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XIX.

Der Freiherr Wenzel von Rosenberg lag in der Erbgruft zu Krumau. Er war, seine Knaben und den Vetter nicht gerechnet, der Letzte seines Stammes aus der Reihe der böhmischen Rosenberge, die dem Vaterlande zahlreiche Helden und Staatsmänner gegeben. Elisabeth genas nur langsam. Sie gewann endlich die Ueberzeugung, daß sie, wenn auch den Tod ihres Gatten beschleunigt und erschwert, doch ihn nicht veranlaßt hatte. Eine schreckliche Schuld lastete auf ihrer Brust, die der Gedanke, sie habe nur für den Glauben, nur auf den Befehl des Priesters und aus Angst vor Gottes Fluch und dem Verderben ihrer Kinder gehandelt, nicht zu erleichtern vermochte. Ihre beiden Knaben waren freilich dem wahren Glauben errettet, und ihr Bruder Slavata hatte sie auch sofort der Erziehung eines katholischen Priesters übergeben; aber doch blieb es Nacht in ihrer Seele und sie sah vor sich nichts, als eine düstere Ewigkeit von Büßungen, von nagender Reue, von schlaflosen oder mit Schreckensträumen erfüllten Nächten.

Es drängte sie, nachdem sie körperlich vollständig genesen, zu Pater Anselm zu gehen, um die verweigerte Absolution zu lösen. So sehr ihr vor diesem Gange graute, so glaubte sie doch, nur er, der ihr so Schreckliches aufgebürdet, könne die Last wieder von ihrem Gewissen nehmen. Von ihm allein konnte sie vielleicht den Zusammenhang des schrecklichen Sterbemomentes erfahren; der Dolch, das Zeichen und der Zeuge ihrer beabsichtigten Missethat, blieben verschwunden; sie erinnerte sich, daß er in der Schreckensstunde seines Auftrages von einem geheimen Helfer gesprochen – wenngleich in dunklen Worten. Vielleicht milderte dies einen Theil der Schuld, obgleich schon die sündhafte Absicht und der traurige Erfolg so gut wie ein ganzes Verbrechen war.

Sie ging abermals in der Abendstunde nach der Sanct Niclaskirche. Als sie den Sacristan nach dem Pater fragte, ward sie in die finstere Sacristei gewiesen. Bald erschien der Schreckliche und verschloß sorgfältig die Thür. Er nahm Platz in einem offenen Beichtstuhl. Schluchzend, von der Größe ihrer Schuld niedergedrückt, sank sie zu seinen Füßen. Sie wollte die Beichte beginnen, er aber unterbrach sie und sprach mit feierlicher Stimme:

»Du warst schwach im Dienste des Herrn, arme Sünderin; aber siehe! Die Gnade des Himmels hat ein Wunder an Dir gethan und Dir die That erspart – da dem Herrn Dein Wille genügte.«

»Aber ich fühle nichts von dieser Gnade,« wehklagte Elisabeth, »die Hölle brennt in meinem Busen, die große Blutschuld drückt mich nieder; ich verspüre nichts von jener Erleichterung, die Ihr verheißen, mein Herz ist beklommener als je, meine Seele schuldbelasteter. Gebt mir ein Maß der Buße, gleich jenem der Unthat, daß ich, wenn auch nicht entsühnt, doch reuig zum Himmel emporblicken kann.«

»Dessen bedarfst Du nicht,« versetzte mit fast freudiger Erhebung der Beichtiger; »juble und ermanne Dich; denn Du hast Gnade gefunden vor dem Herrn, bist erkannt worden als sein heilig Rüstzeug und hast durch ihn erfüllet die Sendung der Kirche. Er hat den bitteren Kelch von Dir genommen und den Glaubensfeind abgerufen mitten in seinen Sünden. Der Herr trat für Dich als Helfer ein! Keiner Reue bedarf es um diese That, im Gegentheil mögest Du mit frohem Stolze auf sie hinblicken. Wende Dich den Freuden dieser Erde wieder zu, sie sind die Deinigen, wie jene des Himmels. Der Holofernes ist gefallen und brennt im Höllenpfuhle, wenn sich der Herr nicht um Deinetwillen seiner erbarmt; dem Himmel aber hast Du zwei Seelen gerettet. Irdische Liebe noch soll Dich erquicken, denn der Herr hat durch die Kirche den Seinigen alles gegeben: den Himmel und die Erde. Und wie der Orden alle Schuld von Dir nimmt, weil Du zu seinem Heile ein Opfer gebracht und Dich willig der Buße unterworfen, so weiset er Dir wieder die Freuden des Lebens zu. Leg' ab dies Trauergewand und kleide Dich in Purpur und Seide!«

»Wie!« rief entsetzt Elisabeth, und ein lichter Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz – sie erhob sich von den Knien – »ich soll jubeln, ich soll mich der Unthat freuen! Nein! Das kann Gott nicht, das kann die Kirche nicht verlangen. Der Himmel segnet kein Verbrechen, er kann es nur verzeihen. – Ich bin zu Dir, dem Priester, gekommen, um zu Deinen Füßen die härteste Buße und, wo möglich, Entsühnung, Vergebung und Seelentrost zu erflehen, und Du weisest mich an die irdische Liebe und enthebst mich der Reue. – Du, welcher hier an Gottes Stelle sitzest, solltest das Werk vollenden und nachdem Du mir so Schreckliches aufgebürdet, mir auch den Stab reichen, der mich stütze unter seiner Last. – Ich soll jubeln über den Tod des Gatten, soll mich zur irdischen Liebe wenden, die Kirche, deren Reich nicht von dieser Welt – verheißet sie mir?«

Der Priester hielt sich nicht mehr, er erhob sich und rief: »Du aber hast gesiegt, Judith, und im Namen des Herrn – es ist kein Makel mehr an Dir! Komm' in meine Arme!«

»Nein!« versetzte sie, entsetzt zurücktretend, »das ist nicht Gottes, das ist eines Versuchers Stimme. Nein, Schrecklicher – weiche zurück von mir. Ich gehe zu einem anderen Priester, zum Erzbischof selbst, er mag den Zwiespalt meiner Seele mit Deinen Worten lösen! Zurück!«

»Elisabeth!« rief er mit einer Stimme, die wie aus dem Grabe tönte, »komm' in meine Arme,« und er faßte ihren Schleier, der sich von ihrem Haupte trennte und in seiner Hand blieb.

Der Klang dieser Stimme durchschauerte sie wie ein Todesruf – aber sie entfloh durch die Thür, welche nach dem Hochaltare führte und nicht verschlossen war. Sie flog durch die menschenleere Kirche und stürzte, als verfolgte sie der fürchterliche Priester, in die Carrosse, welche vor der Pforte hielt. – Er erschien ihr wie ein Abgesandter des Bösen, welcher in dem letzten Rufe eine Stimme angenommen, deren Klang sie noch jetzt in der Erinnerung mit Schrecken erfüllte.

Sie fuhr unverweilt nach dem Hradschin in die Residenz des ehrwürdigen Strachovsky, welcher damals noch Domherr bei Sanct Veit war.

Mit ihm in seine Hauscapelle getreten, schüttelte sie ihr qualvolles Herz vor ihm aus. Ihre Erzählung erfüllte den frommen und echt christlichen Geistlichen mit Schrecken und Abscheu; alles, was ihm sein Gefühl eingab, konnte er der Laiin nicht sagen; er mußte auch im Fanatiker oder Verbrecher den Priester schonen; doch äußerte er: »Beruhigt Euch, edle Frau, ich will die Schuldenlast von Euch nehmen. Der, so sie Euch aufgebürdet, hat des Herrn Wort schlecht verstanden. Jeder Glaube hat Schwärmer erzeugt, die da meinten, auch mit Feuer und Schwert, mit Blut und Tod dem Herrn zu dienen. Dieses aber verlangt der Allbarmherzige nicht – auch die Kirche nicht, die wahre, von Petro gegründete. Jede Sünde ist ihr ein Greuel. – Wohl hat der Orden Jesu die Sendung übernommen, das Lutherthum zu bekämpfen, das Ketzerthum auszurotten, aber mehr durch Lehre und friedliche Mittel, als durch Gewalt. Leicht hat ein Schwärmer seine Botschaft mißverstanden und seine Vollmacht überschritten. Durch eine Sünde wollte er ein gottselig Werk verrichten, durch Gewalt bezwecken, was nur der Glaube bringen kann. Aber durch Sünde kann man dem Herrn nicht dienen. – Wohl hat Euch, Frau Elisabeth, der Herr Gnade erwiesen, indem er die That nicht vollbringen ließ, und den unvermeidlichen Tod sandte, bevor Eure Hand sich mit des Gatten Blute befleckte. Dafür preiset seine Barmherzigkeit alltäglich auf den Knien und betet zu ihm, daß Euch auch der Gatte jenseits den Wahn vergebe, der Euch getrieben, und den schrecklichen Verdacht in der Sterbestunde. Doch jenseits ist ihm bereits alles klar – er hat Eure Reue gesehen und richtet mild über Euren Irrthum. – Das Seelenheil Eurer Kindlein ist besorgt und so auch diese Last von Euch genommen. Wandelt von nun an in dem Herrn, betet und erfüllet seine Gebote, thut Gutes und bereitet Euch für den Himmel. So Euer Herz dermaleinst wieder bekümmert ist, so kommt zu mir und ich will es mit Hilfe des Herrn und unserer heiligen Religion erleichtern. Mit unserem hochwürdigsten Erzbischof werde ich selbst sprechen, damit er den Pater Anselm und vielleicht Gleichgesinnte in ihre Schranken zurückweise und Euch vor fernerer Verfolgung schütze.«

Er legte ihr hierauf eine strenge Buße in Fasten, Gebeten und Armenstiftungen auf und ertheilte ihr darnach die Absolution.

Etwas beruhigter in ihrer Seele kehrte Frau Elisabeth in ihre Wohnung zurück, doch gelobte sie sich, während ihres Lebens zum Zeichen ihrer Erkenntniß und zur Mahnung ihres Gewissens, die Trauerkleider nie abzulegen.

Strachowsky sprach mit dem Erzbischof und bereits in einigen Tagen war Pater Anselmus aus Prag verschwunden. Es hieß, er sei in ein spanisches Collegium versetzt worden.

Nachdem Elisabeth flüchtig die Sacristei der St. Niklaskirche verlassen hatte, stand Pater Anselm allein, verzerrte grinsend das Gesicht und knirschte mit den Zähnen: »Teufel!« sagte er, »das war zu früh; der erste Streich wär' mißlungen und die Müh' umsonst gewesen. Ich hoffte alles von ihrem Glaubenswahne. Vielleicht kehrt sie zurück – ein Traum, eine Erscheinung kann sie von neuem erschüttern. Gleichviel – der Plan ist nicht aufgegeben, ich muß zum Ziele gelangen. Meine Saat reift langsam! – Aber ich muß sie zu meinen Füßen liegen sehen, muß sie in meine Arme drücken, muß den Lohn meines Strebens und Ringens ernten, oder – auch die Hölle ist nicht gerecht!«

Er ging in sein Gemach und brütete die Nacht hindurch.

Aber wie ein Donnerschlag traf ihn am folgenden Tage der Befehl des Provinzials, das Collegium und Prag zu verlassen. Wenn auch gebeugt, doch zerschmettert fühlte er sich nicht; nur fester verbiß er sich in seine Rache, glühender umfaßte er seinen längst gehegten Anschlag. »Sie hat dem Erzbischof gebeichtet,« murmelte er, »ich konnt' es denken, daß solch ein Machtspruch mich treffen würde. – Gut! – Wie die Sache jetzt steht, vermag ich ohnehin nichts in Prag. Auch fern von hier soll der Same, den ich gestreut, reifen. Ich siege – wenn auch spät vielleicht – ich siege doch!«

Der folgende Tag schon sah ihn auf dem Wege nach Wien. An den dortigen Provinzial hatte ihn sein bisheriger Ordensoberer gewiesen. Er verließ für diesesmal sein Vaterland mit ungestillter Rache – aber mit immer frischen Plänen zur Rache, mit neuen Entwürfen zu seinem schrecklichen Zwecke!

Doch der Himmel schien nicht entsühnt nach aller Reue, allen Büßungen der unglücklichen Frau. Schon nach wenig Wochen tödtete ein bösartiges Fieber ihre beiden holden Knaben, jene Knaben, für die sie das Entsetzlichste gethan, was eine Mutter vermag. – Sie bettete sie schweigend in den Sarg und warf nur einen schmerzlichen Blick der Vernichtung zum Himmel empor, einen Blick, der sagen wollte: Du bist gerecht in Deiner Strafe, aber furchtbar! – So war ihr nur ihr kleines Töchterlein geblieben und die Hoffnung auf die Frucht unter ihrem Herzen. Der milde und wahrhaft fromme Priester Strachovsky tröstete nach Kräften die hartgebeugte Frau. Mitten unter ihren Seelenleiden gebar sie eine zweite Tochter, die den Namen Jaroslava erhielt.

Sie hatte auf einen männlichen Erben gehofft; jetzt hielt sie sich für die Vernichterin des Geschlechtes der Rosenberge, denn ihr Schwager Wock von Rosenberg, kaiserlicher Feldherr gegen die Türken, war unverehelicht und hoch bejahrt, der letzte Zweig des alten Geschlechtes der böhmischen Rosenberge, welche lange eine Zierde des böhmischen Adels waren. Denn schon vor mehr als Jahresfrist war ihres Gatten Vetter, der Majoratsherr des Hauptstammes, Wilhelm von Rosenberg, mit Tod abgegangen, der oberste Burggraf von Prag, die mächtigste Stütze und der Rathgeber des Kaisers Rudolf. Denn auch er, obgleich dreimal vermählt, mit Katharina von Braunschweig, mit Sophia von Brandenburg und mit Anna von Baden, war kinderlos in die Gruft der Ahnen hinabgestiegen. Diese Verschwägerung, sowie der Umstand, daß die Polen ihm zweimal die Königskrone angetragen, als er sie 1574 und 1576 auf dem Wahltage zu Warschau für das Haus Oesterreich gesucht, mag einen Beweis liefern von der Macht dieses böhmischen Herrn und von der Bedeutsamkeit seiner Familie.

Als die warme Sommerzeit kam und Frau Elisabeth von ihrer Niederkunft sich erholt hatte, folgte sie den Bitten einer theueren Freundin und dem Rathe Strachovsky's und begleitete jene nach Schloß Roschmital im Prachiner Kreise, um sich in ländlicher Abgeschiedenheit zu erholen und ihre schwache Gesundheit in der freien Natur zu kräftigen. Ihr einziger Trost waren ihre zwei übriggebliebenen Kinder, die sichtbar gediehen. Diese schien ihr der Himmel zum Zeichen seines Erbarmens lassen zu wollen.

Mehrere Wochen schon verweilte sie auf dem schön gelegenen Schlosse, da folgte sie eines Nachmittags dem Drängen ihrer Freundin und begleitete diese auf einem freundschaftlichen Besuche in die nahe Stadt Breznic. – Sie nahm den Säugling – Jaroslava – mit sich und ließ die anderthalbjährige Maria zurück in der Obhut ihrer alten treuen Wärterin, die einst auch ihre Knaben behütet und gepflegt, und zahlreicher Dienerschaft.

Als die unglückselige Frau desselben Abends zurückkehrte, traf sie ein neuer schrecklicher Schicksalsschlag, der das noch blutende Mutterherz von neuem grausam zerfleischte. Ihr Kind, ihre Maria, war geraubt – spurlos verschwunden. Das Kind im Schoße war die Wärterin im Garten entschlummert; als sie erwachte, war Marinka verschwunden. Ihr Wehgeschrei hatte sofort alle Diener aufgeschreckt – sie, sowie ganze Schaaren leibeigener Bauern durchzogen die Umgegend – vergebens! – Eine räuberische Zigeunerbande hatte einige Tage vorher in der Gegend gehaust – man hatte auf sie Jagd gemacht und sie zersprengt. Der Verdacht fiel auf sie – sie mochten das Kind geraubt haben, aus Geldgier oder Rachsucht. – Die Nacht hindurch, Tage, Wochen lang dauerten die Nachforschungen – sie erstreckten sich meilenweit – durch alle Kreise Böhmens wurden Preise ausgerufen, demjenigen, der über das geraubte Mädchen Nachricht geben konnte; alles umsonst. Da alle Nachforschungen vergebens, kehrte die geängstigte Mutter auf das Drängen ihres Bruders, des Herrn von Slavata, mit ihrem einzigen, noch übrig gebliebenen Kinde nach Prag zurück.

Nach Monaten fand man in der Lomnic bei Mirotic eine Kinderleiche, kleiderlos, von der Fäulniß unkenntlich gemacht. Es entstand die Vermuthung, daß die Zigeuner, nachdem sie das Mädchen seiner Kleider und Geschmeide beraubt, um sich nicht zu verrathen, auf ihrer Flucht oder aus Rachsucht die Kleine ertränkt. – Elisabeth ließ die Leiche in ihrer Gruft bestatten und beweinte sie als die ihres Kindes. – Manchmal freilich durchzuckte ein Hoffnungsstrahl das Mutterherz, als könnte ihre Maria noch leben und wiedergefunden werden!

Indessen vergingen Jahre; Frau von Rosenberg ward immer frömmer und weltentsagender; nur an ihre Jaroslava, den einzigen Sprößling ihrer Ehe, klammerte sie sich mit verdoppelter Zärtlichkeit und mit fast abgöttischer Liebe, die nur durch die stete Angst gestachelt wurde, es könnte auch dies ihr letztes Kleinod ihr geraubt werden. Und diese Furcht war auch nicht unbegründet; denn hatte die Verfolgung auch jahrelang geruht, so war, wie wir aus der Unterredung zwischen Mutter und Tochter zu Anfang dieses Buches vernommen, vor ein oder zwei Jahren erst an der Letzteren ein Raub versucht worden, der nur durch des Herrn von Los zufällige Hilfe vereitelt wurde.


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