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VI.

Im Palaste Ulrich's von Kinsky waren am folgenden Abend fünf Freunde versammelt, die mehr oder minder später eine wichtige Rolle spielten, an Alter zwar verschieden, aber durch Gesinnung und Neigung und mehr noch durch ein früheres Zusammenleben aneinander gekettet. Wallenstein, nach mehrjähriger Abwesenheit in die Heimat zurückgekehrt, sollte von ihnen traulich begrüßt werden und ihre Neugierde durch einen Bericht über seine Erlebnisse und Erfahrungen befriedigen. Es waren dies die Herren Mathias Graf von Thurn, Colon von Fels, Albin Graf Schlik, Otto von Los und der Hausherr Ulrich Kinsky selbst.

Die hervorragendste Erscheinung, welche einen breiten Lehnstuhl am oberen Ende der mit Speisen und zahlreichem Trinkgeschirr besetzten Tafel einnahm, war Mathias Thurn, der benarbte Held aus dem Türkenkriege und Burggraf vom Karlstein. Er war der älteste in der Gesellschaft, denn er zählte wenigstens schon fünfundvierzig Jahre. Sein dichtes graues Haupthaar ließ ihn fast noch älter erscheinen. Aber die untersetzte Gestalt von derbem Knochenbau zeigte sich riesenkräftig, unverwüstlich. Dem braunen, muskulösen Gesichte sah man es an, daß es Wind und Wetter, dem Schlachtenkampf und Pulverdampf getrotzt, daß es noch ein volles Menschenleben bereit sei, die Gefahr herauszufordern. Im schwarzen Auge wohnte ein Blitz, der Herrschaft, Muth und Gebot verkündigte; die rasche Rede, der laute, tiefe Stimmenklang gab mehr den Gedanken als die Worte. Im ganzen Wesen des Kriegers und späteren Parteimannes äußerte sich eine Rastlosigkeit und Ungeduld, die rasch mit dem Einen fertig zu werden strebte, um im Fluge zu dem Anderen überspringen zu können. Ohne daß die Absichtlichkeit kund wurde, mußte man es doch herausfühlen, daß er die Uebrigen leitete, beherrschte, übersah, was nicht seinen Jahren allein, was mehr seiner Erfahrung, seinem raschen Schluß und Urtheil zuzuschreiben war.

An seiner rechten Seite saß Waldstein; er und Otto von Los die Jüngsten in der Versammlung; denn Albrecht war damals erst vierundzwanzig Jahre alt, während Otto kaum dreiundzwanzig zählte. Den späteren Herzog von Friedland marquirte schon damals die hohe unbehaarte Stirne, während an den Schläfen und an dem Hinterhaupt nach damaliger Sitte reiche dunkle Locken auf die Schultern herabfielen. Trotz seiner Kriegsfahrt, seiner weiten Reisen und eines raschen Lebensgenusses hatte sein Angesicht doch die jugendliche Frische und die ganze Gestalt bei viel Geschmeidigkeit ihre imposante Kraft behalten. Er war in der That ein schöner Mann, dessen gewandte wohlklingende Rede ebenso überzeugen, als einnehmen konnte. In seinen Augen wohnte eine gebieterische Hoheit, die man hätte für angeboren halten können, wäre er aus fürstlichem Geschlechte gewesen.

Otto von Los, weniger männlich als Wallenstein, überstrahlte ihn an regelmäßiger Schönheit. Es war etwas unendlich Weiches und Liebevolles in dem edelgeformten Antlitz, viel Sanftmuth in den schwarzen Augen, viel Träumerei auf der klaren, reich umlockten Stirne. Er ward, wenn ihn die Freunde auch keiner besonderen Thatkraft, keiner kühnen Ausdauer für fähig hielten, von allen gleichmäßig geliebt, war eines jeden Vertrauter, eines jeden Schützling. Ueber ihn erging unter allen Zerwürfnissen nie ein Tadel, er fand nur Lobredner und Verteidiger; denn rein und treu wie sein Auge, war seine Gesinnung, sein Herz offen wie seine Hand, im Entschuldigen, Beschwichtigen und Versöhnen war er beredsam, nie im Tadel und in der Anklage. – »Was wir Alle,« sagte bei einer späteren Veranlassung Mathias Thurn von ihm, »an Liebe zu wenig im Herzen haben, das ist auf Otto gekommen. Wären die Menschen darnach, er richtete mit seiner Milde mehr aus, als wir Alle mit Willenskraft und Unternehmungsgeist, mit Gebot und Schwertschlag.«

Zur Linken Thurn's saß schwarz gekleidet, wie man ihn immer sah, Colon von Fels, der hartnäckigste, ausdauerndste Charakter in der Gesellschaft, mit einem Antlitz, fahl, fast aschgrau, ohne Mienenspiel, erst dreißig Jahre alt, aber ein Greis beinahe in seiner besonnenen, leidenschaftslosen Haltung. Je weniger der Mund und die Mienen sprachen, um desto mehr redete das graue, stechende Auge, das dem Gedanken zu folgen und ihn erst zu verlassen schien, wenn alle seine Möglichkeit, sein Werth und seine Dauer erschöpft schien. Arm an Redensarten war sein Mund, aber heftig und rastlos sein Wille an Unternehmungen.

Dem Grafen von Schlik sah man es an, daß er bei Hofe gelebt und in den Kanzleien des geheimen Rathes gewirkt; er war glatt, bedächtig, halblaut, im Urtheil voll Zurückhaltung, dabei klug und voll Kenntniß; vor allen Dingen aber heiter, wohlwollend, zu Frohsinn und Genuß stets aufgelegt. In letzter Weise glich ihm auch Graf Kinsky, der Wirth, welcher das untere Ende der Tafel einnahm, ein Mann von dreißig Jahren, hochgewachsen, blond, redselig, zu Scherz und Spott geneigt, aufflammend bei jedem Gedanken, überschwenglich, doch rasch auch abgekühlt; dem Vaterlande aber und der böhmischen Nationalität unverbrüchlich ergeben; Feind der deutschen Hofpartei, eifriger Anhänger des Protestantismus und seiner Glaubensstärke.

»Wie mich mein Vater,« fuhr Wallenstein, in seiner Erzählung unterbrochen und nachdem er aus dem Becher getrunken, den ihm Thurn gefüllt, fort, »nachdem es mit dem Studiren in Altorf nicht gehen wollte und ihm meine dortigen Händel und lustigen Streiche mehr graue Haare gemacht, als ich verantworten kann, an den Hof zu Innsbruck und in den Dienst des Markgrafen Karl gebracht, dessen hab' ich schon erwähnt.«

»Ja,« sagte Thurn, »aber, wie war's mit Deiner Glaubensänderung? Darüber darfst Du nicht hinwegschlüpfen.«

»Wozu das?« versetzte beinahe verstimmt Waldstein, »schweigt mir davon! Der Otto, mein Jugendgespiel, kennt mich von der Goldberger Schule her; er weiß am Besten, ob ich je auf das Bekenntniß viel gegeben, ob mich der Rector Fechner je durch seine Controversen erwärmt hat. Soll ich Begeisterung für eine Sache heucheln, die ich nicht in mir hege? Der Glaubenseifer, der Fanatismus muß angeboren sein, meine ich. Zum Märtyrer fühl' ich keinen Beruf! Ich reich' mit wenig Glauben aus, und tadl' es auch nicht, mag sich einer mit viel beladen. Eines weiß ich nur: daß die Glaubensreformation, von unserem Johannes Huß angefangen bis auf diese Zeit, unendlich viel Unheil gestiftet hat in der Welt; daß der Religionskrieg fürchterlicher ist als jeder politische. Ich liebe den Krieg um des Krieges Willen und wünschte, die Religion hätte damit nichts zu schaffen. Sie verdammt ihn freilich; aber die Menschen führen ihn doch in ihrem Namen; das ist der Wahnsinn! Und nah ist vielleicht dennoch die Stunde, wo auch hier der Katholicismus, wo die Jesuiten triumphiren werden?«

»Hoho!« riefen wie aus einem Munde Schlik und Kinsky, während Fels unwillig das Haupt schüttelte.

»Lasset jetzt den Wortwechsel,« sprach gebieterisch Thurn, »Du sollst erzählen, Albrecht – das Andere könnt' Ihr Euch für später aufsparen.«

»Es war aber doch nicht recht von Dir, Bruder,« sagte so schonend als möglich Kinsky, und reichte Waldstein die Hand hin, »daß Du den Glauben abgeschworen, den Pfaffen zu Lieb' und uns – uns – nun, uns zum Aerger! Du warst doch geborener Protestant und die evangelische Lehre ist einmal unserer Nation und unserer Freiheiten Stütze und höchstes Gut!«

»Und alle unsere Väter und Großväter,« versetzte ruhig und fast gemessen Albrecht, »waren geborene Katholiken! Was ist daran zu tadeln? Eine Zeit wird kommen, wo man von allem Wahn sich losreißen wird. Ich denk' einmal nicht hoch von Satzungen, die göttlich sein sollen, weil sie der Mund der Priester ausspricht. Die Euerigen sind so gut Pfaffen wie die Unserigen. Gebt Ihnen die Macht, so bauen sie auch Scheiterhaufen.«

»Seid ruhig,« unterbrach Schlik, »es handelt sich hier unter Freunden nicht um Ansicht und Urtheil, viel weniger um Anklage und Rechtfertigung. Nur die Sachlage sollst Du erzählen, Albrecht, wie's kam, daß Du convertirt, daß Du katholisch wurdest. Das Gerede darüber war so mannigfaltig und abweichend, gab Stoff zur Verlästerung, daß wir von Dir selbst am liebsten den Hergang erfahren möchten. Ohne Wunder kann's nicht abgehen, wenn die Pfaffen was Apartes durchsetzen.«

»Nun gut,« erwiderte kurz Waldstein, »so mögt ihr denn ganz genau von meiner großen Sünde erfahren, die es einmal ist in Eueren frommen Augen. Es giebt so viel neugemachte Protestanten jetzt, daß man dem Katholicismus auch einen oder den anderen Ueberläufer, oder vielmehr, da das Desertiren so eingerissen, einen, der zur alten Fahne zurückkehrt, wohl vergönnen kann. So hört denn: Ich ward, nachdem ich in Altorf relegirt worden, Page beim Markgrafen von Burgau, dem edlen Karl, Ferdinand's Sohn. Dort war alles katholisch. Ich gewöhnte mich daran, weil ich, wie gesagt, den Glaubenswiderstand nicht kenne und seitdem, was mir zusagt, einen anderen Glauben in den Sternen erkannt habe, der nie trügt. Wie es Euere Prädicanten vorkommenden Falles thun würden, so hetzten dort das Ketzerwild die Mönche und Priester. Ich war lebhaft, muthig und verschlagen, von meinem Herrn wohlgelitten. Was Wunder, daß man mich, wo alles katholisch war, auch katholisch haben wollte. In meiner Phantasie lebten noch die Heiligen- und Muttergottesbilder aus dem heimatlichen Schlosse, die der Großvater, die Großmutter verehrt. Und von einem himmlisch schönen, glanzumflossenen Muttergottesbilde träumte ich, als ich eines Abends auf der Fensterbrüstung des dritten Stockwerkes im Innsbrucker Schlosse sitzend, entschlafen war; die Himmelskönigin reichte mir – so schien es lebhaft vor meiner Seele – eine funkelnde Krone, sanft lächelnd, mich ermuthigend – ich langte darnach, bog mich weit hinaus; was der Geist erstrebte, that mechanisch der Körper nach und – ich stürzte von der thurmgleichen Höhe des Fensters hinab auf den gepflasterten Vorhof des Schlosses! Hier erwachte ich freilich – viel Volk war da versammelt; das Hofgesinde, Leute aus der Nachbarschaft liefen zusammen, als meines Leibes Wucht auf die Steine niederschlug. Ihr lauter Aufschrei brachte mich zur Besinnung. Ich erhob mich unverletzt, warf einen Blick nach dem Fenster und der Umgebung; durch meine Seele flog das Traumbild: ich fühlte, daß ich etwas außerordentliches erfahren. Der Markgraf kam herbei, die Frauen, die Priester – alle Welt schrie Wunder! Ich erzählte meine Traumerscheinung und da nichts an mir verletzt befunden wurde, da ich meiner Sinne mächtig, ja im Bewußtsein solch' überstandener Gefahr aufgeweckt und heiter war, so sagten die Priester auf eine ganz glaubwürdige Weise, die Mutter Gottes habe ein Mirakel an mir vollbracht, dies sei ein Wink des Himmels, zu dem Glauben zurückzukehren, der ihr den Platz zunächst anweist an der Seite des Gottessohnes. Und in der That: Madonna, die mir im Traume die verlockende Krone gezeigt, hatte mich wundersam errettet; darum schwur ich zu ihrem Dienste. Scheltet Ihr, Wunderungläubigen, es Schwärmerei und Aberglauben, so nenn' ich's einen Ritterdienst. Der himmlischen Dame mußt ich verpflichtet sein, wie Ihr es oft Irdischen seid um geringere Huld.«

»Ich kann mir's denken,« warf Kinsky ein, »daß dieser Umstand den Pfaffen gelegen kam; doch wie betrachtete Dein Vater, der Protestant, den Glaubenswechsel?«

»Der war todt und mein Oheim Adam von Waldstein ist selbst Katholik. Da ich, wie Ihr wißt, nicht reich bin, nicht reich im Verhältniß zu Einigen von Euch wenigstens, so überließ er mir's, mein Glück bei Hofe oder durch die Waffen zu suchen. Ich fand es zuerst bei Hofe. Von dem Augenblicke, wo ich – durch ein Wunder – katholisch geworden, war ich der Liebling der Geistlichkeit, sowie meines Herrn. Man entdeckte urplötzlich in mir seltsame Anlagen, höheren Beruf. Was ich that und sprach, zeugte von Geist. Selbst mein geringes Wesen ward belobt. Der letztere Umstand, beschämend für mich, forderte meinen Ehrgeiz heraus, und was ich in Goldberg und Altorf im wilden Jugendmuth vernachlässigt – das holte ich sorgsam nach und warf mich voll Fleiß und Eifer den Wissenschaften in die Arme. Dadurch stieg ich nur immer höher in des Markgrafen Gunst; mir standen Lehrmeister, Bücher und Gelder zu Gebote, und als ich den Wunsch äußerte, zu meiner weiteren Ausbildung fremde Länder zu sehen, sandte mich Karl auf Reisen und unterstützte mich mit fürstlicher Freigebigkeit. Ihm dank' ich's, daß ich auch im äußeren Glanz dem Namen und Stande eines böhmischen Edelmannes im Ausland Geltung und Anerkennung verschaffen konnte.«

»Ich kann's nun denken,« unterbrach lächelnd Kinsky, »daß Du Deiner Dame, der himmlischen Jungfrau, dankbar sein mußtest, da sie Dir ein fürstliches Reisestipendium verschafft. Bei den Frauen hast Du stets Glück gemacht, Albrecht! Die Welt sagt es und wir glauben's gern.«

»So durchzog ich denn,« fuhr Waldstein fort, ohne weiter Kinsky's spöttischen Einwurf zu beachten, »von standesmäßiger Dienerschaft begleitet, England, das freieste Land, wo der Unabhängigkeitssinn im Volke lebt und eine neue Zeit vorbereitet – wie ich sie dereinst unserem Vaterlande wünsche – dann Frankreich, das Land der artigen Sitten, der schönen Frauen, wo der edelste, der liebenswürdigste König Hof hält, Heinrich IV., den Ihr auch verdammen mögt, weil er, früher Hugenott, um einer Krone und seines Volkes Willen, den Glauben an die Muttergottes und die Heiligen wieder annahm. Ich ging von da nach Holland, der Republik der Handelsherren, wo der Kaufmann ein Fürst sich dünkt und fürstlichen Aufwand treibt, ein Land, so überaus reich und gottgesegnet, daß wenige Jahre genügen, den jahrelangen Glaubenskrieg und die spanische Verwüstung vergessen zu machen. Auch Spanien sah ich, den Garten Gottes jenseits der Pyrenäen, mit seinem stolzen Hof, seiner bigotten Priesterherrschaft. Macht mir hier keine Bemerkungen! Der fanatische Priestereifer wird bei uns nie Wurzel fassen. Eines vor allem bewundere ich: ein Volk, heldenmüthig, fanatisch in der Liebe, im Haß und Aberglauben, ein Volk ohne Halbheit, ohne Ausländerei. Es ist zu Großem berufen!«

»Aber der Spanier mag doch um des Himmels Willen nie über uns, über Deutschland herrschen!« sagte Fels mit ernster Stimme; »wie schrecklich hat er in den Niederlanden Blut gesäet.«

»Das mag er bei Gott nicht,« wiederholte Waldstein, »nur ein Jahrtausend bringt einen Alba.«

»Doch ist das Haus Oesterreich blutverwandt mit Philipp's Erben,« warf Schlik ein, »und eine Erbverbrüderung ist im Werke.«

»Aber Böhmen ist nicht Oesterreichs Erbland,« rief Fels.

»Und soll es niemals werden,« sagte Otto mit warmer Begeisterung, »die Wahlfreiheit schützt uns vor der Willkür grausamer Herrschergeschlechter. O kehrte ein zweiter Stamm der Premysliden wieder!«

»So lernte ich die Sitten,« fuhr Waldstein fort, »und die Sprachen all der genannten Länder aus eigener Anschauung kennen; ich machte sie an Ort und Stelle zu den meinigen. Ein Volk erkennt man nur, wenn man mit ihm lebt, seine Neigungen, seinen Haß theilt. – Italien besuchte ich zuletzt; hier weilte ich an allen Höfen, in allen großen Städten. Ich sah Neapel, Rom, Florenz, Genua, Venedig und Mailand. Wie schön ist das Land, wie schön dort selbst in der bösen Leidenschaft der Mensch, wie herrlich die Kunst inmitten der großartigen Natur. Ja, nur dort lebt Farbenpracht und Gesang und das, was wir uns vollendet als Frauenschöne denken. Lieben und geliebt werden kann nur ein wälsches Weib. Der Spanierin Glut versengt und tödtet, die der Italienerin brennt, doch erwärmt sie auch. Wir Alle hier im Norden sollten wälsche Weiber freien; es entstünde ein anderes, edleres, ein vollkommeneres Geschlecht. Der Italiener selbst ist zu weich und schlaff für seine Frauen; uns aber würden sie erwärmen und begeistern, während sie ihn erschöpfen und entnerven. – Genug davon! – Mein Ziel war Padua! – Ich hatte die Welt gesehen, hatte gelebt, genossen, geliebt; jetzt trieb mich eine innere Macht voll Ernst den Wissenschaften in die Arme. Doch mögt Ihr nicht glauben, daß ich ein fahler, verwitterter Schulfuchs darum wurde. Das Leben sprang mir noch in zu reichen Quellen und meine Empfänglichkeit war darnach. Der alte Jugendmuth von Altorf her gab sich in manchem Liebesabenteuer, manchem tollen Streich und manchem Zweikampf kund. Vor Allem fühl' ich mich zu der Wissenschaft aller Wissenschaften hingezogen, zur Astrologie!«

»D'ran glaubst Du also?« fragte Otto von Los.

»Wie an meine Seele, wie an Gott. In den Sternen steht unser Geschick geschrieben. Unter ihrem Einfluß schwebt der Mensch wie die Pflanze.«

»Und unser Wollen wäre nichts,« warf Fels ein, »die Sterne vollbrächten es?«

»Geboren wird unter ihrem Regiment unsere Fähigkeit; ausüben können wir diese nur mit Glück, wenn ihre Constellation uns günstig ist. Nicht vorbestimmen können sie unser Los; das liegt in unserer Hand, je nachdem wir etwas unternehmen bei der Gunst der Sterne, es unterlassen bei ihrer Ungunst. Des Menschen freier Wille ist dabei nicht aufgehoben, auch die Hand der Vorsehung nicht gebunden. Wie der Säemann, bevor er die Frucht der Erde vertraut, nach der Jahreszeit fragt, so sollen wir den Himmel fragen, ob's rechte Zeit zum Handeln, ob ungünstige. – Darum horchte ich mit Begeisterung den Lehren des weisen Argoli, des gewaltigen Astrologen, der mir die Sternenwelt entschleierte und mich die erhabene Geheimschrift lesen lehrte, die Gottes Finger in seine Weltenräume gezeichnet.«

»Ich kann's nicht glauben,« warf Thurn ein, »daß in den Sternen, die größer als die Erde und Tausende, ja Millionen Meilen von uns entfernt sind, unser Heil oder Unheil geschrieben stehen solle; um des kleinen Menschenschicksals willen sollten sie sich drehen und wandern, für den Erdenwurm eine Bahn zeichnen?«

»Und was selbst ein Weltgebäude, wie Keppler lehrt,« ergänzte Kinsky, »sollte mit unseres Leibes Wohl und Weh' sich befassen, an unsere armselige Daseinsdauer geknüpft sein.«

»Ihr wollt mich nur nicht verstehen,« entgegnete Waldstein; »der Sterneneinfluß bedingt unser Handeln in seinem Gelingen oder Mißlingen. Die That selbst ist unser Eigenthum; der Erfolg nur steht unter einer höheren Macht und diese müssen wir kennen lernen, soll uns etwas gelingen. Habt Ihr es denn nicht täglich in der Natur vor Euren Augen offenbar? In der Märzsonne gedeiht und blüht eine andere Pflanze, als in der des Juni, des September! Wißt Ihr genau, warum? Nein, Ihr wißt nur, daß es just so ist. – Wie brenn' ich darnach, den herrlichen Keppler zu sehen, zu erforschen. Schon dieses Mannes Anwesenheit an Rudolfs Hofe lohnt meine Hierherkunft. Sein Ausspruch kann meines Schicksals Ausschlag sein.«

»Und hat Dir Dein Lehrer Argoli,« fragte Otto, »nicht die Nativität gestellt, wie Ihr es nennt?«

»Das hat er. Nachdem ich ihm Jahr, Tag und Stunde meiner Geburt genannt, lag mein ganzes verflossenes und zukünftiges Leben klar vor ihm. Den Beruf des Kriegers erkannte er in mir und großen Waffenruhm vermochte er mir zu prophezeien. Auch die Gefahren nannte er, die diese oder jene Constellation mir bringe; er bezeichnet mir meine guten, meine bösen Sterne. Seine Verkündigung beflügelte meine Phantasie und Ehrbegierde. Einen Commandostab erblickte sein Auge dort oben und mich an der Spitze von Heerschaaren im Schlachtgewühl als Sieger. Der Ruhm ist verlockend und verlockend war seine Deutung. Ich mag es Euch gestehen, meine erhitzte Einbildungskraft träumte von den Siegen eines Cäsar und Alexander, von ihrem Kriegesruhm! Doch will ich gern mich bescheiden mit einem kleinen Lorbeerreis, flecht' ich's im Waffendienste mir um den Helm. – D'rum bleibt der Krieg meine Wahl.«

»Wer möchte,« versetzte Colon Fels, »an Deinem Beruf zum Krieger zweifeln; doch alles Andere ist eitel Träumerei! Du weißt es wohl auch, daß unsere berühmtesten Mathematiker die Astrologie verwerfen als Zeichendeuterei, als Gaukelspiel, nicht viel bedeutender als die Wahrsagerei eines Zigeunerweibes.«

»Nicht so ganz,« warf Waldstein ein, »nur zu früh sollte ich erfahren, daß Argoli nicht geträumt, daß seine Vorherverkündigung keine Fabel. Meine gewonnenen Aussichten, mein Thätigkeitsdrang trieb mich fort von Padua. Ich verließ die theure Stadt, ließ den geliebten Lehrer, der mir ein höheres Dasein, eine Welt voll Arbeit, Kampf und Ruhm enthüllt. Beim Abschied noch warnte er mich vor einer drohenden Gefahr, die jedoch mein guter Stern überwinden würde. Kaiser Rudolf kriegte, wie Ihr wißt, mit der Pforte. Ich eilte nach Ungarn, zu unserem Heer, um mir dort die Sporen zu verdienen, dort Trophäen zu sammeln. Und meine Sterne waren mir günstig. Schon in dem ersten Treffen fand ich Gelegenheit, mich auszuzeichnen. Ich stürmte mit einer Handvoll Leute ein Verhau und vertrieb einen zehnmal stärkeren Feind. Der Hauptmannsrang ward mir vom Feldherrn zum Lohn. Aber schon am folgenden Tage mahnte mein Geschick mich an seine Macht. Nach einem Handgemenge mit der türkischen Reiterei war ich zu hitzig in deren Verfolgung. Ich wollte durch den Augenschein zeigen, daß ich meiner Erhebung würdig. So trieb mich die Kampflust vorwärts; da plötzlich wandte sich der Feind – ich, der einzelne Mann, war rings von ihm umgeben. Mein einziger und letzter Gedanke war ein ritterlicher Tod; denn schimpflich hatten meine Leute mich verlassen. So wehrte ich mich denn auch mit der Verzweiflung eines Sterbenden. Da aber von einem nahen Hügel gewahrte mich Don Carlos Gonzaga, Herzog von Nevers, wo er mit einem Haufen hielt, und sah meinen verzweifelten Kampf. »Auf!« rief er, »dem Hauptmann muß geholfen werden! Hält er sich nur so lange, bis wir kommen.« An der Spitze seines Trupps sprengte er heran und brach wie ein Gewitter in die Feindesreihen, in dem Augenblicke, wo mein Schwert dicht über dem Bügel gesprungen war und zwanzig Säbel über meinem unbeschützten Haupte schwebten. Er richtete eine blutige Niederlage unter meinen Gegnern an; ich war befreit, gerettet. Dankbar wollt' ich die Hand des Herzogs küssen; aber er zog mich an seine Brust und sagte: »Dem Kaiser und der Christenheit einen solchen wackeren Krieger erhalten mußte ich schon!« – Seitdem ward er mein Freund mehr als mein Gönner. – Und das war es, was Argoli aus den Sternen mir verkündet, sowie auch das baldige Ende des Krieges; denn wie Ihr wißt, schloß der Kaiser im November vorigen Jahres Frieden mit der Pforte. Die deutschen Reichsfürsten versagten Rudolf weitere Hilfe an Geld und Mannschaft; er mag sein Ungarland selbst beschützen, meinen sie; als ob der Kampf gegen den Halbmond nicht ein europäischer sein müßte. Die zähesten darunter – verzeiht mir – sind die unkatholischen Stände unseres Vaterlandes; sie weigern der kaiserlichen Majestät weitere Subsidien, weil sie Grund zur Klage über Intoleranz zu haben glauben. So hat denn der Sultan nach einem sechzehnjährigen blutigen Kriege in Ungarn alles behalten, was er bisher erobert. Der ganze Kampf war ein vergeblicher. Möge der Himmel es nicht so wenden, daß wir unsere Lässigkeit zu bedauern haben, daß der Halbmond, dem wir Ungarn preisgegeben, bis an die Moldau vordringt!«

»Und mit wem hält'st Du's nun?« fragte Fels ausforschend.

»Mit dem, der eine Krone trägt und mich zu Thaten ruft. Ich habe meine Hoffnung auf den steierischen Ferdinand gesetzt. Er ist der muthmaßliche Erbe Rudolfs und Mathias' – und ihrer Kronen. Die Sterne verkünden ihm ein mächtiges Geschick!«

»Auf den Tyrannen!« rief Thurn, »der uns an die spanischen Pfaffen und ihre Inquisition verhandeln würde? Da sei Gott für!«

»Nie, nie soll der unser König werden,« betheuerte mit tiefer Grabesstimme Colon Fels, »so lange wir noch über einen Tropfen böhmischen Blutes zu verfügen haben.«

»Wir sind die Mehrzahl, wir, die protestantischen Stände,« sagte Kinsky, »wir müssen einen König unseres Glaubens haben. Die Zeit der Toleranz und Intoleranz mag ein Ende nehmen; wir müssen ans Ruder. Vom Haus Habsburg erblüht uns kein Glück. Ein Maximilian kehrt nicht wieder; Mathias dürfte schlimmer sein als Rudolf, des bigotten Pfaffengönners Ferdinand nicht zu gedenken!«

»Und mit wem hält'st Du's jetzt, Albrecht?« fragte Schlik.

»Vorderhand bin ich Euer, der Freund der Freunde! Zur Zeit rast' ich unthätig und harre, was die Zeit bringt.«

»Nach allem,« bemerkte Fels, »möcht' ich vermuthen, wärst Du leicht eher ein Diener Oesterreichs, als Deines Vaterlandes.«

»Dankbarkeit knüpft mich ans Haus Oesterreich, ans Vaterland die Macht des Blutes. Wer wollte glauben, daß dem Vaterlande – gilt es ihm – nicht mein Schwert zuerst gehört!?«

»Also kann das Vaterland, kann Böhmen auf Dich rechnen?« fragte mit einer freudigen Bewegung Otto von Los, der in Folge dieser ernster werdenden Fragen ein Zerwürfniß befürchtete; denn er kannte ebenso wohl Wallenstein's festen Sinn, als die eiserne Ueberzeugung der Patrioten Fels und Thurn.

»Vor allem das Vaterland,« sagte nach einer Pause Albrecht mit tiefem Ernste, »doch muß ich erst wissen, wer's vertritt und wie er's vertritt und gegen wen. Denn, daß ich mein Böhmerland an der Spitze der Reiche sehen möchte, könnt Ihr glauben. Die Zeit ist gar nicht so fern, daß wir eine europäische Rolle gespielt. Freilich kämpfte da und vergeudete sich eine Riesenkraft um eines Kelches willen, statt nach Ländererwerb zu streben, den großen schönen Kern rings zu vergrößern. Die habsburgischen Herzöge verstanden es besser als selbst unsere Luxemburger. Vor allen Dingen aber gebt mir Gelegenheit zu Thaten, gleichviel wie! Ich verlange einen Namen in der Weltgeschichte, die Sterne haben mir ihn verheißen. Will's Gott, werden sie nicht lügen. Wie vernichtend ist der Gedanke, spurlos vorüberzugehen, wie das andere Menschengewürm, eine Null hinter den Zählern, ein welkes Blatt vom Lebensbaume, keine Blüthe, keine Frucht und kein Kern, der neuen Samen säet! O, wer Gotteskraft in sich spürt, der fühlt das mit! Der Ziska war nur ein Bauer, der Prokop ein Mönch; aber sie wurden Helden, wurden unsterblich durch den Willen in sich, durch die Kraft aus sich! Wißt Ihr, was das sagen will, fortzuleben in der Geschichte aller Zeiten, genannt, gerühmt, bewundert!? Dies ist ein Theil der Unsterblichkeit, die Fortdauer, welche der Glaube uns verheißen.«

»Dem stimm' ich bei, Albrecht,« rief wie mit einem Donnertone Thurn und erhob seinen Becher, »d'rauf stoß' ich an und Ihr Alle thut mir Bescheid! Das lob' ich an Dir, Waldstein, daß Du die Thatkraft über alles setzest. Die Erde muß eine Spur von uns tragen, sollen wir nicht vergebens, nicht erbärmlich, nicht verächtlich gelebt haben. Unsere Fußstapfen müssen wir ihr kenntlich eindrücken, daß die kommenden Geschlechter sagen: das ist seine Spur. Lass't Euch meine grauen Haare nicht beirren. Auf dem Gipfel des Aetna, im Lande, woher ich stamme, liegt oft Schnee, und doch brennt ein Weltenfeuer in seinem Inneren. Strebe, um zu streben! Noch als Greis werde ich nach Thaten ringen, nach einer Königskrone gar. Wer nie den Wunsch nach ihr in der Seele gehegt, verdient gar nicht, daß er geboren wurde. Und in der Todesstunde selbst, mein' ich, werd' ich nicht anders denken. Ahne ich, daß das Jenseits mir keinen Spielraum giebt für meine Thatkraft, so lange ich noch mit dem Einen Arme in das Diesseits herab und gebrauche ihn, um etwas zu erfassen, um es zu heben oder zu erschüttern!«

Waldstein und Otto leerten ihre Becher und reichten dem ergrauenden Helden begeistert die Hand. Die Anderen stießen die Silberpokale klirrend aneinander und brachen in ein Jubelgeschrei aus; nur Colon Fels sagte mit tiefem Ernste, dem es jedoch nicht an innerlicher Glut gebrach:

»Vor allem an mein Vaterland möcht' ich meinen Namen, meine Thaten knüpfen, mit ihm Eins sein, mit ihm dauern, seinen Glanz fördern, von seiner Größe getragen!«

»Ja – das Vaterland vor allem,« riefen jetzt insgesammt freudig die Uebrigen, »sein Glanz, seine Macht, dauernd für ewige Zeiten!«

Sie leerten noch einmal die Pokale und umarmten und küßten sich wechselweise in ihrer männlichen Begeisterung.

Dann trennten sie sich. Thurn, Fels und Schlik stiegen in ihre Carrossen; Waldstein und Los legten den Weg nach der kleinen Seite und dem Hradschin zu Fuß zurück.


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