nennst Du Dich doch hier! – ich, ein Kind des wechselvollen Glückes, bin auf einige Zeit wieder reich geworden. Doch was könnte ich Dir schenken, was den Schatz aufwöge des Bewußtseins, eine solche Tochter zu haben! Gebricht's Dir an etwas, sag' es mir – Ihr habt einen Freund, der einen Werth darauf legt, Euch zu dienen. Entzieh' Dein Kind der Straße; Dein Haus zu schützen, besitz ich Kraft und Mittel, öffentlicher Kränkung und Verkennung mußt Du sie selbst entheben.«

Er drückte eine schwere Börse in ihre Hand. »Jetzt, da wir einen so gnädigen Gönner haben,« entgegnete die Alte, »ist alles gut. Und von nun an gehorchen wir Euch in allen Dingen. Die Armen müssen einen Herrn und Schützer haben.«

»Ich muß jetzt fort,« sagte Waldstein und nahm Hut und Degen; »es ist schon spät an der Zeit; doch scheid' ich nicht auf lange. Ich bedarf der Ruhe; die Ereignisse des heutigen Tages waren so mannigfaltig, daß ich mich sammeln und sie ordnen muß in meiner Brust. Mossoun! Ich komme morgen wieder, um dieselbe Stunde; erwarte mich – oder gieb mir ein Zeichen, auf das ich eingelassen werde.«

»Wir haben Luglöcher in unserem Versteck,« entgegnete sie, »und kennen jeden, ehe wir ihm den Eingang gestatten. Nicht besser sind wir freilich als Gefangene hier – doch will ich Euch an der Kirche wieder erwarten, gnädiger Herr!«

»Ihr sollt nicht lange hier bleiben,« sagte Waldstein, »ich werd' Euch eine andere Wohnung anweisen; entfernt vom Stadtgewühl, doch nahe genug bei Euren Freunden und ihrem Schutz, bewacht von meinen Leuten. Leb' wohl, Walperga, schlaf sanft, mein Kind; sei Dir mein bester Wunsch stets nahe, wie es mir Dein Bildniß sein wird! Ich sage Dir, Marga, morgen das Ergebniß meines Besuches; wir wollen sehen, welche Maßregeln noch etwa zu ergreifen wären. Bis dahin schweige! Lebet wohl!«

Er küßte Walperga auf die Stirne, die zitternd ihr Haupt gesenkt hatte und nur schwach widerstrebte. Seine Huldigung hatte bei allem Feuer des ersten Eindruckes doch etwas Würdevolles und Herablassendes, was mehr einen Beschützer als einen Liebhaber erkennen ließ. Darum duldete sie Walperga fast ohne Widerstand.

Die Alte geleitete ihn, die Lampe vortragend, durch den weiten Raum bis zum Ausgang. Bevor sie noch die Thür öffnete und die Strickleiter fallen ließ, hielt er sie zurück, und sagte: »Mossoun! Das Alter setzt uns Allen gleichmäßig zu, darum kann's Dich nicht verletzen, wenn ich jetzt keinen Glauben habe zu Deiner ehemaligen Schönheit. Das Mädchen aber kann nicht Dein Kind sein; nicht weil es so schön, nein, es ist ein Wesen in ihr, so himmelweit verschieden, daß Du es nie Dein Eigenthum genannt kannst haben. Wer – woher ist das Mädchen?«

»Um Gotteswillen, gnädiger Herr!« rief Marga erschrocken, »wie könnt Ihr glauben – was ficht Euch an? Mein Kind nicht? Sagt so etwas um alle Barmherzigkeit nicht vor dem Mädchen: mir ginge der Theil ihrer Liebe verloren, den ich so schwer errungen; ihr stolzes, widerspenstiges Herz liebt mich doch ohnehin nicht so, wie's eine Tochter sollte.«

»Die Stimme der Natur!« entgegnete er rasch. »Belüg' mich nicht; ich muß die Wahrheit wissen.«

»Bei den fünf Wunden des Erlösers, es ist dasselbe Kind, das Ihr in Brüssel gesehen und wenig oder nur selten beachtet. Warum stieg Euch damals nicht ein solcher Zweifel auf, Herr!«

»Der züchtige Sinn, die zarte Weiblichkeit, dies ungeschmückte Bewußtsein der Tugend, die geistvolle, die sanfte, reich begabte Rede – wie käme dies alles von Dir? Der Hauch der Unschuld – diese Innigkeit und Milde! Verschweig mir nichts!«

»Ihr wißt doch, gnädiger Herr, daß ein frommer Priester unseres Glaubens das Mädchen unterrichtet hat, daß er sie ausgerüstet mit Wissenschaft und Fertigkeiten, wie kaum irgend eine Grafentochter, dazu noch der angeborene fähige Sinn, als ob Gott nicht auch einmal Leute niederen Standes mit seinen Gaben segnete! Auch ist sie nicht immer so sanft und mild, wie Ihr sie gesehen, Herr! Die Frömmigkeit habt Ihr geweckt, Herr. Es wohnt gar viel Starrsinn in ihrem Herzen, und ein Stolz, der weder Schicksal noch Menschen fürchtet.«

»Dem sei jetzt wie ihm wolle,« antwortete Albrecht, »was ich beabsichtige, was ich bestimmen werde – ich weiß es noch nicht. Eines nur höre und befolge: Wahre das Mädchen wie Deinen Augapfel und halte sie verschlossen bis auf weiteres. Ich gelobe Dir, daß ich Walperga's Unschuld und Tugend heilig achten will, als stammte sie aus königlichem Blute. Hast Du zu ihr schon von der Gräfin gesprochen?«

»Jetzt nicht – doch entsinnt sie sich vielleicht noch als Kind Eurer Liebe in Brüssel. Ihr spracht so oft davon in ihrer Gegenwart, Mädchen haben dafür ein scharfes Verständniß und ein treues Gedächtniß!«

»So schweig noch von ihr! Ich möchte um alle Schätze der Welt nicht, daß Dein frommes, unschuldsvolles Kind in Berührung käme mit der leidenschaftlichen, ränkevollen Gräfin. Ich kann es Dir nicht sagen, wie mir besonders jetzt der Gang zu ihr fürchterlich ist. Doch beseitigen muß ich sie – wenigstens unschädlich machen. – Leb' wohl, also morgen!«

Er sprang die Strickleiter hinab und eilte zwischen den verfallenen Häusern hinauf, in seiner heftigen Aufregung des Weges kaum achtend. Da stürzte etwas mit Centnerwucht vor ihm nieder – ein gewaltiger Mauerblock, der ihn zu Tode geschmettert hätte, wenn er ihn getroffen. Ein gellender Schrei erscholl und von dem Mauerfirst zur Rechten glitt eine Gestalt nieder, als stürze sie nach innerhalb des Gebäudes. In demselben Augenblicke stand Matusch an Waldstein's Seite, das Schwert gezückt und sagte: »Dem Himmel Dank; er traf nicht! Ich hab' es wohl geahnt und wie der Schuft da oben harrte, das Gemäuer auf Euch oder mich – den er belauert – herabzustürzen, stach ich ihn in das Bein, da ich nicht höher langen konnte. Aber haben muß ich ihn – zieht Eure Waffe, Herr, und bleibt; ich will das Gemäuer durchsuchen und dem Buben den Garaus machen.«

»Lass' das,« gebot Waldstein – »wie unvorsichtig, ihm zu folgen; er kennt den Schlupfwinkel besser und ersticht Dich im günstigsten Falle im Rücken. Er soll uns nicht entgehen – das glaube! Komm', geleite mich! Thorheit wär's, hier gegen verfallene Mauern zu fechten. Wer es wohl sein mag? Denn ungesehen, glaub' ich, kam ich her!«

»Ein Schandgeselle des Janko,« versetzte Matusch giftig und hielt sich mit blanker Waffe dicht hinter Waldsteins's Fersen – »ohne Zweifel. Ich hab' dem sauberen Junker heute den Bescheid von Mutter und Tochter gebracht. Da meinte er, es sei ihm nun auch Recht – doch sah ich Tücke und Arglist aus seiner falschen Ruhe hervorleuchten; er verlange nicht mehr nach der Bettlerdirne – es sei nur eine Grille gewesen; möge sie der erste beste Knecht freien. Aber die alte Hexe, die ihn angeschwärzt, wolle er spießen. Das schwur er. Da ich auf meinem Rückweg der alten Marga begegnete und von ihr erfuhr, daß Ihr sie heute besuchen wollt, so litt es mich nicht und ich legte mich auf die Lauer. Doch kam ich zu spät, weil ich Abhaltung hatte – Ihr wart schon d'rinn – doch zum Glück noch zeitig genug, um die Schandthat von Euch abzuwenden. Er stand schon oben auf der Wand und rüttelte in dem losen Gestein, um es locker zu machen. Der Vorsprung hier deckte mich und so lag ich still, bis ihr kamt und ich seine Absicht merkte.«

»Hab' Dank, mein Alter!« versetzte Albrecht, »vielleicht kann ich den Dienst einmal wett machen. Wir haben es, wie ich sehe, mit einem listigen und tückischen Feinde zu schaffen, der keine Gewalt scheut.«

Sie setzten ihren Weg durch die Karmelitergasse nach dem wälschen Platze fort.

Walperga, während die Mutter mit Waldstein an der Pforte sprach, allein gelassen, saß eine Weile in sich versunken und träumerisch da; es war, als brenne ihr der Kuß auf der Stirne; dann erhob sie sich, blickte frei umher und sagte, daß es wie ein Seufzer klang: »Er ist fort! Ein seltener Mann: so stolz und gebieterisch und doch so mild dabei. Und doch weiß ich kaum noch, was er sagte. Wie konnt' ich auch so blöde sein, so ungeschickt; statt ihm das Lied zu singen, es ihm erzählen in kalten, farblosen Worten. Er muß mich für ein Kind halten, so verzagt und muthlos war ich. Doch freilich – ich war seltsam überrascht – weil ich mir ihn ganz anders gedacht. Die Mutter weiß nicht zu schildern. Und dann, er nahm mich auf wie Seinesgleichen, das that so wohl und auch so weh – des Abstandes wegen.«

Sie seufzte wieder und ließ die Finger wie gedankenlos über die Saite der Laute gleiten, welche auf dem Tische vor ihr lag.

Ungerufen durchzog ihren Sinn jetzt der Gedanke aus Otto's Versen, wo es hieß: »Der Keim muß doch die Erde zersprengen.«

Sie legte schweigend die Geschmeide und Prachtgewänder von sich, sie fühlte ein Bedürfniß nach Einsamkeit und Schweigen, sie fühlte, daß sie nicht in der Stimmung sei, jetzt mit der Mutter zu sprechen, darum, als sie nur noch im schneeweißen, leichten Gewande, das nur die Hälfte ihrer Reize verbarg, dastand, nahm sie einen Leuchter und ging durch mehrere minder oder mehr geschmückte Zimmer in ihr Schlafgemach und versenkte sich in die weißen Kissen eines Prachtbettes, das würdig war, sie zu empfangen, und sich bald gierig um ihre süßen Formen schmiegte.

Marga war erstaunt, als sie zurückkehrte, ihr Kind, dessen sichtbarer Triumph ihr so unendlich wohl gethan, nicht mehr zu finden. Sie folgte ihr bis an das Lager und fragte ängstlich, ob sie krank sei. »Nein, Mutter,« versetzte sanft Walperga, »doch müde, müde – der Qualm der Kerzen hat mich betäubt – lasset mich schlafen; morgen stehe ich Euch Rede.«

Die Alte schwieg, sie mochte heute nicht durch Widerspruch ihr Kind reizen; wußte sie doch, daß Walperga da am tiefsten empfand, wo sie am schweigsamsten war.

Marga aber freute sich des Eindruckes, den ihre Ueberraschung auf Waldstein hervorgebracht. Sie erging sich in angenehmen Hoffnungen und Träumen; die Zukunft konnte jetzt nur Freudenreiches bringen; der edle Herr hatte ihr ja unaufgefordert zugeschworen, Walperga's Unschuld und Tugend heilig zu halten, als wär' sie eine Fürstentochter.


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