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XI.

Matusch aber hatte sich bereits nach einer halben Stunde, von den Anderen unbemerkt, entfernt. Auf der Straße war es finstere Nacht, nur der Lichtschimmer aus den Fenstern und hier und da das Lampenlicht vor einem Heiligenbild warf einige Helle auf die Straßen.

Matusch ging zum Maltheserthor hinaus nach dem Aujezd und verschwand in der öden Straße, die nach der Brabanterinnen geheimer Wohnung mündete. Er stand an der leeren Häuserreihe, das alte Klostergebäude ragte vor ihm nur in schwer kennbaren Umrissen in den schwarzen Nachthimmel empor. Er vernahm Schritte und rechts hin auf dem Pfad zwischen Mauertrümmern und dem flachen Sandufer der Moldau bewegte sich eine dunkle hohe Gestalt.

Matusch folgte ihr. Der Wanderer vor ihm beschleunigte seinen Schritt nicht, sondern hemmte ihn. Er ging absichtlich langsam, um seinem Nachfolger den Vortritt zu lassen und dessen Rücken zu gewinnen. Aber in demselben Maße verkürzte auch Matusch seine Tritte und blieb in gleicher Entfernung ziemlich nahe seinem Vordermann. Als er so eine Strecke hin bis in die Gegend der karolinischen Mauer, die sich vom Lorenzberge herabsenkt, gegangen, kehrte er um, und schritt wieder dem Hause zu, das zu bewachen fast allnächtlich seine Obliegenheit war. Von der Vorder-, das heißt Wasserseite, bemerkte er, daß durch die Fensterritzen Licht schimmerte, zugleich aber gewahrte er, daß der von ihm Verfolgte gleichfalls umgekehrt und ihm nun seinerseits dicht auf den Fersen war. Ohne diese Wahrnehmung durch einen Laut oder eine Bewegung zu äußern, schritt Matusch gemessenen Ganges vor bis an die Ecke, von der er ausgegangen; hier kehrte er um und begann seinen Weg in der früheren Richtung von neuem. Dasselbe that auch sein Doppelgänger und schritt nunmehr wieder vor ihm einher. – Alles dies wiederholte sich, ohne daß einer der Männer seinen Gang verändert, oder einen Laut von sich gegeben hätte, viermal. Nun aber verlor Matusch, ärgerlich, die Geduld – er hatte entweder einen Schildführer oder Lauscher vor sich. »Hier setzt es entweder Hiebe,« sagte er zu sich, »oder Blut. Das währt zu lange!« Und als er sich nun zwischen den Ruinen in der schmalen Gasse, ziemlich entfernt von dem Kloster befand, drehte er sich rasch um und trat der ihm folgenden Gestalt plötzlich hart entgegen.

»Aus dem Weg, Du Hund,« sagte halblaut eine Stimme – es war die des Scherbic – und ein Faustschlag, der dem Kopfe galt, fiel mit eherner Wucht auf Matusch's Schulter.

»Der Weg ist breit genug,« versetzte Matusch und gab dem Gegner einen Stoß vor die Brust, daß er zurücktaumelte. Dieser zog einen Dolch und wollte sich auf ihn stürzen, aber Matusch's sicheres Auge hatte den Blitz der Schneide trotz der Dunkelheit erblickt, er warf sich auf ihn und mit zwei raschen Griffen seiner nervigen Fäuste hatte er ihm die Waffe entwunden und schleuderte sie weithin zwischen das Gemäuer. In demselben Augenblicke hatte er den Ritter auch niedergeworfen, so daß dieser mit Brust und Gesicht in das weiche, nasse Erdreich des Pfades zu liegen kam, wand ihm die Hände auf den Rücken und setzte sich mit der Wucht seines ganzen Körpers auf seinen Leib.

»So,« sagte Matusch, »nun ist einer dem anderen nicht mehr im Wege und wir können ruhig miteinander sprechen und unterhandeln!«

Scherbic hatte unsägliche Mühe, sein Antlitz aus dem schmutzigen Kothe zu befreien, er wagte es – das mochte in seinem Plane liegen – weder um Hilfe zu schreien, noch laut zu fluchen.

»Hund!« knirschte er – »wer bist Du? Wie wagst Du es! Ich bin ein Edelmann – der Ritter Scherbic! Lass' los – sonst –«

»O, kenn' Euch wohl, Junker Janko,« versetzte Matusch mit eiserner Ruhe – »und ich bin der alte Matusch – damit Ihr nicht erst zu fragen braucht. Ich weiß noch recht gut, wie Ihr mir mit dem Dolche den Rücken zerarbeitet habt. Jetzt aber ist's an mir – jetzt hab' ich Euch untergebracht. Seht Ihr's – das ist der alte Matusch, wenn er seine Kraft gebrauchen darf! Dort am wälschen Platz, als ich die Brabanterinnen in Schutz nahm, vor dem vielen Volke, durfte ich Euere Grausamkeit nicht vergelten; denn Ihr seid, wenngleich ein Taugenichts, doch ein Junker, ich aber bin nur ein gemeiner Mann. Hier aber sind wir unter uns, Janko! – sträubt Euch nicht so sehr, das erschöpft Euch nur und hilft zu nichts; denn ich laste wie zehn Centner – und hier sind wir ebenbürtig.«

»Weißt Du, daß Du gehangen wirst,« schäumte in ohnmächtiger Wuth Scherbic, »weil Du Dich an einen Edelmann vergriffen.«

»Oh!« lachte Matusch, »davor ist mir nicht bange. Ihr werdet Euch doch nicht die Schande anthun und den Leuten erzählen, was hier zwischen uns vorgegangen ist; Ihr, der erste Raufbold und Todtschläger von Prag, und ich, ein alter Mann!«

»Aber was willst Du von mir, Schurke – lass' los – was suchst Du hier? Fluch über Dich, frecher Knecht!«

»Ei, mein gnädiger Herr – Ihr habt Euch auch nicht mit einem Stiche begnügt damals, Ihr habt gar lange Zeit mit dem spitzigen Ding in meinem Rücken herumgewühlt. Das ist wälsche Mode; dergleichen kennt und prakticirt unser Eins nicht. Wenn ich nicht so feste Knochen hätte – Herr Ritter! an Euch lag's nicht, daß es mir nicht schlimmer bekam.«

»Aber was willst Du, Schuft!?«

»Ausruhen, Janko! Mit Eurem Rücken auch Bekanntschaft machen, und, wie Ihr seht, glimpflicher, als Ihr gethan.«

»Lass' los! Ich schwör' Dir Urfehde, wenn Du mich freigiebst. Wir wollen unterhandeln.«

»Unterhandeln?« wiederholte bedächtig Matusch und preßte den Janko fester unter sich zusammen, »das ließe sich wohl hören. Fürchten thu' ich Euch auch so nicht; denn meine kurze Klinge nimmt's mit Eurem langen Spieß auf. Aber von rechtswegen möcht' ich Euch erst ordentlich durchbläuen, daß Euch die Knochen krachten vier Wochen lang.«

»Bei allen Teufeln aber, was willst Du hier, was suchst Du an mir?«

»An Euch möcht' ich so ein Stück Rache üben, wie ich mir's damals zugeschworen. Und hier bin ich beinahe aus einer und derselben Ursach', wie Ihr; nur mit dem Unterschied: ich will die Brabanterinnen vor Euch schützen und Ihr wollt ihnen, der Walperga nämlich, an den Leib; Ihr möchtet sie verderben. So gehen wir einen entgegengesetzten Weg – und jetzt liegt Ihr unten; denn der Dirne lass' ich einmal kein Haar krümmen, Herr Ritter!«

»Fluch über Dich,« stöhnte Janko, der seine Kraft im vergeblichen Kampfe schwinden fühlte, »das kannst Du schwer büßen! Lass' uns unterhandeln – ich verpfände Dir mein Ritterwort! Du erdrückst mich, Schurke!«

»Was Schurke! Ich ein Schurke! Mit diesem Titel hofft Ihr los zu kommen? Ja, wenn Ihr sagtet: Herr Matusch! Lieber Matusch! Dann vielleicht, denn ich hab' ein gutes Herz! ich kann Euch hier durchwalken, daß kein Hahn darnach kräht und Ihr mich der Ehre wegen noch bitten müßt, zu schweigen; aber ich schenk' es Euch.«

»Welch ein Recht hast Du aber auf die Brabanterinnen? Wer hat Dich zu Ihrem Beschützer eingesetzt?«

»Wer? Niemand! Ich selbst. Denn ich hab' auch meine eigenen Gedanken. Wir sind nämlich das gemeine Volk und Gott hat uns so niedrig gemacht. Wir sind etwa das Schilf; Andere sind Eichen, Buchen, Tannen – Ihr gehört auch darunter. Leider! Aber mitten unter dem Schilf läßt der Herr manchmal dem Schilfe zum Trost eine schöne Blume blühen, schöner als die auf der Höhe; eine solche Blume ist Walperga. Die gehört uns, Herr, dem gemeinen Volk; die sollt Ihr uns nicht abreißen!«

»Ich sehe, Du bist nicht so roh, als ich gedacht; Du hast ein Herz und sprichst vernünftig. Darum schließ' ich endlich Frieden. Was soll's am Ende? Ich schwör' Dir zu, daß ich Dir das nicht nachtragen will. Und Deine Rache kann jetzt befriedigt sein. Lass' los, Matusch!«

»Ihr packt mich bei der Großmuth; es sei!« versetzte der Alte und erhob sich und lieh dem Ritter den Arm, um ihm emporzuhelfen; »wir haben jetzt abgerechnet. Aber die Walperga müßt Ihr mir in Ruhe lassen von nun an – deren Schutzengel bin ich.«

»Nein, Matusch, nein!« sagte Scherbic, indem er tief aufathmete und sich mit seinem Mantel die feuchte Erde von Bart und Gesicht strich, »wir wollen einen Vertrag schließen; hier hast Du meine Börse, es ist Gold darin, viel Gold. Du sollst mir behilflich sein zu der Dirne; ich liebe sie – liebe sie, als hätt' ich eine Hölle in der Brust. Ich verlange nach ihr, Matusch; Du kennst sie, kannst den Boten, den Unterhändler spielen. Ueber mich ist eine Leidenschaft gekommen, die alle Wildheit von mir abgethan. Ich bin anders geworden; ich will anders werden. Die Sängerin hat mich behext!«

»Das Geld,« versetzte Matusch bedächtig, »nehm ich vor der Hand; 's ist besser, ich hab's, sonst findet Ihr dafür einen Schurken, der willfähriger ist als ich. Denn daß Ihr mich dafür und ein Mehreres nicht zu einem schlechten Streich dingen könnt, müßt Ihr mir wohl schon abgemerkt haben.«

»Wer sagt Dir das,« stürmte Scherbic, »wer will das? Ich liebe die Sängerin, die Walperga – ich schwör' Dir's zu!«

»Ja, die Liebe ist unterschiedlich,« versetzte spöttisch der Alte; »die ich Euch zutraue, ist von der Art, daß sie weder mir zusagt, noch der kleinen Brabanterin zusagen wird. Ihr möchtet, wie ich gesagt, Herr Ritter, die schöne Blume aus dem Schilf herausreißen, Euch eine Weile d'ran ergötzen und sie dann in den Staub treten. Das kann aber nicht geschehen. Das geb' ich nicht zu. Da müssen vorher entweder meine Knochen erst brechen oder die Eurigen, Herr Ritter! Ihr seht, ich hab' das Geschick dazu. Ja, ja – die Armen müssen auch etwas haben, Herr Janko! Sonst hätte der Schöpfer besser gethan, nur Herren und Hunde zu erschaffen!«

»Du irrst, Matusch!« betheuerte Janko, »ich verlange nichts Ungebührliches; ich liebe die Walperga, ich möchte sie lieben in Ehren. Sie hat mich, wie ich Dir sage, ganz umgewandelt. Ich wär' im Stand, stellte sie die Bedingung, sie mir zum Weibe zu nehmen. Mit dem Adel bin ich ohnehin zerfallen – ich zöge auf mein Schloß mir ihr und finge ein anderes Leben an.«

»Das wär' freilich etwas anderes,« versetzte Matusch – »in Ehren, sagt Ihr? Da trüg' ich höchstens Spott heim und – keine Schande, wenn ich Euer Bote würde. Zum Weibe also!? Wie ich sie kenne – freilich – wenn sie es des Ranges wegen nicht thäte – darauf geben die Weiber zwar etwas – Eurer Schönheit wegen thut sie's nicht! – Ihr müßt mir das nicht übel nehmen, Ritter, wir sind aber seitdem so genau bekannt worden, daß ich das wohl aufrichtig sagen darf. Auch niedere Dirnen sehen auf Schönheit, wenn's die Liebe gelten soll; und liebreizend habt Ihr Euch der Walperga seither nicht gezeigt.«

Scherbic verschmerzte den Hieb und fuhr drängend fort: »Ich bin reich, ich bin mächtig, auf meinen Gütern ein König; sie soll alles in Hülle und Fülle haben, was ihr Auge ersieht, ihr Herz verlangt. Und wollte sie ein Ehebündniß nicht – zög' sie es vor – ich meine nur – einige Zeit mir als Geliebte anzugehören, um dann wieder frei zu sein, so mag sie fordern, mag eine Summe nennen. Das Sängervolk ist meist unstet und verlangt nicht nach einem gemess'nen Leben, oft nur nach augenblicklichem Reichthum. Du verstehst mich, Matusch?«

»Nein, ich versteh' Euch nicht, wie Ihr möchtet. Zu einer solchen Botschaft geb' ich mich nicht her – denn da wär' auch die Schande dabei. Die Armen haben auch ihre Ehre, wenngleich diese kein so glänzend Kleid trägt wie die Eurige. Ihr spracht von einer Werbung in Ehren; zu der wär' ich wohl bereit, obgleich ich keine große Hoffnung für Euch hege, Herr Ritter. Ein Anderes getraut' ich mir auch nicht. Ich glaube, die Brabanterin hat wohl schon ganz anderen Anfechtungen widerstanden als dieser. Wollt' sie mit ihrer Schönheit Handel treiben, es fänden sich noch andere Käufer, Herr, gar schöne, vornehme, glaub' ich, und wohl auch reichere. Sie brauchte nicht durch ihren Gesang vom Volke ihren Unterhalt zu verdienen. Das muß also seinen Grund haben, Herr; wir nennen das Ehrbarkeit und nehmen bei dieser noch die Noth mit in Kauf. Viel kann man haben für's Geld, doch alles nicht! Es kommt immer auf die Leute an, die das oder jenes höher schätzen oder geringer.«

»Wie Du willst, Matusch! Es war ein Vorschlag nur für den möglichen Fall; ich liebe das Weib zu heftig und wär' im Stande – wie ich Dir gesagt, sie zu meiner Gattin zu erwählen. Sag' das nur frank und frei bei Deinem Antrag, und daß ich ein Anderer werden will, daß ich es schon geworden, daß ich die Wildheit abgelegt und was ihr sonst mißfällig sein könnte. Vor allem mußt Du mir die alte Zigeunerin kirre machen; die haßt mich freilich wie den Tod, weil ich sie einmal schalt. Versprich ihr Geld, viel Geld – die alten Leute gehen nach Geld und sie sieht darauf, meine ich. Sie ist der Drache, der meinen Schatz bewacht, den müssen wir einschläfern oder werben durch Geld!«

»Die alte Marga, meint Ihr,« versetzte Matusch, »'s ist möglich, daß sie das Geld liebt; aber, wenn die auch so gewissenlos wäre, ihr Kind, das heißt die Ehre ihres Kindes, zu verkaufen – es giebt so schlechte Eltern! – dann bin ich noch da, ich leid es nicht – offen gesagt, Herr Janko! Nur mit der Walperga freiem Willen könnt Ihr zu ihr gelangen. Und wär' sie auch geneigt – was ich nicht glaube – auf Ungebührliches sich einzulassen, so würde ich ihr vorerst ernst ins Gewissen reden. So ist unser Vertrag, Herr Ritter! Er ist, wie Ihr seht, ganz ehrlich!«

»Gut, gut! Vor allen Dingen trachte nur, daß ich sie sprechen kann, daß sie sich zeigt, mir Rede steht. Ich will dann selbst meine Sache betreiben. Seit mehreren Tagen singt sie nicht mehr auf den Straßen, hat sie die alte Höhle nicht verlassen. Vielleicht ist sie krank. Das erfüllt mich mit Besorgniß.«

»Daran dacht' ich nicht, Ihr könnt Recht haben – seit jenem Tage sah ich sie auch nicht. Eure Bewerbung von damals an der Straßenecke mag ihr das Singen verleidet haben. Wär' das der Fall, dann habt Ihr uns Alle um eine große Freude gebracht! Wie – wenn sie Prag verläßt – verscheucht durch Eure Verfolgungen? Das möchte Euch der Teufel gesegnen! Ihr werdet große Mühe haben, den üblen Eindruck zu verwischen, soll Eure Bewerbung Glück machen. Die Mädchen lieben die nicht, vor denen sie fliehen, und wer ihnen Thränen erpreßt, kann eher auf ihren Haß, als auf ihre Neigung rechnen. Indessen – ich hab' die Botschaft übernommen. Muß ich doch selbst erfahren, wie's mit den Weibern steht. Ihr sollt morgen Nachricht haben. Jetzt, Gott befohlen. Gute Nacht, Ritter Janko!«

»Du bleibst noch?« fragte dieser zögernd.

»Freilich – und Ihr thut mir den Gefallen und geht. Könnt' nicht ein anderer Schnapphahn – ich meine so einer, den ein anderer gedungen, kommen und gewaltsam eindringen wollen? Ich muß hier auf der Lauer sein.«

»Das verdammte Nest ist unzugänglich; da dringt keiner ein, wenn nicht die Weiber selbst öffnen. Ich hab' schon alles versucht. Die Eisenthür weicht nicht und die Fenstergitter lassen kaum einen Arm hindurch.«

»Ich will auch nur in allem Frieden und manierlich eindringen, und das vermag ich am ehesten, wenn ich allein bin. Darum geht, Herr, geht! Morgen sollt Ihr Bescheid haben.«

»Ich gehe,« versetzte Janko und eilte raschen Trittes zwischen den verfallenen Häusern hinauf nach der Hauptstraße des Aujezd.

»Dumm ist er nicht,« murmelte der Matusch, »aber schlecht. Glaubt, ich würde ihn nicht verstehen, nicht durchschauen, was er eigentlich will. Nun – die Botschaft hab' ich übernommen und muß mein Versprechen halten, 's ist nur um des Spottes willen, den er davontragen wird.«

Er ging um das Gebäude herum, nach der Wasserseite zu und blickte zu den Fenstern der Brabanterinnen empor. Der Lichtschimmer zwischen den Spalten der Bretter und Laden war verschwunden.

»Sie werden schon schlafen,« sagte Matusch für sich; »es ist auch schon nah an Mitternacht; wenn sie nicht gar krank sind, wie der Rabe gekrächzt hat. Das werd' ich morgen erfahren. Die Alte wird mich schon bei Tage einlassen, besonders wenn ich ihr sage, daß ich dringende Botschaft habe. Sie weiß doch, daß ich ihr Freund bin, und hält ein Stück auf mich. Bin zudem begierig, wie es in der verzauberten Burg aussieht. Vor allen Dingen muß ich früh bei Zeiten den gnädigen Herren Waldstein und Los von dem heutigen Auftritt Nachricht geben, damit sie mir meine weiteren Maßregeln vorschreiben.«

Er schlug langsamen Schrittes den Weg nach der Kleinseite ein.

Scherbic war nur bis etwa in die Mitte der Aujezdergasse gegangen, hier hielt er. Es befand sich zunächst der damaligen Dominikanerkirche daselbst eine Schenke, der Versammlungs- und Herbergsort der Armuth und des verworfensten Gesindels in diesem Stadttheile. Das Haus war verrufen aus alter Zeit. Denn als die Juden noch, vor ihrer Uebersiedelung an das Moldauufer in die Altstadt, den Aujezd und Smichov bewohnten, ging die abergläubische Volkssage, daß die Hebräer in den Kellern dieses Hauses zur Passahzeit Christenkinder schlachteten. In Folge dieses Wahnes fanden auch mehrere Volksaufstände statt, wo sich der Pöbel mit seiner fanatischen Wuth und Rohheit in Morden und Plündern zeigte; weshalb auch König Johann, der Luxemburger, die Juden veranlaßte, ihre Wohnsitze in die Altstadt zu verlegen, wo sie ihre Straßen zur Nachtzeit mit Thoren sperrten und so gewissermaßen eine abgeschlossene Stadt in der Stadt bildeten.

Noch vor Kurzem hätte Scherbic nicht Anstand genommen, in diese Lasterhöhle, welche mit Betrunkenen, mit Dieben und Bettlern gefüllt war, zu dringen, denn er genoß als ein berüchtigter Herumtreiber, da er sich oft freigebig zeigte, eines gewissen Ansehens unter dieser Sorte von Leuten; diesmal aber that er es nicht; er trat vor den finsteren Hauseingang, pfiff dreimal auf den Fingern und wartete.

Bald auch öffnete sich im Hausflur die Thür der Schenkstube, ein matter Lichtschein fiel heraus, und Schritte näherten sich.

»Vojta!« rief Scherbic mit unterdrückter Stimme.

Eine riesige Gestalt, in einen Schafspelz gekleidet, eine spitzige Mütze auf dem Haupte, wurde am Eingang sichtbar.

»Ihr seid es, gnädiger Herr?« fragte eine rauhe, heisere, widerwärtige Stimme, die mit dem Geheul eines wilden Thieres Ähnlichkeit hatte.

»Komm'!« gebot Scherbic und ging mit dem Riesen einige Häuser weiter hinter den Vorsprung, welchen da der Eckpfeiler der Kirche bildete. Daselbst drückten sie sich in den tiefen Winkel, so daß sie alle Vorübergehenden sehen, aber nicht leicht gesehen werden konnten.

Hier sprachen Beide lange Zeit miteinander, abwechselnd fragte und antwortete der sogenannte Vojta, manchmal gab er auch nur dumpfe, brummende Laute, als wie der Zustimmung oder Erwägung, von sich. Endlich erschallten schwere Tritte die Straße herab. Die beiden Lauernden verhielten sich ganz still.

Matusch ging langsam vorüber. Als er ein paar hundert Schritte weiter gelangt war, sagte Scherbic mit vernehmlicherer Stimme: »Das war er!«

»Das war er,« versetzte der Heisere, »die Gestalt merk' ich mir schon. – Also morgen, gnädiger Herr!?«

»Und bei Zeiten!« murmelte Scherbic und trat aus dem Versteck hervor.

Er hüllte sich in seinen grauen Mantel und verfolgte den Weg, welchen Matusch eingeschlagen, der schon an der heutigen Karmeliterkirche vorüber in die gleichnamige Straße gelangt war, um von da weiter über den wälschen Platz zu gehen.

Vojta aber, der Mann im Schafpelz, kehrte wieder nach jener Schenke zurück, wo er wahrscheinlich sein Nachtlager hatte. – – – – – – – – – – – – – –


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