Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band VIII
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Abū Isā und Kurrat el-Ain.

Augenkühlung = Augentrost.

Ferner wird berichtet, daß Amr bin Másade erzählt: Abū Isā, der Sohn Er-Raschîds und Bruder El-Mamûns, liebte Kurrat el-Ain, eine Sklavin, die Alī bin Hischâm gehörte, und diese liebte ihn desgleichen; doch verbarg Abū Isā seine Liebe und offenbarte sie keinem, indem er weder zu jemand über seine Liebe klagte noch auch irgend jemand sein Geheimnis mitteilte. Alles dies that er aus Stolz und Hochherzigkeit, doch gab er sich auf alle mögliche Weise Mühe, wiewohl vergeblich, sie von ihrem Herrn zu kaufen. Als ihm schließlich jedoch die Geduld versagte und seine Leidenschaft immer heftiger wurde, ohne daß er sich irgend Rat in der Sache wußte, begab er sich an einem Empfangstag, nachdem sich das Volk entfernt hatte, zu El-Mamûn und sagte zu ihm: »O Fürst der Gläubigen, wenn du heute deine Intendanten unvermutet erproben würdest, so würdest du die Großmütigen unter ihnen erkennen und auch den Platz eines jeden und den Wert seiner Gesinnung.« Abū Isā beabsichtigte jedoch durch diese Worte nur, daß er hierdurch bei Kurrat el-Ain in ihres Herrn Hause sitzen könne. El-Mamûn entgegnete ihm: »Fürwahr, du hast recht.« Alsdann befahl er ihm seine Barke »den Flieger« zurecht zu machen und bestieg dieselbe mit einer Anzahl seiner Günstlinge. Das erste Haus, das er betrat, war das des Hamîd et-Tawîl von Tûs, den sie mit ihrem Besuch überraschten, als er gerade auf einer Rohrmatte saß, –

Vierhundertundfünfzehnte Nacht.

und vor ihm Sänger mit Musikinstrumenten, wie Lauten, Flöten u. dgl. El-Mamûn setzte sich, und nach einer Weile brachte er ihm Fleischgerichte, jedoch kein Geflügel darunter, so daß El-Mamûn nichts von allem anrührte. Abū Isā aber sagte: »O Fürst der Gläubigen, wir haben dieses Haus 103 unvorbereitet betreten, ohne daß der Hausherr etwas von unserm Kommen wußte. Laß uns daher zu einem andern Ort gehen, der für dich in schicklicher Weise hergerichtet ist.« Da erhob sich der Chalife mit seinem Gefolge und seinem Bruder Abū Isā und nahm seinen Weg zur Wohnung Alīs, des Sohnes des Hischâm, der bei der Nachricht von ihrem Kommen ihnen entgegen kam, sie aufs beste willkommen hieß und vor dem Chalifen die Erde küßte. Alsdann führte er sie in seinen Palast, wo er einen Saal öffnete, wie ihn kein Auge schöner gesehen hatte. Der Fußboden, die Säulen und die Wände waren mit buntem Marmor bekleidet; die Wände waren mit griechischen Malereien bemalt und der Fußboden mit indischen Matten belegt, über welche Balforateppiche in der ganzen Länge und Breite des Saales gebreitet waren. Nachdem El-Mamûn eine Weile dagesessen und das Haus, die Decke und die Wände betrachtet hatte, sagte er: »Gebt uns etwas zu essen.« Da brachte er ihm sofort gegen hunderterlei Hühnergerichte, abgesehen von dem andern Geflügel, den Brotsuppen, dem Gebratenen und den Erfrischungen. Als er gegessen hatte, sagte er: »Gieb uns auch etwas zu trinken, Alī.« Da ließ er ihm in goldenen, silbernen und krystallenen Gefäßen Dattelmost, der mit Obst und grünem Gewürz eingekocht war, auftragen, und die Pagen, die den Most in den Saal brachten. glichen in ihrer Kleidung aus alexandrinischen golddurchwirkten Stoffen Monden und trugen vor ihrer Brust Schüsseln aus Krystall mit moschusparfümiertem Rosenwasser. El-Mamûn verwunderte sich höchlichst über alles, was er sah, und rief: »He, Abul-Hasan!« Da sprang Alī auf, eilte zum Teppich, auf dem El-Mamûn saß, küßte ihn und sagte dann, sich vor den Chalifen hinstellend: »Zu Diensten, o Fürst der Gläubigen.« El-Mamûn sagte nun: »Laß uns etwas aufheiternden Gesang hören.« Er erwiderte: »Ich höre und gehorche, o Fürst der Gläubigen.« Alsdann sagte er zu einem seiner Diener: »Bring' die Sängerinnen herein;« und der Eunuch erwiderte: »Ich höre 104 und gehorche.« Nach kurzer Abwesenheit kam er mit zehn Eunuchen wieder, welche zehn goldene Stühle trugen und sie aufstellten, worauf zehn Mädchen gleich leuchtenden Vollmonden oder blütenschimmernden Gärten erschienen, gekleidet in schwarzen Brokat und mit goldenen Kronen auf dem Haupt. Sie kamen herangeschritten, bis sie sich auf die Stühle gesetzt hatten, worauf sie verschiedene Weisen sangen. El-Mamûn aber blickte eins der Mädchen an und, bezaubert von ihrer Anmut und ihrem schönen Gesicht, fragte er sie: »Wie heißest du, Mädchen.« Sie antwortete: »Mein Name ist Sadschâhi, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte er zu ihr: »Sing' uns etwas vor, Sadschâhi.« Und so sang sie in entzückender Weise die Verse:

Ich komme furchtsam heran zum Stelldichein,
Wie ein Feigling, der zwei Löwenjunge der Tränke nahen sieht.
Mein Schwert ist meine Unterwürfigkeit, und mein sehnendes Herz
Pocht bang vor den Augen der Feinde und dem Späher,
Bis ich plötzlich ein zartes Mädchen erhasche,
Wie die Steppengazelle, die ihr Junges suchte.

Da sagte El-Mamûn zu ihr: »Bravo, Mädchen! Von wem ist dieses Lied?« Sie versetzte: »Von Amr bin Maadī Karib es-Subeidī, und die Melodie ist von Maabid.« Hierauf tranken El-Mamûn, Abū Isā und Alī, der Sohn des Hischâm, und die Mädchen gingen fort, an deren Stelle nun andere zehn kamen, die alle in geblümte, golddurchwirkte jemenische Seidenstoffe gekleidet waren. Nachdem sie sich auf die Stühle gesetzt hatten, trugen sie verschiedene Weisen vor, und der Chalife schaute eines von ihnen an, das einer Wüstenwildkuh glich, und fragte sie: »Wie heißest du, Mädchen?« Sie antwortete: »Ich heiße Sabje, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte er: »Sing' uns etwas vor, Sabje.« Und so girrte sie süß und sang ein Lied, das mit folgendem Vers begann:

Huris und edle Frauen fürchten nicht üble Meinung,
Wie Mekkas Gazellen, die unverletzliches Wild sind. 105

Als sie ihr Lied beendet hatte, sagte El-Mamûn: »Du bist eine gottbegnadete Sängerin; –

Vierhundertundsechzehnte Nacht.

von wem ist dieses Lied?« Sie erwiderte: »Von Dscharîr, und die Melodie von Ibn Sureidsch.« Nun trank El-Mamûn wieder mit den andern Anwesenden, und die Mädchen machten zehn andern Mädchen gleich Hyazinthen Platz, die in roten golddurchwirkten und mit Perlen und Edelsteinen besetzten Brokat gekleidet und entblößten Hauptes waren. Nachdem sie sich auf die Stühle gesetzt hatten, sangen sie verschiedene Weisen, worauf der Chalife eine derselben anblickte, die der lichten Tagessonne glich, und sie fragte: »Wie heißest du, Mädchen?« Sie antwortete: »Mein Name ist Fâtin, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte er: »Sing' uns etwas vor, Fâtin.« Und so sang sie in entzückender Weise die Verse:

Gewähr' mir ein Stelldichein, denn dies ist die rechte Zeit,
Genug der Trennung hab' ich nunmehr gekostet.
Du bist's, dessen Antlitz alle Reize vereint,
Und doch hab' ich um seinetwillen alle Geduld verloren.
Mein Leben gab ich hin in der Liebe zu dir,
Ach, genöß ich dafür nur eine Stunde mit dir!

Da sagte der Chalife: »Du bist eine gottbegnadete Sängerin, Fâtin; von wem ist dieses Lied?« Sie erwiderte: »Von Adī, dem Sohn des Seid, und die Weise ist alt.« Hierauf zechten El-Mamûn, Abū Isā und Alī, der Sohn des Hischâm, weiter, und die Mädchen gingen fort, an deren Stelle wieder zehn andere Mädchen gleich schimmernden Sternen erschienen, angethan mit geblümter, von rotem Gold durchwirkter Seide, und mit edelsteinbesetzten Gürteln um ihre Taille. Nachdem sie sich auf die Stühle gesetzt und verschiedene Weisen gesungen hatten, fragte El-Mamûn ein Mädchen unter ihnen, das einer Bânrute glich: »Wie heißest du, Mädchen?« Sie erwiderte: »Mein Name ist Rascha, o Fürst der Gläubigen. Da sagte er: »Sing' uns etwas vor, Rascha.« Und so sang sie in entzückender Weise einige 106 Verse, worauf El-Mamûn zu ihr sagte: »Bravo, Mädchen! Sing' noch mehr.« Da küßte sie die Erde vor ihm und sang noch den folgenden Vers:

Sie kam heraus, um in Muße den Brautzug zu schauen,
In einem Hemd, das von Ambra tropfte.

El-Mamûn war über den Vers aufs äußerste entzückt, und als das Mädchen dies bemerkte, wiederholte sie den Vers wieder und wieder. Hierauf befahl El-Mamûn: »Laßt den Flieger vorfahren.« Als aber Alī bin Hischâm merkte, daß er einsteigen und fortfahren wollte, erhob er sich und sagte: »O Fürst der Gläubigen, ich habe noch ein Mädchen, das ich für zehntausend Dinare kaufte, und das mein ganzes Herz eingenommen hat; ich möchte es dem Chalifen vorstellen, und sie sei sein, so er Gefallen an ihr findet; andernfalls möge er etwas von ihr hören.« Da rief der Chalife: »Her mit ihr!« Und herein trat ein Mädchen gleich einer Bânrute, mit verführerischen Augen und Brauen gleich zwei Bögen; auf ihrem Haupte trug sie eine mit Perlen und Edelsteinen besetzte Krone aus rotem Gold und darunter eine Kopfbinde auf welcher mit chrysolithenen Buchstaben folgender Vers geschrieben stand:

Eine Dschinnîje, von Dschinn unterwiesen
Herzen mit einem Bogen ohne Sehne zu treffen.

Wie eine flüchtige Gazelle kam sie dahergeschritten, eine Verführung für einen Gottesknecht, und schritt durch den Saal, bis sie zum Stuhl kam und sich darauf setzte.

Vierhundertundsiebzehnte Nacht.

Als El-Mamûn sie erblickte, erstaunte er über ihre Schönheit und Anmut, Abū Isās Herz aber pochte schmerzhaft, seine Farbe ward gelb und sein ganzer Zustand verändert, so daß El-Mamûn ihn fragte: »Was fehlt dir, Abū Isā, daß solche Veränderung mit dir vorgeht?« Er erwiderte: »O Fürst der Gläubigen, dies rührt von einem Leiden her, 107 das mich dann und wann befällt.« Da versetzte der Chalife: »Hast du dies Mädchen schon früher gekannt?« Er entgegnete: »Ja, o Fürst der Gläubigen, kann etwa der Mond verborgen bleiben?« Hierauf fragte sie El-Mamûn: »Wie heißest du, Mädchen?« Sie antwortete: »Mein Name ist Kurrat el-Ain, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte er zu ihr: »Sing' uns etwas vor, Kurrat el-Ain.« Und so sang sie die beiden Verse:

Die Geliebten schieden von dir im Dunkel der Mitternacht
Und zogen hinfort mit den Pilgern beim Morgengraun,
Die stolzen Zelte schlugen sie auf um ihre KuppelnEs sind die runden Zelte der Karawane gemeint.
Und bargen sich hinter den brokatenen Vorhängen.

Da sagte der Chalife zu ihr: »Du bist eine gottbegnadete Sängerin, o Kurrat el-Ain; von wem ist das Lied?« Sie erwiderte: »Von Diibil el-Chusâi, und die Weise ist von Sursûr es-Saghîr.« Währenddem hatte sie Abū Isā angeblickt, und die Thränen drohten ihn zu ersticken, so daß sich die Anwesenden über ihn verwunderten. Das Mädchen aber wendete sich nun zu El-Mamûn und fragte ihn: »O Fürst der Gläubigen, erlaubst du mir wohl, daß ich die Worte ändere?« Er erwiderte ihr: »Sing', was du willst.« Da sang sie in entzückender Weise die Verse:

Gefällst du einem, der offen auch dein Gefallen erregt,
So hüte sorgsamer deiner Liebe Geheimnis.
Kehr' dich nicht an die Geschichten der Verleumder,
Die selten anderes als der Liebenden Trennung bezwecken.
Es heißt wohl, daß Nähe des Liebenden Herz langweilt,
Und daß Trennung der Liebe Leidenschaft heilt:
Beides versuchten wir, doch half uns kein Mittel,
Nur daß Nähe besser ist als Trennung.
Doch frommt auch die Nähe nicht viel,
Wenn deine Liebe nicht wieder vergolten wird.

Als sie ihr Lied beendet hatte, sagte Abū Isā: »O Fürst der Gläubigen, – 108

Vierhundertundachtzehnte Nacht.

sind wir auch bloßgestellt, so läßt es uns doch kühl; erlaubst du mir eine Antwort?« Der Chalife erwiderte: »Ja; sprich zu ihr, was du willst.« Da unterdrückte er die Thränen und sprach die beiden Verse:

Ich schwieg, und sprach zu keinem, daß ich liebte,
Und verbarg die Liebe selbst vor meinem eigenen Herzen.
Wenn nun doch meine Liebe in meinem Aug' sich verrät,
So ist nahe mein Aug' dem leuchtenden Mond.

Da nahm Kurrat el-Ain die Laute und sang in entzückender Weise die Verse:

Wären deine Worte wahrhaftig und wahr,
Nicht mit Wünschen allein wärst du zufrieden gewesen.
Nicht ertragen hättest du dein Leben ohne ein Mädchen,
So wunderbar an Schönheit und innerem Wert.
Doch deine Worte sind nur ein leerer Schall.

Als Kurrat el-Ain ihre Verse beendet hatte, weinte Abū Isā, schluchzte und geriet in große Erregung. Dann erhob er sein Haupt zu ihr, seufzte und sprach die Verse:

Unter meinen Kleidern ist ein verzehrter Leib,
Und in meinem Herzen tobt es wild.
Meines Herzens Leid heilt nimmermehr,
Und in Strömen rinnt die Thräne aus meinem Aug'.
O Herr, zu schwer trag' ich an alledem,
Tod oder schneller Trost, o kommt herbei!

Als Abū Isā seine Verse beendet hatte, sprang Alī der Sohn des Hischâm auf, stürzte sich zu seinen Füßen, küßte sie und rief: »O mein Herr, Gott hat deine Bitte erhört; er bat dein Geheimnis vernommen und willigt ein, daß du sie mit ihrer Habe an Pretiosen und Kleinodien mitnimmst, so der Fürst der Gläubigen nicht Verlangen nach ihr trägt.« El-Mamûn versetzte: »Hätten wir auch Begehr nach ihr gehegt, wir würden doch Abū Isā uns selber vorziehen und ihm zu seinem Wunsche verhelfen.« Alsdann erhob sich El-Mamûn und stieg auf den Flieger, während Abū Isā 109 zurückblieb und Kurrat el-Ain in Empfang nahm, worauf er mit freudig geschwellter Brust sie mit sich nach Hause nahm. Betrachte demnach Alī bin Hischâms Großmut.

419–424. Nacht.

Die folgenden sechs Nächte enthalten fünf kleine ganz minderwertige Anekdoten, welche sich teilweise nicht gut wiedergeben lassen, und eine größere, einen Streit über den Vorzug der beiden Geschlechter enthaltend, die jedoch auch nur nach größeren Abstrichen wiedergegeben werden könnte.

 


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