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Tausend und eine Nacht. Band VIII
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Der Chalife Omar, der Sohn des el-Chattâb, und der junge Beduine.

Die Bürgschaft.Der Leser findet hier die arabische Parallele zu dem griechischen Stoff, den Schiller in der Bürgschaft verwertete.

Der Scherif Husein, der Sohn des Reijân, erzählt, daß der Fürst der Gläubigen Omar bin el-Chattâb eines Tages unter dem Volk Recht sprechend und über seine Unterthanen richtend dasaß, umgeben von den vornehmsten und trefflichsten Ratgebern aus seinen Freunden, als mit einem Male ein sehr hübscher Jüngling in feinen Kleidern zu ihm gebracht wurde, den zwei andere ebenfalls sehr hübsche Jünglinge gepackt hatten und am Kragen vor den Fürsten der Gläubigen Omar bin el-Chattâb zerrten. Als der Fürst der Gläubigen die beiden Jünglinge mit dem ersten erblickte, befahl er ihnen denselben loszulassen; alsdann ließ er ihn näher treten und fragte die beiden Jünglinge: »Was habt ihr mit ihm vorgehabt?« Sie erwiderten: »O Fürst der Gläubigen, wir sind leibliche Brüder und echte Befolger der Wahrheit. Wir hatten zum Vater einen alten Scheich von trefflicher Einsicht, geehrt unter den Stämmen, frei von Gemeinheit und berühmt durch seine Tugenden, der uns in unsrer Kindheit erzog und uns mit Geschenken überhäufte, als wir erwachsen waren;

Dreihundertundsechsundneunzigste Nacht.

kurz, ein Ocean trefflicher und ruhmvoller Eigenschaften, würdig des Dichterworts:

Sie sprachen: Ist Abū Sakr vom Stamme Scheibân? Ich sprach:
Nein, bei meinem Leben, Scheibân ist von ihm.
Wie viele Väter stiegen hoch durch einen edeln Sproß,
Wie AdnânAdnân, nächst Ismael, dessen achter Nachkomme er sein soll, der Ahnherr der Araber. hochstieg durch den Gesandten Gottes!

Eines Tages nun ging er in einen Garten, der ihm gehörte, um unter seinen Bäumen zu lustwandeln und seine 61 reifen Früchte zu pflücken, als dieser Jüngling ihn erschlug, indem er von dem rechten Wege abwich; wir bitten dich deshalb Vergeltung zu üben und ihn nach Gottes Gebot zu richten.« Da warf Omar einen schrecklichen Blick auf den Jüngling und sagte zu ihm: »Du hast dieser beiden jungen Leute Anklage gehört; was giebst du für eine Antwort darauf?« Jener Jüngling aber hatte ein festes Herz und eine kühne Zunge; er hatte das Gewand der Zaghaftigkeit abgelegt und das Kleid der Feigheit ausgezogen, so daß er lächelnd und mit beredtester Zunge Antwort stand und, nachdem er den Fürsten der Gläubigen mit gewählten Worten begrüßt hatte, also sprach: »Bei Gott, o Fürst der Gläubigen, ich habe in der That auf ihre Anklage aufgemerkt, und beide haben dir die Wahrheit über den Vorfall berichtet; und Gottes Befehl ist ein beschlossener Beschluß.Vgl. Sure 33, 39. Der Sinn der Worte ist: Gottes Ratschluß muß geschehen. Doch will ich meine Sache vor deine Hände legen, und dein sei der Befehl über sie. Wisse, o Fürst der Gläubigen, ich bin ein VollblutaraberIm Gegensatz zu den Halbarabern., die da die edelsten sind unter dem Himmel. In der Wüste Wohnungen wuchs ich auf, bis mein Volk von finstern, feindlichen Jahren betroffen ward, und ich in die Umgebung dieser Stadt mit Weib und Kind und Gut zog. Wie ich nun hier auf einem der Wege zwischen ihren Gärten mit edeln mir teuern Kamelstuten einherzog, unter denen ein Hengst aus edelm Blut und von schönem Wuchs und reich an Sprößlingen wie ein gekrönter König einherschritt, da lief eine der Stuten an den Garten ihres Vaters, über dessen Mauer die Bäume ragten, und langte nach den Zweigen mit ihren Lippen. Ich scheuchte sie fort, aber mit einem Male erschien aus einem Spalt in der Mauer ein Scheich, dessen Zornesflamme Funken sprühte; in seiner rechten Hand hielt er einen Stein, und wie ein Löwe im Gange sich wiegend, warf er den Stein nach dem Hengst und traf ihn zu Tode, da er 62 eine tödliche Stelle getroffen hatte. Als ich den Hengst an meiner Seite niederstürzen sah, da spürte ich wie die Kohlen des Zornes mein Herz versengten, und ich hob denselben Stein auf und warf ihn nach ihm, so daß er seines Verderbens Ursach wurde. So kehrte das Unheil auf ihn zurück, und der Mann ward mit demselben gefällt, mit dem er fällte. In demselben Augenblick, als ihn der Stein traf, stieß er einen gewaltigen Schmerzensschrei aus, worauf ich den Ort eilig verließ. Da aber eilten diese beiden Jünglinge herzu, packten mich, schleppten mich zu dir und stellten mich vor dich.« Als Omar, – Gott, der Erhabene, hab' ihn selig – des Jünglings Worte vernommen hatte, versetzte er: »Du hast dein Verbrechen gestanden, deine Loslassung ist unmöglich, die Vergeltung ist Pflicht und zum Entrinnen ist es zu spät.« Der Jüngling antwortete: »Ich höre und gehorche dem Entscheid des Imâms und bescheide mich mit dem, was das Gesetz des Islams erfordert; doch habe ich einen jungen Bruder, welchem sein alter Vater vor seinem Tode Gut und Gold in Hülle und Fülle vermachte; er vertraute mir seine Sache an und sagte, Gott wider mich zum Zeugen nehmend, zu mir: »Ich gebe dir dies für deinen Bruder, daß du es ihm mit allen deinen Kräften hütest.« Da nahm ich das Gut von ihm und vergrub es, und niemand weiß davon denn ich allein. Hast du jetzt meinen Tod beschlossen, so ist das Gold dahin, und du bist seines Verlustes Ursach, und der Knabe wird dich am Tage, da Gott unter seinen Geschöpfen richtet, um seines Anteils willen zur Rede stellen. Willst du mir jedoch eine Frist von drei Tagen gewähren, so will ich einen Vormund mit den Angelegenheiten des Knaben betrauen und dann zurückkehren, um meine Schuld einzulösen, und ich habe einen Bürgen für mein Wort.« Da senkte der Fürst der Gläubigen für eine Weile sein Haupt, worauf er es wieder erhob und, die Anwesenden mit einem Blicke musternd, fragte: »Wer will mir Bürgschaft für seine Rückkehr an diese Stelle stehen?« 63 Da blickte der Jüngling in die Angesichter der Anwesenden und, auf Abū Zarr allein unter allen Anwesenden weisend, sagte er: »Dieser da wird für mich einstehen und mein Bürge sein.«

Dreihundertundsiebenundneunzigste Nacht.

Omar, – Gott hab' ihn selig! – fragte nun: »Abū Zarr, hast du dies Wort gehört und willst du mir dafür Bürgschaft leisten, daß jener Jüngling wiederkehrt?« Und Abū Zarr erwiderte: »Jawohl, o Fürst der Gläubigen, ich will dafür bürgen, daß er in drei Tagen wiederkehrt.« So nahm denn Omar sein Wort an und erlaubte dem Jüngling fortzugehen. Als nun die Zeit des Aufschubs verstrichen und die Gnadenfrist fast völlig oder schon ganz abgelaufen war, und der Jüngling nicht vor Omar in der Versammlung erschien, in welcher die GefährtenDie »Gefährten« sind hier die Moslems, die Mohammed noch von Angesicht kannten. den Chalifen umgaben wie die Sterne den Mond, und Abū Zarr ebenfalls anwesend war, und die beiden Kläger wartend dastanden, sagten diese endlich: »Wo ist der Delinquent, o Abū Zarr? Wie wird einer wiederkehren, der geflohen ist? Doch wir wollen nicht eher von der Stelle weichen, bis du ihn uns hergeschafft hast, auf daß wir die Blutrache an ihm vollstrecken können.« Abū Zarr erwiderte: »Beim allwissenden König, sind die drei Tage verstrichen, und hat sich der Jüngling nicht eingestellt, so will ich meine Bürgschaft erfüllen und mein Leben dem Imâm zur Verfügung stellen.« Und Omar, – Gott hab' ihn selig! – erwiderte: »Bei Gott, wenn der Jüngling ausbleibt, so vollstrecke ich an Abū Zarr das Gesetz des Islams.« Bei diesen Worten stürzten die Thränen aus den Augen der Anwesenden, die Zuschauer seufzten laut, und groß war das Geschrei. Die Großen unter den Gefährten baten die beiden Jünglinge das Blutgeld anzunehmen und sich Lob zu verdienen; sie weigerten 64 sich jedoch und wollten sich nur mit der Vollstreckung der Blutrache begnügen. Während aber das Volk hin und her wogte und laut Abū Zarr bejammerte, kam mit einem Male der Jüngling an und trat vor den Imâm mit hellschimmerndem, von Schweißperlen bediademtem Gesicht; nachdem er ihn mit dem schönsten Salâm begrüßt hatte, sagte er zu ihm: »Nun hab' ich den Knaben seinen Mutterbrüdern übergeben und hab' ihnen alles, was seine Verhältnisse anlangt, mitgeteilt und sie auch mit der Bewandtnis, die es mit seinem Gelde hat, bekannt gemacht. Hieraus stürzte ich mich in den glühenden Sonnenbrand der Mittagszeit, um wie ein Edeling mein Wort zu halten.« Das Volk verwunderte sich über seine Wahrhaftigkeit und Treue und wie er sich so kühnlich dem Tode darbot, und einer aus der Menge sagte zu ihm: »Was bist du für ein hochherziger Jüngling, und wie getreulich erfüllst du dein Wort und deine Pflicht!« Der Jüngling erwiderte: »Glaubt ihr denn, daß einer dem Tode, sobald er naht, entrinnen kann? Ich hielt mein Wort, auf daß es nicht hieß: die Treue ist aus der Welt geschwunden.« Da sagte Abū Zarr: »Bei Gott, o Fürst der Gläubigen, ich verbürgte mich für diesen Jüngling, ohne daß ich wußte, zu welchem Stamm er gehörte, und ohne ihn je zuvor gesehen zu haben; als er sich jedoch von allen Anwesenden abkehrte und mich allein erwählte und sagte: »Dieser da wird Bürgschaft leisten und für mich einstehen, da deuchte es mir nicht schön ihn abzuweisen, und Menschlichkeit hinderte mich seinen Wunsch zu Schanden zu machen, da in der Gewährung desselben kein Schaden lag, damit es nicht hieße: Die Tugend ist aus der Welt geschwunden.« Und nun sprachen die beiden Jünglinge: »O Fürst der Gläubigen, wir schenken diesem jungen Mann das Blut unsers Vaters, dieweil er die Trauer der Verlassenheit in die Freude des Wiedersehens verwandelt hat, auf daß es nicht heißt: die Güte ist aus der Welt geschwunden.« Der Imâm freute sich über die Wahrhaftigkeit und Pflichttreue des Jünglings und über die 65 Vergebung, die er gefunden hatte; er erhöhte Abū Zarr wegen seiner Großmut über seine ganze Umgebung und billigte den hochherzigen Entschluß der beiden Jünglinge, indem er ihnen dankte und sie belobte und auf ihren Fall das Dichterwort anwendete:

Wer den Geschöpfen Gutes erweist, empfängt seinen Lohn dafür,
Denn Güte ist niemals zwischen Gott und den Menschen verloren.

Alsdann bot er ihnen an das Blutgeld für ihren Vater aus dem Schatzhaus zu zahlen; sie erwiderten jedoch: »Wir vergaben ihm allein, um Gottes, des Allgütigen, des Erhabenen, Antlitz zu schauen; und wer eine solche Absicht hat, läßt seiner Güte nicht Dank oder Beeinträchtigung folgen.«

 


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