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19.

.Vier Jahre sind verstrichen seit jenem Abend, Jahre des ungetrübtesten, glücklichsten Lebens. Die Sonne scheint endlich auf Wendhusen voll und ganz, eine wirkliche Segenssonne, und ihre Strahlen leuchten zurück aus dem ernsten, gütigen Antlitz meines Mannes und aus süßen lachenden Kinderaugen – unserer Kinder! O, wenn meine Mutter es erlebt hätte, wie glücklich ich geworden bin!

Im alten Aebtissinnenhause wohnen wir, es ist die trauteste Heimat auf Erden. Meine Aelteste, das kleine blonde Geschöpfchen mit den dunklen Augen, trippelt schon ganz selbständig den Korridor entlang und pocht mit den rosigen Fingerchen an Tante Ediths Thür; und allemal wird sie jubelnd empfangen. Jeden Nachmittag aber schicke ich sie hinüber in die Villa zu Großmama, oder die immer noch ungebeugte Frauengestalt kommt selbst die breite Treppe herauf und geht direkt in das Kinderzimmer, um sich ihre Enkelin zu holen; und die Kleine hängt an der guten Großmama mit all der zärtlichen Liebe eines Kinderherzens.

Der Junge in der Wiege, der die blauen Augen von Gerhard hat und den Trotzkopf seiner Mutter – er kann sehr schreien, wenn ihm nicht gleich der Willen gethan wird –, ist nun aber der ganz besondere Liebling der alten Dame, sie kann sich nicht satt küssen an dem runden, dummen Gesichtchen und sitzt stundenlang an der Wiege. – Ich habe eine sehr liebevolle Schwiegermutter, und der Augenblick, als ich an ihrem Bette kniete und sie mich als Gerhards Braut willkommen hieß, ist einer der bedeutungsvollsten meines Lebens geworden.

Nie sprach sie von meiner Mutter, und so weh es mir that, ich wagte nicht zu fragen. Als ich aber mit Gerhard in ihrer Begleitung nach meiner Vaterstadt reiste, um die Aussteuer zu besorgen, und sie gar nicht wußte, was sie alles der armen, kleinen Braut mit den leeren Händen schenken sollte, und ich ihr mit Dankesthränen um den Hals fiel, da sagte sie scheu und hastig: »Komm, Lena, bring mich nach dem Kirchhofe zu ihrem Grabe.« Und dort saß sie lange, und bittere Thränen sind auf den epheubewachsenen Hügel gefallen. Und als wir endlich den Friedhof verließen, da nahm sie meine Hand: »Ich danke Gott, Lena, daß ich an dir gut machen kann, was ich an ihr gefehlt –« Eine größere Genugthuung konnte ich mir nicht wünschen!

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Die Bibliothek ist Gerhards Arbeitszimmer geworden, sein Vater hatte sie schon als solches benutzt; und daneben das große Gemach mit dem Balkon, der in den Klostergarten sieht, ist mein Zimmer. Dort steht mein Nähtischchen am Fenster, es gibt für mich keine schönere Aussicht auf der Welt; der Garten ist der Aufenthalt meiner Kinder, sie sind darin geborgen wie in Abrahams Schoß, und klein Therese spielt so gern auf dem alten Grabstein. Dort schimmert er durch die Zweige, mein liebster Platz; hatte mich Gerhard doch am Abend unseres Hochzeitstages auf den Balkon geführt und mir flüsternd in dem bläulichen Mondlichte erzählt, daß ihm dort zum erstenmal die kleine Cousine unter dem roten Malvenkranz so ganz besonders reizend erschienen sei, und daß er so oft – so oft hinter den Jalousieen gestanden habe, um dort hinunter zu sehen, wo ich ahnungslos gesessen.

Gottlieb hat uns zur Kirche gefahren, und niemals habe ich ihn stolzer aussehend gefunden, als an jenem Tage, wo er die vier Füchse vom Bock der Brautkutsche lenkte. Er war auch der erste, der mich »gnädige Frau« anredete, noch eher als unsere alte Christiane, welche die weite Reise nicht gescheut hatte, um zu meinem Ehrentage bei mir zu sein. Treuherzig sagte der alte Mann, als er im Namen der Dienerschaft ein Hoch ausbrachte: »Gnädige Frau, so ein bißchen habe ich auch dazu geholfen, Sie wissen's schon – als Sie dazumal fort wollten –«

Jetzt fährt er mich fast täglich spazieren, mich und die Kinder; er ist ja ganz besonders mein Kutscher geworden, nach Gerhards Bestimmung; und wenn ihm einmal der Kopf quer steht, so tyrannisiert er mich, und ganz ehrerbietig sagt er: »Das gibt einen Regen, wir wollen doch lieber zu Hause bleiben, gnädige Frau, die Kinder möchten sich erkälten.« Und dann nicke ich und sehe den Himmel an, und selbst wenn mein Auge keine Wolken entdeckt, sage ich: »Ihr habt recht, Gottlieb, wir bleiben heute zu Hause, im Klostergarten.« Nur ein dunkler Schatten ragt hinein in diesen Sonnenglanz: Ferra! Sie hat das Unglück gehabt, ihr Söhnchen zu verlieren, und dadurch schwand ihr letzter Halt. Sie ist ein armes, beklagenswertes, ruheloses Geschöpf. Seit einigen Jahren wieder verheiratet mit dem alten Herrn von S., den sie einst Charlotte bestimmt hatte, lebt sie abwechselnd in Paris, Baden-Baden oder Italien. Sie konnte sich nicht darein finden, mit dem zu existieren, was Gerhard ihr großmütig anwies, nachdem sie geglaubt hatte, einmal Herrin auf Wendhusen zu werden. Und so nahm sie die Hand des bejahrten Mannes.

Sie ging sehr bald fort von Wendhusen; als Gerhard mich seiner Mutter zuführte, hatte sie die Villa schon verlassen. Sie war im Groll geschieden von ihm und zürnt ihm noch heute, er nahm ja eine arme Frau und sollte doch gar keine haben. Erst später erzählte mir Tante Edith, daß Ferra alles versucht hatte, um Wendhusen für ihren Sohn zu erhalten; da galt's ja freilich, um jeden Preis eine Heirat Gerhards zu hintertreiben. – Vor kurzem erhielt ich aber einen Brief von ihr, sie nannte mich ihre kleine Magdalene und bat um eine ziemlich hohe Summe, weil sie in augenblicklicher Verlegenheit sei. Gerhard hat mir das Geld für sie eingehändigt.

»Sieh,« sagte er, »so fängt das Unglück an, sie hat Heimlichkeiten vor ihrem Gatten. Schreibe ihr, Lena, und stelle ihr vor, daß nur da ein Glück erwächst, wo Vertrauen wohnt.«

Aber sie hat mir nicht geantwortet. Gebe Gott, daß noch einmal ein Sonnenstrahl auch auf dieses dunkle Fleckchen fällt!

Und Charlotte? fragt der Leser.

O, ich werde doch Charlotte nicht vergessen! Sie ist ja eigentlich die Heldin dieser Aufzeichnungen, meine liebe, schöne Charlotte. – Vor drei Tagen bin ich mit meinem Mann in Fölkerode gewesen, an einem prächtigen Sommertage. Wir kamen als die letzten dort an, Mama und Tante Edith waren mit der Braut vorausgefahren, Charlotte wollte ja in Fölkerode getraut sein. – Ich konnte mich gar nicht trennen von den Kindern, es war das erste Mal, daß ich von dem kleinen Buben in der Wiege fort sein sollte, und dann galt es auch, eine Hochzeitstoilette machen!

»Du mußt ein weißes Kleid anziehen,« sagte mein Mann und pflückte mir eigenhändig dunkelrote Malven im Klostergarten, um sie ins Haar zu stecken. Wie war er entzückt von seiner kleinen Frau im spitzenbesetzten Mullkleide; noch heute ebenso, wie an unserem Hochzeitstage, da die prächtigen Kanten mich zum erstenmal schmückten.

In Fölkerode fanden wir das ganze Haus mit Eichenguirlanden bekränzt, und als wir das Zimmer betraten, begann die Trauung.

Nur wir Mitglieder der Familie standen um das Brautpaar vor dem mit Tannengrün gezierten Altar; es war eine so ernste Feier, viel ernster noch als sonst, wo sich zwei für das Leben binden. Gerhard hielt meine Hand fest in der seinen, ich sah, wie ihm die Augen feucht wurden; im Hintergrunde leuchtete Gottliebs weißes Greisenhaupt.

Die Fenster des großen Gemaches standen geöffnet und frischer Waldesatem zog ein. Die schöne, blasse Braut weinte, aber als der Prediger fragte, ob sie ihm zur Seite stehen wolle in Lust und Schmerz, in Leid und Freud', bis der Tod sie voneinander scheide? und ihr Mund das »Ja« aussprach, da schlang sich der Arm des stattlichen Mannes in mächtiger Bewegung um die bräutliche Gestalt, und so umfaßt knieten sie vor dem Geistlichen nieder und segnend legten sich die Hände des alten Mannes auf ihre Häupter; Charlotte von Demphoff war Berkas Weib geworden nach langem innern Kampfe.

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– und so umfaßt knieten sie vor dem Geistlichen nieder.

Nein, es war keine fröhliche Hochzeit; sie durfte es auch nicht sein. Aber ergreifender und weihevoller war gewiß nimmer eine Feier, als jene schlichte Hochzeit in dem weltfernen Jägerhause. Stand doch in der schlanken Mädchengestalt mit dem demütig gesenkten blonden Haupte die verkörperte Liebe da, die mächtige, alles überwindende Liebe. – Die Blässe tiefer Bewegung wich nicht von ihrem schönen Gesicht und Roberts Augen folgten ihr mit Bangigkeit, als könne sie ihm jetzt noch entrissen werden; und wandte sie sich ihm zu, dann lag ein Ausdruck der Dankbarkeit auf seinen Zügen, der mir die Thränen in die Augen trieb.

Rosige Dämmerung senkte sich hernieder, da schickten wir uns zur Heimfahrt an. Ein inniger Kuß Charlottes, ein Händedruck von Robert, und Gerhard hob mich in unsern Wagen. Die schöne junge Frau stand auf den Stufen unter den hohen Eichen, deren Gipfel sich noch im Sonnenlichte badeten; Abschied nehmend schlang sie die Arme um den Hals der Mutter, dann beugte sie sich zu Tante Edith herab; noch einmal winkten aus dem Wagenfenster zwei alte Frauengesichter herüber und die Pferde zogen an. »Adieu Charlotte! Adieu Robert!« riefen Gerhard und ich, und Gottlieb folgte dem andern Wagen.

Solange ich sie sehen konnte, wandte ich den Kopf zurück; sie standen eng umschlungen auf der Treppe und schauten uns nach. Noch ein letzter Gruß, ein Nicken, und das einsame Forsthaus versank hinter uns in den weiten grünen Buchenwäldern. Gerhard hielt meine Hand, und schweigend fuhren wir in den duftigen Abend hinein. Das Abendrot verglühte, im Osten stieg der Mond empor und Schweigen ergoß sich über die Welt mit seinem silbernen Schein; und endlich tauchte aus dunklem Laube das hohe, spitzgieblige Dach hervor, unter dem meine Kinder schlummerten – Wendhusen, meine Heimat, mein Glück!

Und nun will ich schließen. Im Nebenzimmer höre ich Tante Ediths sanfte Stimme; sie erzählt meiner Schwiegermutter von einem Billet Roberts, das sie eben erhalten. »Sie sind so glücklich, Therese,« sagte sie. Es ist eine Freude, die beiden alten Damen zusammen zu sehen, zärtlicher können Schwestern nicht verkehren miteinander.

Habe ich nun von allen gesprochen? Ach nein; Georg, mein schlanker, hübscher Bruder, Gerhards Liebling, den selbst die eigenen Kinder nicht aus dem Herzen zu drängen vermochten, jetzt ist er zu den Ferien hier. Dort kommt er eben über den Rasenplatz im Klostergarten; er ist mir über den Kopf gewachsen und ein fleißiger, talentvoller Schüler geworden. Wenn er das Examen gemacht haben wird, geht er nach Fölkerode als Forsteleve, augenblicklich aber trägt er seine Nichte; er ist ganz stolz geworden als Onkel. Wie ungeschickt hält er das kleine Tierchen auf dem Arme, aber sie lacht und zaust ihm in den dunklen Haaren. Sie hat nun einen Ersatz für Tante Lottchen, die sie so sehr vermißte.

Doch da springt mir noch ein Gast schnurrend auf den Schreibtisch und mahnt mich, ihrer nicht zu vergessen – Minka, die liebste Spielgefährtin meiner Kleinen, gehört sie nicht auch zu Kloster Wendhusen?

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