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8.

. An Schlafen war kaum zu denken in jener Nacht. Es war ein Lärmen in dem alten Hause, daß man meinen konnte, die ganze wilde Jagd sei von den nahen Harzbergen herübergekommen und stürme durch die hallenden Korridore. Thüren wurden zugeschlagen, Befehle erteilt und so laute Gespräche geführt, daß es fast schien, als stritten sie sich draußen auf Tod und Leben. Geschäftige Dienerfüße eilten hin und her, Gepäckstücke wurden heraufgeschleppt, und über alle andern Stimmen tönte befehlshaberisch und laut eine etwas heisere Männerstimme. Auch Gerhards tiefes, klares Organ meinte ich zu hören, obgleich nur in gedämpftem Tone. Einzelne Ausrufe wie: »Famose Besitzung! Enorme Bäume! Donnerwetter, eine kapitale Bestie! Kusch! Wie wär's noch mit einem Skat?« bestätigten, daß Joachim und seine Gäste ihren Einzug gehalten. Selbst als die Herren aus dem Korridor in ihr Zimmer gegangen waren, drang mitunter noch lautes Gelächter und Sprechen zu uns herüber.

Auch im Wohnzimmer saßen Tante und Robert noch miteinander auf dem Sofa; ich hatte mich früh zurückgezogen, sie mochten sich so viel zu erzählen haben; erst spät hörte ich sie ihr Lager aufsuchen. Verworrene Träume, aus denen ich oft aufschreckte, wiegten mich für ein paar kurze Stunden ein, und in diesen Träumen sah ich ein kleines Wesen im bräutlichen Schleier durch den langen, dämmerigen Korridor schreiten; sie trug wunderbarerweise einen brennendroten Malvenkranz, der unter dem Schleier hervorlugte, und als Brautgeleite wanderten Tantes Katzen paarweise hinterher. Dort unten an den Stufen aber stand Tante Therese aus der Villa, und auf ihren strengen Zügen lag ein wundersam freundliches Lächeln. »Da kommt auch Robert mit Charlotte,« sagte sie, und als ich mich umwandte, sie zu sehen, da erwachte ich.

Am andern Morgen war mir noch ganz wirr im Kopfe von der unruhigen Nacht; Tante Ediths Gesicht aber strahlte förmlich von innerer Glückseligkeit. »Sie sind schon längst fort; hast du nicht gehört, Lena, wie die lärmende Gesellschaft aufbrach? Herrgott, was war das für ein Spektakel, ich habe diese Nacht kein Auge zugethan.«

Dann kam Charlotte, und wie sie in dem alten, hohen Zimmer stand in ihrem einfachen, dunkelgrünen Wollkleide, das sich mit weichen Falten an die schlanke Gestalt schmiegte, die prachtvollen blonden Haare in dicken Flechten an den Hinterkopf geschlungen und geschmückt mit einer tiefroten Rose, da erschien sie mir so anders als sonst, viel, viel reizender noch; der Uebermut, der stets auf dem rosigen Gesichtchen lag, war einem weichen, glücklichen Ausdruck gewichen, der dem ganzen Wesen etwas echt Weibliches verlieh und dessen Zauber sie auch heute noch umgibt. Sinnend schaute sie vor sich hin, dann und wann flog ein schalkhaftes Lächeln um den frischen Mund, und zwar jedesmal, wenn ihre Blicke auf Roberts Bild fielen, welches über Tantes Nähtisch hing.

»Um drei Uhr kommen sie zurück, Tantchen, um halb vier Uhr ist das Diner bestellt. Laß sehen, was ist jetzt die Uhr?« unterbrach sie Tantes Bedauern, daß sie gestern nicht noch ein klein wenig verweilt sei, Robert wäre ein paar Minuten nach ihr gekommen.

»Weißt du, Tantchen, daß ich noch die halbe Nacht wach gelegen habe?« sagte sie ausweichend; »deine Erzählung hat mich so gepackt, daß an Schlaf gar nicht zu denken war, du armes, armes Tantchen, was hast du alles erdulden müssen; aber nun ist's vorbei, jetzt kommen die schönen Tage, und wunderschön sollen sie werden, das wirst du erleben.«

»Ja, Kindchen, ja, wie der liebe Gott will,« erwiderte Tante Edith, die einen Jagdrock ihres Sohnes auf dem Schoße hatte und eifrig die Knöpfe nachnähte.

»Er wird schon wollen, Tante,« nickte Charlotte zuversichtlich, und aus dem reizenden Gesicht sprach ein unerschütterliches Vertrauen. Dann ging sie im Zimmer umher und die kleine Nase schien aufmerksam die Luft zu prüfen. »Ha, ha, man merkt's,« sagte sie, »hier ist Tabak geraucht worden; also die Untugend hat er sich auch bereits angewöhnt? Nun, das werde ich – –« sie unterbrach sich und wandte ihr errötendes Gesicht nach einer andern Seite, »ich meine, ein Jägersmann wird wohl rauchen müssen,« setzte sie dann hinzu. »Was meinst du, Lena,« fragte sie, noch immer abgewandt, »wollen wir nicht einmal in den Klostergarten gehen? Ich war ewig lange nicht bei deiner alten Frau Aebtissin, und Tante hat noch so vieles hier zu besorgen, daß – –«

»Ja, geht nur, Kinder, geht nur; wie ist es denn, Lottchen, speist ihr mit den Herren?«

»Nein, Tante, Mama klagt über Kopfweh, und Ferra – hat noch immer ihre offizielle Migräne. In Wahrheit, es gab Unannehmlichkeiten wegen Joachim und die Verstimmung ist groß – brr!« Sie schüttelte sich. »In der Villa ist es, als sollten alle Wände auf einen herabfallen; selbst der Kleine schreit heute unaufhörlich und ist so eigensinnig, daß kein Mensch etwas mit ihm anstellen kann. Gerhard sieht recht bekümmert aus, Joachim hingegen – –. Weißt du, was Papa immer sagte, Tantchen? Hundert Stunden Kummer bezahlen keinen Pfennig Schulden. Dieses Sprichwort scheint Joachim sich gemerkt zu haben, denn er ist, trotzdem er so gründlich in der Patsche sitzt, höchst vergnügt. – Komm, Lena, ich will heute einmal nicht daran denken,« setzte sie hinzu.

Wir gingen denn auch im nächsten Augenblick schon den Korridor entlang, schlüpften die Treppe hinunter und gelangten in den Klostergarten, der heute doppelt trostlos und verlassen aussah unter dem grauen Herbsthimmel, mit den halb entlaubten Sträuchern und den ungeharkten Wegen, auf denen die welken Blätter wer weiß wie hoch lagen. Ein feiner Nebel hing in den höchsten Wipfeln der Bäume, die Luft war erdrückend schwer, und von weit her drang dann und wann der Knall eines Flintenschusses herüber.

Charlotte schritt unaufhörlich in den Gartenwegen umher, das alte Grab wurde gar nicht aufgesucht, sie ging in tiefen Gedanken. »Es könnte alles so schön sein in der Welt, und es ist doch immer ein Wenn und ein Aber dabei,« sagte sie halblaut, »immer etwas, das wie ein Schreckgespenst hinter uns steht und sagt: freue dich nur nicht zu sehr, ich bin auch noch da!« Dann sah sie wieder nach ihrer Uhr und endlich setzte sie sich auf eine kleine Bank, zog mich neben sich und schwieg beharrlich.

»Bleib doch nur bei mir, Lena,« bat sie, als ich einmal aufstand, um mir ein paar Astern zu pflücken, die zwischen hohen Nesseln kümmerlich erblüht waren und wie um Erlösung bittend herüberblickten. »Bitte, bleib doch, ich muß heute jemand neben mir haben, heute, ich fürchte mich sonst vor mir selbst.« Ich blieb gehorsam sitzen und wickelte mich in mein Tuch, denn es war recht naßkalt.

Endlich erhob sich Charlotte und hatte es nun plötzlich schrecklich eilig; ihr Gesicht war aufgehellt und sie fing wieder leise an zu singen im Weiterschreiten. »Man ist doch eigentlich recht albern, sich um Dinge zu grämen, die vielleicht sein könnten,« unterbrach sie sich. »Komm her, Schatz, du sollst einen Kuß haben, weil du mir so prächtig Gesellschaft geleistet hast,« sagte sie munter und führte ihr Versprechen aus.

Auf der dämmerigen Treppe stand sie plötzlich still, dann flog sie doppelt rasch die Stufen hinan und lehnte sich schwer atmend an das plumpe Geländer. Ich sah, wie sie bleich wurde und ein Zittern durch ihre ganze Gestalt ging. Da scholl eine Männerstimme zu uns herüber, sie sprach ruhig und ernst, wie etwa ein Vater zu seinem Kinde redet; unsere Blicke folgten der Richtung des Schalles und blieben an einer bis auf einen schmalen Spalt geschlossenen Thür hängen, einer jener dunklen, stets geschlossenen Thüren des Aebtissinnenhauses.

»Gerhard!« flüsterte Charlotte. »Sie sind in der Bibliothek.«

»Und wenn du mir tausendmal Besserung gelobst, Joachim, und wenn du mir selbst dein Ehrenwort gibst, ich glaube dir nicht mehr, du hast mein Vertrauen verscherzt; in meinen Augen besitzest du nicht mehr das Recht, von Ehre zu sprechen, denn du hast sie verloren, seitdem du – doch sprechen wir nicht mehr davon.«

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Charlotte war an dem Pfeiler in die Kniee geglitten und ihr Gesicht totenbleich geworden; sie saß zusammengekauert und mit geschlossenen Augen, als drohe ihr ein furchtbarer Schlag, dem sie nicht mehr ausweichen konnte. Auch mir stockte der Atem und ich drängte mich zitternd an das Geländer der Treppe; es mußte ja etwas Schreckliches kommen nach jenen Worten.

Allein es blieb still, man hätte eine Feder zu Boden fallen hören.

»Trotzdem,« begann Gerhard wieder, »will ich das Mögliche thun, um dir vor den Augen der Welt wenigstens den Schein der Ehrenhaftigkeit zu erhalten; – nicht um deinetwillen, nein, ich habe kein Mitleid mit dir, sondern um des guten, alten Namens willen, den unser Vater uns hinterlassen hat, der sich im Grabe umwenden müßte, könnte er sehen, was aus seinem Sohne geworden ist, begehe ich die an sich unsinnige Handlung, 13 000 Thaler sogenannter Ehrenschulden zu bezahlen. Als ich gestern erfuhr, auf welche Weise du verstanden hast, deinen Kredit zu verlängern, da hätte ich mir am liebsten eine Kugel vor den Kopf gejagt, obwohl dies am ehesten deine Sache gewesen wäre; ich habe mich immer gefragt, wie es möglich war, so etwas an dir und mir zu begehen, und keine Antwort darauf gefunden. – Ich werde Sorge tragen, daß niemand außer uns beiden von jener Sache etwas erfährt, das Interesse der Familie erfordert es. Aber eins noch: Du hast jetzt ein Vermögen von circa 20 000 Thaler verbraucht, außerdem habe ich während deiner kurzen Laufbahn als Offizier ohne die jetzige Summe wenigstens noch 10 000 Thaler Schulden für dich bezahlt. Nun ist es das letzte gewesen, denn ich kann mich nicht für dich ruinieren; Ferra besitzt ebenfalls so gut wie nichts mehr von ihrem Vermögen, und ihr luxuriöser Witwenstand, sowie die Erziehung ihres Kindes liegen ebenfalls auf meinen Schultern; auch hier muß ich Einschränkungen machen. Also noch einmal: dieses Geld ist das letzte gewesen, was du von mir erhältst, sei so gut, dich danach zu richten. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe, im übrigen weißt du, wie wir stehen, wir sind – –«

»Um Gottes willen, komm!« flüsterte Charlotte, sich erhebend und die Treppe eilig hinunterschlüpfend. Ich wollte ihr folgen, sank aber vor Schreck zusammen, denn ein sporenklirrender Tritt erscholl und ein junger Mann schritt, glücklicherweise ohne mich zu bemerken, unfern an mir vorüber. Es war eine schlanke elegante Figur in dem etwas chiffonnierten Jägerkostüm des heutigen Tages; er hieb pfeifend mit einer kleinen Reitgerte durch die Luft, und sein schönes Gesicht, welches Ferra merkwürdig ähnlich war, trug den Ausdruck einer tiefen, ärgerlichen Verstimmung. Er murmelte leise einen Fluch, blieb vor den Stufen stehen, die zu dem Korridor emporführten, und drehte nachdenklich an den Spitzen seines wohl gepflegten Schnurrbärtchens, dann fing er an leise zu pfeifen und schritt weiter.

Sobald er außer Hörweite war, schlich ich mich die Treppe hinunter und fand Charlotte auf einer der steinernen Bänke im Kreuzgange sitzen; sie hatte geweint, und noch hingen große Tropfen an den langen Wimpern. »Magdalene,« sagte sie und sah mich an, »nicht wahr, was wir da hörten, das bleibt unter uns? Immer, immer? Versprich mir das!«

»Ja, Lottchen!« antwortete ich.

»Weil er doch mein Bruder ist,« sagte sie leise, und fing aufs neue an, bitterlich zu weinen.

Ich setzte mich zu ihr, streichelte und küßte sie und wollte so gern trösten, hätte ich nur gewußt, womit. »Weißt du, was er gethan hat?« fragte ich dann.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es mir nur denken, es müssen Wechsel – o, laß nur, ich mag es gar nicht aussprechen! Mir thut Gerhard so unendlich leid –« Und wieder senkte sie den Kopf und weinte.

Erst als es fast ganz dämmerig geworden, gingen wir hinauf zu Tante Edith; es war totenstill hier oben in dem alten Hause, nur von unten scholl mitunter der Lärm einer animierten Tischgesellschaft herauf; man speiste in dem alten riesengroßen Saale zu ebener Erde, der gerade unter den Räumen lag, die Tante Edith bewohnte, und in der gewölbten Küche wurden heute die Braten am Spieße gewendet.

Robert war in der Zwischenzeit bei seiner Mutter gewesen und hatte, wie diese sagte, lange auf die Cousine gewartet; er sei gewiß als letzter an der Tafel erschienen; und Joachim habe sogar einen halben Augenblick zu ihr hineingesehen, um sich pflichtschuldigst zu erkundigen, wie es ihr gehe. »Er ist noch immer derselbe,« fuhr sie fort; »bildhübsch, sorglos und ein bissel leichtsinnig, mit einem Worte: der tolle Demphoff. Bin doch neugierig, wann er ausgerast hat!«

Charlotte antwortete nicht; ich erfaßte heimlich ihre Hände. Ach ja, da sah nun alles so glänzend aus da drüben in der prächtigen Villa, und auch dort saß die Sorge in irgend einem Winkel und sah mit großen, lauernden Augen um sich und ängstigte mit ihrer Gegenwart alle, die unter jenem Dache wohnten. – »Armer Gerhard – was mag er für Kummer haben!« flüsterte Charlotte.

So kam nun der Abend heran, und als Tante Edith Licht anzündete, schlich ich mich hinaus; ich wußte, Gottlieb saß in unserer Küche, und es gehörte zu meinen größten Freuden, mit dem alten Manne ein wenig zu plaudern; er besaß einen unerschöpflichen Vorrat von Sagen und Erzählungen seiner Heimat; vom nächtlichen Tanze auf dem Blocksberge bis zur unheimlichen Gestalt des wilden Jägers und dem Riesen Bodo, der die schöne Königstochter verfolgte, hatte er unermüdlich Georg und mir erzählt. Heute abend indes war es nicht die Lust, Märchen zu hören, die mich hinausführte, mich hatte eine Angst, eine Unruhe erfaßt, die mich hinaustrieb, um nur etwas anderes zu sehen, als Charlottes so tieftrauriges Gesicht.

Tantes Küche war eigentlich eine Stube, in der ein hübscher, kleiner Kochherd stand und spiegelblankes Kupfer- und Messinggeschirr an den Wänden hing; ein sauberer Tisch und ein Geschirrschrank standen an der großblumigen Tapete, und eine ehrwürdige Schwarzwälder mit blitzenden Messinggewichten tickte an der Wand. Zwischen Herd und Küchentisch aber pflegte Jette zu sitzen und zu spinnen, und es gab kein anmutigeres Bild, als die schmucke, rotwangige Enkelin Gottliebs in ihrer sauber aufgeräumten Küche. Heute abend war sie jedoch nicht da, sie trug eine Suppe für irgend einen von Tantes zahlreichen Kranken fort; dafür saß richtig Gottlieb an ihrem Platze und schnitzelte an einem Quirl, denn darin hatte er eine ganz besondere Geschicklichkeit. Er stand ehrerbietig auf, als ich hineintrat, und nachdem ich mich an den Herd gesetzt hatte, fuhr er fort und begann, ohne sich bitten zu lassen, auch gleich zu erzählen.

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»Da, weiter westlich, in die Berge hinein, da fließt ein kleines Wasser durch das Thal, das heißt die Selke; es ist ein gar schöner Weg, den sie zu machen hat, immer an den Wiesen entlang und zu beiden Seiten hohe Berge. Und von dem einen schaut Burg Falkenstein gar trotzig herab und spiegelt seine Türme und Zinnen tief unten in dem Flüßlein.

»Gegenüber von der Burg da liegt ein Berg, der heißet der Tidian; und wenn ich hätte, was dort verborgen ist, da wär' ich reicher als unser König, und das will was heißen! Aber keiner weiß, auf welcher Stelle der Schatz liegt und wie er zu heben ist.

»Vor vielen hundert Jahren da kommt einmal ein Ritter von Falkenstein in die nächste Stadt in einen Goldschmiedladen und begehrt Frauenschmuck zu sehen, denn er wollte für seine Gemahlin ein golden Kettlein um den Hals oder etwa eine Armspange kaufen, wie sie die Frauen lieben. Aber keins war ihm schön genug. Da brachte der Goldschmied ein paar funkelnde Körnlein in der Hand getragen und sagte: ›Hochedler Herr Ritter, so Euch das Gold nicht fein genug dünket, so schmiede ich Euch ein Kettlein von diesem hier, und reineres findet Ihr nicht landaus landein.‹ – Da gleißeten die Körnlein dem Ritter blendend in die Augen und er fragte: ›Wo habt Ihr so köstliches Gold her?‹

»›Das bringt mir ein alter Schäfer, der in Euer Wohledlen Diensten steht,‹ antwortete jener. Da warf der Ritter sich aufs Roß und ritt eilends heim und ließ den Schäfer zu sich kommen. Aber der wurde bleich und wollte nicht sagen, woher er das Gold habe; und alles Dräuen half nichts, selbst wochenlanges Einsperren vermochte nicht, dem Alten sein Geheimnis zu entlocken. Da – –«

Aber ich hörte schon nicht mehr, denn draußen auf dem Korridor erschallte plötzlich eine heftig redende Männerstimme, beinahe überlaut und heiser klang sie vom Zorn und Wein. Die Hände des alten Mannes sanken herab, er sprang jäh empor, und sein ehrliches runzelvolles Gesicht sah mit dem Ausdruck lebhafter Aengstlichkeit nach der Thür.

»Ich kenne dich ja!« rief dieselbe Stimme draußen, »oder meinst du, ich hätte vergessen, wie du schon als Bengel mir immer heimlich was auszuwischen suchtest, wo du nur konntest?«

»Ich bitte dich, Joachim,« tönte jetzt Roberts tiefes, ruhiges Organ, »du bist erregt und gereizt; ich versichere dich, daß ich mit Gerhard nicht ein Wort über deine Angelegenheiten sprach. Laß die dummen Kindergeschichten, ich habe es nie böse gemeint – wir sind Männer geworden.«

Ein höhnisches Auflachen war die Antwort.

»Elender Bube, du!« donnerte jetzt Roberts Stimme im höchsten Zorn; wir hörten, wie hastig ein paar Schritte vorwärts gethan wurden, dann ward es still für einige Augenblicke. »Reinsberg wird das weitere mitteilen,« sagte Joachim nun gelassen und jede Silbe deutlich betonend. Ein sporenklirrender Tritt verhallte, dröhnend schlug eine Thür zu, dann kein Laut, kein Ton mehr; tiefe Ruhe wieder wie zuvor. Gottlieb waren Quirl und Messer entfallen, und fast verstört stand er in der Mitte der Küche. »Ich dacht's, ich dacht's doch!« sagte er halblaut, »grad noch wie dazumal; o Herr Jesus, was soll daraus werden, und was kann man dabei thun?« Er schüttelte ratlos den Kopf, dann sah er zu mir herüber, als wollte er mich um Rat fragen; und ich wußte doch nicht einmal, was der Zank besagte, und vor allen Dingen nicht, was jene letzten Worte bedeuteten.

»Wenn's vor zwanzig Jahren wäre, so nähme ich ihn am Ohr und führte ihn zum Herrn Vater,« fügte Gottlieb hinzu, »aber heut, da gibt's keinen Vater mehr, und aus dem Jungen ist ein Mann geworden. Ich kann nichts dabei thun, Fräulein, ich nicht, und wenn sie alle beide – –« Er verstummte, und wieder sah er mich fragend an; aber was die alten Augen eigentlich wollten, verstand ich nicht.

»Sie konnten sich nie vertragen, Gottlieb, nicht wahr, sie zankten sich schon als Kinder?« fragte ich, um doch etwas zu sagen.

»So ist's,« nickte er, »und alter Streit ist leicht erneut. Ich gehe schon seit drei Tagen in Angst und Zittern umher, weil ich die beiden zusammen weiß; nun ist's ja so weit, wer kann wissen, wie dies endet!« Er senkte den Kopf und starrte vor sich hin.

»Ach, Gott, erbarme dich!« sprach er leise weiter, »was soll man schon noch alles erleben in dem Hause hier!«

»So sagt doch, Gottlieb, was meint Ihr denn nur?« rief ich erschreckt. »Ist's denn gar so schlimm, wenn sie sich streiten? Es ist ja alles vorbei, und sie sind ruhig auseinander gegangen –«

»Hm, ja, Kindchen, so wird das gemacht; sie werden nicht übereinander herfallen und sich die Jacke ausklopfen, wie Schulbuben – wie sagte doch Herr Joachim? ›Reinsberg wird das weitere mitteilen.‹ Ja, schauen Sie, das ist's eben, Worte verlieren sie nicht mehr drum, sie nehmen ein Paar Pistolen und dann heißt's: Ich oder du! O, du gütiger Heiland!«

Ich war aufgesprungen, es schüttelte mich förmlich vor Angst. Ein Duell – das wäre entsetzlich! Blitzschnell flog mir eine Reihe furchtbarer Möglichkeiten durch den Sinn. »Tante! Charlotte!« flüsterte ich, es war zu schrecklich, es auszudenken.

»Das kann nicht sein, das ist nicht möglich, Gottlieb!« stammelte ich. »Ihr müßt Euch irren – und es darf nicht sein!« – rief ich in furchtbarer Angst. »Hört Ihr, es darf nicht sein! Ich – was kann ich denn thun, Gottlieb, nein – nein, es ist nicht wahr!« Ich hielt den Arm des Alten und schüttelte ihn mit ungestümer Angst.

»Wollte Gott, ich thät' mich irren,« murmelte der alte Mann, »aber ich weiß, wie's zugeht; das, was die beiden sich gesagt, das können sie nimmer anders wett machen, und doch ist's keinen Schuß Pulver wert. – Was Sie thun können? Nichts, Kindchen, gar nichts. Beten Sie heute abend für die alte Frau da drinnen daß ihr der liebe Gott nicht alles nimmt; weiter nichts, Kindchen, weiter nichts.«

»O doch, o doch!« bat ich, »ich gehe zu Robert, ich will Joachim bitten – es darf nicht sein!« rief ich verzweiflungsvoll.

»Herr Robert kann nichts dazu thun,« erklärte Gottlieb kopfschüttelnd, »er ist der Geforderte, und zu Herrn Joachim – nein, Fräulein, da stellte ich mich mit ausgebreiteten Armen vor seine Thür, dem sitzt der Wein gewaltig im Kopfe, das ist nichts für ein feines, junges Mädchen.«

»Lena! Lena! Wo steckst du denn?« fragte in diesem Augenblick Tante Edith, und ihr liebes Gesicht schaute um die Tapetenthür, welche die Küche mit ihrem Zimmer verband. »Rasch! komm, komm, ich will dir etwas zeigen, und etwas Schöneres hast du noch gar nicht gesehen!«

Sie streckte mir die Hand entgegen, fast willenlos ging ich hinüber und ließ mich von ihr fortziehen. »Nun paß auf,« flüsterte sie in dem dunklen Zimmer, das für gewöhnlich leer stand, jetzt aber von Robert bewohnt wurde, »da drinnen in der Wohnstube, da sitzt etwas, das ist eins und doch sind's zwei, das ist zum Himmel hinauf entzückt und doch weint's große Thränen, mit einem Worte, Kindchen, es ist das Schönste, was du sehen kannst auf der Welt; betrachte dir's genau, damit du später selbst einmal weißt, wie es sich macht, und vergiß mir nicht einen hübschen Spruch in deiner Verwunderung. Gelt, Lena, du bist neugierig? Ich meine deinen Atem zu hören, so rasch geht er; so – nun hinein.«

Ich wollte rufen: »Laß mich, Tante, du arme liebe Tante!« Aber sie hatte mich geschwind durch die hohe Thür geschoben. Ich tastete mit der Hand nach dem nächsten Stuhl; das Zimmer, die Lampe, alles drehte sich im rasenden Kreise vor meinen Augen, und nur eins erfaßten sie voll und ganz – Tante hatte recht, es war das Schönste, was man sehen konnte. Da standen eng umschlungen die zwei, die eins waren, und Charlottes feiner Kopf lag ruhig und still an der Brust des hochgewachsenen Mannes; ihre Augen blickten voll Seligkeit zu ihm hinauf, als wollten sie sagen: »Hier allein ist mein Platz.« Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, aber als er nun den Kopf hob und zu mir herüberblickte, da sah ich, daß seine Augen vom Weinen gerötet waren.

»Kleine Magdalene!« rief Charlotte, »komm her und gib mir einen Kuß! Du kleine Schlaue, ich habe deinen blitzenden Augen schon längst angesehen, daß du unser Geheimnis kanntest.« Sie küßte mich herzlich auf den Mund, und bei dieser Bewegung löste sich die eine ihrer blonden Flechten und hing schwer und schimmernd über ihre Schultern herab.

»Wie eine goldene Kette, Lottchen,« sagte er und berührte das prächtige Haar.

»Warte!« scherzte sie und trocknete rasch die letzte Thräne, die noch an ihrer Wimper hing, »so soll es nun auch eine Kette für dich werden.« Sie nahm die Flechte zurück, schlang sie um seinen Hals und faßte sie dann wieder so, daß er gleichsam gefangen war in jenen goldschimmernden Fesseln. »Nun bist du mein auf ewig, jetzt kann uns niemand mehr scheiden als der Tod – hörst du, du armer Mann? Es ist kein Entrinnen mehr möglich.«

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Ich blickte ihn angstvoll an und sah, wie er erbleichte, wie er zusammenzuckte und die schlanke Gestalt jäh an sich preßte.

»Niemand mehr, Charlotte. Aber denken wir heut' abend, jetzt nicht daran. Wir leben heute, du und ich und unsere Mutter, unsere liebe, gute Mutter –«

Da machte sich Charlotte jauchzend von seinen Armen los und kniete vor dem Lehnstuhle der alten Dame nieder; sie lachte und weinte und küßte, und dazwischen plauderte sie vom grünen Wald, und daß sie dort wohnen solle, und ganz wie ihr liebes Mütterchen zu Fuß und im Brautkleide mit ihm dort einziehen wolle in das liebe einsame Jägerhaus. Und Tante saß dabei, über ihrem Gesichte lag gleich einem goldenen Schleier die selige Freude, und sie faltete die Hände um Charlottes Nacken. »Mein Töchterchen,« sagte sie innig, »o, wer hätte es doch gedacht – –«

Da lief ich hinaus; ich konnte es nicht mit ansehen das Glück da drinnen, über dem eine drohende Gewitterwolke schwebte; ich warf mich auf mein Bett und weinte und betete, und die Zähne schlugen mir im Fieber zusammen, hundert unmögliche Pläne wälzten sich durch meinen Kopf, hundert Entschlüsse faßte ich und verwarf sie wieder, und im Bewußtsein meiner Schwäche und Machtlosigkeit steigerte sich die Aufregung. Ich lief noch einmal in die Küche, aber Gottlieb war gegangen; dann trieb es mich bis zu jenem Zimmer, Joachims Zimmer. Ich empfand ein Grauen vor dem schönen Manne, seinem wüsten Gebaren; er kannte mich nicht einmal, aber trotzdem hatte ich den Mut, zu ihm zu gehen. Was ich eigentlich sagen wollte? – ich wußte es selbst nicht; das Herz klopfte mir, daß ich es zu hören glaubte. Zaghaft legte sich meine Hand auf den Drücker, eine Art Schwindel ergriff mich – da wurde drinnen ein Stuhl gerückt und gleich darauf drang das laute Schmerzgeheul eines Hundes in mein Ohr, untermischt mit klatschenden Schlägen, die unbarmherzig auf das arme Tier herniedersausten. »Bestie, du verd – –!« schrie er.

Ich floh entsetzt zurück, und dicht hinter mir jagte das aus jenem Zimmer gestoßene Tier; es war ein prächtiger brauner Hühnerhund, und er drängte sich ungestüm an mir vorbei in meine Stube; ich kauerte mich im Finstern neben ihm nieder und schlang die Arme um seinen Hals, und das Tier leckte mich und winselte leise. Aus Tantes Zimmer aber scholl Charlottes klare Stimme herüber; sie lachte und scherzte und neckte – o, ich konnte mir denken, wie hinreißend sie in ihrem Glücke war, aber ich mochte sie nicht sehen in meiner Qual.

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»Mein Schatz ist ein Jäger,« sang sie jetzt ihr Lieblingslied; und nun sprach sie wieder und lachte, und mitunter tönte seine tiefe Stimme dazwischen, so weich, so zärtlich. Dann vermißten sie mich, und ehe ich mich versah, stand Charlotte vor mir mit einem Lichte und fragte verwundert, was ich denn mit Joachims Lady thue?

Ich erschrak und war doch froh, daß ich sagen konnte, Joachim habe den Hund so sehr geschlagen und da sei er in mein Zimmer gekommen. Ein flüchtiger Schatten legte sich einen Moment über ihr rosiges Gesicht. »O, wie empörend!« rief sie und streichelte das Tier, dann zog sie mich aber mit hinüber ins Wohnzimmer, und Lady wurde einstweilen in Roberts Stube gesperrt, weil ein großer Kampf mit den Katzen zu entstehen drohte.

Mit aller Gewalt zwang ich mich, ruhig zu bleiben, und hörte an, wie Charlotte die lieblichsten Luftschlösser baute. Sie wollte Gerhard heute abend nichts mehr sagen von ihrem jungen Glück, »denn sonst kann er nicht schlafen« setzte sie hinzu, »und er braucht doch den Schlaf so nötig in diesen anstrengenden Tagen. Aber morgen, wenn die Gäste fort sind, dann bereite ich ihn so ganz fein diplomatisch vor, und dann, Robert – dann kommst du herüber. O Himmel, was wird Ferra sagen?« lachte sie, »und die Mama –?«

Sie verstummte plötzlich. Robert saß neben ihr, er schien jedes Wort von den Lippen abzulesen; ihre Hand hielt er in seinen Händen und dann und wann strich er einmal leise über ihre blonden Haare, als glaube er noch immer nicht, daß das schöne Mädchen an seiner Seite wirklich und wahrhaftig ihm gehöre.

Dann pochte es an die Thür und ein Diener trat ins Zimmer. Er meldete den Herrn Premierlieutenant von Reinsberg an, welcher den Herrn Oberförster Berka zu sprechen wünsche.

Da war es; Gottlieb hatte recht gehabt. Ich starrte dem schlanken Manne nach, als er jetzt festen Schrittes in sein Zimmer ging. Es war mir, als müßte ich ihn festhalten, und unwillkürlich sprang ich auf und streckte die Hand nach ihm aus, dann sank ich, vor Aufregung am ganzen Körper bebend, wieder auf meinen Platz.

»Kind, du bist krank!« rief jetzt Charlotte. »Komm her; was du für heiße Hände hast.« Und Tante Edith befahl, ich solle ins Bett gehen.

Unter allerhand munteren Scherzen und Geplauder brachten sie mich zur Ruhe, wobei Charlotte gegen mich verfuhr, als sei ich ein Baby von vier Jahren. »Nun lieg still,« sagte sie dann, »jetzt kommt das Wiegenlied:

Die Liese hat 'nen Bräutigam,
Die Grete möcht' auch einen han;
Ei, Grete, da such' über Berg und Thal,
So einen wie meinen gibt's doch nur einmal!«

sang sie und lachte: »Hast schon einen besseren gesehen?«

Ich hielt mir beide Hände vor die glühende Stirn. Was mochte jetzt nur beschlossen sein zwischen Robert und Joachim?

»Laß sie nur, Lottchen,« sagte Tante Edith und bog sich liebevoll über mich, »sie ist wirklich angegriffen. Schlaf, mein Püppchen, das ist das beste; schlaf, ich komme bald einmal herüber und sehe nach, wie dir's geht.« Und dann ward's still um mich, ich brauchte wenigstens nicht mehr zu hören, wie selig sie da drinnen waren.

Nach einiger Zeit kam Tante wieder, und als sie mich noch wachend fand, schob sie den Bettvorhang etwas zur Seite und setzte sich. »Lena, was sagst du nur eigentlich? Ich möcht' es gern wissen, denn sieh, ich bin noch so erstaunt, ich ahnte nichts von solchen Dingen, sitze da ganz still und Lottchen läßt sich von mir etwas erzählen, da stürmt der Brausekopf ins Zimmer, und eh' ich mich versehe, hat er das Kind in die Arme genommen, und da kommt es denn heraus, daß sie sich schon lange lieben, schon lange miteinander versprochen sind! Aber Lottchen war doch auch erschreckt im ersten Augenblick; man kennt ja Robert gar nicht so stürmisch. Mein Gott,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu, »was wird Charlottes Mutter dazu sagen?«


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