Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band VIII
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Der fromme Sohn Hārûn er-Raschîds.

Ferner erzählt man, daß der Fürst der Gläubigen Hārûn er-Raschîd einen Sohn hatte, welcher von der Zeit an, daß er sein sechzehntes Lebensjahr erreicht hatte, der Welt entsagte und den Pfad der Asketen und Heiligen zog. Er pflegte auf die Friedhöfe zu gehen und zu sagen: »Einst besaßet ihr die Welt, doch errettete euch das nicht vom Tode, und nun seid ihr in eure Gruben gefahren. Ach, daß ich doch wüßte, was ihr spracht, und was zu euch gesprochen wurde!Nämlich, als die beiden Engel Munkar und Nakîr sie in betreff ihres Glaubens &c. examinirten. Alsdann weinte er in Zittern und Zagen und sprach das Wort des Dichters:

»Die Leichenzüge erschrecken mich beständig,
Und das Weinen der Klageweiber erfüllt mich mit Trauer.« 72

Eines Tages traf es sich nun, daß sein Vater inmitten seines Hofstaats, umgeben von seinen Wesiren und allen Großen und Angesehenen des Reiches an ihm vorüberzog. Als dieselben den Sohn des Fürsten der Gläubigen in einem wollenen Gewand und mit einer wollenen Kopfbinde erblickten, sprach einer zum andern: »Fürwahr, dieser Knabe entehrt den Fürsten der Gläubigen unter den Königen; doch, würde er ihn tadeln, so würde er sein Treiben aufgeben.« Der Fürst der Gläubigen, der ihre Worte vernommen hatte, stellte deshalb seinen Sohn zur Rede und sprach zu ihm: »Mein Sohn, fürwahr, du stellst mich durch dein gegenwärtiges Leben bloß.« Da blickte sein Sohn ihn an, ohne ihm eine Antwort zu geben. Alsdann schaute er nach einem Vogel, welcher auf einer der Zinnen des Palastes saß, und sagte zu ihm: »O Vogel, bei Ihm, der dich erschaffen hat, laß dich hinab auf meine Hand!« Da ließ sich der Vogel auf die Hand des Jünglings hinab. Hierauf sagte er zu ihm: »Kehre an deinen Platz zurück;« und der Vogel kehrte an seinen Platz zurück. Hierauf sagte er zu ihm: »Laß dich auf die Hand des Fürsten der Gläubigen nieder;« doch gehorchte ihm der Vogel nicht. Da sagte der Jüngling zu seinem Vater, dem Fürsten der Gläubigen: »Du bist's, der mich unter den Heiligen durch deine Weltliebe entehrt; und nun bin ich entschlossen dich für immerdar zu verlassen und erst im Jenseits wieder zu dir zurückzukehren.« Alsdann zog er nach Basra hinunter, wo er mit den Lehmarbeitern arbeitete und als Tagelohn nur einen Dirhem und einen DânikSechs Dânik gehen auf einen Dirhem. erhielt. Mit dem einen Dânik bestritt er seinen Unterhalt und den Dirhem verwendete er zu Almosen. Nun erzählt Abū Amir von Basra: »In meinem Hause war eine Wand eingefallen, weshalb ich zum Stand der Arbeiter ging, um mir einen Arbeiter auszusuchen, daß er mir die Wand wieder ausbesserte. Hierbei fiel mein Auge auf einen hübschen 73 Jüngling mit strahlendem Antlitz, und ich trat zu ihm, bot ihm den Salâm und fragte ihn: »Mein Lieber, suchst du vielleicht Arbeit?« Er erwiderte: »Jawohl.« Da sagte ich: »So komm' mit mir und bau' eine Mauer.« Er erwiderte: »Unter gewissen Bedingungen, die ich dir zu machen habe.« Nun fragte ich: »Mein Lieber, welches sind sie?« Und er antwortete: »Der Lohn muß einen Dirhem und einen Dânik betragen und, so der Muezzin zum Gebet ruft, mußt du mich mit der Versammlung beten lassen.« Ich erwiderte: »Schön,« und nahm ihn mit mir zu meiner Wohnung, wo er sich ans Werk machte und so eifrig schaffte, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Zur Frühstückszeit erinnerte ich ihn an sein Mahl, doch lehnte er ab zu essen, so daß ich merkte, daß er fastete. Als er dann den AzânDer Ruf zum Gebet, der vom Muezzin zu den Gebetszeiten von den Minareten ausgerufen wird. vernahm, sagte er zu mir: »Du kennst die Bedingung,« und ich antwortete: »Ja.« Hierauf löste er seinen Gurt und verrichtete die Waschung in so schöner Weise, wie ich es bisher noch nicht gesehen hatte. Alsdann ging er hinaus zum Gebet und betete mit der Versammlung, worauf er wieder zu seiner Arbeit zurückkehrte. Ebenso verrichtete er die Waschung, als zum Nachmittagsgebet gerufen wurde, und ging zum Gebet fort. Als er sich dann wieder an die Arbeit machen wollte, sagte ich zu ihm: »Mein Lieber, die Arbeitszeit ist zu Ende, denn die Werkzeit währt nur bis zum Nachmittagsgebet.« Er entgegnete jedoch: »Preis sei Gott, meine Arbeit währt bis zur Nacht,« und schaffte dann weiter bis zur Nacht, worauf ich ihm zwei Dirhem gab. Als er das Geld sah, fragte er: »Was ist das?« Ich antwortete ihm: »Bei Gott, dies ist nur ein Teil deines Lohnes für deine fleißige Arbeit.« Da warf er mir das Geld wieder zu und sagte: »Ich will nicht mehr haben als was zwischen uns beiden ausgemacht ist;« und trotz meines Zuredens konnte ich ihn nicht zur Annahme des Geldes bewegen, so daß ich ihm schließlich nur einen 74 Dirhem und einen Dânik gab, worauf er fortging. Am nächsten Morgen in der Frühe ging ich wieder zum Stand, doch fand ich ihn nicht und erfuhr auf meine Erkundigung, daß er nur des Sabbaths dorthin käme. Ich begab mich deshalb am nächsten Sabbath wieder nach jenem Ort und, da ich ihn dort antraf, sagte ich zu ihm: »Im Namen Gottes, habe die Güte und komm' zur Arbeit;« worauf er mir wieder erwiderte: »Unter den dir bekannten Bedingungen.« Ich antwortete: »Schön,« und ging mit ihm nach meinem Haus. Hier stellte ich mich so auf, daß ich ihn, ohne von ihm bemerkt zu werden, beobachten konnte, und da sah ich, daß, als er eine Handvoll Mörtel auf die Mauer gelegt hatte, sich die Steine mit einem Male von selber übereinander fügten; da sprach ich bei mir: »Das ist das Zeichen der Heiligen Gottes.« Er arbeitete den ganzen Tag über, wobei er noch mehr als zuvor leistete; zur Nacht gab ich ihm dann seinen Lohn, und er nahm ihn und ging fort. Als der dritte Sabbath kam, ging ich wieder zum Stand, ohne ihn dort anzutreffen. Auf meine Frage nach ihm, hörte ich, daß er krank wäre und in einer Hütte bei der und der Frau läge. Jene Frau war aber eine durch Frömmigkeit berühmte Greisin, welche in einer Rohrhütte auf dem Gottesacker hauste. Da ging ich zur Hütte und fand ihn dort auf der bloßen Erde liegen; sein Haupt ruhte auf einem Backstein, und sein Antlitz schimmerte wie der Neumond. Nachdem wir den Salâm ausgetauscht hatten, setzte ich mich ihm zu Häupten nieder und weinte über seine Jugend, seine Fremdlingschaft und seine Ergebenheit in den Gehorsam gegen seinen Herrn. Dann fragte ich ihn: »Hast du irgend ein Bedürfnis?« Er erwiderte: »Jawohl.« Nun fragte ich: »Was ist's?« Er erwiderte: »Komm morgendes Vormittags zu mir, du wirst mich dann tot vorfinden. Wasche mich, grab' mir mein Grab und sprich zu keinem darüber; nimm diesen Rock, den ich anhabe, trenne ihn auf und wickele meinen Leichnam in sein Tuch ein; zuvor aber such' in seiner 75 Tasche nach, nimm ihren Inhalt heraus und verwahr' ihn bei dir. Hast du das Gebet über mich gesprochen und mich in die Erde versenkt, so geh' nach Bagdad, warte dort, bis der Chalife Hārûn er-Raschîd herauskommt, übergieb ihm, was du in meiner Tasche fandest, und bestelle ihm meinen Salâm.« Alsdann sprach er das Glaubensbekenntnis und pries seinen Herrn in den beredtesten Worten, worauf er folgende Verse sprach:

»Bring' des Sterbenden Gut zu Er-Raschîd,
Er wird dir lohnen dies gute Werk.
Und sprich: Ein Fremdling, der sich nach deinem Anblick gesehnt,
Von langer Liebe verzehrt und in weiter Fremde, ruft: Hier bin ich.
Haß nicht, nein! und Verdruß nicht trieben ihn fort von dir,
Denn der Kuß deiner Rechten brachte ihn nahe zu Gott.
Eine Seele, mein Vater, trieb ihn fort von dir,
Die deine weltlichen Freuden nicht teilen gewollt.«

Hierauf hob der Jüngling an Gottes Verzeihung zu erflehen –

Vierhundertundzweite Nacht.

den Segens- und Heilswunsch über den Herrn der ReinenMohammed. zu sprechen und einige Koranverse zu recitieren. Alsdann sprach er die Verse:

»O mein Vater, laß dich nicht durch die Freuden der Welt bethören,
Denn das Leben verstreicht und die Freude hört auf.
Wenn du vernimmst, daß es einem Volke übel ergeht,
So wisse, einst mußt du seinethalben Rechnung stehn.
Und wenn du eine Leiche zu Grabe trägst,
So wisse, nach ihr kommst du auch an die Reihe.«

Als der Jüngling – so fährt Abū Amir von Basra fort – seinen Auftrag und seine Verse beendet hatte, verließ ich ihn und ging nach Haus. Am nächsten Tage ging ich zur Zeit des Vormittagsgebets wieder zu ihm und fand ihn tot, – Gottes Barmherzigkeit über ihn! Da wusch ich ihn, trennte seinen Rock auf und fand in seiner Tasche einen 76 Hyazinthen, der Tausende von Dinaren wert war, so daß ich bei mir sprach: »Bei Gott, dieser junge Mann übte die Weltentsagung in der That bis zum höchsten Grade.« Nachdem ich ihn bestattet hatte, machte ich mich nach Bagdad auf, wo ich, beim Chalifenpalast angelangt, wartete, bis Er-Raschîd herauskam. In einer der Gassen trat ich ihm dann entgegen und übergab ihm den Hyazinthen. Beim ersten Blick erkannte er ihn und stürzte ohnmächtig zu Boden, worauf seine Trabanten Hand an mich legten. Als er jedoch wieder zu sich kam, sagte er zu ihnen: »Lasset ihn los und bringt ihn höflich ins Schloß;« worauf sie seinen Befehl erfüllten. Als er seinen Palast wieder betreten hatte, fragte er nach mir und sagte zu mir, nachdem er mich in sein Zimmer geleitet hatte: »Was macht der Besitzer dieses Hyazinthen?« Ich erwiderte ihm: »Er ist gestorben,« und erzählte ihm alles von dem Jüngling, worauf er zu weinen anhob und sagte: »Der Sohn hat gewonnen und der Vater verloren.« Hierauf rief er: »He, du da!« und eine Frau trat ein, die bei meinem Anblick wieder umkehren wollte. Der Chalife sagte jedoch: »Komm' her und kehre dich nicht an ihn.« Da trat sie herein und sprach den Salâm, während der Chalife ihr den Hyazinthen zuwarf. Sobald sie ihn erblickte, stieß sie einen lauten Schrei aus und sank in Ohnmacht; als sie sich wieder erholt hatte, sagte sie: »O Fürst der Gläubigen, was hat Gott mit meinem Sohn gethan?« Da sagte er zu mir: »Erzähl' ihr, was mit ihm geschehen ist,« als ob er vor Thränen nicht hätte sprechen können. Ich wiederholte ihr nun seine Geschichte, worauf sie zu weinen und mit schwacher Stimme zu klagen anhob: »Ach, wie sehnte ich mich nach deinem Anblick, o du mein Augentrost! Ach, daß ich dir hätte zu trinken reichen können, wo du keinen fandest deinen Durst zu stillen! Ach, daß ich bei dir gewesen wäre, wo du so freundlos warst!« Hierauf vergoß sie Thränen und sprach die Verse: 77

»Ich beweine einen Verstorbenen, der einsam in der Fremde starb,
Der keinen Freund fand ihm seine Schmerzen zu klagen.
Nach Ruhm und nach trauter Vereinigung mit all seinen Lieben
Ward er einsam und verlassen und schaute keinen der Freunde mehr.
Was die Tage eine Weile auch bergen, das offenbaren sie doch der Welt,
Und der Tod verschonte noch keinen von uns in Ewigkeit.
O du, so fern nun, mein Herr beschloß deine Trennung von mir,
Und weit nun weilst du, nachdem du so nahe mir warst.
Der Tod raubt mir die Hoffnung, dich wiederzusehen, mein Sohn,
Doch morgen am Tag der Rechenschaft, da schaun wir uns wieder.«

Hierauf fragte ich: »O Fürst der Gläubigen, war er wirklich dein Sohn?« Und er antwortete: »Ja; bevor ich dieses Amt antrat, pflegte er die Gelehrten aufzusuchen und bei den Frommen zu sitzen, so daß er, als ich zur Regierung kam, sich von mir zurückzog und mich mied. Da sagte ich zu seiner Mutter: »Siehe, dieser Knabe hat sein Leben Gott, dem Erhabenen, geweiht, und es könnte der Fall eintreten, daß er in Not und Prüfung gerät; gieb ihm daher diesen Hyazinthen, daß er ihm in der Zeit der Not dienen kann.« Und so gab sie ihm den Stein und beschwor ihn denselben anzunehmen, worin er einwilligte. Nachdem er aber den Hyazinthen genommen hatte, überließ er uns unsern irdischen Dingen und verließ uns, bis er zu Gott, dem Mächtigen und Herrlichen, fromm und rein abschied.« Alsdann sagte er zu mir: »Mach' dich auf und zeig' mir sein Grab.« Da zog ich mit ihm zu seinem Grabe aus und zeigte es ihm, worauf er zu weinen und klagen anhob, bis er in Ohnmacht sank. Nachdem er dann wieder zu sich gekommen war, bat er Gott um Verzeihung und sprach: »Wir sind Gottes und zu Ihm kehren wir zurück,« und segnete den Toten. Alsdann bat er mich sein Freund und Gefährte zu werden, doch entgegnete ich: »O Fürst der Gläubigen, deines Sohnes Leben und Tod ist mir die ergreifendste Predigt.« Hierauf sprach ich die Verse:

»Ich bin der Fremdling, der bei keinem einkehrt,
Ich bin der Fremdling in meiner eigenen Stadt. 78
Ich bin der Fremdling ohne Sippe und Sohn,
Ich hab' hier keinen, der Zuflucht gewährte.
In den Moscheen such' ich Zuflucht, ja ich hause dort,
Und nie soll mein Herz sich von ihnen trennen.
Gelobt sei Gott, der Herr der Welten für seine Huld,
So lang die Seele noch im Leibe wohnt!«

 


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