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IV.

Am Morgen nach jenem Zusammentreffen Waldstein's mit dem trunkenen Scherbic, der den alten Matusch mißhandelt hatte, schlugen sich Beide in einem Weingarten unter dem Ziskaberge. Jeder von ihnen war nur von einem Zeugen begleitet. Obgleich Janko ein geübter und tollkühner Schläger war, so war ihm doch Waldstein durch Gewandtheit und Ruhe dermaßen überlegen, daß er ihm schon im zweiten Gange einen Hieb über den Schädel oberhalb der rechten Schläfe und eine tiefe Wunde im Unterarm bis ans Handgelenk beibrachte, wodurch Scherbic kampfunfähig und das Duell beendigt wurde. Albrecht senkte, sobald er den Gegner getroffen sah, sein Schwert, nickte stolz mit dem Haupte, grüßte Janko's Secundanten und warf sich mit seinem Zeugen, Otto von Los, auf die bereit stehenden Pferde und sprengte nach dem Poricer Thore zu.

Scherbic, diesmal nüchterner als gewöhnlich, fühlte wohl – wenn er es in seiner Rohheit auch nicht gestehen mochte – daß er ohne Grund seinen Gegner beleidigt und den Zweikampf herbeigeführt, und daß der im Range über ihm stehende, dem Herrenstand angehörige Waldstein ihm durch seine Forderung gewissermaßen eine Ehre erwiesen hatte; deswegen häufte er auch jetzt nicht, wie sonst, während des Kampfes und nach demselben zu den schon ausgesprochenen noch neue Beleidigungen auf den Gegner, was in der Regel eine Reihe von Schlägereien zur Folge hatte, die die einzige Lebensaufgabe des tollen Junkers zu sein schienen. Aber sein Groll, der sich gewöhnlich in Schimpfworten und Flüchen Luft machte, wandte sich bald zu einem anderen Gegenstande. Während ihm seine Leute und sein Zeuge, ein armer mährischer Ritter, den sich seine Freigebigkeit zum Vasallen gemacht, in einer Stube des Gehöftes die Wunden verbanden, fluchte er: »Da reitet er hin; hat vom Glück zu sagen, bei allen Teufeln! Das haben alle Abtrünnigen – die den Glauben abgeschworen. Obgleich ich ein guter Katholik, mag' ich doch die Ketzer nicht, die zu uns überlaufen, um Reichthums oder Ehre willen. Der Satan steht ihnen bei! – Und stolz ist er, dieser Albrecht von Waldstein – wie ein König! Nun – reich ist er nicht darnach. Er hat sich viel versucht in der Welt; – meinetwegen, Reisen kosten Geld und jetzt wird er beim Kaiser Dienste nehmen müssen. – Wir sehen uns schon wieder! Ein andermal treff' ich zuerst, und wenn ich treff', treff' ich gut. Es ist beim heiligen Sacrament eine Tollheit und eine Schande, daß ich mich da um der Straßendirne willen geschlagen habe. – Schafft Wein her, Ihr Hunde!« herrschte er den Dienern zu, die um ihn beschäftigt waren. – »Wein her, sag' ich! Ich hab' noch kein Frühstück im Leibe – bin nüchtern wie ein Spatz, wenn es Stein und Bein gefroren hat und der Schnee fußhoch liegt.«

»Ich würde Dir jetzt widerrathen zu trinken,« sagte Sadsky, der mährische Ritter – »der Blutverlust war bedeutend. Der Wein kann Dich erhitzen und Dir ein heißes Fieber zuziehen.«

»Was Teufel, Blut,« schalt Janko, »ich habe genug Blut, zu viel Blut! So ein Aderlaß erleichtert mir den Kopf und macht mir die Brust frei. Ich kenne meine Natur, ich weiß, was ich vertragen kann!«

Er setzte sich an den eichenen Tisch, worauf die Diener mehrere Krüge Wein und Gläser gestellt, und ließ sich von Sadsky fleißig einschenken. – »Es ist toll,« fuhr er fort, »daß ich wegen einer Bänkelsängerin Blut verspritze. Wäre es noch eine Edeldame! Nun, mit denen hab' ich es für immer verdorben – meine Dame ist die Flasche. Aber die Dirne soll es mir entgelten! Früher war es nur muthwillige Laune, daß sie mir gefiel; jetzt setz' ich einen Trumpf darauf. Sie muß mein werden. Denn schön ist sie, bei Gottes Donner, schöner als all unsere bleichen adelichen Gesichter!«

»Mit einer Hand voll Geld,« versetzte Sadsky, »kommt man bei Leuten dieser Art weiter, als mit allen Heldenthaten und ritterlichen Künsten.«

»Den Teufel auch,« lachte Scherbic; »das hab' ich wohl versucht – aber die Musikantin ist spröd' wie eine Prinzeß.«

»Du mußt Dich an die Alte wenden.«

»An den Satan? Da hab' ich es freilich verfehlt. Das Weib haßt mich wie den Tod. Ich hab' Hohn und Spott mit ihr getrieben und nicht daran gedacht, daß das Pack eine Art Ehrgefühl hat. Später, als ich dem Drachen Geld bot, war es zu spät, ihr Groll gegen mich schon zu tief eingewurzelt. Da hielt ich freilich in meiner lustigen Laune nicht weiter an mich und verfolgte die Hexe, wo ich sie traf, durch Schimpf und Witz. Die »Zigeunerin« kann sie niemandem verzeihen. – Nun gleichviel; trink Sadsky – mir hat die Motion ordentlich Durst gemacht, oder der Wein ist gut, was ich hier nicht erwartet.«

»Und wie wolltest Du dem Mädchen beikommen,« fragte der Mährer, »wenn Geld nicht hilft und –«

»Ich hab' mir's einmal in den Kopf gesetzt und vollends jetzt, da ich meiner Passion ein Opfer gebracht, in Blut noch dazu. Ich muß die Dirne haben; es wird eine Leidenschaft aus der Liebe. – Schön ist Walperga – als hätt' sie der Teufel gemacht und apart und stolz dabei. Das reizt umsomehr, weil man den Widerstand bekämpfen muß. – Unschuldig gewiß auch – eine Seltenheit in diesem Stande: Cantores boni potatores, sed non habent mores. Es ist, als steckte ein Stück Geheimniß hinter der Dirne. – Ich muß sie haben, Sadsky; ich stehle sie! Hab' ich sie erst hinter Gitter und Riegel, unter vier Augen, meinen nervigen Fäusten gegenüber, dann wird die wilde, schwarzäugige Dohle ein Täubchen.«

»Wenn aber,« warf Sadsky ein, »Waldstein das Mädchen beschützt, wenn er Dir entgegentritt?«

»Waldstein!?« fuhr Janko auf und seine rothgeränderten Augen hafteten giftig und drohend auf dem Frager; »fürcht' ich ihn etwa? Weil heute der Zufall für ihn war? Bei allen Teufelsgroßmüttern, sag' das nicht wieder, Sadsky, sonst sind wir keine guten Freunde mehr! Waldstein? Ich hab' Dir doch schon gesagt, er hat die Dirne nicht einmal gesehen. Sie war schon um die Ecke, da er kam. Wenn ich auch einen starken Rausch habe, so weiß ich doch alles, was ich thue und was um mich vorgeht. Wär's noch der Dirne wegen gewesen! Um so einen schönen Bissen balgt man sich einmal, wenn man verliebt ist. So aber war's ein alter Schuft, der mir in den Weg trat, der mich von den Weibern abwehren wollte. Weil er graue Haare hat, nahm sich der edle Herr Baron seiner an. Freilich – liebreizend mag ich der Bänkelsängerin nicht erschienen sein; denn ich war etwas wild und erklärte ihr meine Gefühle auf der Straße vor allem Gesindel! Aber gleichviel – ich habe Geld und bin Edelmann – sie gehört dem Pöbel an; 's ist folglich eine Ehre für sie, wenn ich mein Auge auf sie werfe. Solch hergelaufenes Pack sollte eigentlich leibeigen und zu Jedermanns Willen sein. – Und dann bin ich in der Art gewissermaßen auch herablassend. Freilich haßt mich der hohe Adel insgesammt und meint, ich mache ihm Schande, weil ich mich unterm Volk herumtreibe, weil ich nicht scharwenzle als Schranze, und hofire und mich mit duftendem Oele salbe und den Damen nicht etwas vorgirre. Ja – ich bin ein Ritter aus der guten, alten Zeit, wie's mein Vater war – kein Kämmerling, kein Junker aus dem Vorzimmer, aus dem betreßten Dienertroß! – Ich bin unabhängig und habe Geld, um es zu sein: das ärgert sie; aber den Edelmann können sie mir doch nicht nehmen – Ritter bleibe ich!«

So schwatzte, prahlte und trank Janko fort, bis ihn gegen Abend seine Reitknechte aufs Pferd hoben und er in Begleitung des Mährers in die Stadt ritt.

Wenn auch keine Sinnesänderung, so doch eine seines bisherigen Treibens hatte der hier geschilderte Auftritt zur Folge. Nach wie vor besuchte Scherbic die Schenken und Lustorte des gemeinen Volkes; er trank sogar mehr als je; aber er suchte keine Händel und keine Schlägereien mehr. Seine Wildheit hatte sich in sein Inneres zusammengedrängt. Stundenlang saß er brütend hinter dem Bier- oder Weinkruge, mit trüben Augen vor sich hinstierend, Lust und Galle, die wechselnd seine Brust durchzogen, niedertrinkend. Die schöne Walperga wollte ihm nicht mehr aus dem Sinne. Ihr reines Bild haftete in seiner schmutzigen Phantasie mit seltsamer Macht und Farbenpracht, so daß er sich der trostlosen Umgebung schaudernd bewußt wurde. Er wollte, er mußte das Mädchen besitzen. Es war nicht Liebe, was ihn trieb, es war sinnliche Regung, Eigenwille, brutale Laune. Sie, eine Straßendirne und tugendhaft; sie, gegen ihn spröde! Dieser Widerstand reizte, erbitterte ihn. Er sann auf Mittel und Wege, sich ihrer zu bemächtigen. Er ersann und verwarf Pläne. Bald wollte er den Liebhaber spielen, dann aber mußte er sich gestehen, es sei zu spät, nach dem, was vorgegangen. Er mußte Gewalt brauchen. Erst in seinem Banne gedachte er sie durch zarte Behandlung, durch Schonung zu besänftigen, durch Schilderung seiner Leidenschaft zum Mitleid zu rühren. Die Nothwendigkeit sollte sie geschmeidig machen. Hatte er sie auf seinem Schlosse von aller Hilfe fern, so sollte ihr Einsamkeit, Wohlleben, Dienstwilligkeit zusetzen und sie fügsam machen. Half dieses alles nicht, so mußte ihn Drohung und rohe Gewalt zum Ziele führen.

Tausendmal verfluchte er seinen wunden Arm, der nur langsam heilte, denn um Walperga in seine Gewalt zu bekommen, bedurfte er der Willfährigkeit seiner Glieder und der rechte Arm war noch immer nicht zu gebrauchen. Er tröstete sich mit der Zeit; aber wenn diese auch seine Heilung förderte, so dämpfte sie keineswegs die Begierde in seinem Innern, schwächte sie nichts an seinem Verlangen, an dem Wunsch nach Rache. Er hatte das richtige Wort gefunden! Aus Rachelust verlangte er nach der schönen Sängerin! Sie hatte seine Person, sie hatte den Edelmann in ihm zurückgewiesen, sie hatte sein Geld verschmäht. Sie hatte ihn mit Verachtung behandelt. Sie hatte ihn zum Zweikampfe getrieben, hatte seine Verwundung veranlaßt, hatte ihn in Folge jenes Straßenauftrittes dem Hohn des Gassenpöbels preisgegeben. Deshalb mußte er sich rächen wie jede rohe Natur. Sie sollte vor ihm zittern, vor ihm knieen, um Gnade flehen. Er sollte ihr verzeihen, ihr Gnade widerfahren lassen, ihr seine Gunst schenken, und sie – bebend vor Tod und Mißhandlung, die leichtere Wahl treffen und ihm freudig alles gewähren. – Aus seiner rohen Gier entsprang nun in Folge des langen Brütens, Entsagens und Widerstandbezwingens teuflische Lust. Er glaubte da eine Tugend zu üben, wo das Opfer von seiner Willkür abhinge. Dieses Verzichten auf Rache sollte ihn liebenswürdig erscheinen lassen. Der Ingrimm setzte sich immer fester in seiner Brust, da ihn keine andere Neigung oder Beschäftigung zerstreute.

Als Wallenstein an diesem Morgen mit Otto von Los in seine Wohnung, das Haus seines Oheims Adam von Waldstein auf dem Hradschin, trat, erwartete ihn der alte Matusch im Vorzimmer.

»Du da?« sagte Albrecht freundlich und hieß ihn folgen; »was macht Dein Rücken? Ich hab' ihm Genugthuung verschafft. Der Scherbic dürfte etwas mehr bluten, als Du.«

»O mein gnädiger Herr,« versetzte Matusch, seine Mütze verlegen in der Hand drehend, »Ihr seid zu gütig und herablassend gegen mich; denn ich bin nur ein gemeiner Mann. Es erfreut mich Eure Gnade nicht allein meinetwegen, sondern mehr wegen der Brabanterin, der Walperga, die wir Alle lieben, und die nicht nur schön und kunstfertig, sondern auch eine brave und sittsame Dirne ist.«

»So war sie es doch,« rief Otto von Los lebhaft; »ich dachte mir es gleich. Ja, Walperga ist ein Wundermädchen: schön wie eine Madonna, rein wie eine Lilie, und kalt wie Stahl. Halb Prag liegt der räthselhaften Sängerin zu Füßen. Ein seltsames Geheimniß umhüllt sie. Man weiß nicht, ob sie aus Nothwendigkeit oder nach einem berechneten Plane die Straßensängerin macht. Sie ist zu Höherem berufen!«

»Man sieht's Euch an,« versetzte Waldstein und ein unmerkliches geringschätzendes Lächeln spielte um seine Lippen, »daß Ihr seit einigen Jahren hier im Frieden lebt, da eine Lautenschlägerin die Theilnahme einer ganzen großen Stadt gefangen nimmt. Du bist von lange her ein Schwärmer, Otto; daß aber der alte graue Kriegsknecht um einer Dirne willen sich zerstechen läßt, ist seltsam! Ist Prag Capua geworden?«

»Mein Albrecht –« rief Otto, »Du wirst sie sehen, bewundern, lieben! Ich sage nicht zu viel. Magst Du auf Deinen weiten Reisen durch Europa auch viel der schönsten Frauen erblickt haben – eine Walperga sahst Du nicht. Man braucht nicht Schwärmer zu sein, um sie zu lieben; man sieht sie – und schwärmt!«

»So ist sie Deine Mignon, wie man's in Frankreich nennt, ein Wesen zur Kurzweil und leichter Leidenschaft?«

»Du irrst, Albrecht! Noch nie schenkte sie mir ein Wort, noch nie gelang es mir, mich ihr zu nähern. Sie wies kalt, doch zart, meine Bewerbungen zurück. Niemand kann sich rühmen, je in ihre geheimnißvolle, versteckte Wohnung gedrungen zu sein. Alle Aufforderungen, alle Geldanbietungen, um ihre Lieder in den Häusern der Großen und Reichen zu singen, wies sie zurück. Sie widmet ihre Kunst dem Volke, die offene Straße ist der Musiksaal ihrer Triumphe; man weiß nicht, ob aus Grundsatz, ob aus Eigensinn. – Wenn selbst der rohe Scherbic für sie erglühte, dann – muß sie doch ein besonderes Weib sein!«

»Das bewiese nichts,« warf Waldstein ein; »der ist nicht lecker, sein Umgang und seine Vergnügungen zeugen nicht von feinem Geschmack. Aber der Vorfall beschäftigt mich jetzt, weil nichts Zufall ist und alles, was uns trifft, in den Sternen liegt und unter ihrem Einfluß geschieht. Ich kam nach Prag verstimmt und voll Widerwillen, ich zitterte vor Unthätigkeit und langer Weile. Mein vielbewegtes Leben hat mich diese verabscheuen gemacht; da stößt mir schon am ersten Tage ein Abenteuer auf, ich schlage mich mit einem Raufbold einer Dirne wegen, die ich kaum gesehen, und für die ganz Prag glüht: junge Ritter und Greise! Es ist mir dies ein gutes Zeichen, daß ich nicht sterben werde an Ueberdruß von Rast und Mangel an Thätigkeit!«

Er wandte sich an Matusch. »Willst Du in meinen Dienst treten, Alter?«

»Mein gnädiger Herr, unterthänigen Dank dafür. Ich bin schon im Dienst bei der Frau von Rosenberg; ich bin so zu sagen ein altes Stück Hausgeräth im Slavata'schen Palaste. Habe die Aufwartung bei den Damen selbst, so zu sagen, wenn sie ausgehen. Nicht viel zu thun dabei. Es ist wie das Gnadenbrot, wenn es auch einen anderen Namen hat; weil ich mit dem seligen Schwager der gnädigen Frau im Türkenkriege war.«

»Du warst im Türkenkriege?« fragte Wallenstein rasch, mit einem lebendigen Blicke; »schon darum hätt' ich Dich gern bei mir. Ich hab' mich auch gegen die Ungläubigen gemessen. Es ist ein eigener Krieg das, verschieden von jedem anderen.«

»Ja – gnädiger Herr! und dann war ich bei den Niederländern und half ihnen gegen den Spanier, weil ich ein rechtgläubiger Protestant bin. Doch – da hab' ich alter Thor wohl etwas Dummes gesagt.«

»Narr!« rief Wallenstein mit gleichgiltigem Tone, »glaub', was Du willst. Hier mein Jugendfreund Otto ist auch ein Protestant.«

»Der gnäd'ge Herr von Los,« sprach Matusch verlegen und suchte das Gespräch zu wenden, »kennt mich und weiß, daß ich bei der Frau von Rosenberg bin und so zu sagen zu ihrer Leibguardia gehöre. Als der Herr von Los die gnädige Frau aus Räuberhänden befreite und das Fräulein, ihre einzige Tochter, die gestohlen werden sollte, da war ich noch nicht in der Eigenschaft. Meine Herrin sowohl, als Fräulein Jaroslava bedauern zu tausendmal, daß sich der edle Herr gar so stolz ihrem Danke entzieht. Sie sprechen wohl tagtäglich von dem Herrn!«

»Was ist das für eine Geschichte?« fragte rasch Wallenstein, der sich in einen Lehnsessel am Fenster geworfen und seine Blicke abwechselnd über die unten liegende, unabsehbar ausgedehnte, hundertthürmige Stadt schweifen ließ.

»Nichts von Bedeutung,« versetzte Los, »wenn auch bis jetzt ziemlich räthselhaft: ein Kinderraub! ich erzähl' Dir's ein andermal.« Er wandte sich zu Matusch: »Mein Freund! Es ist nicht Stolz, der mich zurückhält, Deine Herrin öfter zu sehen. Allein, ihr edles Herz erdrückt mich durch seine Dankbarkeit für einen so geringen Dienst. Sie ist übermäßig und beschämt die Leistung. Zudem paßt auch mein jugendlich Wesen wenig in die stillen Gemächer der edlen Frau, die ihr ganzes Leben der Trauer um geliebte Todte und frommen Uebungen geweiht hat. Meine Verehrung ist ihr darum doch geweiht und mein Arm und Kopf stets zu ihrem Dienst bereit.«

»Ich muß gestehen,« sagte Waldstein, der den letzten Worten des Freundes nur ein gleichgiltiges Ohr geliehen, »Prag erscheint mir in der Nähe nicht mehr so schrecklich, als ich's noch vor wenig Tagen dachte. Ich kam mit Widerwillen hierher. Man hatte mir den Hof so düster, farblos, ereignißarm geschildert, und ich war geneigt, in der Stadt sein Spiegelbild zu finden. Das wehte mich grauenhaft an! Aber schon nach wenig Stunden finde ich es anders. Ihr habt hier Abenteuer, Kämpfe, Entführungen; Ihr habt Geheimnisse und Räthsel, das Leben bei Euch ist also nicht einförmig und erschlaffend, nicht reizlos! Ich glaube, ich werde einige Zeit hier ausdauern können, bis ein günstiger Stern mich hinausruft zur Thatäußerung. Jede Stunde ist sündhaft verloren, in der der Mensch nicht eine Handlung gethan oder den Faden zu ihrem Gewebe begonnen hat. So mordet uns die Zeit, wenn sie ergebnißlos ist – den Himmel können wir nicht stürmen; an den Stahl, der müßig rastet, setzt sich der Rost. Ich zittere vor jedem Stillstand! Der Menschengeist will wachsen wie die Pflanze; er braucht wie sie die freie Luft, sein Element ist der Drang der Ereignisse! Ihm ist nur dann wohl, wenn er die Aeste alle weit, weithin ausstrecken kann über die Erde hin und selbst zum Himmel hinauf!«

»Alter,« sagte Otto zu Matusch und reichte ihm einige Geldstücke, »Du hast Dich der Walperga angenommen, hast sie beschützt, wie ich höre; das war brav von Dir! Nimm dies hier als kleine Belohnung, als ein Schmerzensgeld.«

»Der Junker Scherbic,« entgegnete Matusch, »wird zwar einen Respect bekommen haben, da der edle Herr von Waldstein sich als Beschützer der Brabanterin gezeigt; aber er ist – mit Respect gesagt – ein boshafter Mensch und weil er seinen Meister gefunden, dürfte sein Groll gegen die arme Dirne nur wachsen, statt zu schwinden. Sie hat vielleicht noch Schlimmes von ihm zu befürchten.«

»Erfährst Du,« rief Otto lebhaft, »daß ihr Gefahr droht von ihm, so melde es mir. Ich werd' ihr Beschützer sein.«

»Nun alter Türkenheld,« wandte sich Wallenstein jetzt gegen Matusch, »Du kannst denn doch in meinen Dienst treten, in einen außerordentlichen, meine ich. Da Du nun der Ritter der Sängerin geworden bist, und ich ohne es zu wollen auch ein Theil davon, so sei Du ihr Wächter. Warne sie vor List und Verrath. Wir wollen Deiner gepriesenen Schönen, Otto, ohne daß sie es ahnt, eine unsichtbare Guardia bilden. Du – Alter, umspähst den Scherbic, und so er was Schlimmes gegen die Dirne im Schilde führt, vereitelst Du es. Reicht Deine Macht nicht aus – so rufst Du uns herbei. Mit dem tollen Janko kann man schon fertig werden. Und da Du als Wächter der schönen Magd in meinem Dienste stehst, so erhältst Du Deinen monatlichen Lohn. Hier – nimm dies auf Abschlag! Du kommst dann öfter zu mir, bringst mir Rapport und magst mir dann was vom Türkenkriege erzählen.«

»Ihr edlen Herren,« versetzte bescheiden Matusch, »Ihr beschenkt mich zu reich. Ihr gebt mir zehn Gulden, Herr Baron! das ist zu viel! hat doch Seiner Majestät Leibbarbierer, Matthes Nicolai, wie ich weiß, nur zwölf Gulden monatlich Unterhaltung!«

»Der läuft auch keine Gefahr, Thor,« lachte Wallenstein; »er kann den Kaiser schneiden, und wird dann höchstens fortgejagt. Du aber wagst Deine Knochen d'ran gegen den wilden Scherbic!«

»Kennst Du die Wohnung der Brabanterinnen?« fragte er nach einer Weile und wiederholte sie gegen Matusch, als Otto von Los sich verlegen abwandte.

»Das Haus wohl, Herr, doch nicht den Eingang. Walperga's Mutter kennt mich zwar und weiß, daß ich ihr Freund; denn ich hab' sie schon mehrmalen gegen Unbill geschützt. Sie dankt mir's auch; doch hat sie mich nie aufgefordert, sie heimzusuchen und von selbst that ich's nicht. Sie bat mich sogar, als ich sie einmal aus dem Gedränge nach Hause geleitete, ihr nicht weiter zu folgen. In einer der engen Seitengassen des Aujezd nach der Moldau zu steht ein halb verfallen weitläufig Haus; vor der Hussitenzeit war's ein Kloster, im Kriege oftmal ein Castell. Es sind Gewölbe drin, vermauerte Fenster und Thüren; ein Theil des Daches ist niedergestürzt. Dort hausen die Brabanterinnen; das hab' ich ausgekundschaftet, ohne zudringlich zu sein. Seit die Pest zuletzt in Prag war, wohnt dort niemand in der Nachbarschaft; die Häuser dicht am Flusse sind seit jener Zeit wie ausgestorben. Bei Tage kommt kein Mensch in diesen Winkel; Nachts noch weniger. Herrenlose Hunde schweifen dort umher; die Gegend ist verrufen. Dieser Umstand schützt wohl auch die Weiber vor Neugier und Raublust; dies wird auch den Junker abhalten.«

»Darauf ist nicht zu bauen!« sagte Otto – »leg' Dich dort nur fleißig auf die Lauer. Wär' Janko nicht verwegen genug, so kann er doch Leute im Solde haben. – Ich trau' ihm alles zu, was bös' und thöricht ist. Zudem wimmelt Prag von frechem, unternehmendem Gesindel, das für ein Stück Geld seine Hände jeder Schandthat leiht. Vergiß Deines Auftrages nicht! – Und jetzt leb' wohl, Albrecht,« wandte sich der Ritter zu Waldstein, »heut Abend.«

»Heut Abend, ja – auf Wiedersehen,« versetzte Waldstein und reichte Otto die Hand, »im Kreis der Freunde, der Langentbehrten. Ich bin ja, seit ich hier weile, kaum zu Athem gekommen! Das verspricht eine geschäftige Zukunft! Mit Gott!«

Otto ging – Matusch folgte ihm. Auf dem Wege vom Hradschin herab sprach der Ritter noch emsig mit ihm. Sie trennten sich auf der Mitte der sogenannten Schloßstiege, eines breiten steilen Weges, der unmittelbar von der Kleinseite zur Burg führt. Hier trat Matusch in eine Thür, die in einen verdeckten Gang und durch diesen über den schmalen Hohlweg darunter in den Hintertheil des Slavata'schen Hauses führt, welche er sorgfältig wieder hinter sich verschloß.


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